Es klingt wie Rauschen, wie ein Wasserfall oder eine Brandung. So beschreibt Urs Mügli (Name geändert) die Störungen, die er in seinen Kopfhörern hat: „Irgendwann vor drei Jahren sind mir die Störungen aufgefallen“, erinnert er sich. „Wenn die Sonne schien, waren sie deutlicher zu hören. Bei Sonnenuntergang verschoben sie sich hin zu höheren Frequenzen.“ Mügli lebt in einer Gemeinde im Osten der Schweiz, im Kanton Zug.
Er ist Amateurfunker und die Störungen konnte er mit seinem 30-Watt-Sender nicht ignorieren. „Mit einem Peilsender fürs 80-Meter-Band habe ich herausgefunden, dass es die Solaranlage eines Nachbarn sein musste.“
Im Juni 2017 informierte er seinen Nachbarn über die Probleme. Der Nachbar heißt Jochen Freisinn (Name gleichfalls geändert), ein Pionier der solaren Energiewende in der Schweiz.
54 HIT-Module mit Tigo-Optimierern
Drei Strings hat er auf dem Dach und einen String als umlaufende Terrassenanlage mit einem Modulfeld an der Fassade. Insgesamt sind es 54 HIT-Module von Panasonic, in der Summe zwölf Kilowatt, angeschlossen über DC-Optimierer von Tigo an einen Wechselrichter von Solarmax. „Die Optimierer liefen eigentlich optimal“, bestätigt Freisinn. „Aber plötzlich hatten wir diese Störungen der Funkwellen.“ Freisinn, selbst sehr affin für Technik und von seinem Solarteur vorbildlich unterstützt, machte sich auf die Suche nach den Ursachen.
Im Mai 2018 rollte ein Messwagen des Schweizer Bundesamtes für Kommunikation (Bakom) auf das Grundstück. Ergebnis: Störungen bei 3,5 Megahertz, elf Megahertz, 14 Megahertz und 18 Megahertz. Der Abstand der Störungen beträgt 50 Kilohertz. Das Amt setzte dem Betreiber eine Frist: Bis März 2019 habe er die Störungen zu beseitigen.
Daraufhin wandte sich Freisinn an Tigo, denn das Bakom wies ihn auf bereits bekannte Störfälle mit DC-Optimierern hin. Auch könne der Wechselrichter über die MPPT-Eingänge in den DC-String abstrahlen.
Service verweigert
Hersteller der DC-Optimierer ist die Firma Tigo Energy aus den USA. Diese Optimierer interagieren mit nahezu allen Wechselrichtern. Die Kommunikation erfolgt über ein Funksystem, also nicht über Powerline wie bei Solaredge. Soll heißen: Jeder Optimierer wirkt wie ein kleine Funkboje auf dem Dach.
Tigo hat ein Serviceteam in Italien, in Deutschland ist ein Ingenieur unterwegs. Zunächst unterstützte der Hersteller seinen Kunden mit Informationen. Als sich abzeichnete, dass die Sache heikel und vor allem aufwendig wird, brach der Kontakt ab.
Im Frühjahr 2019 setzte sich die Redaktion der photovoltaik mit der Marketingabteilung von Tigo in Kalifornien in Verbindung. Im Ergebnis kam es zu einem Gespräch auf der Intersolar 2019, an dem Tigo-Geschäftsführer Zvi Alon, der Anlagenbetreiber, sein Installateur und der Autor dieses Beitrages teilnahmen.
Anwälte schickten Drohschreiben
Bei diesem Treffen lehnte der Manager jede Unterstützung bei der Sanierung ab. Die Optimierer seien nachweislich nicht Ursache der Störwellen, behauptete er. Allerdings gibt Tigo Energy selbst eine als vertraulich bezeichnete Reparaturanleitung heraus, wie die Sanierung einer EMV-störenden Anlage gelingen kann. In dieser Anleitung werden die Optimierer sehr wohl als potenzielle Störquelle dargestellt. Um die Störfrequenzen zu begrenzen, seien sogenannte Klappferrite an den Anschlüssen der Module und der Optimierer anzubringen.
