Die Idee, Solarmodule in die Gebäudehülle zu integrieren, arbeitet sich stetig aus der Nische heraus. Im Jahr 2017 war nur ein Prozent der gesamten weltweit neu aufgebauten Solaranlagenleistung in Gebäude integriert. In Europa betrug der Anteil der integrierten Anlagenleistung zwei Prozent. Das liegt allerdings auch daran, dass der europäische Solarmarkt allgemein etwas schwächelt.
Die Analysten von Bloomberg New Energy Finance rechnen damit, dass die Nachfrage nach integrierten Solaranlagen in den nächsten fünf Jahren um 500 Prozent steigen wird. Bis 2024 wird das Marktvolumen für die bauwerkintegrierte Photovoltaik (BIPV) weltweit von derzeit 6,7 auf 32,2 Milliarden US-Dollar anwachsen.
Vorgaben aus Brüssel
Wenn der Bauboom in Europa tatsächlich wie erwartet weitergeht, könnte die BIPV 13 Prozent des europäischen Photovoltaikmarktes ausmachen. Das zumindest ist die Einschätzung der Baubranche. Denn auch die Architekten sehen die Notwendigkeit des Klimaschutzes, die vor dem Bauwerk nicht haltmacht. Noch konzentriert sich die Branche darauf, auf Bauprodukte zu setzen, die weniger energieintensiv hergestellt werden. Beton, Aluminium und Glas weichen nachhaltigen Baumaterialien wie Holz.
Doch auch im Betrieb muss das Gebäude der Zukunft – zumindest in Europa – andere energetische Anforderungen erfüllen als bisher. Die Europäische Kommission hat mit der „Richtlinie über die Gesamteffizienz von Gebäuden“ das Ziel im Blick, dass alle neu gebauten Häuser ab Mitte 2020 nur noch minimal Energie verbrauchen dürfen. „Der fast bei null liegende oder sehr geringe Energiebedarf sollte zu einem ganz wesentlichen Teil durch Energie aus erneuerbaren Quellen – einschließlich Energie aus erneuerbaren Quellen, die am Standort oder in der Nähe erzeugt wird – gedeckt werden“, schreibt Brüssel in der Richtlinie vor.
Fassade muss Strom produzieren
Das müssen die Mitgliedstaaten in ihre eigene Gesetzgebung übernehmen. Unklar bleibt bisher, was ein Niedrigenergiegebäude ist, das Brüssel vorgibt. Denn eine klare Definition gibt es genauso wenig wie eine Festsetzung von Grenzwerten. „Aber ich erwarte einen wachsenden Markt für die bauwerkintegrierte Photovoltaik“, sagt Björn Rau, Leiter der Beratungsstelle bauwerkintegrierte Photovoltaik (BAIP) am Helmholtz-Zentrum Berlin, mit Blick auf die neuen Anforderungen. „Wenn der Architekt in Richtung Nullenergiegebäude gehen will, wird er etwas tun müssen. Wenn er sich für die Photovoltaik entscheidet, wird er zwangsläufig bei größeren Gebäuden nicht um die Solarfassade herumkommen, weil die Dachfläche nicht ausreicht.“
Architekten auf der Suche
Die Architekten indes suchen nach entsprechenden ästhetischen und technischen Lösungsmöglichkeiten, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Das zeigt das große Interesse an BIPV-Produkten auf der diesjährigen Branchenmesse Bau in München. Auch die Konferenzen und Weiterbildungen zum Thema BIPV sind in Deutschland und in der Schweiz ausgebucht, wenn sie sich direkt an Architekten, Bauherren und Energieberater richten.
Gesucht werden aber nicht nur Möglichkeiten, die Hülle neuer Gebäude zu aktivieren. Auch die Ausstattung von denkmalgeschützten Häusern mit Solaranlagen steht auf der Liste der gesuchten Lösungen für die Architektur und die Bauherrenschaft.
Unter anderem aus diesem Grunde nahmen auch Architekten und Energieberater an den von photovoltaik und dem Architekturportal Solar Age organisierten geführten Touren über die diesjährige The smarter E Europe teil. Sie waren vor allem beeindruckt vom Angebot und den Möglichkeiten, den Gebäuden mit Photovoltaikmodulen ein aktives und gleichzeitig ästhetisches Gesicht zu geben.
