„Auf Natur umschalten“ – so wirbt der Odenwald um Touristen. Ab April soll das nicht nur mit bewaldeten Hügeln und reiner Luft möglich sein, sondern auch mit einer technischen Weltneuheit: Dann schickt die Berliner Firma Mobikon 30 Solardraisinen auf die elf Kilometer lange Trasse der früheren Überwaldbahn zwischen Mörlenbach und Wald-Michelbach. „Die Verbindung von Sonnen- und Muskelkraft auf der Schiene ermöglicht ein neuartiges Fahrerlebnis“, verspricht Betreiber Mobikon.
Mit den üblichen, meist klapprigen und rein mit Muskelkraft betriebenen Fahrraddraisinen hat die Solardraisine wenig gemeinsam. Nicht nur weil laut Mobikon-Entwickler Herbert Riemann die beiden 175 Kilogramm schweren Radsatzwellen ein richtiges Eisenbahn-Fahrgefühl entstehen lassen. Sondern auch, weil im Dach der Draisine Solarzellen mit 450 Watt Nennleistung integriert sind, die den Fahrgästen auf den sechs Tretplätzen nicht nur Wetterschutz, sondern auch elektrischen Antrieb liefern sollen. Diese Unterstützung des Vier-Kilowatt-Elektromotors wird den Touristen wahrscheinlich sehr willkommen sein. Immerhin gehören zu der landschaftlich reizvollen Strecke nicht nur drei große Viadukte und herrliche Panoramen, sondern auch mehrere Steigungen.
Durch Tunnel und Waldschatten
„Man fährt die 3,3 Prozent Steigung so leicht herauf, als ginge es bergab“, schildert Herbert Riemann das Fahrgefühl nach der ersten Testtour. Und auch die zwei Tunnel der Strecke sowie die insgesamt recht schattige Lage der Überwaldbahn – immerhin wurde hier im dunklen Tann einst der Recke Siegfried von Hagen von Tronje ermordet – lassen Riemann nicht am Sinn des pedalophotovol taischen Hybridantriebs zweifeln: Je nach Auslastung könne der Energiebedarf der Draisinen bis zur Hälfte durch die dachintegrierten Solarmodule gedeckt werden. Die restliche Energie soll über das Stromnetz aus anderen regenerativen Quellen bezogen werden.
Die Jury des Wettbewerbs „365 Orte im Land der Ideen“ ist von der Solardraisine überzeugt: Sie kürte das Projekt Ende Januar zu einem der Sieger in der Kategorie Wirtschaft. Nicht so überzeugt hingegen ist der Bund der Steuerzahler, der die Draisine 2008 und 2010 in seine Schwarzbücher aufnahm. Der Verein ist wenig amüsiert über die Mitteilung des hessischen Wirtschaftsministeriums, wonach es auf der Überwaldbahn einen Betrieb mit Solardraisinen geben soll, da „allein mit Muskelkraft die Befahrung mit den üblichen Handhebel- und Fahrraddraisinen manchen Besuchern nicht möglich“ sei. „Warum der Einsatz von Solardraisinen auf der waldreichen und mit vielen Tunnelmetern versehenen Strecke sinnvoll sein sollte, konnte das Ministerium nicht erklären“, heißt es im Schwarzbuch. Allerdings biete der neuartige Einsatz von Solardraisinen – im Gegensatz zu normalen Elektro- oder Fahrraddraisinen – den Vorteil eines mit EU-Mitteln förderfähigen Alleinstellungsmerkmals. „Für die beteiligten Kommunen und den Kreis waren die Fördermittel aus der EU-Kasse von jetzt über 2,7 Millionen Euro natürlich ein entscheidendes Kriterium für die Realisierung des Vorhabens. Die Steuerzahler rechnen da anders. Sie müssen für alle Kosten der öffentlichen Hand aufkommen, und die sollen inzwischen immerhin 7.460.300 Euro betragen.“
Ob das Projekt wie geplant die Haushalte der beteiligten Kommunen und des Kreises sanieren wird, bleibt also abzuwarten. Die Draisinennutzer jedenfalls können sich über Nacht im Schlaf regenerieren. Und die Solardraisinen an der Steckdose.