Es ist Bewegung im französischen Stromsystem: Mit dem Energiewendegesetz hat Frankreich 2015 ernsthafte Schritte in Richtung einer Energiewende à la française eingeleitet.
Neben ambitionierten Energieeffizienzzielen bedeutet die sogenannte transition énergétique auch einen Umbau der französischen Stromversorgung hin zu mehr erneuerbaren Energien.
Deren Anteil von aktuell etwa 19 Prozent wird daher voraussichtlich auch in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Vor allem Windenergie und Photovoltaik gewinnen kontinuierlich an Bedeutung und machen Frankreich zu einem der aussichtsreichen Märkte in Europa.
Neuen Rechtsrahmen geschaffen
Dem hat der französische Minister Nicolas Hulot Ende 2017 Nachdruck verliehen und die jährlichen Ausschreibungsmengen für Photovoltaik um ein Gigawatt auf zukünftig etwa 2,5 Gigawatt pro Jahr angehoben. Zusätzliche Dynamik erhofft sich die Branche außerdem von neuen Regelungen zum Eigenverbrauch.
Die französische Regierung hat einen Rechtsrahmen für selbst erzeugten und verbrauchten Strom geschaffen und zusätzlich erste Fördermaßnahmen für den Eigenverbrauch beschlossen. Dieser spielte bislang nur eine sehr untergeordnete Rolle. Nun entwickelt sich das Thema aber zunehmend zu einem der wichtigen Entwicklungsfelder für die Photovoltaik im Nachbarland.
Strompreis spielt eine Rolle
Ein Blick auf den Strompreis verdeutlicht, warum diese Entwicklung im sonnenreichen Frankreich erst jetzt einsetzt.
Dieser ist laut Eurostat im europäischen Vergleich für private Haushaltskunden mit etwa 17 Cent pro Kilowattstunde verhältnismäßig niedrig. Deutschland beispielsweise liegt mit durchschnittlich 29,77 Cent deutlich darüber.
Für kleine Verbraucher wird der Strompreis zudem teilweise noch staatlich festgelegt: Französische Privatkunden haben die Möglichkeit, zwischen Marktangeboten und dem vom Staat reglementierten Stromtarif (EDF) zu wählen.
Anders sieht es bei größeren Verbrauchern aus. Mit durchschnittlich 10,56 Cent pro Kilowattstunde ist der Strompreis für Großverbraucher mit dem deutschen vergleichbar.
Für Kunden mit einer Bezugsleistung über 36 Kilovoltampere wurden die reglementierten Tarife zudem Anfang 2016 komplett abgeschafft. Sie müssen nun – wie in Deutschland alle Kundengruppen – Verträge zu freien Marktpreisen abschließen. Der Wettbewerb in diesem Segment hat seitdem deutlich zugenommen und statt EDF wählen Kunden immer häufiger Marktangebote der sogenannten alternativen Anbieter.
Trotz der Öffnung für neue Anbieter ist der Strommarkt historisch stark konzentriert: EDF hält mit 87 Prozent weiterhin einen großen Anteil an Haushaltskunden.
Steuern und Abgaben niedriger
Die insgesamt niedrigen Strompreise in Frankreich lassen sich auf unterschiedliche Faktoren zurückführen. Ein Element sind geringere Netznutzungskosten. Die französischen Netzentgelte, der sogenannte TURPE, machen mit knapp fünf Cent pro Kilowattstunde weniger als ein Drittel des Strompreises für Haushaltskunden aus und liegen damit 1,5 Cent unter dem deutschen Netzkostenbeitrag. Zudem ist die Höhe der Netzentgelte in ganz Frankreich einheitlich, regionale Unterschiede wie in Deutschland bestehen nicht.
Vor allem aber liegen Steuern und Abgaben mit circa sechs Cent pro Kilowattstunde deutlich unter den etwa 16 Cent in Deutschland. Zu diesem Kostenblock zählt auch die CSPE (Contribution au Service Public d‘Électricité), die derzeit 2,25 Cent beträgt.
Sie beinhaltet neben der Erneuerbaren-Förderung, die 68 Prozent der CSPE ausmacht, auch einen Tarifausgleich für die französischen Inselgebiete (18 Prozent) sowie die KWK-Förderung (neun Prozent). Das Gesamtvolumen der CSPE von 7,8 Milliarden Euro für 2018 hat in den vergangenen Jahren vor allem infolge des Erneuerbaren-Ausbaus zugenommen. Für die regenerativen Energien stehen davon pro Jahr etwa 4,8 Milliarden Euro zur Verfügung.
Bisher wenig ökonomische Anreize
Vor dem Hintergrund der geringeren Stromkosten gab es für Verbraucher mit Solaranlage bislang wenig ökonomische Anreize, den selbst erzeugten Strom auch selbst zu nutzen.
