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Detlef Neuhaus von Solarwatt: „Brutaler als vor zwölf Jahren“

Das ablaufende Sonnenjahr war wieder von irren Verwerfungen gekennzeichnet. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Detlef Neuhaus: Innerhalb eines halben Jahres fielen die Modulpreise um 60 Prozent. Das ist brutaler, als bei der Solarkrise vor zwölf Jahren. Auch die Speicherpreise sind um 30 bis 40 Prozent gefallen. Viele Hersteller und Händler haben volle Lager, denn sie hatten sich für starkes Wachstum eingedeckt.

Solarwatt ist Premiumanbieter für private und gewerbliche Solarkunden. Dieses Marktsegment war 2023 sehr stark, zumindest bis zur Jahresmitte. Und jetzt?

Die Nachfrage ist zäh. Hohe Zinsen und die generelle Inflation belasten die Kunden, zudem sind sie verunsichert. Die Leute halten das Geld zusammen. Denn niemand weiß, welche Folgen das Loch von 60 Milliarden Euro im Haushalt hat. Deshalb warten die Leute ab, verschieben bereits geplante Investitionen beispielsweise in die Eigenstromversorgung.

Hat Sie die Entwicklung überrascht?

In dieser Geschwindigkeit, ja. Ich kenne niemanden, der diesen Einbruch vorhergesehen hat. Das konnten wir uns vor einem Dreivierteljahr einfach nicht vorstellen. Dass wir jetzt Abschreibungsbedarf haben. Eigentlich wollten wir wachsen und die Energiewende voranbringen.

Sie mussten bereits Personal entlassen …

Wir haben in den letzten Jahren Strukturen und Mitarbeiter für ein überproportionales Wachstum aufgebaut. Da dieses Wachstum nun absehbar nicht eintritt, mussten wir uns leider von  85 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern trennen. Das tut einem im Herzen weh, dafür bin ich nicht angetreten. Aber es ist notwendig, wir müssen reagieren. Natürlich mussten wir die Modulproduktion drosseln, unter anderem.

Das ist verrückt. Alle reden von Gigawattfabriken, und dabei stehen die deutschen Modulhersteller mit dem Rücken zur Wand. Warum eigentlich?

Wir sind der Kollateralschaden eines Preiskriegs, der zwischen den chinesischen Anbietern tobt. In China bekommen sie ihre Ware nicht verkauft, weil die Wirtschaft schwächelt. Amerika hat scharfe Regeln zu Local Content und ethischen Kriterien erlassen. Das schließt die meisten chinesischen Anbieter aus. Es sei denn, sie bauen Werke in den USA. Bleibt nur Europa als ungeschützter Markt. Ich wundere mich, warum Brüssel und Berlin tatenlos zuschauen.

Möglicherweise sind die politischen Kreise zu sehr mit sich selbst beschäftigt?

Diesem Eindruck kann ich mich kaum verschließen. Seit dem Frühjahr stehen wir als Solarindustrie mit unseren Vorschlägen auf der Matte, auf nahezu allen politischen Ebenen. Nur um jedes Mal zu hören, warum es nicht geht. Eigentlich müsste es die Aufgabe der Politik sein, Vorschläge zu unterbreiten und das Machbare umzusetzen. Das ist frustrierend. Wenn nicht schnell etwas passiert, wird es bald keine deutschen Modulhersteller mehr geben. Die Unterstützung, die uns in Berlin angeboten wird, wirkt sehr hilflos.

Dann wird es auch keine Gigawattfabriken geben, die sich viele Politiker wünschen …

Derzeit baut niemand solche Werke, das ist angesichts der Preise viel zu riskant. Modulpreise von zehn oder elf Cent refinanzieren die Produktion nicht, übrigens auch nicht in China. Wir kennen die BOM-Listen. Wir wissen, dass auch in China mit solchen Preisen niemand überleben kann. Die großen chinesischen Hersteller brauchen mindestens 22 Cent pro Watt, um vernünftig zu wirtschaften und nicht in die roten Zahlen zu rutschen. Allein die Umrüstung der riesigen Fabriken auf die neuen Zellen kostet enorme Summen. Woher soll das Geld kommen, wenn nicht aus Peking?

Sehen Sie eine kurzfristige Entspannung des Preisdrucks?

Eher nicht. Der Wettbewerb ist ruinös. Vielleicht gibt es im Frühjahr 2024 eine Belebung des Marktes. Das wird davon abhängen, wann das Solarpaket durch den Bundestag kommt. Im Augenblick sind politische Entscheidungen komplett blockiert. Kluge Vorschläge wie Boni für Resilienz und Local Content liegen auf Eis. Im Moment fehlt mir die Fantasie, wie man als reiner Hersteller in Deutschland das erste Halbjahr 2024 durchstehen soll. Wir sind da zum Glück breiter aufgestellt.

Machen uns die Vereinigten Staaten nicht vor, wie man den Markt resilient macht?

Natürlich. Die Amerikaner bauen große Werke, dort drüben entstehen jetzt die Fabriken, von denen bei uns in Europa so viel geredet wird. Das macht es uns nicht leichter. Denn in zwei Jahren stehen die amerikanischen Produzenten mit ihren Produkten bei uns vor der Tür, neben den chinesischen Anbietern.

Wie gehen Sie mit der Krise um?

Zwar stellen wir Module her, aber das ist nicht mehr der Kern unseres Geschäfts. Wir treiben die solarbasierte Sektorenkopplung voran. Dazu haben wir Stromspeicher und Energiemanager, dazu kooperieren wir mit Stiebel Eltron bei den Wärmepumpen oder anderen Anbietern bei Elektromobilität. Wir bauen die Digitalisierung aus und verstärken unser Fachpartner-Netzwerk im installierenden Handwerk mit eigenen Standorten. Hier in Deutschland haben wir viele treue Kunden. Im Ausland ist das Bild gespalten, in manchen Ländern haben wir ein gut etabliertes Partner-Netzwerk und in manchen vertreiben wir über den Großhandel.

Wird es also weniger Solarmodule aus Dresden geben?

Solarwatt wird weiterhin sehr leistungsfähige Premiummodule anbieten. Allerdings werden wir mehr Auftragsfertigung vergeben, abgesichert durch unsere jahrzehntelange Erfahrung in der Produktentwicklung und Fertigung. In der Hoffnung, dass die Preise zur Jahresmitte wieder anziehen. Es kann ebenso gut sein, dass wir die Modulproduktion hier in Dresden noch weiter drosseln müssen.

Hilft Ihnen das Speichergeschäft?

Unser Solarwatt Battery flex leidet natürlich unter dem Preisverfall in diesem Marktsegment, wie eingangs erwähnt. Wir arbeiten an innovativen Produkten, um unsere Kunden im installierenden Handwerk noch besser zu bedienen. Die Battery flex ist ein Superprodukt, doch leider haben wir während der Coronakrise und der anschließenden Engpässe bei den Mikrochips viel Zeit verloren. Aber wir arbeiten daran und werden 2024 weitere interessante Neuheiten vorstellen.

Das Gespräch führte Heiko Schwarzburger.

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