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Markus Söder – letzter Taliban der Atomkraft

Umso mehr irritiert das merkwürdige Gezeter aus München. Markus Söder (CSU) hört nicht auf, die Renaissance der Atomkraft zu beschwören. Nicht nur äußerlich wird er einem Taliban immer ähnlicher. Auch sein Stil rutscht zunehmend in unqualifiziertes Geschrei ab.

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Er kann es einfach nicht verkraften

Der letzte Taliban der Atomkraft kann es nicht verkraften, dass die Zeit über ihn hinwegschreitet. Als Kanzlerkandidat ist er erledigt, und als Chef der CSU wird er früher oder später mit den Grünen einen Koalition eingehen müssen, ähnlich wie im Ländle. Was bleibt ihm übrig? Schreien und Wettern gegen die Grünen, gegen die Energiewende, gegen die Interessen der bayerischen Industrie.

Seine Manöver könnte man als Störgeräusch abtun. Doch die Schwesterpartei CDU hat in ihrem neuen Parteiprogramm die Atomkraft erneut als politisches Ziel festgeschrieben. Derzeit versucht sie, den längst beschlossenen – und vollzogenen! - Atomausstieg zurückzudrehen.

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In der FDP war ein entsprechender Antrag gescheitert, die Liberalen haben die Atomkraft aus ihrem Programm gelöscht. Aber wir kennen unsere Pappenheimer. Die Partei derer, die bisher ihr Mäntelchen noch nach jedem politischen Wind gehängt hat, dürfte schnell einknicken, wenn eine Koalition mit CDU/CSU winkt. Alte Liebe rostet nicht.

Mit Wut und Blindheit geschlagen

Anders sind die Wut und Blindheit nicht zu erklären, mit dem die Unionsparteien und manche Liberale den Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg befeuern. Die hörige Presse tönt: Vizekanzler Habeck hat dem deutschen Wahlvolk wertvolle Informationen vorenthalten, um den Ausstieg durchzusetzen. 500 Zeugen wurden aufgeboten, da wird die ganz große Trommel gerührt, da tropft der Geifer auf den kostbaren Teppich im Bundestag.

AKW: Das Aus ist erst der Anfang

Schon vergessen? Den Ausstieg aus der Atomkraft hat die CDU-geführte Koalition unter Angela Merkel beschlossen! Natürlich gibt es in CDU/CSU jede Menge alte weiße Männer, die es bis heute nicht verwunden haben, wie sie damals von Angela Merkel abserviert wurden.

Widerstände aus den eigenen Reihen

Denn Ende 2010 war der Ausstieg aus dem Ausstieg schon abgekartet. Frau Merkel wankte, war nah am Rückzieher, aber dann explodierte der Reaktor in Fukushima – und die Atomkraft war über Nacht erledigt. Entgegen dem Widerstand aus ihrer eigenen Partei hat Merkel seinerzeit den Ausstieg vollzogen – auch mit vielen Unterstützern ihrer Entscheidung, das muss erwähnt sein.

Wenn es ein Erbe der Ex-Kanzlerin gibt, das sich zu erinnern lohnt, dann dies: Sie hat verstanden, dass die Fernsehbilder des rauchenden Reaktors unweit von Tokyo stärker waren als das Wunschdenken alter Herren in ihrer Partei. Wieder hatte es gekracht, wieder wurden tausende Quadratkilometer verseucht, Millionen Menschen evakuiert.

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Westlicher Reaktor flog in die Luft

In Fukushima war ein Reaktor westlicher Bauart in die Luft geflogen, keine vermeintliche Schrottmühle der Russen wie ein Vierteljahrhundert zuvor. Und es gab ökonomische Gründe, aus der Atomkraft auszusteigen. Denn die erste Generation der Atommeiler, in den 1970er und Anfang der 1980er Jahre errichtet, stand vorm Ruhestand. Sie zu ersetzen, war schlichtweg unfinanzierbar.

Frankreich hat damals nicht reagiert. Das rächt sich nun, 13 Jahre nach Fukushima. Der Staatskonzern EDF ist die letzte Bastion der europäischen Nuklearindustrie. Faktisch ist Électricité de France pleite. Die Kredite, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten, werden immer teurer. Übernommen hat sich EDF beispielsweise mit dem waghalsigen Projekt in Hinkley Point, alle Risiken lasten auf dem französischen Projektträger.

