Solare Fassaden rechnen sich nicht, sind viel zu teuer. Dieses Vorurteil ist unter Architekten, Bauherren und in der Branche selbst nach wie vor weit verbreitet. Dabei gibt es durchaus Solarprodukte, die mit den klassischen Fassadenelementen konkurrieren können.
Denn eines sind Fassaden aus Glas, Stahl oder Aluminium ganz sicher nicht: billig. Die Quadratmeterpreise steigen, addieren sich angesichts der großen Fassadenflächen zu enormen Summen. Die Kosten für Solarfassaden müssen sich damit messen, nicht mit der Einspeisevergütung wie bei Freilandanlagen oder Aufdachsystemen. Die BIPV rechnet in Quadratmeterpreisen, nicht vordergründig in Eurocent pro Kilowattstunde.
Mehrere Techniken sind aussichtsreich
Neu für die Architekten und ihre Kunden ist vor allem, dass das Gebäude mit seinen Flächen selbst zum Erzeuger von sauberem Strom und Wärme mutiert. Das muss erst einmal in Köpfe hinein: „Eine reine Glasfassade rechnet sich eigentlich nie“, sagt Wolfgang Willkomm, Architekturprofessor an der Hafen University in Hamburg. „Erst durch die Stromerzeugung kann man überhaupt eine Amortisationszeit berechnen.“
Organische Solarzellen, Perowskite-Module oder Dünnschichtmodule aus Kupfer-Indium-Kompositen stellen derzeit interessante Innovationen für die BIPV dar. Auch die Anbieter von Glas-Glas-Modulen mit kristallinen Siliziumzellen bereiten sich auf den neuen Markt vor.
Denn langsam steigt die Nachfrage von spezialisierten Architekturbüros, Ingenieuren und Bauträgern. Zudem beginnen Energieversorger und Stadtwerke, sich für das Thema zu interessieren. So zeigte Aleo Solar in Bad Staffelstein das semitransparente Glas-Glas-Modul Elegante, das Sonnenstrom erzeugt und teilweise lichtdurchlässig ist. Dadurch lassen sich dahinterliegende Räume abschatten, um sie vor sommerlicher Hitze zu schützen.
Auch als Isolierglas
Es wird aus teilvorgespanntem Verbundsicherheitsglas hergestellt, je vier Millimeter vorn und hinten. Die Anschlussdosen sind seitlich angeordnet, um die Optik nicht zu stören, auch nicht auf der Unterseite. Das spielt bei Überkopfverglasung eine wichtige Rolle. Aleo bietet ein eigenes Montagesystem an, das sich vielfältig anpassen lässt.
Das Elegante wird 2019 auch als Isolierglas angeboten, für Warmfassaden. Dieses Modul ist 33 Millimeter dick und hat einen U-Wert von 1,1 Watt pro Quadratmeter und Kelvin. Das entspricht durchaus gängigen Isolierglasfenstern.
Die Solarfassaden bringen vor allem für die Dünnschichtmodule neue Chancen. Wer eine solar aktive Fassade plant, muss Elektrik, Bauphysik und Optik zusammen denken. „Unsere CIGS-Module mit ihren Backrails zur Montage haben die bauaufsichtliche Zulassung bekommen“, erläutert Peter Borowski, Teamleitung für Produktcharakterisierung bei Avancis in München.
Avancis bietet seine Fassadenmodule unter dem Markennamen Skala an, in verschiedenen Farben. „Der Minderertrag beträgt maximal 15 Prozent gegenüber einem schwarzen Modul“, analysiert Peter Borowski.
Anschluss mit DC-Optimierer
Diese Module lassen sich mit dem DC-Optimierer P405 von Solaredge anschließen oder mit Stringwechselrichtern, die für die hohen Spannungen der Dünnschichtmodule zugelassen sind. Ein Problem ist immer, dass möglichst wenig Elektronik in der Fassade eingebaut werden sollte. Denn nach der Montage kann es sehr aufwendig sein, einzelne Module abzunehmen, um an die DC-Optimierer zu gelangen – falls diese schwächeln.
Allerdings bieten die DC-Optimierer einige Vorteile beim Brandschutz (Freischaltung bei Netztrennung) und beim Monitoring der Module. Die Auflösung der Betriebsdaten erfolgt modulgenau. Anders bei der klassischen Stringverschaltung: Hier kann der Wechselrichter lediglich Stringdaten auswerten.
Das DIBt hat bereits genickt
Mit CIGS-Modulen befasst sich auch die Solibro Hi-Tech GmbH in Bitterfeld/Wolfen. Im doppelten Sinne: als Modulhersteller für Fassaden und als Lieferant für schlüsselfertige Modulfabriken. Bei seinem Vortrag in Bad Staffelstein präsentierte Mathias Fischer, Projektleiter für BIPV bei Solibro, eine Systemlösung: aus Glas-Glas-Modulen mit elektrischem Anschluss je nach Anforderung des Gebäudes.
Das Fassadenelement besteht vorn aus zertifiziertem Verbundsicherheitsglas (VSG). Auf der Rückseite ist ein mit bauaufsichtlich zugelassener EVA-Folie auflaminiertes photoaktives Substratglas angebracht. Das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) hat diese Version bereits abgenickt, als VSG mit appliziertem Funktionsglas.
