Wer von der Autobahn A9 in Großkugel bei Leipzig abfährt und sich auf der B6 gen Osten hält, sieht linker Hand ein langgestrecktes Parkhaus. Seine Front ist wellenförmig abgesetzt, als ob der Wind in hängende Tücher greift. Doch es sind keine Textilien, sondern Solarmodule.
Die mehr als 100 Meter lange Solarfassade besteht aus Dünnschichtmodulen von Avancis. Sie verbergen ein funktionales Parkhaus, das ohne Fassade wie ein schmuckloses Stapellager für Autos wirkt. „Das Parkhaus gehört zum neuen Campus von DHL“, erläutert Hannes Koefer, CTO der Leipziger Stadtbau AG. „Auf dem Campus sind verschiedene Bereiche von DHL angesiedelt, denn der benachbarte Flughafen Leipzig-Halle ist ein wichtiger Hub für das Logistikunternehmen.“
Mehr als 1.000 Mitarbeiter untergebracht
„Hub“ steht für Umschlagplatz. Der Flughafen der Messestadt ist ein wichtiger Knoten im globalen Liniennetz, das die Flugzeuge der DHL bedienen. Die Leipziger Stadtbau AG wiederum hat das Ackergelände gekauft und zum modernen Firmenareal für DHL entwickelt.
Soll heißen: geplant, gebaut und den Betrieb der Gebäude übernommen. „Wir haben das Gelände in unmittelbarer Nachbarschaft des Hubs erworben und es mit DHL und deren Tochterfirma Real Estate als Partnern gemeinsam zum Campus entwickelt“, erzählt Hannes Koefer. „Heute sitzen dort verschiedene Firmenbereiche von DHL und die Fluglinie Aerologic, die bis Jahresende mehr als 20 Flugzeuge unterhält.“
Zentraler Umschlagplatz für Europa
Aerologic ist ein Tochterunternehmen von DHL und Lufthansa. Mehr als 600 Piloten sind weltweit für DHL-Lufttransporte unterwegs. Das europäische Zentrum befindet sich am Leipziger Flughafen, der westlich an die Gemeinde Schkeuditz anschließt.
Auf dem neuen Campus an der B6 stellen die Piloten ihre Autos ab, bevor sie ihre Flugrouten übernehmen. Hier werden Zollformalitäten erledigt. Es gibt Mehrzweckgebäude für Tagungen, für die Versorgung der rund 1.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie einen eigenen Sportplatz. „Die DHL wollte ihren Mitarbeitern beste Bedingungen bieten“, erläutert Koefer. „Das ist wichtig, um beim Recruiting einen Vorteil zu haben. Die Gebäude sind allesamt hochtechnisiert.“
Nebenkosten weit unter zwei Euro
Die Leipziger Stadtbau AG hat sich auf die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude spezialisiert. Ebenso tritt sie als Projektentwickler für gewerbliche Areale wie in Schkeuditz auf. „Unser Anspruch ist es immer, die Nebenkosten weitgehend niedrig zu halten“, sagt Hannes Koefer. „Trotz der Energiekrise schaffen
wir es, weit unter zwei Euro pro Quadratmeter zu bleiben. Dafür versuchen wir, das technisch Mögliche anzuwenden.“
Während Koefer bei der Leipziger Stadtbau AG für die technische Seite der Projekte zuständig ist, kümmert sich Sebastian Jagiella als COO vornehmlich um das operative Geschäft. „Der DHL-Campus sollte energetisch möglichst effizient nutzbar sein“, erklärt er. „Zunächst wurde das Parkhaus als KfW-40-Gebäude von Goldbeck in unserem Auftrag errichtet. Damals hatten wir noch nicht entschieden, welche Flächen auf dem Gelände durch Photovoltaik genutzt werden.“
Für 610 Autos, davon 120 mit E-Ladepunkten
Dass Photovoltaik eine Rolle spielen sollte, war aber von vornherein klar. Zunächst wurde festgelegt, welche Dächer der Neubauten dafür geeignet erschienen. Dann ging es um das Parkhaus. Insgesamt 140 Meter lang, bietet es Stellplätze für 610 Autos.
Davon sind 120 Plätze für E-Fahrzeuge reserviert und mit Ladepunkten ausgestattet. „Die meisten Mitarbeiter von DHL und Aerologic kommen aus dem Umland“, erzählt Hannes Koefer. „Sie kommen mit dem Auto. Außerdem fahren die Piloten aus halb Europa an und stellen hier ihre Autos unter.“
Blechfassade als Schallschutz?
