Als Thomas Henne im Jahr 2015 ein Wohn- und Geschäftshaus erbt, erbt er kein Juwel. Das schmucklose Gebäude in Oldenburg verursacht vor allem Kosten: Eine Sanierung steht an, denn der Energieverbrauch verschlägt einem den Atem.
Fatale Ausgangslage
Die 16 Mietparteien – elf Wohnungen und fünf Gewerbeeinheiten – verbrauchen im Jahr geschätzt 60.000 Kilowattstunden Strom und rund 450.000 Kilowattstunden Wärmeenergie, also Gas.
In Zusammenarbeit mit Fachplaner Holger Laudeley entschließt sich Henne zum radikalen Umbau. So entsteht ein ambitioniertes Mieterstromprojekt, von dem man viel lernen kann.
Die Ausgangslage war fatal: Die Fenster des Eckhauses mit 1.200 Quadratmeter beheizter Nutzfläche sind lediglich einfach verglast, die Fassadendämmung ist unzureichend, über die Balkone und das Dach geht viel Energie verloren.
Moderne Anforderungen an den Brandschutz werden nicht erfüllt. Wenig effiziente hydraulische Durchlauferhitzer sorgen für die Warmwasserbereitung, während die Gasheizung nach 50 Jahren dringend ersetzt werden muss.
Ein ganzheitliches Konzept
Neben Laudeley, den Henne von einem früheren, deutlich kleineren Mieterstromprojekt kennt, werden ein Handwerkerteam sowie als weitere Experten der Architekt Volker Puff (Brandschutz, Intherplan Team) und der Energieberater Rainer Bölts eingebunden. Die Idee reift, wie das alte Gebäude zu einem modernen Plusenergiehaus nach KfW-Standard umgebaut werden kann.
Eine Flatrate für die Mieter
Dabei setzen die Bauexperten und der Eigentümer auf eine Kombination aus Dämmung und Umbauten einerseits. Andererseits geht es um die umfassende technische Sanierung durch elektronische Durchlauferhitzer, Photovoltaik auf dem Dach und an der Fassade, Blockheizkraftwerke (BHKW) und Stromspeicher.
Das Ziel des neuen Besitzers ist es, eine Flatrate-Miete für die Mieter einzuführen, in der die energetischen Nebenkosten, Internetanschlüsse und die Lademöglichkeit für Elektroautos inbegriffen sind.
Um die auf dem Dach, an der Fassade und im Keller selbst produzierte Energie direkt an die Mieter verkaufen zu können, nutzt Thomas Henne seine Henne-2 Solar GbR, die bei der Bundesnetzagentur als Energieversorger angemeldet ist. „Alle Mieter waren mit dem Umbau einverstanden“, sagt Thomas Henne. „Jeder könnte einen anderen Energielieferanten beauftragen. Aber alle stehen hinter dem Mieterstromprojekt und haben Verträge mit der GbR abgeschlossen.“
Verbrauchsdaten in Echtzeit
Ein Grund: Die Stromkosten liegen bei 24,3 Cent je Kilowattstunde und sollen in den kommenden zehn Jahren konstant bleiben. Damit liegt der Preis deutlich unter den Konditionen des örtlichen Versorgers.
Dank der neu integrierten Smart Meter von Discovergy erhalten die Mieter ohne Mehrkosten zusätzlich einen modernen, digitalen Stromzähler mit Kommunikationsmodul und Zugriff auf ihren Stromverbrauch.
Discovergy wertet die vom Smart Meter erfassten Daten aus und ermöglicht den Mietern via Web-Portal oder Smartphone-App direkten Zugriff – in Echtzeit. Diese Transparenz führt oft dazu, dass die Menschen ihr Verbrauchsverhalten ändern: Sie gehen sparsamer mit der Energie um.
Aufwendiger Umbau
Im Sommer 2016 begann der Umbau des Hauses: Die Kellerdecke, die Außenfassade und das neue Walmdach wurden mit Mineralwolle gedämmt. Die Entwässerung, bislang innen liegend, wurde auf ein außen liegendes System umgerüstet. Die Brandschutzkanäle wurden erneuert. Außerdem wurden die alten Fenster gegen moderne Mehrfachverglasung ausgetauscht und die Balkone saniert, um undichte Stellen zu beseitigen.
An der technischen Sanierung waren die Handwerksbetriebe Wille Bedachung, Klenke Elektrotechnik (beide Ritterhude) und Jürgen Ahlers Heizung und Sanitär aus Bremen beteiligt. Das Haus wurde direkt an einen Ortsnetztrafo angeschlossen, der mit der Mittelspannungsebene verbunden ist.
Um die Photovoltaikanlage auf das Flachdach aufsetzen zu können, wurde ein Satteldach mit einem Winkel von 15 Grad installiert. Die Solaranlage hat eine Leistung von 80 Kilowatt. Sie besteht aus kristallinen Modulen von Aleo Solar und CIS-Dünnschichtmodulen von Manz.
