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Ziehharmonika für Module

Solarmodule, die nicht mehr fix auf Dächern liegen, sondern selbst ein Dach bilden, die über Industrie- und Gewerbeflächen gespannt sind und je nach Wetter ausgefahren werden oder nicht: Als das Bündner Start-up DHP Technology sein erstes Solarfaltdach vorstellte, gab es viel Applaus.

Doch viele fragten: Kann man das ernsthaft verkaufen? Man kann. Auf der Kläranlage der Stadt Chur hat sich das Pilotmodell mittlerweile bewährt. Weitere Kläranlagenbetreiber haben das System erworben. Und bald wird ein bewegliches Solarfaltdach auf einem Appenzeller Parkplatz sauberen Strom erzeugen – und Schatten spenden.

4.000 Quadratmeter nutzen

Der Kronberg im Kanton Appenzell Innerrhoden ist ein beliebtes Ausflugsziel. Der Berg ist gut erschlossen mit Seilbahn samt Bahnhaltestelle und Parkplatz. Die 4.000 Quadratmeter große Autoabstellfläche war lange einfach gekiest, wie Hunderte Parkplätze in der ländlichen Schweiz.

Doch neuerdings liegen auf den 152 Parkfeldern Rasengittersteine, durch die Wasser versickern kann. Eine erste Doppelladestation für Elektroautos wird installiert und im April 2020 folgt die Hauptattraktion: Der Parkplatz bei der Talstation der Luftseilbahn Jakobsbad-Kronberg wird bald weltweit der erste mit einem Solarfaltdach sein.

Dieses bewegliche Photovoltaikdach an Seilen soll den ganzen Parkplatz überspannen und sauberen Strom erzeugen. Wird das Wetter schlecht, falten sich die Solarmodule zusammen. Dann fahren sie in zwei lang gezogene Garagen in der Mitte und am Rand des Areals.

Kühle Autos und Strom für die Bergbahn

Innovativ sei diese Anlage und effizient, erklärt Ralph Egeter von den St. Gallisch-Appenzellischen Kraftwerken. Der Energieversorger hat das Solarfaltdach gekauft, um es auf dem Terrain der Kronbergbahn zu betreiben. „Die bewegbaren Solarmodule nutzen alle Sonnenstunden“, urteilt Ralph Egeter. „Auch im Winter, wenn klassische Solardächer wegen Schneebedeckung zuweilen ausfallen.“

Auf dem Kronberg (884 Meter über dem Meer) falle das ins Gewicht. Was Egeter am Parkplatzsolardach ebenfalls überzeugt: „Es schafft einen mehrfachen Nutzen.“ Denn das Dach kühlt im Sommer den Boden und die geparkten Autos. Zugleich liefert es mit 420 Kilowatt installierter Leistung genug Strom, um nebst Elektroautos auch die Kronbergbahn anzutreiben. Die viel frequentierte Luftseilbahn soll künftig zu mehr als 50 Prozent mit Sonnenstrom vom eigenen Parkplatz den Berg hoch- und runtergondeln. Nicht zuletzt versprechen sich die Beteiligten davon einen Marketingeffekt für den Ausflugsbetrieb am Berg.

Aha-Effekt in Chur

Eine besondere Bedeutung hat das unkonventionelle Solarkraftwerk im Appenzell auch für seine Entwickler vom Bündner Start-up DHP Technology. Co-Geschäftsführer Gian Andri Diem sagt: „Wir hoffen, auf diesem Parkplatz einen ähnlichen Aha-Effekt erzeugen zu können wie bei unserem ersten Solarfaltdach in Chur.“

In Chur hängen die faltbaren PV-Module nicht über parkenden Autos, sondern über den Klärbecken der Churer Abwasserreinigungsanlage. „Als wir das Solardach entwickelten, stießen wir zunächst auf viel Skepsis“, erinnert sich Diem. „Erst bei der Eröffnung, als die Leute sahen, wie es funktioniert, war das Interesse geweckt. Wir erhielten begeisterte Reaktionen.“

Mittlerweile wurde die Pilotanlage des Versorgungsunternehmens IBC Energie Wasser Chur (Bauherrin, Besitzerin, Betreiberin) mehrfach ausgezeichnet, auch mit dem „Watt d’Or“ des Schweizer Bundesamts für Energie. Der Betriebsleiter in Chur, Curdin Hedinger, blickt zufrieden auf die ersten eineinhalb Betriebsjahre. „Wir hatten noch keinerlei Pannen oder Probleme“, bestätigt er.

