Fans von Science-Fiction-Filmen kennen den Sound aus dem Effeff. Das Surren der Elektroflitzer erinnert an die Geräusche der Lichtrenner aus dem legendären Streifen Tron von Walt Disney. Mit 80 Dezibel sind die Rennboliden in etwa so laut wie Rasenmäher. Somit dürfte der Motorsportfreund beruhigt aufatmen. Stromrennen sind nicht völlig geräuschlos. Gerade in den Kurven gibt es neben dem Surren auch Brems- und Quietschgeräusche.
Am 23. Mai feierte die Formel E ihr deutsches Debüt in Berlin-Tempelhof. „Seit 40 Jahren trage ich Ohrstöpsel bei Autorennen“, sagte der ehemalige Formel-1-Fahrer Hans-Joachim Stuck und betonte: „Es ist schön, mal keine zu tragen.“ Es ist die erste Saison der neuen elektrischen Rennserie, die am 13. September 2014 in Peking startete und im achten Rennen in Berlin gastiert. Nach elf Rennen endete die erste elektronische Fahrzeit Ende Juni mit einem Doppelrennen in London.
Fan Boost erhöht Leistung
Immerhin rund 21.000 Zuschauer verfolgten das Rennen auf dem alten Fluggelände in Tempelhof. Die Strecke ist knapp 2,5 Kilometer lang und enthält 17 Kurven. Nicht nur Umweltbewusstsein, sondern auch Kosteneffizienz werden in der neuen Rennserie großgeschrieben.
Die Formel E ist anders – und das ist auch gut so. Im Vergleich zur Formel 1 hört der Zuschauer keine ohrenbetäubenden Verbrennungsmotoren, es gibt keine Abgaswolken und wenn die Fahrer die Boxengasse ansteuern, dann nicht um zu tanken. Sondern sie wechseln kurzerhand den Rennflitzer zur Hälfte des Rennens.
Alle Piloten müssen sich allerdings mit einem neuen Satz Reifen pro Fahrzeug und Rennen begnügen. Nur ein kaputter Reifen darf gewechselt werden, geben die Regeln vor.
Zudem können Fans über eine Internetabstimmung ihren Favoriten tatkräftig unterstützen. Die drei Fahrer mit den meisten Stimmen erhalten einen sogenannten Fan Boost und verfügen während des Rennens fünf Sekunden lang über 200 statt 150 Kilowatt Leistung. Umgerechnet sind das rund 272 Pferdestärken und 40 Pferdestärken zusätzlich. Dieser Energieschub ist dann in beiden Autos verfügbar.
225 Kilometer pro Stunde
Anders als bei der Formel 1 ist der Event auf nur einen Tag reduziert – auch um Kosten zu sparen. Die Zuschauer erleben also Testläufe, Qualifikation und Rennen hintereinander weg. Bis zu 225 Kilometer pro Stunde fahren die Rennwagen mit den Lithiumakkus.
Das ist nur rund 100 Kilometer pro Stunde langsamer als in der Formel 1. In weniger als drei Sekunden beschleunigt der Rennwagen auf 100 Kilometer pro Stunde.
Die Namen der Fahrer klingen nach großem Motorsport: Senna, Prost und Piquet. Hier handelt es sich aber nicht um die ehemaligen Formel-1-Piloten, sondern um deren Söhne. Oder um den Neffen wie bei Bruno Senna. Denn der brasilianische Kultfahrer Ayrton Senna kam 1994 beim Großen Preis von San Marino bekanntlich ums Leben.
Auch der Deutsche Nick Heidfeld ist mit von der Partie. Den Spitznamen „Quick Nick“ bekam er unter anderem als Formel-1-Fahrer für Sauber-Mercedes. Der 40-jährige Jarno Trulli aus Italien fuhr 1997 bis 2011 in der höchsten Motorsportklasse.
Ein Brasilianer siegt
Am Ende des Tages feierte der Brasilianer Lucas di Grassi einen Start-Ziel-Sieg auf der Strecke in Tempelhof. Allerdings kassierte die Rennleitung diesen Sieg knapp fünf Stunden nach dem Rennen wieder ein.
Der Grund: Ein modifizierter Frontflügel am Elektroflitzer verstieß gegen die Auflagen. Das Team Audi Abt argumentierte, das sei im Rahmen von Reparaturen passiert und es habe dadurch keinen Wettbewerbsvorteil für den Fahrer di Grassi geben. Dennoch verzichtete das Team auf einen Einspruch gegen das Urteil.
Jerome D’Ambrosio vom Team Dragon Racing heißt nun der offizielle Sieger. Er benötigte 48 Minuten und 26,6 Sekunden. Zweiter wurde Sébastien Buemi; Nick Heidfeld belegte den fünften Platz.
Eine weitere Besonderheit ist, dass alle Piloten das gleiche Fahrzeugmodell fahren. Der Rennwagen Spark-Renault SRT 01E ist ein Konsortium verschiedener Hersteller, das sich eigens für die Elektrorennserie gegründet hat. Der Name setzt sich aus dem Kürzel des Firmennamens SRT, Projektnummer 01 sowie einem E für elektrisch zusammen.
Es gibt zehn Rennteams und 20 Piloten. Und da jeder Fahrer zwei Wagen braucht, sind insgesamt 40 Rennautos im Einsatz. Die Karosserie entwickelte Dallara, ein Rennwagenhersteller aus Varano de‘ Melegari bei Parma. Die Tochter des Formel-1-Motorenlieferanten Williams entwickelte die Batterie mit einer Kapazität von 28 Kilowattstunden.
