Vertreter von Verbänden, Bürgerinitiativen und Einzelpersonen haben am heutigen Donnerstag in Berlin den Netzentwicklungsplan der vier Übertragungsnetzbetreiber kritisiert. „Der geplante überdimensionierte Netzausbau ist weder wirtschaftlich noch umweltschonend“, sagte Hartmut Lindner von der Initiative „Biosphäre unter Strom“. Die Gruppe kämpft gegen eine Hochspannungstrasse im Norden Brandenburgs. „Eine größere Dezentralisierung der Stromerzeugung würde den Ausbaubedarf reduzieren“, glaubt Lindner.
Zu der Veranstaltung hatten die Übertragungsnetzbetreiber geladen. Zwei Tage nach Ende der Konsultation zum Netzentwicklungsplan, bei der schriftliche Stellungnahmen eingeschickt werden konnten, sollte den Einwendern noch einmal Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt zu erläutern. „Das Motto heute heißt: Wir hören Ihnen zu“, sagte Marian Rappl, Sprecher des Netzbetreibers Amprion. Der Netzentwicklungsplan wird nun bis August von den Übertragungsnetzbetreibern noch einmal überarbeitet. Die jetzige Version sieht den Neubau von 3.800 Kilometer an Übertragungsnetzen vor.
Arjuna Nebel (Wuppertal Institut) monierte vor allem die fehlende Risikoabschätzung: „Sie haben nicht dargestellt, was passiert, wenn die Trassen sich um fünf Jahre verzögern.“ Ein solches Risiko bestehe bei Infrastrukturprojekten immer. Auch sei unklar, was passiere, wenn die Stromerzeugerstruktur anders aussehe als heute geplant. Der Netzentwicklungsplan rechnet vor allem mit einem hohen Anteil von Windenergie auf See und an Land im Norden und Osten Deutschlands.
Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die seit mehreren Jahren den Diskussionsprozess zwischen Netzbetreibern und Bürgerinitiativen moderiert, kritisierte überraschend deutlich den Plan: „So viel Netzausbau wie möglich“, sei dessen Inhalt, sagte DUH-Vertreterin Anne Palenberg. Eine Prioritätensetzung bei den geplanten Leitungen fehle ebenso wie ein Szenario, in dem die Windanlagen in Spitzenzeiten auf 90 Prozent ihrer Leistung herabgeregelt würden und deshalb weniger Strom transportiert werden müsse.
Photovoltaik spielte nur am Rande eine Rolle. Sie gilt nicht als entscheidender Faktor für den Netzausbau. Heike Schulze vom Verteilnetzbetreiber Mitteldeutsche Netzgesellschaft sagte aber, dass der Photovoltaik-Zubau in ihrem Gebiet schon jetzt die Zahlen des Netzentwicklungsplans übertreffe. „Wir haben in unserem Gebiet kein Versorgungsnetz, sondern ein Entsorgungsnetz, um den überschüssigen Strom abzutransportieren“, sagte Schulze. In Teilen Ostdeutschlands addiert sich der Solarstromausbau zu einem hohen Windkraftausbau hinzu. In Spitzenzeiten geht die Stromerzeugung weit über den lokalen Bedarf hinaus.
Am Rande der Anhörung äußerten sich Vertreter der Bürgerinitiativen skeptisch, dass die Übertragungsnetzbetreiber tatsächlich ihre Einwände bei der Überarbeitung des Netzentwicklungsplans berücksichtigen werden. Dagegen spricht nicht nur der kurze Zeitrahmen. Die Übertragungsnetzbetreiber machten deutlich, dass sie in ihrer Planung nur den ihnen von der Bundesnetzagentur aufgegebenen Szenario-Rahmen umgesetzt hätten. Die Prüfung einer dezentraleren Einspeisung hatte die Bonner Behörde darin ausdrücklich abgelehnt. Die Frist für Einwände gegen den Szenario-Rahmen war bereits 2011 abgelaufen. (Martin Reeh)