Die Gestaltungsfreiheit ist aber immer nur ein Aspekt, der im Mittelpunkt steht, wenn es um das Bauen mit der Photovoltaik geht. Eine zweite zentrale Frage, die die Architekten, aber vor allem die Bauherren umtreibt, ist die nach den Kosten. Auch hier ist die Photovoltaik in den letzten Jahren einen großen Schritt vorangekommen.
Die Partner im Projekt BIPV Boost haben eine Aufstellung gemacht, wie wettbewerbsfähig die BIPV im Vergleich zu konventionellen Fassadenmaterialien ist. Die Ergebnisse sind eindeutig. Die Solarmodule sind mit hochwertigen Fassadenmaterialien wettbewerbsfähig.
So liegt der Preis für vorgehängte, hinterlüftete Solarfassaden mit kristallinen Siliziummodulen zwischen 220 und 550 Euro pro Quadratmeter. Die große Preisspanne erklärt sich einerseits aus der jeweiligen Projektgröße. Aber auch der Modulaufbau und ob die Module standardisiert sind oder viele Paneele auf Kundenwunsch gefertigt werden, beeinflusst den Endpreis.
Im Normendschungel
Dünnschichtmodule sind teilweise preiswerter, liefern aber nicht so viel Leistung wie die kristalline Technologie. Diese Fassadenmodule kosten zwischen 180 und 450 Euro pro Quadratmeter. Steinfassaden beispielsweise sind für 150 bis 600 Euro zu haben. Gegenüber Beton-, Keramik- oder Holzfassaden hat es die Photovoltaik preislich noch schwer.
Eine große Hürde – vor allem in Deutschland – ist die Frage, ob die Architekten die Module überhaupt als Baumaterial verwenden dürfen. Welche Anforderungen die Module erfüllen müssen, hängt von der konkreten Anwendung und den konstruktiven Bedingungen ab. Obwohl der Europäische Gerichtshof entschieden hat, dass die einzelnen Nationalstaaten an geregelte Bauprodukte keine zusätzlichen Anforderungen stellen dürfen.
Anforderungen in Deutschland
Hier reicht die CE-Kennzeichnung aus, wenn die Module der Norm EN 50583 für Photovoltaik im Bauwesen oder der Norm 14449 für Verbundsicherheitsgläser (VSG) entsprechen. Die bezieht sich auf Solarmodule, die als Bauprodukt verwendet werden.
Im Mittelpunkt stehen dabei die mechanischen Eigenschaften, damit die Module die Anforderungen der EU-Bauprodukteverordnung (European Construction Products Regulation – CPR) 305 aus dem Jahr 2011 erfüllen.
Trotzdem können die einzelnen EU-Mitglieder die Sicherheitsanforderungen an ein Bauwerk oder eine Bauart selbst festlegen. Das heißt, ein Modul mit einer CE-Kennzeichnung darf prinzipiell auf oder in einem Dach eingesetzt werden. Das gilt auch, wenn die Module in eine Lagerung installiert werden, die entsprechend der DIN 18008 zertifiziert ist, also eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung (abZ) mitbringen. Voraussetzung ist, dass sie keine besonderen Anforderungen hinsichtlich der Absturzsicherheit erfüllen müssen.
Doch wenn das Modul als Fassadenelement in Gebäuden mit Publikumsverkehr oder gar als Überkopfverglasung eingesetzt wird, legt der Gesetzgeber strengere Regeln an. Die stehen in der Musterverwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (VwV TB). Dann muss das Modul selbst nach DIN 18008 zertifiziert werden. Die VwV TB legt unter anderem die Anforderungen für Gläser fest, die in Deutschland als Fassadenmaterial eingesetzt werden.
Hier muss der Modulhersteller nachweisen, dass seine Paneele vor allem die geforderte Resttragfähigkeit erreichen, wenn das Modulglas bricht. Das heißt, die Solarzellen sollten unter anderem zwischen zwei PVP-Folien laminiert werden. Die in der Photovoltaik übliche, preiswertere EVA-Folie reicht in der Regel nicht aus. In einem Pendelschlagtest muss die Folie unter vorgegebenen Bedingungen eine bestimmte minimale Reißfestigkeit nachweisen.