Entsprechend schätzt die französische Regulierungsbehörde die Anzahl der Eigenverbraucher in Frankreich auf lediglich 14.000 (Ende 2016). Dies sind 0,004 Prozent der 37 Millionen an das Verteilnetz angeschlossenen Verbraucher beziehungsweise vier Prozent aller dort angeschlossenen Erzeugungsanlagen. Die durchschnittliche Leistung der Anlagen wird auf 2,6 Kilowatt geschätzt.
Die veränderten Rahmenbedingungen haben entscheidende Auswirkungen auf die ökonomische Attraktivität. Das Interesse an dem Thema nimmt spürbar zu. So wurde im vergangenen Jahr bereits bei 40 Prozent aller Netzanschlüsse im privaten Bereich ein Antrag auf Eigenverbrauch gestellt. Grund hierfür ist der neue Rechtsrahmen. Lange Zeit bestand in Frankreich keine rechtliche Grundlage für Eigenverbrauch.
Zwei Modelle sind möglich
Der Strom wurde über die Einspeisevergütung zu 100 Prozent in das öffentliche Netz eingespeist. Alternativ konnte er ohne Netzeinspeisung komplett selbst verbraucht werden. Insbesondere die Möglichkeit zum Eigenverbrauch wird im industriellen Bereich schon länger wahrgenommen. Anlagenbesitzer konnten den Strom jedoch nicht gleichzeitig nutzen und überschüssigen Strom gegen eine Förderung einspeisen.
Das 2015 verabschiedete Energiewendegesetz legte vor diesem Hintergrund erste rechtliche Grundlagen für den Eigenverbrauch in Frankreich. Im Juli 2016 folgte dann eine Verordnung, welche die Verteilnetzbetreiber dazu verpflichtete, Eigenverbrauch zu ermöglichen. Zudem erleichterte die Verordnung das Netzanschlussverfahren.
Seit etwa einem Jahr besteht damit erstmals ein verbindlicher rechtlicher Status für jene Verbraucher, die ihren Stromverbrauch teilweise oder komplett über eigene Anlagen selbst erzeugen. Zwei Eigenverbrauchsmodelle sind nun grundsätzlich möglich:
- Beim individuellen Eigenverbrauch wird die selbst erzeugte Energie direkt an Ort und Stelle genutzt. Der Erzeuger ist gleichzeitig der Verbraucher (französisches Energiegesetzbuch Artikel L315-1). Für den Fall, dass ein Teil der selbst erzeugten Energie vom Verbraucher eingespeist wird, gelten für Anlagen unter 100 Kilowatt spezielle Einspeisetarife.
- Der gemeinschaftliche Eigenverbrauch ermöglicht eine Nutzung der erzeugten Energie im erweiterten Umfeld der Anlage. Mehrere Verbraucher und mehrere Erzeuger können sich zu einer juristischen Person (personne morale) zusammenschließen und den erzeugten Strom gemeinsam nutzen. Ein- und Ausspeisepunkt müssen dabei vor dem gleichen Transformator im Verteilnetz liegen. Die anteilige Zuordnung des erzeugten Stroms zu jedem beteiligten Endverbraucher wird im Vorhinein festgelegt und bilanziell zugeteilt. Mit der juristischen Person geht dann auch der Verteilnetzbetreiber einen Vertrag ein.
Tariferlass für kleinere Anlagen
Neben diesen rechtlichen Präzisierungen gibt es für Anlagen unter 100 Kilowatt seit Mai 2017 einen speziellen Tariferlass. Dieser legt eine Einspeisevergütung für Anlagen mit Eigenverbrauch fest. Kleinere Anlagenbesitzer haben die Möglichkeit, den Strom ihrer Anlage so weit wie möglich zu nutzen und die nicht verbrauchten Strommengen ins öffentliche Verteilnetz einzuspeisen. Für die Einspeisung erhalten Anlagen über neun Kilowatt Leistung eine Vergütung von sechs Cent und kleinere Anlagen zehn Cent pro Kilowattstunde.
Zudem soll es noch in diesem Jahr für Eigenverbraucher mit einer Anlagenleistung von maximal 100 Kilowatt ein spezielles Netzentgelt (micro-TURPE) geben. Dieses wird Anfang 2018 ausgearbeitet und tritt voraussichtlich im August 2018 in Kraft.
Im Moment werden noch unterschiedliche Modelle diskutiert. Eigenverbrauchsanlagen bis maximal 100 Kilowatt erhalten die ersten fünf Jahre eine Investitionsprämie von bis zu 400 Euro pro Kilowatt Leistung. Daneben existiert für größere Anlagen zwischen 100 und 500 Kilowatt eine spezielle Eigenverbrauchsausschreibung. Mindestens 50 Prozent des jährlich erzeugten Stroms müssen dabei selbst verbraucht werden.
Zwischen 2017 und 2020 wird in insgesamt neun Runden ein Volumen von jeweils 50 Megawatt ausgeschrieben. Die letzte Ausschreibungsrunde dieser Art brachte eine durchschnittliche Marktprämie von 7,9 Cent. Anlagen über 500 Kilowatt Leistung werden nicht direkt finanziell unterstützt.
