Schon mit elf Jahren hat Michael Hövel einen Beschluss gefasst: Wenn ich mal baue, soll mein Haus autark sein! Zu der Zeit, Anfang der 1980er-Jahre, hat der heute 46-Jährige in der Zeitschrift Geo einen Artikel über das erste energieautarke Haus der Welt gelesen. In den 1950er-Jahren als Forschungsprojekt in Massachusetts gebaut, hat es den Jungen damals fasziniert.
In der Zwischenzeit hat Hövel Maschinenbau studiert und als Kraftwerksingenieur bei namhaften Unternehmen gearbeitet. Er hat geheiratet und wurde Vater von zwei Kindern. In dieser Zeit hat sich der Klimawandel verschärft und das EU-Parlament eine Gebäuderichtlinie erlassen, nach der künftig nur noch Fast-Null-Energie-Häuser gebaut werden sollen.
Sauber, ohne Emissionen
All das spielte zusammen, als Michael Hövel und seine Frau Simone 2016 begannen, ihr eigenes Heim zu planen. Der alte Kindheitstraum war jetzt mehr als zeitgemäß und Hövel beschloss, ein Haus ganz im Sinne des Klimaschutzes, der größtmöglichen Emissionsvermeidung und maximaler Unabhängigkeit zu bauen.
Ihre Entscheidung fiel auf ein Sonnenhaus, das sie seit 2018 bewohnen. Mit den großen Solarthermie- und Photovoltaikanlagen auf dem Dach und an der Fassade erzeugen sie die Energie für Wärme, Strom und ein Elektroauto bilanziell frei von Kohlendioxid. So kommen sie der sauberen Energieversorgung ohne Emissionen sehr, sehr nahe.
Kompetenznetz für Sonnenhäuser
In seinem Beruf ist Hövel zunächst zum Experten für Gasturbinen geworden. Dafür ist er um die Welt gereist und hat für einen Kraftwerksbauer viele Jahre in der Schweiz gearbeitet. Auch wenn er sich im Studium und später im Beruf mit Kohle, Gas und Atomenergie beschäftigt hat, die erneuerbaren Energien verlor er nie aus dem Blick.
So stieß er auf das Sonnenhaus-Institut e. V. (SHI), ein kompetentes Netzwerk für solares Bauen. Das vom SHI propagierte Bau- und Energiekonzept kommt dem sehr nahe, was Hövel vor vielen Jahren gelesen hatte. Laut Definition wird bei einem Sonnenhaus mindestens die Hälfte des Wärmebedarfs für die Raumheizung und das warme Wasser solar gedeckt.
Geringer Bedarf an Primärenergie
Der Schwerpunkt verschiebt sich allerdings immer mehr in Richtung Sektorenkopplung: Bauherren und Planer streben heute in der Regel an, große Teile des Energiebedarfs für Wärme und ebenso für Strom regenerativ zu decken – im Idealfall auch für die Elektromobilität.
Das senkt den Bedarf an ergänzenden Brennstoffen für besonders kalte Tage. Dieser geringe Bedarf wiederum entspricht einem sehr niedrigen Primärenergiebedarf sowie minimalen Treibhausgasen wie Kohlendioxid durch die Energieversorgung.
Gebäude versorgt sich selbst
Hövel wollte zeigen, dass man die anspruchsvolle und ambitionierte EU-Gebäuderichtlinie für Niedrigstenergiehäuser durchaus einhalten kann. Dafür verweist er auf den zweiten Artikel der Richtlinie aus dem Jahr 2010: „Der fast bei null liegende oder sehr geringe Energiebedarf sollte zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen einschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen, die am Standort oder in der Nähe erzeugt wird, gedeckt werden.“
Das beschreibt genau, was er vorhatte, auch wenn dieser Passus in Deutschland bisher noch nicht in nationales Recht umgesetzt wurde.
Im Zentrum von Prien am Chiemsee
Bauen konnte die Familie auf einem Grundstück der Eltern, im Zentrum des oberbayerischen Ortes Prien am Chiemsee. Der Bebauungsplan von 1974 verlangt einen bayerischen Baustil. In Bezug auf die Optik heißt das beispielsweise, dass ein Wohnhaus ein Satteldach mit 22 Grad Neigung haben muss.