Konstruktive Tricks nutzen
Außerdem müssen im Falle eines Glasbruchs die verwendeten Folien die Bruchreste festhalten, sodass keine großen Glassplitter von der Fassade herunterfallen. Das gilt auch für Module, die als Überkopfverglasung eingesetzt werden.
Dazu kommt noch, dass die Modulgläser in sehr kleine Splitter brechen müssen, wenn sie denn brechen, wie das beispielsweise von Autoscheiben her bekannt ist. „Alternativ sind konstruktive Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im Versagensfall, wie eine Splittersicherung, Vordächer oder Ähnliches, vorzusehen“, hat der Gesetzgeber in die VwV TB hineingeschrieben.
Auf diese Weise haben sich beispielsweise die Stadtwerke Stuttgart die abZ für die Module an der Fassade des Gentner Verlages gespart (siehe Seite 46). Denn die Module sind zum einen hofseitig angebracht, wo es keinen Publikumsverkehr gibt. Zum anderen wurde unter dem Modulfeld an der Fassade ein Vordach installiert, das im Falle eines Modulbruchs gegen herabfallende Teile schützt.
Aufwendiger Einzelfall
Wie ein Hersteller den nach DIN 18008 geforderten Verwendungsnachweis erbringen kann, ist nicht vorgeschrieben. Aber einige Bauordnungen der Bundesländer konzentrieren sich da sehr stark auf die abZ. Die haben bisher nur wenige Hersteller für ihre Module für die Fassade oder die Überkopfverglasung bekommen.
Es gibt aber auch die Möglichkeit der Zulassung im Einzelfall. Dann übernimmt ein Prüfstatiker die Nachweisführung. Das kann aber nur eine Notlösung sein, solange der Markt noch klein ist. „Denn individuelle Zulassungen sind auch für den Modulhersteller so teuer, dass das auf Dauer keine funktionierende Lösung ist. Das geht auch für die Bauherren auf Dauer nicht. Die gehen auf Nummer sicher und wollen Produkte mit einer abZ“, weiß Thorsten Kühn.
Als einer von drei Ansprechpartnern für Architekten, Planer und Bauherren in der Beratungsstelle bauwerkintegrierte Photovoltaik (BAIP) des Helmholtz-Zentrums Berlin weiß er, mit welchen Hürden sich die Baubranche herumschlägt, wenn es um die BIPV geht. „Hat das Modul keine abZ, muss die individuelle Zulassung schon in der Ausschreibungsphase vorliegen“, sagt er. „Sonst nehmen die Bauherren das Modul nicht. Denn keiner geht das Risiko ein, ein Bauprodukt zu nutzen, das er nicht abgenommen bekommt.“
Lockere Regeln in der Schweiz
Derzeit arbeitet die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) an einem neuen, für alle Länder gültigen Standard für Solarmodule im Hochbau. Neben den elektrischen hat das Gremium auch die mechanischen und gebäudebezogenen Anforderungen im Blick. Die Richtlinie ist noch in Arbeit. Allerdings verweist die IEC schon jetzt darauf, dass für Bauprodukte in einzelnen Ländern über die IEC-Regelungen hinausgehende nationale Normen oder Vorschriften gelten können, die die Richtlinie nicht ersetzt.
Damit bleibt eine baurechtliche Zulassung zumindest in Deutschland eine wichtige Aufgabe, die die Photovoltaikanbieter lösen müssen, wenn die Solarenergie verstärkt den Weg in die Fassade finden soll.
Hier erklärt sich auch, warum die Eidgenossen mit der BIPV schon viel weiter sind als ihre Nachbarn im Norden. „Denn in der Schweiz ist die Entwicklung von Modulen für die Gebäudeintegration noch erlaubt. Das ist in Deutschland anders“, fasst der Züricher Architekt Beat Kämpfen den Unterschied zwischen den beiden Ländern in Sachen Normen für Fassadenmodule zusammen.
Eine Lösung, die er für sein Mehrfamilienhaus in Zürich zusammen mit einem Modulhersteller selbst entwickelt und in die Balkonbrüstung vor einer Holzfassade integriert hat, wäre in Deutschland nicht ohne Weiteres möglich gewesen.
