Götz liegt mitten in Brandenburg, auf halber Strecke zwischen Potsdam und der Stadt Brandenburg. Rund eine Stunde braucht die Regionalbahn von Berlin-Mitte. Götz gehört zur Gemeinde Groß Kreutz an der Havel und hat etwas mehr als 1.000 Einwohner. Es gibt nicht allzu viel zu sehen, vielleicht fährt man auf dem Havelradweg an dem Örtchen vorbei.
Eines allerdings ist hier deutschlandweit einmalig: das Kompetenzzentrum für Energiespeicherung und Energiesystemmanagement innerhalb des Bildungs- und Innovationscampus der Handwerkskammer Potsdam. „Der Aufbau des Kompetenzzentrums wurde in der Form einmalig durch das Bundeswirtschaftsministerium und das Land Brandenburg gefördert und besitzt somit Leuchtturmcharakter“, sagt Tilo Jänsch, Geschäftsführer der Handwerkskammer Potsdam.
Immer mehr Elektrifizierung im Handwerk
Dahinter steckt ein langfristiger Plan: Die Handwerkskammer Potsdam will sich als Vorreiter im Weiterbildungsbereich für erneuerbare Energien und dezentrale Energiesysteme etablieren. Denn Fachkräfte werden heute schon dringend gesucht. In den nächsten Jahren aber drohen sie sogar zum Flaschenhals der Energiewende zu werden. Mindestens zehn Gigawatt Solarleistung müssen pro Jahr installiert werden, dazu Wärmepumpen und Wallboxen für Millionen Elektroautos – die womöglich zum Teil aus einem neuen Werk in Grünheide kommen.
Bereits 1996 wurde der Standort eröffnet, in dem jährlich rund 9.000 Teilnehmer Seminare und Lehrgänge besuchen. Ausbildungen für die zehn meistgefragten Berufe werden angeboten. Immer wichtiger wird jedoch das Thema Strom im Handwerk.
Umsetzung des Projekts war eine Herkulesaufgabe
Die Elektrifizierung dominiert immer mehr Berufe. Nicht nur die Elektroniker sind hier gefragt „Beispielsweise muss sich auch ein Kfz-Mechaniker künftig immer öfter mit Elektroautos und Ladeboxen auseinandersetzen – und wissen, ob der Fehler im Auto oder in der Ladeinfrastruktur zu finden ist“, sagt Jänsch. Der Weg zur Eröffnung des Kompetenzzentrums im April dieses Jahres war lang: 2014 wurde der Antrag für den Aufbau des Zentrums gestellt, zwei Jahre später kam der Bescheid, dass es losgehen kann. Rund drei Millionen Euro der Fördermittel für Technik und Personal kamen aus dem Topf des Bundeswirtschaftsministeriums und dem Land Brandenburg.
Die Handwerkskammer selbst hat insgesamt eine Million Euro an Eigenmitteln in den Campus gesteckt. „Mit dem Kompetenzzentrum haben wir ein richtiges Hype-Thema getroffen“, freut sich Jänsch.
Die Handwerkskammer Potsdam möchte als Pionier ein bundesweit einzigartiges Projekt realisieren, welches auf einer einzigartigen Kombination aus Theorie und Praxis basiert. Anhand der Echtzeitdaten der Energieflüsse aus der vor Ort installierten dezentralen Energieanlage wird ein komplexes Energiesystem abgebildet. Die Handwerkskammer Potsdam bildet dabei bei der Realisierung des Projekts die wesentlichen Komponenten einer dezentralen elektrischen Energieversorgung für Wohngebäude und Gewerbebetriebe ab. Diese Areale können durch die Einbindung eines inselnetzfähigen Lithium-Ionen-Speichers auch unabhängig vom Versorgungsnetz im Off-Grid-Betrieb gefahren werden. Einen Planer für die Installation der Technik zu finden, war jedoch am Anfang des Projektes eine richtige Herkulesaufgabe.