Das entspricht nicht gerade den Erfordernissen von Sonnenhäusern. Denn damit im Winter viel Solarwärme erzeugt werden kann, sollte die Fläche für die Solarkollektoren möglichst steil geneigt sein, zum Beispiel 60 Grad.
Mit einiger Überzeugungsarbeit und findiger Auslegung der strengen Vorgaben erhielt das Paar die Baugenehmigung für das Sonnenhaus. So durften sie beispielsweise das Gebäude um 90 Grad drehen, sodass die Längsseite und eine Dachfläche exakt nach Süden ausgerichtet sind.
Historie des Ortes aufgenommen
Die Architektin Helga Meinel gestaltete die Optik und gab dem Einfamilienhaus mit Büro und insgesamt 221 Quadratmetern beheizter Wohnfläche ein oberbayerisches Aussehen mit Dachüberständen und Holzbalkonen an der Vorderseite. Zwei kleine runde Fenster – eine Idee von Hövels Frau – erinnern an die Bauernhöfe, die das Ortsbild früher geprägt haben.
Michael Hövel, der seit 2015 als unabhängiger Energieberater selbstständig tätig ist, übernahm die Bauphysik und plante die Anlagentechnik inklusive Energieversorgung und Elektroplanung.
Tiefe Sonne im Winter nutzen
Um den Wärmebedarf zu reduzieren, wurde das Haus mit Wärmedämmziegeln gemauert. Bis in die zweite Etage – hier hat Hövel sein Büro – ist es gemauert. Das Dach ist ein Holzbau.
An der Südfassade wurden 31 Quadratmeter Solarkollektoren installiert. Die 90-Grad-Neigung eignet sich optimal für Solarwärme: Die tief stehende Sonne scheint im Winter senkrecht auf die Fläche und kann viel Wärme erzeugen. Auch das flache Dach erwies sich nun als vorteilhaft – und zwar für Solarstrom.
Für Photovoltaikanlagen ist eine Dachneigung von zehn bis 30 Grad optimal. Auf diesem Haus beträgt sie 22 Grad, darauf wurde eine Photovoltaikanlage mit knapp zehn Kilowatt Leistung installiert. Auf seinem Carport hat Hövel in diesem Frühjahr weitere vier Kilowatt Solarstrom montiert.
Die Bilanz nach einem Jahr
Die Energiebilanz nach einem Jahr (Anfang Juli 2018 bis Ende Juni 2019) kann sich sehen lassen. Die Solarwärmeanlage deckt 70 Prozent des Wärmebedarfs für die Raumheizung und das warme Wasser. Für die geringe Zusatzenergie, die notwendig ist, reicht der Heizkamin im Wohnzimmer aus. Der Scheitholzofen mit 31 Kilowatt Heizleistung wurde nach den Vorstellungen der Bauleute gemauert.
Der Haushalt und das Büro für den Ein-Mann-Betrieb werden zu 90 Prozent mit Solarstrom vom eigenen Dach versorgt. Der Solarstrom wird zu großen Teilen von vormittags bis nachmittags erzeugt, also genau zu der Zeit, in der wenig Strom benötigt wird.
Deshalb hat Hövel einen Solarstromspeicher mit 19,5 Kilowattstunden Speicherkapazität einbauen lassen. Er ist seit März dieses Jahres in Betrieb. So steht der Solarstrom auch abends zur Verfügung, wenn die Familie zu Hause ist. Den Solarstrom nutzt Hövel auch für das Elektroauto, einen E-Golf von Volkswagen. Rund 25.000 Kilometer fahren seine Frau und er im Jahr. Zu 80 Prozent fahren sie mit Solarstrom, hat Hövel ermittelt. Die Familie besitzt zudem einen VW-Bus als Reisemobil.
Um dessen Emissionen zu kompensieren, hat Hövel die Photovoltaikanlage auf dem Carport installiert. Sein Speichersystem, das aus drei Batteriemodulen besteht, ist an beide Photovoltaikanlagen gekoppelt und benötigt keinen zusätzlichen Wechselrichter.
Das Haus wurde mit KfW-Standard 55 geplant, hierfür hat es die Voraussetzungen in der Dämmung erfüllt. Hövel konnte die Wärmebrücken nach Passivhaus-Standard optimieren, sodass es KfW-Standard 40 Plus erreicht. Dadurch erhielt er eine höhere Förderung.