Pilotbetrieb funktioniert einwandfrei

Die Solarmodule aus Kunststoff, die beweglichen Teile aus rostfreiem Stahl und die verzinkte Tragkonstruktion halten sich gut über den gefüllten Klärbecken: „Das Dach fährt ein und aus, wie es soll“, erläutert Hedinger. „Es deckt wie erwartet rund 20 Prozent des Strombedarfs der Churer Kläranlage ab, was in etwa dem Jahresbedarf von 120 Vier-Personen-Haushalten entspricht.“

Voraussetzung für die Doppelnutzung der Klärbecken war für die Betreiber der ungehinderte Zugang zu den Becken und Aggregaten. Der sei dank kleinerer baulicher Anpassungen gewährt, für Maschinen wie für Menschen. Das Sonnendach ist laut Curdin Hedinger auch fürs Team ein Gewinn, das nun die sommerlichen Sanierungsarbeiten nicht mehr in Gluthitze, sondern kühl beschattet durchführen kann. „Zudem haben wir wegen der Beschattung weniger Probleme mit störendem Algenwuchs in den Nachklärbecken.“ Nach den positiven Erfahrungen in Chur haben sich mittlerweile fünf weitere Kunden für das Solarfaltdach von DHP Technology entschieden.

In den Gemeinden Flums und Bassersdorf sind die Anlagen fertiggestellt. In Münsterlingen, Romanshorn am Bodensee und Bilten sollte es in den nächsten Wochen bis Monaten soweit sein. Auch wenn Photovoltaikmodule über Kläranlagen nicht unbedingt das sind, was man erwarten würde – die Ökostromproduktion vor Ort macht in den größeren Klärwerken durchaus Sinn. Sie gehören zur stromintensiven Infrastruktur im Land.

Auf dem Sprung in die EU

Kläranlagen bleiben vorläufig das Hauptgeschäft für DHP Technology. Parkplätze als zweites Standbein will die junge Firma zwar weiter verfolgen.

Aber nur wenn Interessierte aktiv den Kontakt suchen, wie es beim Appenzeller Projekt der Fall war. „Wir sind zu klein, um alles gleichzeitig auszubauen“, begründet Ökonom Gian Andri Diem.

Zwei Jahre Förderung

Zurzeit ist DHP damit befasst, über die Schweiz hinaus in die EU vorzustoßen. Das Schweizer Unternehmen wird dabei von der EU unterstützt: Eine zweijährige Förderung im Programm Horizon 2020 Accelerator erleichtert den Markteintritt im europäischen Raum.

Die EU finanziert zum Beispiel die nötigen Zertifizierungen oder die Industrialisierung der Technologie mit. Besonders Letzteres sei eine Herausforderung, sagt Gian Andri Diem.

Automatisierte Produktion

Es gelte, mit dem unterdessen automatisierten Produktionsverfahren das Wachstum zu ermöglichen. Das sei anspruchsvoll, aber lohnenswert, denn: „In der EU haben wir nicht 800 Kläranlagen wie in der Schweiz, sondern 80.000.“

Ein hundertmal größerer Markt also. Und rund ein Drittel dieses Kläranlagenmarkts will DHP Technology in der EU wie in der Schweiz aus eigener Kraft bedienen. „2019 hatten wir drei bis vier Millionen Franken Umsatz“, rechnet Diem vor. „2025 hoffen wir, einen Umsatz von über 30 Millionen pro Jahr zu erreichen.“ Mit ersten Interessenten sei das Unternehmen vor allem in Deutschland in Kontakt. In der Schweiz sind rund 20 weitere Solarfaltdächer in Planung.

Voll auf Wachstumskurs

Das Start-up aus dem bündnerischen Zizers ist also voll auf Wachstumskurs. 2015 hatten Ingenieur Andreas Hügli und Betriebswirtschafter Gian Andri Diem das Unternehmen zu zweit gegründet. Heute besteht das Team aus 20 Leuten, bis Ende 2020 sollen es 30 sein. Nach einer Anschubfinanzierung durch den Kanton Graubünden und den Basler Energieversorger IWB ist es heute eine wachsende Gruppe von Investoren und Aktionären, die das fürs Wachstum nötige Kapital einschließt.

Zunehmende Einnahmen

Doch auch die Einnahmen aus verkauften Solardächern fallen zunehmend ins Gewicht. „Noch sind wir nicht am Break-even, aber nahe dran“, sagt Gian Andri Diem.