Ein offenes Parkregal wäre hinsichtlich der Kosten zweifellos am besten gewesen. Aber es galt, den DHL-Campus gegen den Lärm der unmittelbar vorbeiführenden B6 zu schützen. Parallel verläuft eine Gleisstrecke für den Zugverkehr nach Leipzig. „Außerdem mussten wir die Umwelt gegen den Motorenlärm im Parkhaus schützen“, resümiert Koefer. „Also kam eine Verkleidung aus Blech ins Gespräch.“
Die Unterstützung der Gemeinde für den Campus lobt er als ausgezeichnet. „Selbst während der Coronapandemie hat die Verwaltung alles darangesetzt, dass wir schnell einen B-Plan bekommen. Darin waren auch die Grenzwerte für den Schallschutz festgelegt.“
Den Leuten nicht zumutbar
Weil das Parkhaus wie ein Riegel zwischen der B6 und dem Campus liegt, wirkt es als Schallbrecher, vergleichbar den Lärmschutzwänden an der Autobahn. Doch nun kamen ästhetische Überlegungen ins Spiel: „Eine 140 Meter lange Blechverkleidung wollten wir den Leuten nicht zumuten“, berichtet Koefer. „Wir sind ein Leipziger Unternehmen, sind hier zu Hause und verstehen uns als regionalen Projektentwickler. Hier muss etwas entstehen, was ein Hingucker ist. Wir wollten aus der Not eine Tugend machen.“
Der DHL-Hub war ein großes Projekt, da hängen Millionen dran und Hunderte Jobs. Wie üblich, reiste zum ersten Spatenstich viel politische Prominenz an. Ein Glücksfall, wie sich herausstellte: „Beim Spatenstich stellte der Landrat den Kontakt zur Firma Avancis in Torgau her, gleichfalls in Sachsen gelegen“, erinnert sich Sebastian Jagiella. „Anschließend baten wir die Vertreter der Firma, ihre Muster zu präsentieren.“
Die Solarmodule von Avancis sind – der Name lässt es vermuten – CIS-Module mit großflächig abgeschiedenen Kupfer-Indium-Schichten, die als photoaktive Halbleiter wirken. Solche Solarmodule erreichen nicht die Wirkungsgrade wie monokristalline Siliziummodule.
Großflächige CIS-Module von Avancis
Aber sie erlauben verblüffende Farbeffekte, ihre Beschichtung ist homogen wie bei farbigen Gläsern. „Dann haben wir mit dem Architekturbüro von Domaros zusammen darüber nachgedacht, wie die Solarfassade aussehen könnte.“ Anfangs war die Idee also rein architektonisch getrieben. Die Architektin (siehe Interview auf Seite 22) und ihr Team wagten sich an einen dreidimensionalen Entwurf, der Schwung in die glatte Front bringt und die Möglichkeiten der Solarmodule voll ausnutzt.
Eine harte Nuss – wegen der Kosten
Was heute leicht daherkommt, spielerisch leicht, war eine harte Nuss. „Avancis hat für uns spezielle Befestigungen entwickelt, damit wir die Fassade gestalten konnten“, erzählt Jagiella. „Der Modulanbieter hat ein Team für solche Simulationen. Natürlich mussten wir die ersten Entwürfe optimieren, um zu einem sinnvollen Verhältnis von Kosten und Nutzen zu kommen.“
Beteiligt waren neben Avancis und Leipziger Stadtbau AG das Architekturbüro von Domaros, die Firma Briedemann als statisches Büro und ein Metallbauer, der die Gitterträger für die Modulmontage konstruierte und fertigte. Das lief nicht ohne Schreckmomente ab, wie sich Hannes Koefer erinnert: „Durch den Ukrainekrieg schnellten die Stahlpreise hoch. Wir mussten also warten, bis sich der Markt einigermaßen beruhigt hatte.“
Fast 1.900 Quadratmeter Modulfläche
Nun sind die Gebäude fertig, die Solarfassade in bläulich-grünlichem Ton weithin sichtbar. Bei den Simulationen der langen Front des Parkhauses, die nach Süden weist, ging es aber nicht nur um Optik. Allein die Unterkonstruktion – aufgeklebte Backrails, die an ein Stahlskelett angehängt werden – summierte sich. Denn insgesamt 1.872 Quadratmeter Module wurden gefertigt und installiert.
