G estörte Idylle: Wenn eine Jacht in die Lagune einfährt, fliehen meist die Vögel, Fische und Strandbewohner. Denn der knatternde Dieselmotor schickt nicht nur laute Geräusche übers Wasser, sondern auch eine stinkende Abgasfahne. Am schlimmsten dran sind die Verursacher der Störung selbst, denn der Lärm an Bord ist unerträglich, ebenso der Gestank und die Vibrationen.
Da sehnen sich Mensch und Tier nach der Ära der großen Windjammer zurück, als die Boote lautlos durchs Wasser pflügten. Als nur ein knarrender Mastbaum die Stille störte oder die Mundharmonika des Rudergängers oder der schnarchende Kapitän in seiner Kajüte.
Nun kehren die ruhigen Zeiten von Moby Dick und Captain Cook wieder. Denn ein findiges Team aus Österreich hat eine Solarjacht gebaut, die vollständig mit Sonnenenergie auskommt. „Das ist einfach erklärt: Wir sind Segler, aber der Dieselmotor hat uns gestört“, erläutert Michael Köhler aus Klagenfurt. Er hat die Bordtechnik der Jacht „Solarwave“ entworfen und die Komponenten selbst eingebaut. „Deshalb haben wir an einem Boot gearbeitet, das nur mit Naturenergie fährt.“ Insgesamt ist Köhler über 60.000 Seemeilen mit Einrümpfern und mit Katamaranen gesegelt. Mittlerweile hat er rund 8.000 Seemeilen mit der Solarwave zurückgelegt.
Ein Segel allein reicht nicht aus, denn damit kann man weder Spaghetti kochen noch Bier kühlen oder ein Funkgerät betreiben. Normalerweise liegt eine Segeljacht rund neun Zehntel der Zeit irgendwo vor Anker oder tuckert in ihr Zielgebiet. Nur ein Zehntel der Betriebszeit fährt sie unter Segeln. Ohne Dieselmotor wäre also auch eine klassische Segeljacht aufgeschmissen. Dabei ist die Reichweite natürlich durch die Tankfüllung und die Spritreserven an Bord begrenzt. Der Dieselmotor selbst setzt nur ein Viertel bis 30 Prozent der chemischen Energie des Treibstoffs in die Umdrehung des Antriebspropellers um. Hinzu kommen erhebliche Kosten für den Motorbetrieb, die Durchsichten und die Wartung. Als „Alleinantrieb“ ist der Dieselmotor sehr riskant, weil er in der feuchten und salzhaltigen Umgebung ziemlich störanfällig ist.
Dagegen die Photovoltaik: „Wir haben verschiedene Varianten durchgerechnet“, erzählt Köhler. „Keine andere Technik kommt bei den Kosten und dem Gewicht annähernd an die Solarpaneele heran.“ Denn neben den Kosten muss ein Bootsantrieb möglichst leicht sein. Sonst fährt der Motor nur sich selbst spazieren. „Zuerst haben wir einige Module getestet. Dann haben wir die Stromerträge in verschiedenen Gegenden der Welt errechnet und auf verschiedene Schiffslängen interpoliert. Daraus entstanden die Abmessungen des Bootes.“
Die Österreicher haben die Solarlösung also nicht nachträglich auf einem Schiff installiert, sondern das Boot passend zur Solartechnik entworfen. Entstanden ist ein Katamaran mit zwei Rümpfen. Sie wurden aus Glasfaserteilen gefertigt, verstärkt durch Kohlefaser und Kevlar-Biax-Gelege. Jeder Rumpf ist mit drei wasserdichten Kollisionsschotts versehen. Zusätzlich wurden sämtliche Hohlräume ausgeschäumt. Selbst in voll geflutetem Zustand ist die Solarwave unsinkbar.
Als Zweirumpfboot verfügt die Solarwave mit 14 Metern Länge und 7,50 Metern Breite über deutlich mehr Platz als eine normale 46-Fuß-Jacht. So entsteht ein weitläufiges Cockpit mit großzügig dimensionierten Badeplattformen. In den Rümpfen sind vier Kabinen mit Kingsize-Doppelbetten und reichlich Stauraum untergebracht. Drei Bäder mit Waschtisch, ausziehbarer Brause und elektrischer Toilette stehen zur Verfügung. Gefriertruhe, Waschmaschine, Klimaanlage, Wassermacher und fünf Warmwasserboiler sind unauffällig in den Innenraum integriert. Mit aller Ausstattung wiegt die Jacht rund zwölf Tonnen.
Rund 38 Quadratmeter Sonnendach
Das ist kein kleines Boot, sondern ein ordentliches Schiff, das in diesem Sommer beispielsweise vor den Küsten Griechenlands kreuzt. Ohne Segel, das Dach mit Solarpaneelen bestückt, unterscheidet es sich schon äußerlich von allen anderen Jachten. Dem großzügigen Cockpit mit Freiluftsitzgruppe und Außensteuerstand spenden die Solarpaneele großzügig Schatten. Unabhängig vom Wind macht das Schiff rund fünf Knoten Fahrt. Kein Brummen eines Diesels stört die Ruhe. Keine Abgase verpesten die Seeluft.
