Manchmal macht Karl Lagerfeld den Eindruck, als sei er kein Kind unserer Zeit. Sein Geburtsdatum ist nicht bekannt, er hat keine Uhr, benutzt weder Computer noch Telefon. Aber unter seinem weiß gepuderten Zopf beschäftigt sich der Designer mit weit mehr Dingen als A-Linien oder edlen Stoffen. Bei der Präsentation seiner Winterkollektion 2010 wateten die Models im Pariser Grand Palais durch das Schmelzwasser eines Eisbergs – Lagerfelds Antwort auf die ergebnisarme Klimakonferenz von Kopenhagen. Und für das jüngste Defilee seiner Frühjahr/Sommer-Kollektion 2013 verwandelte er 140 Meter Laufsteg in einen Energiepark: 13 Windräder zogen den Blick nach oben auf die imposante Dachkonstruktion, Photovoltaikmodule bildeten den Boden. Und die Models stöckelten durch ein spitzwinkliges Tor, dessen zwei Seitenflügel ebenfalls aus Modulen zusammengesetzt waren, hinaus ins Blitzlichtgewitter.
Wind und Sonne finden sich auch in Lagerfelds Entwürfen für die kommende Saison. Winzige seidene Windräder tauchen auf den Kleidern auf, die Muster zitieren das Design von Zellen und Modulen, strahlende Blautöne sorgen sowohl bei den Stoffen als auch beim Augen-Make-up für auffallende Akzente: „Electric Blue“ hat Lagerfeld seine Trendfarbe für den kommenden Sommer getauft. Der Designer gibt unumwunden zu, dass die Schönheit der tiefblauen Solarzellen ihm als Inspiration gedient habe. Und in diversen Interviews nach der Modenschau sprach Lagerfeld von der Faszination, die für ihn von den erneuerbaren Energien ausgeht. „Würde ich heute ein Haus bauen, würde ich auf solche Technologie zurückgreifen. Und wenn ich einen großen Park um das Haus herum hätte, würde ich mir eine ganze Allee von Windrädern hineinstellen. Das ist unsere Zeit. Und ich finde das hübsch.“
Hommage an das Chanel-Karo
Hübsch war auch die Karte, mit der Lagerfeld wenige Wochen zuvor zu seiner exklusiven Prêt-à-porter-Schau eingeladen hatte. Die erwartungsfrohe Modewelt hatte in dem blauen Muster zunächst eine Hommage an das edle Chanel-Karo vermutet. Erst der Blick auf den Laufsteg belehrte die Besucher eines Besseren. Sofort aufflammende Gerüchte, nach denen ein international bekannter Modulproduzent die Fashionshow gesponsert und gleichzeitig für einen neuartigen Bruchtest genutzt haben sollte, bewahrheiteten sich jedoch nicht: Die Module des Laufstegs waren nicht echt, sondern nur Design.
Zwischen Design und Erneuerbaren, Fashion und Ökologie sieht der Modezar übrigens eine Parallele: „Mode ist permanentes Recycling, erfindet sich aus seinen Grundelementen immer wieder neu.“ Als politisches Statement möchte er all das nicht verstanden wissen – er habe mit der Arbeit an den Entwürfen unter der heißen Sonne von St. Tropez begonnen und sich nach frischer Luft gesehnt, kommentierte Lagerfeld sein Konzept. Vor allem sei er kein Grüner, betonte er vor Journalisten in Paris: „Ich hasse die Grünen bis auf Daniel Cohn-Bendit. Allein, wie die sich immer benehmen. Aber was sollen wir in Energiefragen auf die Ölleute warten?“ Energie ist für Lagerfeld das wichtigste Thema unserer Zeit. „Wind und Sonne kosten nichts“, wiederholte er mehrfach – ob er das als Anregung gemeint hat, das beim Verzicht auf fossile und nukleare Brennstoffe eingesparte Geld in seine Kreationen zu investieren, blieb allerdings offen.