Lukrative Förderung
Die Kosten hat er genau erfasst und er macht kein Geheimnis daraus: 600.000 Euro hat das Haus gekostet inklusive Garage und Carport, ohne Innenausstattung. Für die in der Summe enthaltene Energietechnik des Sonnenhauses fielen Mehrkosten in Höhe von 70.000 Euro an.
Dafür hat Hövel 40.000 Euro Förderung erhalten (Bafa-Programm für Solarthermie, KfW-Programm Energieeffizient Bauen, 10.000-Häuser-Programm des Freistaates Bayern). Bleiben 30.000 Euro Mehrkosten, wenn man die Fördersumme abzieht. „Diese Summe amortisiert sich allein durch die eingesparten Benzinkosten“, sagt er und rechnet vor: „Wenn ich von 2.000 Euro Spritkosten für 25.000 Kilometer im Jahr ausgehe, spare ich in 20 Jahren 40.000 Euro ein. Mit diesen 40.000 Euro haben sich die Mehrkosten für die Energietechnik zurückgezahlt.“
Für die nächsten 20 Jahre decken die Einnahmen aus dem eingespeisten Strom zudem alle anderen Ausgaben für Scheitholz, Treibstoff des VW-Busses und Netzstrom im Winter.
Haushaltskasse aufgebessert
Somit bessern die eingesparten Energiekosten für das Haus seit dem Einzug die Haushaltskasse auf. „In der Mobilität und beim Wohnen sind wir im 21. Jahrhundert angekommen“, sagt Hövel mit Verweis auf die EU-Gebäuderichtlinie. Seit Juli 2018 leben er, seine Frau und die neunjährigen Zwillinge Vinzenz und Severin in ihrem neuen Heim. Sie genießen den hohen Wohnkomfort und das angenehme Raumklima in dem Wissen, dass sie dem Klima damit keinen Schaden zufügen.
Als autark möchte Hövel sein Haus nicht bezeichnen. Denn netzunabhängig ist es noch nicht. Aber: „Es ist größtmöglich unabhängig“, sagt er. „Wir haben es vom Unabhängigkeitsgrad her und wirtschaftlich optimiert.“
Vor dem Haus hat die Familie eine Wildblumenwiese angepflanzt, auf der Mohn und Kornblumen gedeihen. Einen Gemüsegarten haben sie angelegt, Natursteinmauern bieten Eidechsen und Insekten ausreichend Platz zum Leben.
36 Jahre, nachdem er den Artikel in der Zeitschrift Geo gelesen hat, lebt Hövel in seinem Traumhaus.
Er zeigt, wie konsequenter Klimaschutz mit viel Komfort und ästhetischer Optik gelebt werden kann. Das Heft des Magazins besitzt er übrigens noch. In seinem Keller bewahrt er alle Geo-Ausgaben seit 1981 auf. „Ich habe jedes Wort darin gelesen“, sagt er und lacht.
Damit die Zeitschriften und die anderen dort gelagerten Dinge nicht zu Schaden kommen, wird der Keller getrocknet. Denn in Prien steht das Wasser vom Fluss oftmals hoch vorm Haus. Wie wird der Keller trocken gehalten? Mit Solarwärme, versteht sich.