Interessant für eine Fachzeitschrift wie unsere ist natürlich in erster Linie das Solarkonzept. Die Solarmodule kamen zunächst vom österreichischen Hersteller Kioto. Kürzlich wurden neue Paneele von Sunpower eingebaut, Standardmodule ohne spezielle Versiegelung. Der Generator leistet acht Kilowatt. Bisher haben nicht einmal heftige Winde oder Wellen, die mit mehr als zehn Knoten auf die Module stürzen, die Leistungsfähigkeit der Solaranlage beeinträchtigt. Die Sunpower-Module haben mehr als 20 Prozent Wirkungsgrad, dadurch holen die Bootsleute mehr Strom von der begrenzten Modulfläche. Die Paneele bedecken 38 Quadratmeter. Installiert wurden 25 Module, die zusammen rund 425 Kilogramm wiegen. Sie liefern am Tag durchschnittlich 50 Kilowattstunden.
Entscheidend für die Reichweite und die Mobilität des Bootes ist der Speicher, denn die Sonne scheint nicht immer. „Drei Jahre lang haben wir Bleibatterien getestet“, berichtet Michael Köhler. „Sie zeigten eine sehr gute Performance. Wir konnten sie sogar tiefer als 80 Prozent entladen, dann waren noch immer 49 Volt drauf.“ Allerdings ist die Lebensdauer von Bleibatterien sehr stark von den Umgebungsbedingungen abhängig. Je wärmer es ist, desto schneller hauchen sie ihr Dasein aus. „Nach drei Jahren wurden die Batterien deutlich schwächer“, analysiert der Experte. „Ein weiterer Nachteil: Die Bleiakkus verkraften nur geringe Ladeströme. Wenn 80 Prozent der Nennkapazität erreicht sind, wird es schwer, sie ganz voll zu laden. Das geht nur mit sehr geringen Ladeströmen, dauert also sehr lange.“
Hohe Ladeverluste in Bleibatterien
Auch zeigen die Bleibatterien sehr hohe Ladeverluste, durchschnittlich 30 Prozent. Entnimmt man 100 Amperestunden, muss man 130 Amperestunden neu einlagern. Dieser Umstand resultiert aus der schwierigen Beladung der oberen 20 Prozent in der Batterie. Wird die Batterie um 50 bis 80 Prozent entladen, sinken die Ladeverluste auf 15 bis 20 Prozent ab. Entlädt man die Batterie nur wenig, beispielsweise um 20 Prozent, kommt man wieder in den Bereich, in dem die Aufladung sehr schwierig wird. Dann steigen die Ladeverluste gar auf 170 Prozent an. Je voller die Bleiakkus sind, umso stärker muss der Laderegler den Stromzufluss drosseln. Sonst wird die Batterie zerstört. Köhlers Urteil lautet: „Die Bleiakkus nutzen die Solarpaneele nicht voll aus.“
Lithiumakkus passen besser
Deshalb haben die Bootsbauer parallel mit Lithium-Polymer-Batterien experimentiert. Die erlauben sehr hohe Ladeströme von 200 Ampere, die sie eine halbe Stunde lang durchhalten können. „Die Lithiumbatterien erwiesen sich als viel robuster gegen hohe Ströme beim Entladen und beim Laden als die Bleiakkus“, resümiert Köhler. „Sie passen viel besser mit den Solarpaneelen zusammen.“ Denn die volle Leistung der Module steht in der Regel nur an wenigen Stunden zur Verfügung, die Batterie muss die Energie möglichst schnell aufnehmen. Nun fährt die Solarwave mit zwei Lithium-Ionen-Batterien mit jeweils 10,5 Kilowattstunden Kapazität. Die Solarmodule und die Strings an Bord wurden mit IP-68-Steckern verkabelt, die auch Starkregen und salzige Gischt aushalten. „Damit haben wir nicht die geringsten negativen Erfahrungen“, sagt Michael Köhler. „Alles Weitere ist unter Deck verkabelt.“
Die Lithium-Polymer-Speicher kommen von der Firma ES-Technologies aus den Niederlanden. Die drei Laderegler wurden von dem Offgrid-Spezialisten Outback Power Systems geliefert. „Sie haben den enormen Vorteil, dass sich die Spannungen auf 12, 24, 36, 48 und 60 Volt einstellen lassen, auch die Ladekurve der Batterien kann man vorwählen. Das ermöglichen andere Laderegler nicht.“ Sind die Akkus voll, wird die Stromzufuhr automatisch abgeregelt, um eine Beschädigung der Batterien oder gar ein Überhitzen zu verhindern. Dank ausgefeilter Ladeelektronik mit zahlreichen Displays wird der Energiehaushalt der Solarwave kontinuierlich überwacht. „Jedes Elektron, das nicht in einen Verbraucher fließt, findet seinen Weg in die Batterien“, meint Köhler. „Nichts geht verloren.“
Nur zweimal 75 Kilogramm
Die beiden Lithium-Batteriebänke wiegen zweimal 75 Kilogramm. Da man aus einer Bleibatterie lediglich 50 Prozent entnehmen kann, ohne die Zellen zu schädigen, müsste eine Bleibatterie mit vergleichbarer nutzbarer Kapazität etwa zweimal 400 Amperestunden haben. Sie würde zweimal 900 Kilogramm wiegen.