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Monsieur Macron schaut tatenlos zu

Auf rund 60 Milliarden Euro hat sich das Loch summiert, dass die französische Atomindustrie in die Kassen des Elysee-Palastes gerissen hat. Tatenlos schaut Staatspräsident Emmanuel Macron zu, dass mittlerweile die Hälfte der Atommeiler aufgrund von Schäden vom Netz gegangen ist.

Niemand kann sagen, ob und wann sie jemals wieder Strom liefern. Uran gibt es ohnehin nur noch aus Russland. Das ist sehr, sehr heikel – angesichts des Terrors in der Ukraine.

Nun steigen auch in Frankreich die Energiepreise. Die Mär vom billigen Atomstrom ist verweht, harte Realitäten kommen auf unsere Nachbarn zu. In der Ukraine sehen wir jeden Tag, wie die Russen die Reaktoren als Druckmittel einsetzen, wie sie ihren Nachbarn und den Westen erpressen. Das haben CDU/CSU, Macron und Rosatom gemein: Sie hoffen, die Zeit zurückzudrehen.

Bärendienst für die Russen

Um es klar zu sagen: Wer der Atomkraft das Wort redet, erweist den Russen einen Bärendienst. Ob gewollt oder ungewollt, spielt keine Rolle. Deshalb sind die Grünen das Feindbild der Clique um Wladimir Putin, nicht die Unionsparteien. Das ergab das geleakte Dossier russischer Politikstrategen, das Mitte Oktober durch die Presse ging.

Wer nun denkt, die Atomkraft sei erledigt, sollte nicht vorschnell jubeln. Ökonomisch ist sie klar abgehängt, niemals kann sie die Gestehungskosten von Solarparks oder Windkraft unterbieten. Aber es gibt nach wie vor politische Kreise, die nach Gestern blicken, die den Wandel nicht verstehen. Nicht verstehen wollen.

Die Arroganz der Techkonzerne

Und: Es gibt die Arroganz der großen Techkonzerne, die die Atomkraft noch nicht abgeschrieben haben. Leute wie Elon Musk oder Microsoft-Chef Satya Nadella halten Atomreaktoren weiterhin für eine klimaneutrale Technologie.

Wissentlich ignorieren sie die Schäden und Emissionen, die durch den Uranbergbau entstehen, durch die Aufreicherung, durch die gewaltigen Baustellen und nicht zuletzt durch die Lagerung der abgebrannten Brennstäbe – irgendwo in alten Stollen.

Oder im Weltall, wie Elon Musk schwadroniert. Wer soll all die Raketen bauen und ins All schießen – woher soll das Geld kommen? Elon Musk interessieren solche Details nicht. Er betrachtet die Erde und die Zivilisation als Playground für seine Geschäfte, als Inkubator für sein Ego. Deshalb passt er so gut zu Donald Trump: Zwei Zyniker haben sich gefunden.

KI treibt Strombedarf

Um ihr Geschäftsmodell zu retten, reden Google & Co. der Atomkraft das Wort. Aufgrund der Künstlichen Intelligenz (KI) steigt der Strombedarf weltweit dramatisch an. Jede Anfrage beim Chatbot ChatGPT schluckt 2,9 Wattstunden – zehnmal mehr als eine Suchanfrage bei Google.

Man kann sich leicht ausrechnen, wie steil der Energiebedarf für Rechenzentren und Server in die Höhe schnellt. Derzeit entspricht der Bedarf der KI bereits mehr als drei Millionen E-Autos.

Deshalb verwundert es kaum, dass Google ab 2030 sogenannte modulare Reaktoren bauen lassen will, die geschmolzenes Salz anstelle von Wasser nutzen. Zwar ist diese Technik noch nicht einmal getestet, geschweige denn kommerziell erprobt.

Aber die Bosse von Google preisen sie bereits als sicher und unverwüstlich. Die Frage nach dem Atommüll wird verschwiegen, auch die Emissionen zur Erzeugung der Maschinen und ihres Brennstoffs bleiben tunlichst unerwähnt.