Im Februar 2017 wurde zudem ein Gesetz verabschiedet, das weitreichende Ausnahmen bei der Besteuerung des verbrauchten Eigenstroms vorsieht. Für alle Anlagen bis zu einem Megawatt Leistung muss demnach auf den selbst verbrauchten Strom keine CSPE gezahlt werden. Auch Mehrwert- und Stromverbrauchssteuer (TCFE) sowie weitere Steuern können entfallen.
Diese Befreiung beziffert die französische Regulierungsbehörde CRE für einen Privathaushalt auf insgesamt etwa 5,6 Cent pro Kilowattstunde.
Diese Änderungen haben entscheidende Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit von Eigenverbrauchsanlagen.
Laut einer Einschätzung der Regulierungsbehörde CRE können die Kosten einer Solaranlage mit Eigenverbrauch bereits heute in bestimmten Fällen unter den 14,5 Cent pro Kilowattstunde für private Stromkunden (ohne Grundpreis) liegen. Derzeit ist dies vor allem für den Süden des Landes relevant. Hier ist die Netzparität in manchen Fällen bereits erreicht.
Sie wird durch zwei Faktoren bestimmt. Zum einen sinken weiterhin die Kosten für neue Module. Zusammen mit der hohen Sonneneinstrahlung in Südfrankreich nähern sich dort die Kosten für die Erzeugung von Solarstrom seit Jahren kontinuierlich dem allgemeinen Strompreis an. Zusätzlich tragen die neuen Rahmenbedingungen ihren Teil dazu bei, dass sich Eigenverbrauch nun auch wirtschaftlich auszahlen kann.
Zum anderen sind die Stromkosten in den letzten Jahren für alle Verbrauchergruppen in Frankreich leicht, aber dennoch kontinuierlich gestiegen. Beide Faktoren, sinkende Erzeugungskosten bei steigenden Strompreisen, werden dazu führen, dass die Netzparität in Zukunft immer weiter nördlich erreicht wird.
Der französische Solarverband Enerplan hält in Konsequenz bis 2028 fast sechs Gigawatt an Eigenverbrauchsanlagen für möglich. Er geht zudem davon aus, dass 2025 auch die Netzparität für Anlagen mit Speicher erreicht sein wird. Das Interesse in Frankreich am Eigenverbrauch dürfte also in Zukunft weiter zunehmen.
DFBEW
Büro arbeitet über die Grenzen von beiden Ländern hinweg
Das Deutsch-französische Büro für die Energiewende (DFBEW) ist eine Netzwerkplattform für alle Akteure der Energiewende. Sein Ziel ist der Austausch von Informationen zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Die Arbeit des DFBEW wird von über 220 Unternehmen, Industrieverbänden und Forschungsinstituten sowie den Regierungen beider Länder unterstützt. Die Büros in Berlin und Paris sind direkt im Bundeswirtschaftsministerium und im Ministerium für ökologischen und solidarischen Wandel angesiedelt.
Fachkonferenz
Eigenverbrauch in Frankreich und Deutschland
Am 15. Mai 2018 veranstaltet das DFBEW im französischen Energieministerium in Paris eine Konferenz zum Eigenverbrauch in Deutschland und Frankreich. Die Veranstaltung richtet sich an politische Entscheider, Vertreter von Verbänden sowie Unternehmen der französischen und deutschen Photovoltaikbranche. Inhaltlicher Schwerpunkt der Konferenz ist die Umsetzung von Eigenverbrauchsmodellen in der Industrie und im Dienstleistungssektor.
energie-fr-de.eu/de/veranstaltungen/kommende.html
Unsere Serie
Die Chancen jenseits des Tellerrands
In unserer Serie loten wir die Chancen junger Märkte für Photovoltaik und Stromspeicher aus. Dort haben Solarteure aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Möglichkeit, interessante Geschäftspartner zu finden, ihr Geld als Investoren anzulegen oder ihr Wissen und ihre Erfahrungen als Mentoren in die globale Energiewende einzubringen. Wagen Sie mit uns den professionellen Blick in folgende Länder und Regionen:
- September 2017: Großbritannien
- Oktober 2017: Ukraine
- November 2017: Iran
- Dezember 2017: Skandinavien
- Februar 2018: Frankreich
- März 2018: Benelux
- April 2018: Tschechien & Slowakei
Der Autor
Philipp Stavenhagen
ist seit 2015 Referent für den Bereich Systeme und Märkte im DFBEW. Neben der Vermarktung von Strom beschäftigt er sich mit der Finanzierung und Förderung von erneuerbaren Energien in Deutschland und Frankreich. Zusätzlich zu den technologieübergreifenden Themen der Energiewende ist er auch für stromnetzbezogene Fragen in beiden Ländern verantwortlich.