Technische oder finanzielle Unterstützung bot der Tigo-Manager nicht an. Nur so viel: Wenn der Kunde die Geräte abzumontieren wünsche, würde er ihm den Einkaufspreis erstatten. Die Demontage müsste der Kunde übernehmen. Später verschickte Tigo ein Drohschreiben seiner Anwälte.
Wechselrichter und Verkabelung ausgeschlossen
Nach dem Gespräch in München standen Jochen Freisinn und sein Installateur mit leeren Händen da. Aus anderen Sanierungsfällen ist bekannt, dass zunächst der Wechselrichter als Störquelle auszuschließen ist. Freisinn installierte einen neuen Solarmax-Umrichter und sicherte ihn mit speziellen Filtern zur DC-Seite ab.
Trafolose Wechselrichter sind gegen Störfrequenzen zur DC-Seite naturgemäß weniger abgesichert als Geräte mit integriertem Transformator. Diese Reparatur zeigt bei den Störpegeln keine Änderung, also musste die Ursache in den Strings zu finden sein.
Dann ging es an die Sanierung der Verkabelung auf dem Dach: „Wir haben die Solarkabel verdrillt und in metallische Kabelkanäle verlegt, um sie gegen Abstrahlung zu sichern“, erzählt Freisinn. „Alle Dachmodule erhielten Ferritkerne an den Zugängen zu den Optimierern, um eventuelle Störungen aus der Elektronik abzudämpfen.“
Das entspricht der Reparaturanweisung von Tigo Energy. Das Unternehmen lehnt jedoch weiterhin jede Verantwortung ab.
Den vierten String der vertikal installierten Module an der umlaufenden Terrasse und an der Fassade ließ Freisinn zunächst unangetastet. „Ich wollte erst wissen, ob die Reparaturlösung wie von Tigo angegeben wirklich funktioniert“, erläutert er. „Erst danach können wir String D sanieren. Die Module von der Fassade zu nehmen ist sehr, sehr aufwendig.“
Wie bei Jugend forscht
Jochen Freisinn findet die Photovoltaik und die solare Energiewende sehr wichtig. Deshalb kniete er sich in die Sanierung der Anlage. „Ich komme mir vor wie bei ‚Schweizer Jugend forscht‘“, bekennt er. Ohne fachliche Hilfe von Tigo – von einem PDF-Dokument abgesehen – stand er faktisch allein da.
Der Hersteller bietet keine Reparatursets an, also muss der Anlagenbetreiber selbst herausfinden, welche Ferritkerne und welche Filter zur Dämpfung der Störungen einzubauen sind.
Zum Glück hat sich sein Installateur bereit erklärt, die Kosten zu teilen. Stand Anfang März 2020 waren zwei Dachstrings saniert, ihre Störpegel sanken deutlich. Beim dritten Dachstring gab es trotz Metallkanälen, verdrillten Kabeln und Ferriten an den Optimierern noch Störungen.
Wie kompliziert die Sache werden kann, bezeugt ein Auszug aus dem E-Mail-Verkehr des Betreibers mit seinem Installateur. Darin nimmt er Bezug auf Empfehlungen eines EMV-Experten, den er mittlerweile zurate gezogen hat. Dieser Fachmann hat die Anlage mit speziellen Messgeräten überprüft. Nun empfiehlt er weitere Ferritkerne zur zusätzlichen Dämpfung:
„Er hat festgestellt bei den Messungen, dass sich noch gegenläufige Ströme bilden und man sollte auch diese Ströme noch eliminieren. Dies macht man, indem man immer die zwei zusammengehörenden Plus- und Minus-Leiter zusammennimmt und diese mit einem Ferrit auch noch entstört.