Den Brandschutz eines Gebäudes mit einem Großspeicher im Gebäude sicherzustellen war Neuland. Überhaupt ein Ingenieurbüro zu finden, das sich der Aufgabe annimmt und die Sicherheit beurkundet, war nur schwer zu finden. Das mag heute schon etwas besser aussehen, meint Jänsch. Die Umsetzung des Projekts sorgte aber, positiv ausgedrückt, für eine steile Lernkurve. „Dieses Wissen können und wollen wir nun in unseren Seminaren und Lehrgängen auch weitergeben. Was alles beachtet werden musste, ist ein Irrsinn“, beschreibt er rückblickend. Auch der Netzbetreiber Edis hatte ein gutes Stück mitzureden und musste deshalb frühzeitig mit ins Boot geholt werden.
Solarstrom und Speicher sichern die Versorgung
Das Gelände verfügt über verschiedene Ökostromanlagen: vier Photovoltaikanlagen leisten insgesamt 144 Kilowatt und eine Kleinwindkraftanlage überschaubare 3,5 Kilowatt. Verschiedene Speichersysteme puffern zusätzlich den Strom: ein Redox-Flow-Heimspeicher mit 6,2 Kilowattstunden, eine Salzwasserbatterie von Bluesky Energy mit zehn Kilowattstunden und ein größerer Lithiumspeicher des Versorgers Wemag aus Schwerin, der über 640 Kilowattstunden Kapazität und bis zu 750 Kilowatt Leistung verfügt. Alle Erzeuger und Speicher sind über ein intelligentes Energiemanagementsystem verbunden. Am Haupteingang des Gebäudes bekommen Besucher einen Überblick: Die Energieflüsse des Geländes werden auf einem großen Bildschirm veranschaulicht.
Denn Praxis wird in Götz großgeschrieben. Zwei Projektflächen bilden ein Einfamilienhaus und einen Handwerksbetrieb nach. Diese beiden Areale können durch den Gewerbespeicher auch als Inselnetz unabhängig vom Stromnetz betrieben werden. An verschiedenen Trainerständen können Kursteilnehmer lernen und üben. An einem Stand für Stromspeicher ist gerade ein Gerät aus dem Hause Sonnen angeschlossen. Der Testbetrieb funktioniert in Verbindung mit dem Photovoltaikstand.
Die Trainerstände zeigen das Zusammenspiel
So wird es möglich, das Verhalten und die Energieflüsse des Speichers abzubilden. Zudem gibt es eigene Scada-Oberflächen, die die technischen Prozesse steuern und überwachen. „Der Teilnehmer kann an den beiden zusammenhängenden Trainerständen lernen, was der Speicher kann, welchen Nutzen er hat und wo seine Grenzen liegen“, erklärt Elektromeister Christian Leest. Er ist der technische Leiter des Kompetenzzentrums. Zusätzlich sind sie hier in der Lage, die beiden Trainerstände mit weiteren zu verbinden und das System in einem eigenen Inselnetz zu betreiben.
„Am Trainerstand für Solarstrom können die Sonnenprofile der Anlagen hinterlegt werden“, beschreibt Leest. Über die Wechselrichter kann der Sonnenstrom, je nach Hausverbrauch, genutzt oder im Speicher gepuffert werden. „Erzeugung, Verbrauch und Speicherung werden so individuell justiert“, veranschaulicht Leest, der bei dem Aufbau des Geländes von Anfang an mit dabei war.
Lehrgänge, Seminare und Beratung im Angebot
Im Kompetenzzentrum wird das dringend benötigte Fachpersonal für dezentrale Energietechnik durch Lehrgänge, Seminare und Beratungsdienstleistungen qualifiziert und ausgebildet. Aktuell werden Weiterbildungsformate in fünf relevanten und aktuellen Themenclustern angeboten: dezentrale Energielösungen, Elektromobilität, Photovoltaik, Energierecht sowie Energiespeicher und -netz. Die Kurse richten sich an Privatleute und Profis, an Handwerker und Handel, an Industrie und Institute.