Mit 11.000 Euro ist die Lithium-Polymer-Batterie deutlich teurer als Bleiakkus. Hochwertige Traktionsbatterien aus Blei mit 400 Amperestunden bei 48 Volt kosten rund 7.000 Euro. Diese Zahlen relativieren sich aber aufgrund der Lebensdauer, spätestens beim notwendigen Kauf der zweiten Bleibatteriebank.
Denn hochwertige Bleibatterien überstehen nur bis zu 1.200 Ladezyklen, Lithium-Polymer-Speicher hingegen 5.000. So gesehen, stehen 11.000 Euro für die Lithiumbatterie schlappe 28.000 Euro für die Batteriesätze aus Blei gegenüber. Dabei erreichen Bleibatterien nur selten die angegebenen Zyklen, sterben sie doch vorher den Hitzetod. Bei 28 Grad Celsius halbiert sich ihre Lebensdauer, bei 36 Grad Celsius erreicht sie nur noch ein Viertel. Lithium-Polymer-Batterien bleiben auch in der Hitze kalt. Sie erhitzen sich auch bei hohen Ladeströmen kaum. Beim Aufladen entsteht praktisch kein Ladeverlust. Verbrauchte 100 Amperestunden sind nach zweistündiger Einspeisung mit 50 Ampere Ladestrom wieder ausgeglichen.
Zwei E-Motoren als Antrieb
Als Antrieb der Solarwave dienen zwei Elektromotoren von Aquawatt Green Power mit jeweils zehn Kilowatt Nennleistung. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt acht Knoten. Die Geschwindigkeit wird durch den Sonnenertrag und die Größe der Batteriebank begrenzt – nicht jedoch die Reichweite. Wenn die Komponenten aufeinander abgestimmt sind, kann man mit dem Solarboot theoretisch und praktisch unbegrenzt fahren. Denn die Sonne schiebt tagsüber immer neue Energie nach.
Über Nacht entladen sich die vollen Batterien lediglich auf 95 Prozent ihrer Speicherkapazität. Mehr wird von Kühlschrank, Gefriertruhe und der dauernden Nachtbeleuchtung mit 19 LED-Spots nicht verbraucht. Bei einem Fahrtbeginn vor Sonnenaufgang ist die Energiebilanz zunächst negativ.
Ein Wort zur Energiebilanz
Durch den Antrieb und die Haushaltsgeräte wird mehr Strom verbraucht, als die Sonne über die Solarpaneele am frühen Morgen liefern kann. Der zusätzliche Strombedarf wird über die üppig dimensionierte Batteriebank bereitgestellt. Im Laufe des Tages produzieren die Solarpaneele mit zunehmender Sonneneinstrahlung mehr Strom, als an Bord verbraucht wird. Jetzt werden die Batterien gespeist, die nach wenigen Stunden wieder gefüllt sind. Selbst bei Fahrstrecken von über 50 Seemeilen am Tag erreicht die Solarwave am Abend ihren Liegeplatz mit vollen Batterien, im Gegensatz zum Dieseltank eines Motorboots.
Während der bisher zurückgelegten 8.000 Seemeilen arbeiteten alle Systeme einwandfrei. Keinerlei Wartungsarbeiten waren für die Energieversorgungstechnik und den elektrischen Antrieb erforderlich. Betriebskosten fielen auch nicht an. Ein Segelboot hätte speziell auf den Kanälen und Flüssen, später auch im Schwarzen Meer einen Großteil der Strecke mangels passenden Windes mit dem Dieselmotor zurücklegen müssen. Zur Energieversorgung des Haushaltes (Licht, Kühlung, Trinkwassererzeugung) hätte ein Dieselmotor oder Generator laufen müssen, und zum Kochen braucht man Gas. Im Zeitraum von sechs Monaten und für eine Strecke von 5.000 Kilometern wären rund 8.000 Euro für die Fahrt und Energieversorgung angefallen.
Die einzigen echten Kosten bei einem Solarantrieb sind die Batterien. Aber moderne Lithium-Polymer-Batterien kosten weniger als eine neue Segelgarnitur – halten aber beträchtlich länger. Und sie brauchen keinerlei Wartung. In Summe sind die Kosten für einen Elektroantrieb pro gefahrener Meile deutlich geringer als für einen herkömmlichen Antrieb inklusive Wartung und Verschleiß von Segeln und Motor sowie für Treibstoff und Gas.
Auf einen Blick
Auf der Solarwave sind 38 Quadratmeter Solarmodule von Sunpower verbaut. Sie leisten acht Kilowatt. Pro Tag werden rund 50 Kilowattstunden Sonnenstrom erzeugt. Zwei Lithium-Polymer-Batterien mit je 10,5 Kilowattstunden Kapazität dienen als Speicher. In der Jacht kommen Wechselrichter von Steca zum Einsatz. Die Laderegler stammen von Outback Power Systems.