Man könnte auch vier Leiter miteinander nehmen, wie schon mal diskutiert, aber die fallen dann in die Sättigung und daher nur die jeweils zusammengehörenden zwei Leiter (also zwei zum Modul und dann die zwei auf den String raus zum nächsten Optimizer). Also heißt das, pro Optimizer vier oder bei einem Doppeloptimizer sechs Stück Ferrite (immer zwei Ferrite pro zwei Leiter).
Wie im untenstehenden Mail aufgeführt, würde er wieder zwei Ferrite nehmen (das war gut, sagt er, dass wir immer mindestens zwei genommen hätten, das half schon mal, aber eben nicht über alles), aber die müssen dranbleiben, denn die entstören andere Felder, fallen aber in eine mögliche Sättigung bei tiefen Frequenzen, sagt er. Er ist sich hier auch nicht ganz sicher, eher eine Vermutung aufgrund der Messungen.
Im Telefongespräch vorhin sagte er mir noch, dass er eigentlich eine Kombination von je einem MRFC-13 und einem FRFC-13 je Leiterpaar noch optimaler sehen würde. 13 Millimeter Durchmesser sollten reichen, sagt er. Ich habs grad mal nachgemessen, 13 Millimeter gehen bei den Kabeln, die ich gesehen habe, außer Du hast eine andere Erfahrung.
Wie viele Ferrite brauchen wir? Ich habe es mir mal ausgerechnet: Wir haben dreimal zwölf Module mal zwei Ferrite = 24 Ferrite auf Modulseite pro String, dann fünf Optimizer (je zwei Module) und zwei Optimizer für ein Modul = 14 Ferrite. Total zusammen 38 Ferrite pro String, mal drei Strings = 114 Ferrite, aufgerundet 120 Ferrite (60 MRFC-13 und 60 FRFC-13).“
Mitte März kommt das Bakom
Für Mitte März hat sich der EMV-Experte angemeldet, um die ausstehenden Arbeiten durchzuführen. Danach kommt das Bakom zur abschließenden Messung. Aufgrund der dann vorliegenden Ergebnisse wird es die Anlage vollständig oder teilweise stilllegen. Oder freigeben, wenn die Sanierung gelingt. „Vielleicht gibt es schlechtes Wetter, dann kann das Bakom nicht messen“, meint Freisinn mit Galgenhumor. „Dann habe ich noch etwas mehr Zeit. Eine letzte Galgenfrist.“
Mittlerweile hat er die Solarmodule der Dachanlage dreimal abgedeckt und neu montiert, der nächste Gang aufs Dach ist der vierte. Jeder Manntag des Installateurs kostet 1.600 Schweizer Franken. Rund 1.500 Franken kosten die Ferrite. Mit den Blechkanälen für die Stringverkabelung, dem neuen Wechselrichter und den Filtern dürfte er letztendlich bei rund 20.000 Franken herauskommen.
Mehr als 300 E-Mails hat Freisinn in dieser Sache geschrieben, die dafür notwendigen Kosten und die Nerven hat er nicht einberechnet. Und was macht er, wenn das Bakom den Daumen senkt? „Dann muss ich wohl Mikrowechselrichter einbauen“, sagt er. „Aber dann ist das faktisch eine neue Anlage. Dann wird es ja noch teurer.“•
Tipps für Installateure
Unwissenheit schützt vor Strafe nicht
Funkstörungen verjähren nicht, auch kann sich der Installateur nicht auf Unwissenheit berufen. Es kann sogar passieren, dass ein Amateurfunker neu in die Nachbarschaft einzieht und die Anlage als störend meldet, obwohl sie schon einige Jahre ohne Beanstandungen gelaufen ist.
Auch in diesem Falle muss der Betreiber die Anlage sanieren. Dazu kann er sich beim Installateur schadlos halten, der für die gesetzeskonforme Installation unterschrieben hat. Deshalb sollte sich Installateure, die solche DC-Optimierer einbauen, umbedingt vom Hersteller die Unbedenklichkeit garantieren lassen.