Unter 900 Kilogramm schwer
Das Chassis besteht aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff. Die Sicherheitsstandards für beispielsweise Crashtests, Überrollbügel und Feuerlöschanlage entsprechen denen der Formel 1. Das Fahrzeug wiegt mit Fahrer rund 900 Kilogramm. Das Gewicht von 888 Kilogramm darf laut den Regeln nicht unterschritten werden. Allein die Batterie von Williams Advanced Engineering bringt dabei rund 200 Kilogramm auf die Waage, gut 22 Prozent des Gesamtgewichts.
Wichtig für die neue Rennklasse ist das grüne Image. Mit diesem Vorteil ausgestattet geht sie an den Start, und so begründet der internationale Motorsportverband auch die Existenz.
Strom für die Formel Öko
„Die Zukunft des Motorsports ist elektrisch“, heißt es bei der Fia. All das stimmt aber nur, wenn der Strom aus erneuerbaren Energien kommt und nicht aus dem Stromnetz mit einem Anteil von rund 45 Prozent Kohlestrom.
Der Veranstalter baut deshalb ein eigenes Ministromnetz für die Rennen auf. Die Aquafuel-Generatoren verbrennen den fast emissionsfreien Brennstoff Glycerin. Das ist eine klebrige und farblose Flüssigkeit.
Sie entsteht als Abfallprodukt, wenn Biodiesel hergestellt wird. Techniker rüsteten die auf der Renntour verwendeten Stromgeneratoren deshalb so um, dass sie mit Glycerin laufen. Dann der Strombedarf für die Ladeinfrastruktur entspricht dem von rund 2.000 Haushalten.
Britische Forscher von Aquafuel Research entdeckten die Flüssigkeit mit der hohen Energiedichte. „Glycerin ist ein wirklich sauberer Kraftstoff“, bestätigt Aquafuel-Firmenchef Paul Day. Das bedeute keine CO2-Emissionen, bessere Luftqualität und weniger Stickoxide, erklärt Day. „Die Schmierleistung ist besser als die von Diesel, da kein Ruß und keine Feststoffe entstehen, so bleibt das Öl sauber.“
Zehn Teams sind gestartet
Die Katalysatoren setzen sich deshalb nicht zu. Künftig planen die Forscher das Glycerin aus Algen, die in extrem salzigem Meerwasser wachsen, zu gewinnen.
Insgesamt zehn Teams gehören zu den Pionieren der ersten Saison. Darunter E-Dams-Renault, Dragon Racing, Venturi und Trulli, der seinen eigenen Rennstall hat.
Zudem geht der britische Unternehmer und Multimilliardär Richard Branson mit Virgin Racing an den Start. Branson engagiert sich auch in mehreren Projekten zum Klimaschutz, beispielsweise in dem von ihm mitgegründeten NGO Carbon War Room.
Audi Sport ist am Start
Einziges deutsches Team ist Audi Sport Abt. Sohn Daniel Abt ist zudem einer der Fahrer im Feld.
Als Werbung für die Elektromobilität war das Rennen in Tempelhof ein Erfolg. Die Stimmung unter den Zuschauern auf den Rängen war gut. Viele Besucher waren begeistert und attestierten der neuen Klasse eine Chance, sich neben den Verbrennern zu etablieren.
Und sie letztlich zu beerben. Denn mittelfristig dürften die Stinkboliden der klassischen Formel Eins keine Zukunft haben.
Formula E
Acht Modelle nächste Saison
Die Teams in der Formel E haben eine Budgetobergrenze von 2,2 Millionen Euro (drei Millionen US-Dollar). Zudem darf das Rennfahrzeug nicht mehr kosten als 350.000 Euro. Auch deshalb wurde genau abgewogen, wie viel relativ teure Kohlestofffaser im Chassis verbaut werden kann, ohne dass die Kosten exorbitant steigen. Zum Vergleich: Das Budget des Teams Red Bull Racing lag in der Formel-1-Saison 2014 bei rund 377 Millionen Euro, Mercedes verfügte über knapp 300 Millionen Euro. Die Deckelung der Kosten soll die Akzeptanz bei den Zuschauern erhöhen.
Für die zweite Saison soll sich einiges ändern: Der Motorsportverband Fia kündigte an, acht verschiedene Hersteller für die Rennwagen zuzulassen. Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft.
Wave Trophy
Parade der Elektroautos
Ein Weltrekord wurde beim Berliner Rennen der Formel E aufgestellt: Insgesamt 577 E-Fahrzeuge fuhren zwischen den vier Qualifikationsrennen und dem eigentlichen Rennstart über die Piste. Darunter waren unter anderem 96 Tesla vom Model S und 111 Citroën C-Zero. Damit bildete die Formation die größte Parade von Elektrofahrzeugen der Welt und schaffte einen neuen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde.
Initiiert hat das die Elektroauto-Rallye Wave. Sie verbesserte damit den eigenen Rekord von 507 Elektroflitzern aus dem Vorjahr von einem Treffen in Stuttgart. Die Wave startete am 15. September 2011 mit 25 Teams und dauerte damals noch zwei Wochen. Die Strecke führte über Paris, Brüssel und Frankfurt über Vaduz nach Wien und Prag.