937 Berggipfel gibt es im Schweizer Kanton Graubünden, 615 Seen, 150 Täler. Kein Wunder, dass das größte Kanton die wichtigste Ferienregion der Eidgenossen ist. Und das nicht nur im Sommer: 1865 lockte ein Hotelier mit Curling- und Schlittschuhbahnen die ersten Wintersportler nach St. Moritz, denen bald die Skifahrer folgten – wegen des Schnees, aber auch wegen des legendären Champagnerklimas und der gut 320 Sonnentage im Jahr. „Ski und Rodel gut“, heißt es seitdem Jahr für Jahr in der ganzen Region. Auch im kleinen Bergdorf Tenna. 113 Menschen wohnen hier, 139 betreiben als Genossenschaft den besonders bei Familien beliebten örtlichen Skilift. Als 2009 dessen Sanierung anstand, beschlossen die Genossen, den neuen Lift mit Strom aus einer eigenen Photovoltaikanlage zu betreiben. Tennas günstige Lage „auf der Sonnenterrasse im Safiental“ sollte für mehr gut sein als für gebräunte Nasen bei Wanderern und Skifahrern.
Der naheliegende Gedanke, die Photovoltaikanlage auf dem Dach der Talstation zu betreiben, fiel sofort durch: zu wenig Fläche. Als Alternative blieb nurdie Luft über der Trasse des Skilifts – und das zum Patent angemeldete Solar-Wings-Konzept einer gleichnamigen Firma aus dem benachbarten Liechtenstein. Ergebnis ist der erste Solar-Skilift der Welt: Jeweils drei an den Längsseiten zusammengefügte Module ergeben einen Solar Wing, 82 dieser Solar Wings hat der Schweizer Seilbahnspezialist Bartholet etwa zwei Meter über dem regulären Seil des Schlepplifts auf zwei weiteren Tragseilen befestigt. Die Module haben eine Südneigung von 30 Grad und werden tagsüber mit Hilfe der Seile dem Sonnenstand von Ost nach West nachgeführt. Selbst starker Schneefall ist kein Problem: Die etwa 100 Kilogramm schweren Solar Wings können fast senkrecht gestellt werden, damit der Schnee abfällt.
Mehr Strom als nötig
Ein geschlossenes Solardach hat die etwa 400 Meter lange Lifttrasse übrigens nicht bekommen, da der Liftbetreiber eine künstliche Beschneiung ablehnt und daher noch Schnee auf die Spur fallen muss. Bartholet montierte die SolarWings also im Abstand von vier Metern, für die 60 Kilowatt Nennleistung der Anlage wurde etwa ein Fünftel der Grundfläche überdacht. Etwa 90.000 Kilowattstunden Strom soll die Anlage jährlich produzieren. Für den Liftbetrieb werden rund 22.000 Kilowattstunden benötigt, die Überproduktion wird an das Elektrizitätswerk Tenna verkauft. Denn trotz Rücklagen und Beiträgen der Genossenschaft, kommunalen Zuschüssen und privater Sponsoren konnten die Liftbetreiber die rund 1,35 Millionen Franken (etwa 1,1 Millionen Euro) schwere Investition nicht ganz ohne Darlehen stemmen. Die Einnahmenüberschüsse aus dem Stromverkauf sollen zunächst zur Tilgung dieser Darlehen und danach wieder zur Bildung von Rücklagen verwendet werden.
Im Winter, wenn die Module nicht genug Strom für den laufenden Betrieb produzieren, wird übrigens Sonnenstrom dazugekauft – der Solar-Skilift soll schließlich keine Mogelpackung sein, sondern ein Vorbild für weitere Skilifte in vielen anderen Tälern und Gipfelregionen der Schweiz.