Der massive Zubau der Photovoltaik erzwingt die Demokratisierung der Verteilnetze. Nun bereiten sich die Netzbetreiber auf völlig neue Steuerkonzepte vor. Zwei Beispiele aus Bayern und Baden-Württemberg.
Bisher startete das alljährliche Frühjahrstreffen der Solarbranche im Bad Staffelstein stets mit dem Frontalvortrag der Beamten aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Das war in diesem Jahr nicht anders, aber es interessierte kaum noch. Denn die Kürzungen der Einspeisevergütung durch das Energiesammelgesetz werden vom Markt mehr oder weniger verdaut, der Zubau wird daran höchstwahrscheinlich kaum leiden.
Trotz der Widerstände aus dem Bundeswirtschaftsministerium und der Groko in Berlin gerät die Energiewende immer mehr zur Bürgerbewegung. Mehr als 1,5 Millionen Solargeneratoren in Deutschland wandeln das Stromnetz von unten.
Zubau dürfte sich beschleunigen
Zudem dürfte sich der Zubau der Photovoltaik in allen Leistungsgrößen weiterhin beschleunigen, von kleinen Dachanlagen bis hin zu den großen Superparks, die mit Stromlieferverträgen ohne Einspeisetarif oder Ausschreibung finanziert werden. „Die Verteilnetze werden die Plattform für den regionalen Energiehandel“, prophezeit Ansgard Wetzel von den Bayernwerk Netz AG aus Regensburg. „Bei den Menschen wächst das Bedürfnis, ihre Energie aus der eigenen Region zu beziehen. Das verlagert die Wertschöpfung zunehmend ins Verteilnetz.“ Wetzel sieht die Energiewende deshalb vor allem als Prozess der Demokratisierung. „Wir wollen uns an den Bedürfnissen der Bevölkerung ausrichten, als Verteilnetzbetreiber.“
Darauf stellen sich die regionalen Netzgesellschaften ein, müssen sich einstellen, wenn sie ihre Kunden nicht verlieren wollen. Bayernwerk gehört zu den Netzbetreibern, deren Versorgungsgebiet am dichtesten mit Photovoltaikanlagen besetzt sind. „Hinzu kommt die Decarbonisierung der Wärme und des Verkehrs, die wir künftig auch mit elektrischem Strom versorgen.“
Die Sache wird sehr komplex
Katharina Volk von Netze BW aus Stuttgart berichtet, dass der schnellen und bedarfsgerechten Netzsteuerung in Zukunft eine zentrale Bedeutung zukommt. Die Netzbetreiber müssen in Echtzeit erkennen, wo viel Energie eingespart oder benötigt wird. „In Freiamt im Schwarzwald testen wir, wie sich fünf Megawatt Solarleistung auf das Netz auswirken“, erläutert sie. „Diese Erzeugungsleistung liegt um den Faktor drei über dem Bedarf dieser Region, also speisen die Anlagen permanent ein.“
In Freiamt hat Netze BW ein Labor eingerichtet, um die Steuerung der Netzzellen zu optimieren. Auch Batteriespeicher und Energiemanagementsysteme werden eingebunden, um das Netz und die Transformatoren voll auszunutzen. Denn die Wirtschaftlichkeit der Netzstrukturen wird künftig wesentlich von den einspeisenden Generatoren bestimmt. „Dafür brauchen wir beispielsweise lernende Algorithmen“, sagt Katharina Volk. „Auch müssen wir die Steuerkurven der Wechselrichter hinterlegen.“ Zugleich geht es darum, Lastflüsse zu managen.
Prognosen für den nächsten Tag
Ganz neu sind Prognosen für den nächsten Tag, um das Netz vorausschauend stabil zu halten und zu verhindern, dass die Transformatoren überhitzen. „Die Algorithmen, die wir dafür haben, müssen besser werden“, sagt Katharina Volk. „Denn wir wollen möglichst nicht eingreifen und Anlagen abregeln. Eigentlich soll es von allein klappen. Das setzt aber eine hohe technische Ausrüstung bei uns im Stromnetz sowie bei den Anlagenbetreibern voraus.“ Nun gelte es zu ermitteln, welche Messpunkte wichtig sind und wo sie im Netz platziert werden müssten, um zuverlässige Prognosen zu erhalten. (HS)