Three Mile Island wird erneut angefahren

Microsoft hat erhebliche Investitionen beschlossen, um das stillgelegte Atomkraftwerk Three Mile Island wieder anzufahren und ans Netz zu bringen. Der Strom soll den wachsenden Bedarf aus der KI decken.

Das Atomkraftwerk liegt auf der gleichnamigen Insel inmitten des Susquehanna Rivers im Dauphin County im US-Bundesstaat Pennsylvania, etwa zehn Kilometer südöstlich von Harrisburg. Deshalb ist der Störfall von Three Mile Island im Jahr 1979 auch als Harrisburg Desaster in die Geschichte der Atomkraft eingegangen.

Schwerstes Unglück vor Tschernobyl

Bis zur Explosion in Tschernobyl war der Beinahe-Gau in Pennsylvania die schwerste Katastrophe der Atomtechnik. Er hatte übrigens eine ganz ähnliche Ursache wie die Katastrophe in der Nordukraine 1986, den sogenannten Positive Void Effect. Rund 140.000 Menschen wurden damals vorübergehend aus ihren Wohnhäusern und Büros evakuiert, ein Vorgeschmack auf Tschernobyl sieben Jahre später.

Der havarierte Reaktorblock 2 des Kraftwerks in Pennsylvania wurde damals stillgelegt, sein Kern war teilweise geschmolzen. Die Folgen für die Bevölkerung wurden heruntergespielt, weil die Atomindustrie in den USA fest im Sattel saß und keine störenden Fragen wünschte.

Bis heute sind deutlich höhere Krebsraten nachweisbar, vor allem unter Jugendlichen und Kindern. Dieses Schicksal teilt die Region mit der Nordukraine und der Küstenregion nördlich von Tokyo.

Intakten Reaktorblock neu in Betrieb nehmen

Der intakte Reaktorblock 1 wurde 1974 gebaut, hat also 50 Jahre auf dem Buckel. Erst 2019 wurde er stillgelegt und verfügt noch über eine Betriebserlaubnis. Microsoft und der Energieversorger Constellation Energy schlossen kürzlich einen Liefervertrag für 20 Jahre, um diese Maschine wieder anzufahren. Nach der Explosion im zweiten Block dauerte es sechs Jahre, bis der erste Block wieder gestartet wurde. Das war im Jahr vor Tschernobyl.

Constellation Energy übernahm das Kraftwerk 1999, die bestehende Betriebserlaubnis des Reaktorblocks gilt bis 2034. Jahrelang schrieb der Atommeiler rote Zahlen, deshalb erfolgte 2019 die Abschaltung aus wirtschaftlichen Gründen. Er hat eine thermische Leistung von 837 Megawatt und kann rund 800.000 Haushalte mit Strom versorgen. Das entspricht einem größeren Kohlekraftwerk bei uns in Deutschland.

Gegner des Ausstiegs frohlocken

Nun sind erhebliche Investitionen geplant, um den Meiler 2028 wieder ans Netz zu bringen. Bobby Hollis, Vizeboss von Microsoft, sprach von einem „wichtigen Meilenstein“ des Konzerns auf seinem Weg zur Klimaneutralität.

Schon frohlocken die Gegner des Ausstiegs in Deutschland, dass die Atomkraft auf neue Weise wiederkehrt. Auch darum wird bei der Wahl zum Bundestag im kommenden Jahr gehen. Niemand sollte sich der Illusion hingegeben, dass diese Schlacht geschlagen sei.

Wohlstand sichern und exportieren

Persönlich bin ich überzeugt: Wir in Deutschland werden zeigen, werden beweisen, dass ein hochindustrialisiertes Land mit der Kraft von Wind und Sonne versorgt werden kann – ohne Erdgas, Öl oder Uran. Dass es mit erneuerbaren Energien betrieben werden muss, will es den Wohlstand von Millionen Menschen sichern und abgehängte Regionen zu höherem Lebensstandard bringen – als innovative Exportnation.

Ich schreibe es der Intelligenz der Physikerin Angela Merkel zu, dass sie die Tragweite des Ausstiegs aus der Atomkraft durchaus verstanden hat. Ihre Nachfolger haben diesen Weitblick offenbar nicht. Armes Bayern – und armes Deutschland, sollten sie die Geschicke unseres Landes bestimmen. Halten wir dagegen!

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