Während die kristallinen Module direkt an die Hauskraftwerke von E3/DC mit ihren integrierten Wechselrichtern angeschlossen sind, ist dies mit den Dünnschichtmodulen nicht möglich.
Galvanische Trennung für Dünnschicht
Da diese eine galvanische Trennung benötigen, kommen dafür eigens sieben zusätzlich eingebaute Wechselrichter von Fronius zum Einsatz. Die Hauskraftwerke vom Typ S10H-E12 sind Hybridgeräte, an die sowohl AC-Erzeuger (Mikro-KWK) als auch DC-Erzeuger (Solarmodule) angeschlossen werden. Jedes Gerät hat eine Speicherkapazität von 15 Kilowattstunden (Lithium-Ionen-Akkus).
Speicher in Kaskade gekoppelt
Die Stromspeicher werden zu einer Kaskade gekoppelt. Die daraus entstehende Energiefarm hat eine Ausgangsleistung von zwölf Kilowatt. Der Sonnenstrom wird entweder direkt verbraucht, zwischengespeichert und nachts verbraucht oder ins öffentliche Stromnetz eingespeist: Die Einspeisevergütung liegt bei 12,21 Cent je Kilowattstunde und trägt zur wirtschaftlichen Gesamtbilanz bei.
Der KWK-Strom wird im Hausnetz verbraucht oder über die AC-Seite der Stromspeicher gespeichert. Überschüssiger KWK-Strom wird zwar durch die Einspeisevergütung von 5,4 Cent und den KWK-Bonus mit 5,7 Cent je Kilowattstunde belohnt. Deutlich wertvoller wird er aber durch die Speicherung in den Solarbatterien oder einem Elektroauto, wenn er Strombezug aus dem Netz ersetzt.
Im Keller laufen vier Mikro-KWK-Anlagen vom Typ Remeha E-Vita 25s mit je 5,5 Kilowatt thermischer und 1,1 Kilowatt elektrischer Leistung. Sie sind zu einer Kaskade verschaltet. Der Generator des E-Vita wird von einem Stirlingmotor angetrieben.
Vier BHKW im Gespann
Dessen Abwärme wird zugleich für Heizzwecke genutzt. Der Generator arbeitet durch ständiges Aufheizen und Abkühlen eines eingeschlossenen Edelgases. Zum Bezug des Brennstoffs wird der bisherige Gasanschluss genutzt. Die Kaskade erreicht ohne die Spitzenlastkessel eine maximale Gesamtleistung von 25 Kilowatt.
Werden die integrierten Spitzenlastkessel (je 18 Kilowatt) der vier KWK-Geräte genutzt, summiert sich die Leistung auf etwa 100 Kilowatt (thermisch). Im Sommer springt je nach Auslastung eines der Geräte an, um den Pufferspeicher der Heizung auf Temperatur zu halten, falls an kalten Tagen schnell Wärme benötigt wird. Im Winter wird die Mikro-KWK-Kaskade für die Sicherung des Heizbedarfs eingesetzt.
Komplexes Messkonzept
Laudeley Betriebstechnik hat in Abstimmung mit dem Netzbetreiber EWE ein Messkonzept erarbeitet. Es integriert elf Wohnungszähler, fünf Gewerbezähler, einen Zähler für Allgemeinstrom, einen Haustechnikzähler, einen für die KWK-Kaskade und einen für Photovoltaik und Speicher. „Entscheidend ist der Abgrenzungszähler, der als Zweirichtungszähler Verwendung findet“, erklärt Holger Laudeley. „Er trennt KWK-Strom und Sonnenstrom exakt voneinander, obwohl beide Erzeuger in die Stromspeicher einspeisen.“
Henne hat rund eine Million Euro investiert und KfW-Zuschüsse in Höhe von 250.000 Euro erhalten. „Die Maßnahmen werden sich innerhalb weniger Jahre amortisieren“, schätzt Solarteur Laudeley ein. Ein Haus wie dieses habe innerhalb der 50 Jahre seines Bestehens bei einem Baupreis von einer Million Mark rund fünf bis sechs Millionen Euro Mieteinnahmen gebracht.
So ist Schritt für Schritt ein Plusenergiehaus entstanden, das Mustercharakter für viele Gebäude in Norddeutschland hat. „Wir haben aus einem maroden Gebäude eine Energieinsel gemacht, die sogar zeitweise die umliegenden Gebäude mit elektrischer Energie versorgt“, bilanziert Laudeley.
Plusenergiehaus als Vorbild
So ist aus dem einst schwachen, 50 Jahre alten Gebäude ein starkes und modernes Gebäude geworden, das andere partiell mitversorgt. Es beweist: Vollständige Autarkie ist möglich und finanzierbar.