Wohnhaus der Familie Hövel
Technische Daten im Überblick
Gebäudetyp: Einfamilienhaus mit IngenieurbüroBauweise: Massivbau (Wärmedämmziegel Poroton)
Fertigstellung: 2018Wohnfläche: 221 m²Nutzfläche nach ENEV: 335 m²Normwärmebedarf: 6 kW
Solare EnergiegewinnungAusrichtung des Gebäudes: Süden
Jahresbedarf für Heizung und Warmwasser: 10.700 kWhSolarkollektor Fläche:31 m²/90° (Fassade)Solarwärmespeicher: 4.700 LiterSolarer Deckungsgrad Heizung und Warmwasser: 70 %Strombedarf: 6.750 kWh (davon 3.750 kWh E-Fahrzeug)
Photovoltaik auf dem Haus: 10 kW/22° SüdPhotovoltaik auf dem Carport: 4 kW/8° WestSolarer Deckungsgrad Gebäude und Bürostrom: 90 %Solarer Deckungsgrad Elektrofahrzeug: 80 %Solarstromspeicher: 19,5 kWh notstromfähig
Zwei Komfortlüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung
Details BauweiseMassivhaus: Dämmung mit PerlitfüllungDachgeschoss in Holzständerbauweise mit HolzfaserdämmungEinbaukollektoren in Holzfaser-Wärmedammverbundsystem
Details Wärmespeicher4.700 Liter Pufferspeicher über zwei Stockwerke (Keller, EG) mit Frischwasserstation, Lademanagement Rewatech
Details HeizsystemFußbodenheizung, gemauerter Kachelofen Brennstoffbedarf: 3,5 Raummeter Buchenholz
Planung & BauausführungPlanung Gebäude: Ingenieurbüro Exergenion, Architekturbüro Helga Meinel,
Planung Anlagentechnik: Ingenieurbüro ExergenionEnergetischer Kompass:Fa. Timo LeukefeldSonnenhaus-Regelungstechnik: Rewatech Froschauer & Nitsch GbRBauträger/Baufirma: Josef Schausbreitner GmbHSystemlieferant Solartechnik: Winkler Solar/Solar-Partner Süd GmbHMontage Anlagentechnik: Solar-Partner Süd GmbH
Energieautarke Mehrfamilienhäuser
Mit Pauschalmiete und Flatrate für Energie
In Wilhelmshaven an der Nordsee hat die Spar- und Baugesellschaft eG ein Leuchtturmprojekt für die Immobilienwirtschaft eingeweiht: das erste energieautarke Mehrfamilienhaus Niedersachsens. Mit großen Solarthermie- und Photovoltaikanlagen auf dem Dach, an der Fassade und an den Balkonen werden rund 70 Prozent des Energiebedarfs für Wärme und Strom solar erzeugt.
Auch E-Autos eingerechnet
Dies macht es der Wohnungsgenossenschaft möglich, ihren Mietern eine Pauschalmiete inklusive Energieflatrate anzubieten. Darin enthalten ist auch der überschüssige Solarstrom, den die Mieter in ihren Elektroautos nutzen können. „Die Wohnungen waren in kürzester Zeit vermietet, die Nachfrage war deutlich höher als das Angebot“, sagt Peter Krupinski, Vorstandsmitglied der Spar und Bau.
Die Mietverträge wurden zum Jahresbeginn 2019 abgeschlossen, die ersten Mieter zogen im Dezember 2018 ein. Sie werden keine Betriebs- und Heizkosten zahlen, sondern eine verbrauchsunabhängige Pauschalmiete von 10,50 Euro je Quadratmeter und Monat. Das ist ein Novum in Deutschland. „Mit den Mietern wurden auskömmliche Verbrauchsobergrenzen vereinbart“, ergänzt Krupinski.
Für Strom und Heizung liegt die Obergrenze bei jeweils 3.000 Kilowattstunden pro Jahr, beim Wasser beträgt sie 100 Kubikmeter im Jahr. Darüber hinausgehende Verbräuche werden individuell abgerechnet. Displays in den Wohnungen zeigen den Mietern ihre Verbrauchsdaten tagesaktuell an.
Solarexperte Timo Leukefeld hat das Energiekonzept geplant, das Modell der Pauschalmiete mit Energieflat entwickelt und das Bauprojekt begleitet. Von der Projektierung bis zur Fertigstellung vergingen nur 24 Monate.
Rund 2,47 Millionen Euro hat die Wohnungsgenossenschaft investiert. „Das Projekt der Spar und Bau belegt, dass ambitionierte solare Baukonzepte auch im Norden Deutschlands funktionieren“, sagt Timo Leukefeld. „Es müssen nur ein paar mehr Quadratmeter Solarkollektoren für die Wärmeversorgung eingeplant werden.“
Zwei Projekte in Cottbus
Zwei weitere energieautarke Mehrfamilienhäuser nach diesem Konzept wurden in diesem Jahr in Cottbus gebaut. Die Wohnungsgenossenschaft eG Wohnen 1902 wird ihren Mietern ebenfalls eine Pauschalmiete mit Energieflatrate in Höhe von monatlich 10,50 Euro pro Quadratmeter anbieten.