Zuerst die aktuelle Meldung: RWE hat 2013 mehr als 2,8 Milliarden Euro Verluste eingefahren. Erstmals in der Unternehmensgeschichte rutschte der Konzern in die roten Zahlen. Im laufenden Jahr könnte es noch schlimmer kommen, stellte RWE-Boss Peter Terium in Aussicht. Seine Begründung: Die alten Kraftwerke seien wegen des Stromangebots aus erneuerbaren Energien immer seltener am Netz. Deshalb wurden 4,8 Milliarden Euro auf konventionelle Kraftwerke abgeschrieben. Um es vorweg zu nehmen: Wirklich dramatisch ist das noch nicht. Denn immerhin schüttet RWE auch in diesem Jahr eine Dividende aus, wenn auch nur halb so hoch wie im Vorjahr.
Nun beginnt das Heulen, und die Zähne klappern. Zahlreiche Kommunen in Nordrhein-Westfalen halten Aktien an den Kraftwerken, nun müssen sie ihre Werte berichtigen. Die politische Verzögerungstaktik in der Energiewende schlägt auf den kommunalen Sektor durch. Frau Kraft in Düsseldorf ringt mit den Händen, wirft sich in die Brust. Auch ihr SPD-Kollege Dietmar Woidke in Potsdam winselt hörbar: Der Energiekonzern Vattenfall dürfte die brandenburgische Scholle über kurz oder lang räumen.
Vattenfall ist so etwas wie RWE im Osten Deutschlands. Ein bisschen kleiner, ein bisschen verschlafener, etwas hausbackener als der Gigant aus Essen. Doch mitt den gleichen Sorgen. Immerhin haben die Schweden Hinterland, das wusste schon Axel Oxenstierna, Reichkanzler unter Gustav Adolf im Dreißigjährigen Krieg. Also stoßen sie das verlustreiche Deutschlandgeschäft ab und kehren nach Stockholm zurück. Brandenburg bleibt auf dem Erbe der DDR-Braunkohle sitzen. Eigentlich ein schöner Erfolg der Landespolitik: Jahrelang wurde Vattenfall gepäppelt, mit Subventionen und Erleichterungen. Nun muss sich Woidke mit aufgebrachten Bürgern herumschlagen, die keine Mondlandschaften mehr wollen. Er muss den Berlinern erklären, warum das Wasser der Spree bald ungenießbar wird. Denn die Abraumhalden der Braunkohle versauern die Gewässer. Eisen flockt aus, färbt die Brühe rostrot. Und nebenbei wird der Brandenburger Haushalt verheizt.
Brüder zur Sonne, zur Freiheit: So war die Sozialdemokratie einst aufgebrochen, gegen Bismarcks Gängelung und die Sozialistengesetze. Brüder – das impliziert auch die Schwestern. Umso verwunderlicher ist es, dass sich sowohl Frau Kraft als auch Herr Woidke vehement weigern, die Energiewende zur Kenntnis zu nehmen. Tatenlos sah die SPD zu, wie die großen Modulhersteller im Osten Deutschlands abgewickelt wurden. Tausende Arbeitsplätze wurden still geopfert. Seit der Reform des EEG im Jahr 2012 fiel Frankfurt an der Oder in den ewigen Dornröschenschlaf zurück. Nun plant Brandenburgs Regierung tatsächlich, die Tagebaue von Vattenfall zu übernehmen. Und dass, obwohl das Geschäftsmodell der Schweden so verlustbringend ist, wie die Konzepte von RWE. Und da soll man nicht emotional werden?
Es geht nicht um die großen Energiekonzerne. Für sie ist in dieser Welt kein Platz mehr, weil langsam eine saubere und ökologische Wirtschaftsweise Einzug hält, überall auf dem Globus. Die Energiewende ist überlebenswichtig, damit die Emissionen spürbar und schnell sinken. Damit die Erde lebenswert bleibt und nicht zur Wüste verkommt. Damit wir künftig keine Kriege mehr ums Öl wie im Irak oder in Afghanistan führen müssen. Oder wie Herr Putin, der die Krim als Tor zu den Ölgebieten von Baku braucht.