Avancis bietet die Modulreihe Skala an, auf jeder Solarmesse ein Blickfang. Die Standardmodule werden in verschiedenen Farben produziert, die der Kunde bestellen kann. Bei der Fassade am DHL-Campus ging es darum, die Fläche möglichst so zu belegen, dass die Zahl der verschiedenen Modulgrößen minimiert wird.
Für die Simulation hat das Avancis-Team die Position und den Anstellwinkel jedes einzelnen Moduls bestimmt, um ein Maximum an Solarausbeute zu erzielen. „Wir versuchen, die optimale Anzahl verschiedener Elemente für die Unterkonstruktion und die solare Gebäudehülle zu bestimmen“, erklärt die Architektin Melicia Planchart. Sie leitet bei Avancis das digitale Design.
Danach ging es um die Optimierung der Unterkonstruktion und der Größe der Solarmodule. Zur Optimierung wurden Module mit weniger als fünf Millimeter Maßunterschied zu Gruppen zusammengefasst. „Im ersten Schritt priorisieren wir die Standardgrößen, die Avancis ohnehin schon in Serie fertigt“, erläutert Melicia Planchart. „Der Algorithmus tauscht im zweiten Schritt systematisch kürzere maßgeschneiderte Module aus, um möglichst Einheitlichkeit zu gewährleisten und die Produktion der Module zu vereinfachen.“
Simulieren, optimieren, simulieren ...
Auf diese Weise konnte Avancis viele Standardmodule einbauen und Sonderformate reduzieren. Wurden anfangs 109 Modulgrößen ermittelt, blieben am Ende der Simulation noch 66 Baugrößen übrig. „Dies betraf etwa 400 Module, die weniger in unterschiedlichen Größen hergestellt werden mussten“, erklärt Hannes Koefer. „Dies hat die Auslastung der Produktionslinie verbessert und die Herstellung der Module beschleunigt.“
Gleichzeitig sind die Kosten gesunken, die andernfalls bei der Produktion vieler verschiedener, kundenspezifisch angefertigter Module angefallen wären. Außerdem setzten die Designer einen Algorithmus ein, um die Wellenform aus dem Entwurf des Leipziger Architekturbüros umzusetzen. „Wir haben die optimale Anzahl von Paneelen, den richtigen Abstand für eine belüftete Fassade sowie die passende Ausrichtung zur Sonne berücksichtigt, um den Energieertrag zu maximieren“, erklärt Melicia Planchart. „Gleichzeitig konnten wir die Zahl der nach unten gerichteten Paneele minimieren.“
Denn sie empfangen weniger Sonnenlicht als obere Reihen. Auch bei der Farbgestaltung ging Avancis auf die Wünsche der Architekten ein. In Leipzig wurden verschiedenfarbige Module verwendet, um die Wellenstruktur der Fassade zusätzlich hervorzuheben. „Die Farben simulierten wir in unseren 3D-Modellen“, erläutert Planchart. „Der samtige Effekt der Moduloberfläche ist ein Ergebnis der Farbtechnologie von Avancis. Für das DHL-Gebäude waren wir uns sicher, dass die Farbgebung mit der Wellenform hervorragend zur Geltung kommt.“
Um die Solarfassade möglichst schnell zu planen und zu installieren, hat Avancis zudem ein Logistikkonzept entwickelt. Es erleichterte den Monteuren auf der Baustelle die Orientierung und vermied fehlerhafte Installationen aufgrund der Gefahr, dass Modulgrößen verwechselt werden könnten. Jeder vertikale Stahlträger bekam eine separate Kennung. Im Lager in Torgau wurden die Module so verpackt, dass alle Paneele, die am selben Träger befestigt werden sollten, in derselben Kiste landeten.
Alle Beteiligten zogen an einem Strang
Zweieinhalb Jahre hat es gedauert von der Baugenehmigung bis zur Einweihung. Auch das beweist, dass alle Beteiligten an einem Strang zogen. Drei Modulflächen umhüllen nun das Parkhaus: die farbige Welle und zwei glatte Flächen (mit schwarzen Modulen) an den Stirnseiten, die nach Ost und West weisen.
Zusammen leisten sie 217 Kilowatt. Mit den Solardächern auf dem DHL-Campus wurden insgesamt 800 Kilowatt Solarleistung installiert. „Dazu haben wir ein BHKW mit 130 Kilowatt elektrischer Leistung auf dem Campus eingebaut“, berichtet Sebastian Jagiella, der COO der Leipziger Stadtbau AG. „Dieses BHKW ist für Wasserstoff vorbereitet, vorerst betreiben wir es mit Erdgas, dem Biogas beigemischt wird.“
Wechselrichter stehen auf dem Dach
Um die Strings aus den Fassaden an der Südseite, an den Giebeln nach Westen und Osten sowie die Dachanlage anzuschließen, wurden Wechselrichter von Siemens installiert. Sie stehen aus Brandschutzgründen auf der Nordseite des Daches.