Ein weiterer Trend im Handwerk: Es geht immer mehr in Richtung intelligente und vernetzte Gebäudetechnik, die über Funk gesteuert wird und zudem günstiger ist als noch vor einigen Jahren und somit für immer mehr Leute erschwinglich wird. Hinzu kommt eine steigende Nachfrage nach Wärmepumpen, auch weil künftig kaum noch Öl- und Gasheizungen nachgefragt werden dürften. Ein Energiemanagementsystem übernimmt zudem immer öfter das Zepter im Haushalt oder im Betrieb.
Erst die Software, dann die Komponenten
Die richtige Software für das Energiemanagement zu finden ist aber nicht immer einfach: Elektromeister Leest würde mit seiner heutigen Erfahrung erst die Software auswählen und danach die Komponenten – und nicht andersrum. Wichtig ist es, sich vorher zu überlegen, was man will. Bei einem Standardsystem aus Solarstromanlage, Heimspeicher und Wallbox möge das alles zusammen funktionieren – oder bei einem System in einem kompletten Container, sagt er.
Im Vorfeld würden immer alle Hersteller sagen, dass ihre Geräte per Plug-and-play funktionieren. „Aber in der Praxis haben wir andere Erfahrungen machen müssen“, sagt Leest. Wenn beispielsweise eine zusätzliche Schutzfunktion hinterlegt werden müsse, sei das schon kein Standard mehr. Der Grund: Es gibt viele Schnittstellen beispielsweise über Modbus TCP, die im Nachgang weitere Freigaben brauchen oder die Erlaubnis einer Datenweitergabe von anderen Geräten. Das kann sehr viel Zeit und Arbeitsstunden von Programmierern kosten.
Schnelle Reaktion des Speichers nötig
„Eine schnelle Regelung des Speichers ist entscheidend, um die Lastspitzen sauber aus dem Netz zu nehmen“, beschreibt Leest. Ansonsten funktioniert das Geschäftsmodell der Speicher in Betrieben meist nicht mehr. Es ist gut, dass die Erfahrungen mit dem Energiemanagementsystem und den ganzen weiteren Komponenten nun vermittelt werden können. „Aus Fehlern lernt man – und davon können andere künftig profitieren.“
EU/EIT Innoenergy
Zehn Millionen Euro fließen in die Ausbildung von Fachkräften
Die Europäische Kommission stellt dem europäischen Technologienetzwerk EIT Innoenergy zehn Millionen Euro für die Ausbildung von Fachkräften für die Batterieindustrie zur Verfügung. Die Mittel fließen in die Akademie der Europäischen Batterieallianz (EBA). Damit will Brüssel sicherstellen, dass Europa seine führende Rolle bei der Energiewende und dem sich beschleunigenden Wandel zur Elektromobilität beibehält.
Schließlich sei die Wertschöpfung im Batteriebereich hier von besonderer Bedeutung. Das zeige die schnell wachsende Anzahl an industriellen Großprojekten wie Gigafabriken. Um die dadurch steigende Nachfrage nach qualifizierten Mitarbeitern in dieser Industrie zu decken, müssen nach Angaben des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie (EIT) bis 2025 etwa 800.000 Fachkräfte aus- und weitergebildet oder umgeschult werden.
Hier soll die EBA-Akademie wiederum eine Schlüsselrolle einnehmen. Sie soll ein ganzes System an diversen Bildungs- und Schulungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen, in dem Forscher, Unternehmer und weitere wichtige Akteure aus dem Netzwerk von EIT Innoenergy ihr Wissen vermitteln. Dieses System besteht aus Onlinekursen für die Aus- und Weiterbildung von Experten für die europäische Batterieindustrie, entsprechenden Bildungsmaterialien, aber auch aus maßgeschneiderten Workshops und computergestützten Ausbildungsprogrammen.