Doch weder Frau Kraft, noch Herr Woidke oder Herr Gabriel reden vom Klimawandel. Sie reden auch nicht von unseren Kindern und Enkeln. Stattdessen reden sie von stillgelegten Kraftwerken, die der Stromkunde mitbezahlen soll. Sie reden von den Arbeitsplätzen der schmutzigen Kohleverstromung, und davon, dass man RWE und Co. mitnehmen müsse. So wird die Energiewende verschoben, auf den Sankt Nimmerleinstag.
Wir müssen weder RWE, noch Vattenfall, noch die SPD oder eine andere Bremserpartei mitnehmen. Der Markt hat sein Urteil über die Energiekonzerne bereits gesprochen. Wie in anderen Branchen gilt auch in der Stromversorgung: Smart is beautiful. Nicht einmal als Notreserve für Schwächen im Netz taugen die großen Kraftwerke. Dafür sind sie viel zu träge. Da sind kleinere Gasturbinen viel besser geeignet, mit Leistungen irgendwo zwischen 50 und 100 Megawatt, räumlich überall in den Netzgebieten verteilt.
Das spart teure Großkraftwerke, das spart teure Stromtrassen. Deswegen hat sich beispielsweise Tennet bereits gegen ein Kapazitätsmodell für stillgelegte Kraftwerke geäußert. RWE-Chef Terium begründete seine Forderung hingegen so: „Die Feuerwehr wird ja auch nicht nur dann bezahlt, wenn sie einen Brand löscht.“
Stimmt, aber Reserven für die Energieversorgung kann man statistisch planen und regional verteilen. Dafür braucht man kleine, steuertechnisch sehr schnelle und flexible Generatoren, keine Großkraftwerke. Aus diesem Grunde sind beispielsweise die Feuerwehren in einer Großstadt räumlich gut verteilt. Sie sind beweglich, flink und optimal verteilt. Oder haben Berlin, München oder Hamburg ihre Feuerwache am Rhein zu stehen?
Wirklich gute Argumente sehen anders aus. Die Politik muss sich nun entscheiden, ob sie am alten Modell der großen Stromerzeuger festhalten will. Oder ob sie den Markt öffnet, für alle Player. Noch sind RWE und Vattenfall potent genug – und im Stromgeschäft erfahren genug – mit neuen Produkten und Dienstleistungen auf die Stromkunden zuzugehen. Das wird nicht einfach, haben sie doch jahrzehntelang ihre Kunden verschaukelt, und tun es noch: Durch immer höhere Strompreise, obwohl die Einkaufspreise an der Energiebörse weiter sinken. Denn die Handelsabteilungen der Konzerne sollen ausgleichen, was die Kraftwerke an Verlust einspielen.
Wir brauchen einen freien Markt für Regelenergie, sowohl für die Sekundenreserve als auch für die Zuschaltung nach wenigen Minuten. Solche Angebote werden im Strommarkt höhere Preise erzielen, dort rechnen sich bereits heute Großbatterien. Kluge Energieversorger diversifizieren ihre technische Basis, agieren mit verteilten Netzen, mit kleinen Reservegeneratoren und Speichern.
Ob RWE das kann, ist beinahe entschieden. Noch ein Jahr, und der einstige Riese bekommt keinen Kredit mehr, nirgends. Ob die Sozialdemokraten oder die christlichen Parteien diesen Wandel aktiv gestalten können (und wollen), bezweifeln wir. Denn der Knackpunkt ist das Monopol der Großkonzerne. Deutschland leistet sich Oligarchen, von denen Wladimir Putin nur träumt. Die Bürger verstehen das, sie wollen die Energiewende: bürgernah und dezentral. Die Wirtschaft und die verarbeitende Industrie denken ebenso. Eigenverbrauch, intelligente Vernetzung und kluge, regional vorgehaltene Reserven: Darin liegt die Chance politischen Handelns, vor allem in Flächenländern wie Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen. Vor allem in einem rohstoffarmen Industrieland wie Deutschland.