Mikrowechselrichter für CIGS-Module
Denn das VSG verleiht dem Element ausreichend Stabilität, das Funktionsglas auf der Rückseite wird in der Lastberechnung nicht betrachtet. Die Montage erfolgt mittels Standard-Pfosten-Riegel-Fassaden an dem allseits überstehenden VSG-Frontglas. Es soll vorerst nur an Kaltfassaden zum Einsatz kommen. Der Anschluss erfolgt über den eigens entwickelten Invertino TF-300, einen Mikrowechselrichter für Dünnschichtmodule. Er wandelt die DC-Spannung direkt am Modul in Wechselspannung um, hat die automatische Abschaltung im Fehlerfall integriert und erhöht den Ertrag aus dem Solarfeld. Denn Verschattung, Mismatch oder andere Probleme können sich nicht auf einem String ausbreiten, sondern bleiben aufs Modul begrenzt.
Auch das Monitoring ist auf Modulebene möglich, was die Wartung und den Austausch sehr vereinfacht. Der Mikrowechselrichter ist komplett vergossen, um ihn gegen äußere Einflüsse zu imprägnieren.
Solibro will Ende des dritten oder Anfang des vierten Quartals damit in den Markt gehen, zunächst mit einer standardisierten Modulgröße. „Ab 2020 wollen wir alle Größen von 3,20 bis 1,60 Meter bedienen und die Frontglasdicken den spezifischen Lastfällen anpassen können.“
Elf Prozent Wirkungsgrad
Momentan treibt der Schweizer Markt die BIPV, er ist der Motor der Architektur mit solaraktiven Fassaden. In einem Vortrag berichtete Peter Roethlisberger von Solaxess über seine Erfahrungen mit den Architekten und der Baubranche. Solaxess hat seinen Sitz in Neuchâtel. Die Firma hat mittlerweile erste Projekte mit weißen Solarmodulen realisiert. „Das Problem ist, dass man diesen weißen Paneelen nicht ansieht, was sie können“, sagt Roethlisberger. Das sei jedoch der eigentliche Vorteil, weil auf diese Weise die Solarmodule zu ganz normalen Bauprodukten würden.
Die kristallinen Module haben einen Wirkungsgrad von elf Prozent. Sie sind komplett weiß, niemand würde darin Solartechnik vermuten. Denn die Zellen bleiben völlig unsichtbar. Damit sind weiße Fassaden möglich, die zudem sauberen Strom liefern. „Die Einstiegsangst muss man den Architekten nehmen“, sagt Peter Roethlisberger. „Sie kennen die Photovoltaik nur als schwarze Scheiben oder kristalline Zellen, da stehen ihnen die Haare zu Berge.“
Weiße und farbige Module werden die BIPV deutlich beflügeln. „Aus diesen Fassaden kommt auf alle Fälle mehr Strom raus als aus einer normalen, weißen Wand“, urteilt der Schweizer Experte. „Daraus kriegen sie nämlich gar keinen Strom.“
Mehr Strom als aus der Wand
Unsichtbarkeit ist für Roethlisberger ein entscheidendes Kriterium: „Die Solarzellen müssen unsichtbar bleiben.“ Solaxess entwickelt derzeit Module mit beiger, grauer und Terrakotta-Farbgebung in verschiedenen Helligkeitsstufen. Wichtig ist zudem, dass die Solarfassaden wenn möglich keine oder nur wenig Blendwirkung erzeugen.
Ein weiterer Effekt: Strom produzierende Fassaden kühlen das dahinterliegende Gebäude. Denn ein Teil der Solarenergie wird als elektrischer Strom aufgefangen, heizt also nicht die Fassade auf. Dadurch sinkt der Strombedarf, um das Gebäude im Sommer zu kühlen. Das spielt vor allem in warmen Regionen eine wesentliche Rolle, wo der Stromverbrauch mittags stark ansteigt.
PV Guided Tours
Geführte Rundgänge für Architekten
Zur Intersolar Europe im Mai in München bieten die Redaktionen der photovoltaik und von PV Europe erstmals spezielle Rundgänge für Architekten, Bauplaner und Bauherren an. Diese Rundgänge zeigen die Innovationen zur solaren Architektur: Module für die Fassade, Indachsysteme und solare Ziegeleindeckung. Die Touren werden an allen drei Messetagen (15. bis 17. Mai 2019) in deutscher Sprache sowie am Mittwoch und Donnerstag zusätzlich in englischer Sprache angeboten.
Die Gruppen werden von Sven Ullrich geführt, Fachredakteur für Montagesysteme und bauwerkintegrierte Photovoltaik. An den Messeständen der kooperierenden Unternehmen stehen Produktmanager, Ingenieure und Vertriebsexperten bereit, um die Innovationen vorzustellen und die Fragen der Teilnehmer zu beantworten. Jeder Rundgang dauert etwa zwei Stunden.
Start ist am Messestand der photovoltaik und PV Europe in Halle B1, Stand 209/309. Die Teilnahme erfolgt nach vorheriger Anmeldung. Mit der Anmeldung verbunden ist der kostenfreie Zugang zu den vier Messen der The smarter E Europe. Für die Führungen stehen den Teilnehmern Headsets zur Verfügung.
Auf einen Blick
Im Beitrag erwähnte Firmen:
Aleo Solar: www.aleo-solar.de
Avancis: www.avancis.de
Solaxess: www.solaxess.ch
Solibro Hi-Tech: https://solibro-hitech.com/de