Durch Blenden werden sie verschattet, um Überhitzung zu vermeiden. Der ganze Campus ist über eine eigene Mittelspannungsstation ans Netz angeschlossen. Das BHKW steht am Ostgiebel in einem separaten Betriebsraum.
CO₂-Bilanz auf null gedrückt
So kommt die CO2-Bilanz des DHL-Campus auf null. „Denn bilanziell ist er komplett energieautark – allein mit der Kraft der Sonne“, sagt Sebastian Jagiella. In der Realität kann er sich zwar nur zu 72 Prozent selbst versorgen. Aber auch das spart Kosten für Emissionen, obendrein drückt der Sonnenstrom die Energiekosten. „Natürlich wäre es kostenseitig vorteilhaft gewesen, mehr Photovoltaik auf die Dächer zu packen“, meint Hannes Koefer. „Aber man darf nicht nur auf die Cent pro Kilowattstunde schauen, nur auf den Ertrag der Solaranlagen. Eine Verkleidung der Fassade hätten wir ohnehin gebraucht. Also haben wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.“
Erfahrungen sammeln
Sebastian Jagiella kann dem nur beipflichten: „Wir haben beispielsweise den Putz an der Fassade eingespart durch die Solarmodule. Zudem schafft die Photovoltaik einen bilanzierbaren Mehrwert, weil wir beim CO2-Preis sparen. Das ist auch ein Geldwert, nicht nur der Sonnenstrom.“
Für die Leipziger Stadtbau AG war die Solarfassade am Parkhaus der DHL ein erstes Lehrstück, um Erfahrungen mit der Technik zu sammeln. Denn die Gebäude werden vom Unternehmen betrieben, auch alle Kosten laufen hier zusammen. „Aus einem großen Konglomerat von Notwendigkeiten sind wir zu einer sinnvollen Idee gekommen“, fasst Koefer zusammen. „Für uns war das ein erster Schritt. Bei einem Neubauprojekt für Siemens in der Leipziger Innenstadt werden wir vertikale Module als glatte Fassade installieren.“
Bürokratische Hürden begrenzten die Solarflächen
Er sieht die Zukunft in vorgefertigten Solarelementen, die sich zur Gestaltung von Fassaden nutzen lassen, nicht nur in Schwarz, sondern in vielen Farben. Sie könnten Naturstein oder Putze ersetzen, die derzeit noch in der Leipziger Bauordnung vorgeschrieben sind.
Gern hätte die Leipziger Stadtbau AG noch mehr Photovoltaik eingesetzt, um den DHL-Campus zu versorgen. „Dann wären wir aber über 930 Kilowatt elektrische Gesamtleistung aus BHKW und Photovoltaik gekommen“, meint Koefer. „Und dann hätte uns die Zertifizierung der Anlagen erheblichen Mehraufwand verursacht, den niemand auf sich nehmen will.“
Solche und ähnliche Vorschriften hindern Bauherren daran, die Chancen der Solarisierung voll zu nutzen. „Bei Anlagen mit mehr als 100 Kilowatt Solarleistung muss man in die Direktvermarktung“, nennt Sebastian Jagiella ein weiteres Beispiel. „Die Schnittstelle zum Direktvermarkter ist aber teuer und wirtschaftlich nicht darstellbar.“
Nebenkosten nicht gottgegeben
Die Leipziger Stadtbau AG ist eine Firmengruppe, die eigene Dienstleister für den Gebäudebetrieb und den Stromhandel beinhaltet. Sie zeichnen auch für den Betrieb der Solaranlagen an Fassaden und auf Dächern verantwortlich.
Letztlich wurde das große Ziel erreicht. „Hohe Nebenkosten sind nicht gottgegeben. Man muss sich darum kümmern, denn weder Nutzer noch wir haben etwas davon, wenn die Nebenkosten zu hoch sind“, urteilt Hannes Koefer. „Beim Bauen wird meistens nicht darauf geachtet, deshalb werden Milliarden verbrannt. Aber man kann und muss die Immobilien so bauen, dass sie sich weitgehend selbst versorgen.“