Es skizziert mögliche Pfade des Umbaus der Stromversorgung. Gabriel nennt es einen „wichtigen Zwischenschritt für eine sichere, kosteneffiziente und umweltverträgliche Energieversorgung“. Die Ideensammlung spricht vom Strommarkt 2.0, als Gegenmodell zum so genannten Kapazitätsmarkt. Damit will der Minister die Debatte um ein neues Marktdesign für alle Stromerzeuger eröffnen. Zwischen beiden Meldungen klaffen Welten. Endlich ist in der Chefetage von Vattenfall angekommen, dass sich der politische Wind in Stockholm gründlich gedreht hat. Die neue, rot-grüne Regierung zieht die Reißleine. Den Schweden wird die Sache zu heiß. Stinkst du noch, oder lebst du schon?
Als Käufer für die veralteten und überflüssigen Tagebaue kommt eigentlich nur RWE in Betracht, dem letzten Fossil der Kohleverstromung. Bei einem solchen Deal sollten sich jedoch die Kartellbehörden querlegen. Andernfalls könnte man diese Behörde sofort auflösen.
Brandenburg wühlt im Dreck
Bleibt das Bundesland Brandenburg als Abnehmer, das vor knapp zwei Jahren seine Photovoltaikindustrie bedenkenlos opferte. Tausend Jobs in den Kohlegruben sind den Gewerkschaften, den Sozialdemokraten und der Linkspartei wichtiger als viertausend Jobs in Modulfabriken, das hat vermutlich historische Gründe. Liebe zum Schlot, liebe zum Dreck und zum Lieblingsprojekt der DDR, was auch immer. Nun fällt die Sache den Politikern auf die Füße, ausbaden müssen es die Steuerzahler.
Denn die Schweden ziehen sich zurück, endgültig. Das war lange abzusehen, eigentlich schon vor zwanzig Jahren. Die Kohle verschwindet aus der Lausitz, wie sie aus dem Ruhrgebiet verschwunden ist, oder aus dem Saarland. Ihre Zeit ist abgelaufen. Das gilt auch für Politiker, die sich durchwursteln, weil sie die Zeichen der Zeit nicht erkennen – wollen.
Abgeschriebene Meiler laufen noch
Freilich: Noch laufen etliche, längst abgeschriebene Kohlemeiler. Sie verstopfen das Stromnetz und verzerren die Strompreise. Denn abgeschriebene Kraftwerke haben weit geringere Gestehungskosten als neue Generatoren. Auch verhindern sie den Aufbau von Gasturbinen zur Stromerzeugung, die sich viel schneller regeln lassen und damit besser zu den erneuerbaren Energien passen. An dieser Stelle kommt das „Grünbuch“ des Sigmar Gabriel ins Spiel. Statt Strommarkt 2.0 geht das Durchwursteln offenbar weiter. Denn statt die Handelskette für Strom nach dem Vorbild des Telekommunikationsmarktes zu revolutionieren, beharren die Autoren auf einer einheitlichen Preiszone. Das ist der erste, wesentliche Denkfehler für ein neues Marktdesign. Denn wir brauchen Strompreise, die im Verlauf von Tag und Nacht schwanken. Die zeigen, wann Bedarf und Angebot auseinander klaffen. Und: Wir brauchen Strompreise, in denen die Nutzung der Stromnetze transparent wird.
Und zwar nicht als Einheitsmaut, die alle mit der EEG-Umlage gleichermaßen berappen müssen, sondern abhängig vom Ort der Erzeugung, von den Spannungsebenen und der Durchleitungsdistanz bis zum Ort des Stromverbrauchs. Das kann man leicht machen: Mit Daten aus dem GPS, mit Preisen, die nach Kilowattstunden und Kilometern rechnen. Nur dann bekommen wir klare Geschäftsmodelle für das Stromnetz, bringen die Nachfrage nach Transportkapazitäten mit dem Stromverbrauch in Deckung. Warum eigentlich, dürfen Strompreise nicht regional differieren, gar von Haushalt zu Haushalt?
Anreize für den Netzumbau
Erst dann wird das Netz gemäß den Erfordernissen der dezentralen, erneuerbaren Energien umgebaut. Erst dann hört der Unsinn mit den Großkraftwerken auf. Nicht einmal im Markt für Regelleistung haben sie eine Zukunft. Denn Gasturbinen mit zehn oder fünfzig Megawatt Leistung können solche Dienstleistungen im Mittelspannungsnetz preiswerter und schneller liefern als 800 Megawatt mit 110 Kilovolt. Den Strom ohne Umwege dort zu verbrauchen, wo er erzeugt wird – das muss wirtschaftlicher sein, als teure Stromtrassen, als noch mehr Stahl, Kupfer, Sicherungen und Spulen. Netzabhängige Strompreise würden sichtbar machen, für alle Akteure im Markt: Wir brauchen viel weniger Stromnetz als bisher. Die Hochspannungstrassen werden verschwinden, wie die fossil-nuklearen Großmeiler. Entscheidend sind Intelligenz, Steuerung und Smart Grids in der Niederspannung für die privaten Haushalte und in der Mittelspannung für die Industrie.
Smart Grid tritt auf der Stelle
Auch das viel beschworene Smart Grid kommt nicht in Gang, wenn es keine flexiblen Preismodelle gibt, keine Anreize für schnelle, intelligente Steuerungen der Stromverbraucher oder Dienstleistungen für Regelenergie. Das beweisen die Märkte in den USA, in Großbritannien und Australien. Dort sind volatile Preise im Tagesverlauf völlig normal, dort setzen sich Smart Meter bereits durch. Nur Deutschland schläft weiter, träumt von den alten Zeiten.
Von der guten, alten Netzstruktur. Sie zu konservieren, darauf laufen Gabriels Vorschläge hinaus. Weil die Sozialdemokratie noch in den Kategorien des Kaiserreichs denkt, stromtechnisch gesprochen. Das wird schief gehen, wie die Sache mit den Braunkohlegruben. Strommarkt 2.0 – von wegen. Durchwursteln wie bisher, Durchwursteln 2.0. „Grünbuch“ – von wegen. Man sollte es „Braunbuch“ nennen. Oder Schwarzbuch. Egal. Am Ende geht es in Deutschland immer um dasselbe: Kohle.