Warum ich Ihnen das erzähle? Weil die sozialdemokratische Überzeugung von einer gerechten und sozialen Gesellschaft damals für uns die entscheidende politische Maxime war. „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört“, rief der altersweise Brandt, und er sprach uns aus den Herzen. Nach ihm kam in den Reihen der SPD nur noch einer, dem ich Respekt zollen konnte: Hermann Scheer, der Mentor der solaren Energiewende. Kein Gesetz seit dem Zweiten Weltkrieg war so weitblickend und erfolgreich wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das EEG. Binnen eines Jahrzehnts stand Deutschland technologisch und ökonomisch an der Spitze des globalen Wandels in der Energieerzeugung.
Nun ist die SPD damit beschäftigt, ihr Erbe endgültig im Rauch aus Kohleschloten zu verfeuern. Im Zuge der Koalitionsverhandlungen offenbart sie ein erstaunliches Maß an Instinktlosigkeit. Statt Photovoltaik und Windkraft sollen die alten Kohlekraftwerke gefördert werden. Das Argument der Arbeitsplätze wird bemüht, wobei Tausende Arbeitsplätze in der Photovoltaik längst geopfert wurden. Emissionen und Kartelle statt saubere Energie und sinkende Preise: Das ist weder ökologisch, noch ökonomisch, noch sozial. Das ist die Rückkehr ins Industriezeitalter vor hundert Jahren, zur Wiege der Elektrifizierung. Das ist Kaiser Wilhelm statt moderner Sozialpolitik.
Wenn sich die Sozialdemokratische Partei nicht schnellstens klar macht, ob sie weiterhin an der gesellschaftlichen Veränderung teilnehmen will, wird sie obsolet. Denn die Zeit der Kohlekraftwerke und der Atommeiler ist vorbei. Dafür gibt es kein ökonomisches Modell mehr. Nicht einmal die unverhohlene politische Unterstützung und Milliarden Euro Subventionen können daran etwas ändern. Was ökonomisch tot ist, kann auch die Regierung nicht wiederbeleben. Das haben wir zum Ende des real existierenden Sozialismus erlebt. Diese Erfahrung steht der real existierenden Sozialdemokratie noch bevor.
Sie wird verschwinden, wenn sie sich nicht besinnt. Auf ihren Gründungsauftrag, aus der Zeit, als Willi Brandt zur Welt kam. Als in den Arbeiterhymnen nicht von Kohle und Uran die Rede war, von Ruß und Verstrahlung, sondern von sozialer Gerechtigkeit und menschlicher Würde. Wie dichtete ein russischer Sozialrevolutionär um die Jahrhundertwende in einem Moskauer Gefängnis? Brüder, zur Sonne, zur Freiheit! Das Lied kam 1918 nach Deutschland, in den Tagen der Revolution. Übersetzt hatte es ein deutscher Kriegsgefangener, der Leiter eines Arbeiterchores: Hermann Scherchen. Er dichtete nicht von rauchenden Schloten, sondern: Brüder zum Lichte empor! Hell aus dem Dunklen vergangen, leuchtet die Zukunft hervor!