Für Schnelle Leser
Hier erfahren Sie:
- Allgemeine Bauregeln:Die Normen für Fassaden sind nicht ganz einfach zu verstehen.
- Schneller Weg zur Info: Ein Teilnehmer berichtet von den PV Guided Tours.
- Lösungen aufgezeigt:Tagung: Die Aussichten für BIPV in der Schweiz und Österreich sind sehr gut.
- Das vollelektrische Haus: Wärme direkt aus Sonnenstrom ist kostengünstiger als mit Wärmepumpen.
- Dachintegration gezeigt:Im Webinar wurde das Indachsystem Easy-In von Solarwatt genau erklärt.
Ertex Solar
Unsichtbare Solaranlage
Das Mehrfamilienhaus Sonnenpark Plus im schweizerischen Wetzikon ist ein echtes Paradebeispiel, wie ein Plusenergiegebäude der Zukunft aussehen muss. Denn die Energie kommt nicht nur aus einer Solaranlage auf dem Dach. Das reicht nicht aus. Vielmehr wurden die Fassaden mit Verbundsicherheitsgläsern ausgestattet, in die Solarzellen einlaminiert sind. Um eine einheitliche Optik zu erreichen, hat Ertex Solar im österreichischen Amstetten die Zellen vor eine schwarze Folie gesetzt und zusätzlich noch schwarz eingefärbte Leitungsbändchen benutzt. Auf diese Weise verschwindet die Solartechnologie komplett aus der optischen Wahrnehmung.
Zusätzlich dazu bestehen auch die Balkonbrüstungen aus Solarmodulen, die Ertex eigens für das Projekt angefertigt hat. Die 140 Fassaden- und Balkonmodule leisten auf einer Fläche von 215 Quadratmetern 37 Kilowatt. Zusammen mit der Dachanlage erzeugen sie jedes Jahr gut 68 Megawattstunden Strom. Der Verbrauch im Gebäude liegt bei 40,7 Megawattstunden. Um den Eigenverbrauch zu steigern, wurde noch ein Speicher installiert, der 78 Kilowattstunden Solarstrom zwischenlagert.
Solar Age
Schon 150 BIPV-Projekte in der Datenbank
Das Architekturportal Solar Age wächst weiter. Die Anzahl der Projekte zur bauwerkintegrierten Photovoltaik in der Datenbank ist auf 152 angewachsen. Sie sind alle Beispiele dafür, welche ästhetischen Möglichkeiten Architekten und Planer mit der Photovoltaik als Außenhaut der Gebäude haben. Die Projekte zeigen nicht nur, wie Solarmodule in Dach oder Fassade integriert werden, sondern auch, auf welche Varianten in Farbe und Form der Architekt dabei zurückgreifen kann.
Die konkreten Produkte dazu finden die Club Member von Solar Age in einer zusätzlichen Datenbank. Dort stehen inzwischen Kurzbeschreibungen von 524 verschiedenen Produkten für die BIPV zur Verfügung, die direkt zum Hersteller verlinkt sind. In den nächsten Monaten werden die beiden Datenbanken weiter wachsen, sodass den Nutzern eine immer breitere Palette an Beispielen und Hinweisen zu einzelnen Komponenten zur Verfügung steht.
C.F. Møller Architects
Wunderbarer Farbeffekt
Mit der Copenhagen International School in der dänischen Hauptstadt hat C.F. Møller Architects ein ganz besonderes Gebäude geschaffen. Schon der Baukörper besticht durch seine Einzigartigkeit. Er besteht aus Türmen, die an die Gestalt übereinandergestapelter Überseecontainer auf einem Schiff erinnern. Die Gestaltung ist eine Reminiszenz an den Standort: Die Schule befindet sich in einem einstigen Containerhafen im neuen Kopenhagener Stadtteil Nordhavn.
Doch noch auffälliger als der Baukörper ist die Fassade. Sie ist mit einem ganz besonderen Effekt versehen. Die dort angebrachten Solarmodule erscheinen in unterschiedlichen Farbabstufungen – je nach Betrachtungswinkel. Diese entstehen durch Lichtinterferenzen. Dazu haben die Forscher der École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL) hauchdünne Filter entwickelt, die in Schichten auf die Modulgläser aufgetragen werden. Wie viele es sind, hängt vom gewünschten Design und von den Farbvorgaben ab.