Vorläufig ist das bewegliche Solardach noch teurer als fix montierte Photovoltaikanlagen – wobei die Preise mit den Jahren sinken werden und die Gestehungskosten schon heute im Bereich von 15 bis 25 Rappen pro Kilowattstunde liegen. In Chur erreicht die Anlage daher heute Netzparität: Sie kann den Sonnenstrom zu vergleichbaren Kosten produzieren, wie sie der Netzbetreiber den Haushalten für Strom verrechnet.

Was für Ralph Egeter von den St.Gallisch-Appenzellischen Kraftwerken aber noch mehr ins Gewicht fällt als die Entwicklung der Kosten: „Dieses Solardach ist eben sehr innovativ und geht über die reine Stromproduktion hinaus“, urteilt er. „Der Kronberg-Parkplatz könnte zum Leuchtturmprojekt werden, das die Bevölkerung für erneuerbare Energien sensibilisiert.“

Riesiges Potenzial für Sonnenstrom

Der Bevölkerung vor Augen führen, was mit Solarstrom alles möglich ist: Das erscheint sinnvoll, wenn man den heute noch bescheiden anmutenden Drei-Prozent-Anteil des Sonnenstroms am gesamten Stromverbrauch der Schweiz betrachtet. Wobei – ganz so bescheiden sei dieser Anteil nicht, betont Wieland Hintz vom Bundesamt für Energie. „Die Solarenergie hat von den neuen erneuerbaren Energien den mit Abstand größten Pro-Kopf-Zuwachs.“

Den ganzen Bedarf decken

Dank der erfreulichen Entwicklung beim Solarstrom sei die Schweiz auf gutem Weg, ihre Energieziele im Jahr 2020 zu erreichen.

Solarstrom hat gemäß Berechnungen des BFE ein riesiges Potenzial: Wenn man nur die geeigneten Flächen auf Dächern voll nutzen würde, könnte man fast den gesamten derzeitigen Strombedarf der Schweiz mit Solarstrom decken.

Gian Andri Diem ist überzeugt: „Um das Potenzial stärker auszuschöpfen als bisher, sollte man Solaranlagen künftig vermehrt auch über industriellen Flächen im bewohnten Gebiet installieren“.

Bisher nur auf Hausdächern

Heute befinden sich fast alle Photovoltaikmodule in der Schweiz auf Dächern. Doch auf Hausdächern verzögern sich Solarinstallationen mitunter oder werden ganz verunmöglicht, weil sie den Widerstand von Anwohnern und Denkmalschutzbehörden provozieren. „Wir hingegen stoßen mit faltbaren, nicht blendenden Modulen in ein ganz neues Marktsegment vor: Auf schon genutzten Industrieflächen stört sich niemand an Photovoltaikmodulen, und sie sind hier auch noch einfacher zu installieren.“

Strombedarf wird wachsen

Auch in der Schweiz gibt es eine Debatte um die Abschaltung der noch laufenden Atommeiler, zudem steigt der Strombedarf aufgrund der Sektorkopplung an.

Im Mai 2017 hatte sich die Schweizer Bevölkerung mehrheitlich gegen den Bau neuer Atomkraftwerke ausgesprochen, weil es kein sicheres Endlager für den radioaktiven Abfall gibt.

Mit der neuen Energiestrategie sollen vor allem die erneuerbaren Energien ausgebaut werden. Dafür reichen die Dächer auf privaten Wohngebäuden kaum aus.

Ein Kick für die Energiewende

So gesehen könnten Innovationen wie das Bündner Faltdach der Solarstromentwicklung im Land tatsächlich einen Kick geben.

Den Schlussbericht zum Projekt „Solarkraftwerke über Schweizer Klärinfrastruktur: Realisierung Pilotanlage zur Klärbeckenüberspannung ARA Chur“ finden Sie hier:

www.aramis.admin.ch/Texte/?ProjectID=35840

DHP Technology

Bewegliches Solardach an Seilen

Das Solarfaltdach Horizon des Bündner Start-ups DHP Technology erlaubt es, bereits genutzte Flächen für die Stromproduktion erneut zu nutzen. Das bewegliche Leichtbausystem besteht aus einer Stahlkonstruktion und dem an Seilen hängenden Dach. Dessen Photovoltaikmodule sind aus spiegelfreiem Kunststoff und durch Scharniere miteinander verbunden, sodass sie sich wie ein Leporello flach auseinanderfalten oder eng zusammenschieben lassen. Gesteuert wird die Bewegung durch einen integrierten Meteo-Algorithmus, der aktuelle Wetterdaten beurteilt.

Wegen des hohen Vorfertigungsgrads lässt sich Horizon vor Ort größtenteils einfach zusammenstecken. Die Anlage benötigt 50 Prozent weniger Material als fest installierte Solarmodule. Mit knapp sechs Metern Höhe und bis 25 Meter Abstand zwischen den Stützen bietet sie viel Raum zum Arbeiten unter dem Photovoltaikdach. Das Dach produziert vergleichbare Solarstrommengen wie eine konventionelle Flachdachanlage im Mittelland.

https://dhp-technology.ch

Schweizer Bundesamt für Energie

Unterstützung für Pilotprojekte und Demonstratoren

Das Solarfaltdach des Bündner Start-ups DHP Technology ist ein Pilotprojekt, mit dem das Bundesamt für Energie (BFE) die Entwicklung von sparsamen und rationellen Energietechnologien fördert und die Nutzung erneuerbarer Energien vorantreibt. Das BFE fördert Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte mit 40 Prozent der nicht amortisierbaren, anrechenbaren Kosten. Gesuche können jederzeit eingereicht werden.

www.bfe.admin.ch/pilotdemonstration

Swissolar

Schweiz braucht bis 2050 rund 50 Gigawatt Photovoltaik

Um fossile Brenn- und Treibstoffe bei gleichzeitigem Atomausstieg zu ersetzen, entsteht ein großer Bedarf an zusätzlicher Ökostromproduktion in der Schweiz. Darauf weist der Verband Swissolar hin. 50 Gigawatt Solarstrom bis 2050 würden diesen Stromhunger stillen.

Das entspricht einer 25-mal höheren Solarstromleistung in der Schweiz, als heute installiert ist. Diese könne zum größten Teil auf Gebäuden installiert werden. Swissolar fordert Bundesrat und Parlament deshalb auf, die dafür nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen.

Die Gletscher schmelzen

In kurzer Zeit haben über 100.000 Genossen die bei der Bundeskanzlei eingereichte Gletscher-Initiative unterschrieben.

Die Initiative unterstützt das bundesrätliche Ziel von netto null Treibhausgasemissionen bis 2050. Sie präzisiert zusätzlich, dass dabei ab 2050 in der Schweiz keine fossilen Brenn- und Treibstoffe mehr in Verkehr gebracht werden sollen.

Die Gletscher-Initiative lässt offen, wie die zur Umsetzung des Pariser Klimaprotokolls notwendige Dekarbonisierung der Schweiz erreicht werden soll.

Die Analysen von Swissolar und anderen zeigen, dass der naheliegendste Weg über einen massiven Ausbau von Solarstrom führt. Keine andere erneuerbare Energie hat auch nur ansatzweise dasselbe Potenzial in der Schweiz wie die Photovoltaik, belegt eine Studie von Roger Nordmann.

Kombination mit der Windkraft sinnvoll

Der Ersatz von fossilen Heizungen durch Wärmepumpen und von Verbrennungs- durch Elektromotoren wird zu einem steigenden Stromverbrauch führen.

Zugleich gilt es, schrittweise den Atomstrom zu ersetzen: „Wir brauchen jährlich 40 bis 45 Terawattstunden Solarstrom, den wir zum größten Teil auf unseren Dächern und Fassaden produzieren können“, sagt David Stickelberger, Geschäftsleiter von Swissolar.

Der solare Zubau kann geringer ausfallen, wenn der aktuelle Stillstand beim Ausbau der Windenergie in der Schweiz überwunden wird. Diese könne ebenso wie die Wasserkraft eine wertvolle Ergänzung zum Solarstrom, insbesondere im Winter, leisten.

Solare Rahmenbedingungen ändern

Swissolar fordert deshalb den Bundesrat und das Parlament auf, jetzt die Voraussetzungen zu schaffen, damit jährlich mindestens 1,5 Gigawatt Photovoltaik in der Schweiz installiert werden können.

Anzusetzen sei primär bei Großanlagen auf Industrie-, Gewerbe- sowie Dienstleistungs-, Infrastruktur- und Landwirtschaftsbauten sowie auf Parkplätzen. Technisch einfach zu erschließendes Potenzial liege nahezu brach.

www.swissolar.ch

Die Autorin

Anita Vonmont

arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin. Die ausgebildete Germanistin und Anglistin schreibt für das Schweizer Bundesamt für Energie (BFE) über aktuelle Energieforschungsprojekte. Daneben ist sie für das Schweizer Radio SRF tätig. Vorher arbeitete sie als wissenschaftliche Redakteurin beim Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und als Lokalredakteurin bei der Basler Zeitung und dem Basler Fernsehen.

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