Die beschauliche hessische Gemeinde Allendorf an der Eder verfügt über einen eigenen Flugplatz. Dort landen aber weder Linien- noch Charterflüge. Für die rund 5.600 Einwohner wurde der Flugplatz auch nicht gebaut, sondern als Firmenflugplatz für die Viessmann-Gruppe. Damit bleibt der Familienkonzern trotz ländlicher Lage auch international bestens angebunden.
Besuchern der Firmenzentrale fallen als Erstes die zwei großen Biogasanlagen neben der Landebahn ins Auge. Sie stehen direkt an der Viessmannstraße. Die drei Schiffscontainer großen Boxen daneben wirken erst einmal unscheinbar. Hierin befindet sich die Technik der Power-to-Gas(PtG)-Anlage. In dem längeren grauen Container steckt die Technik für die Steuerung sowie Mess- und Regeltechnik. Der kleine Container dahinter beherbergt Pumpen, die Gasanalytik und ein Temperiersystem. Ein PEM-Elektrolyseur steht etwas weiter entfernt in der dritten Box. PEM ist das Kürzel für eine Protonen-Austausch-Membran.
Umwandlung im Fermenter
In einem silbernen Druckbehälter steckt das eigentliche Geheimnis: In dem Fermenter wird eine neue Technologie der Methanisierung angewendet. Mikroorganismen nehmen den in Flüssigkeit gelösten Wasserstoff sowie das Kohlendioxid über die Zellwand auf und verdauen es zu Methan. Bei diesem Prozess bleibt nur noch Wasser übrig.
„Seit 2012 forschen wir im Labor an Mikroorganismen und haben angefangen, sie zu selektieren“, berichtet Ulrich Schmack. Er leitet als Geschäftsführer die Viessmann-Tochter Microbenergy, ein Spinn-off aus der Firma Schmack Biogas, die 2010 von Viessmann übernommen wurde. Die Biochemiker und Verfahrenstechniker seines Unternehmens entwickelten ihre Selektionsmethode weiter und errichteten nun eine halbkommerzielle Anlage in Allendorf.
Bis 400 Kilowatt steigern
Die derzeitige Anlagengröße liegt bei 200 Kilowatt elektrischer Leistung. Das entspricht einer umgewandelten Leistung von 100 Kilowatt Methangas. Diese Leistung soll aber sukzessive auf 400 Kilowatt gesteigert werden und ist schon vom Netzbetreiber genehmigt. „Mit dem bisherigen Entwicklungsprozess sind wir sehr zufrieden“, urteilt Schmack. In Schwandorf in der Oberpfalz betrieb die Firma bereits eine Testanlage, die nun nach Allendorf umgesiedelt wurde. Künftig werde es PtG-Anlagen mit zwei bis fünf Megawatt geben, Anlagen mit noch mehr Leistung eher selten, sagt Schmack.
Die Demonstrationsanlage wurde im Herbst 2014 in Schwandorf aufgebaut und lief dort bis Ende des Jahres. Ergebnis: Der Testbetrieb zeigte eine Gasqualität mit einem Methangehalt von über 98 Prozent und einem geringen Wasserstoffanteil von weniger als zwei Prozent sowie einer relativ stabilen Gasproduktion. In Schwandorf wird zudem eine Anlage mit einem Faulturm betrieben – die einen ähnlich hohen Methanwert erzeugt.
Ab ins Gasnetz
Der Elektrolyseur verfügt hier über eine Leistung von 30 Normkubikmetern Wasserstoff pro Stunde. Mikroorganismen wandelten den Wasserstoff je nach Anlage direkt im Faulturm der Kläranlage oder in einem separaten Reaktor in Methan um. Bis Jahresende soll die Anlage noch am Standort weiterlaufen.
Nach Verlegung der Anlage an den Hauptsitz von Viessmann nach Allendorf speist die Anlage seit Anfang März 2015 den vor Ort produzierten Wasserstoff, durch Mikroben methanisiert, über die vorhandene Biogaseinspeiseanlage ins Erdgasnetz ein.
Das benötigte Kohlendioxid wird entweder aus der Gasaufbereitungsanlage übernommen oder es wird das Rohbiogas mit dem darin enthaltenen Kohlendioxid direkt genutzt. In diesem Fall bereitet die PtG-Anlage auch Rohbiogas auf.
Flexibler Betrieb
Nach heutiger Schätzung werden die Kosten der biologischen Methanisierung im Jahr 2017 bei 400 Euro pro Kilowatt elektrischer Leistung liegen. Zusätzlich kommen 800 Euro pro Kilowatt für den PEM-Elektrolyseur hinzu. Insgesamt also 1.200 Euro pro Kilowatt. Eine Zwei-Megawatt-Anlage käme dann inklusive Elektrolyseur und Anbindung auf 2,4 Millionen Euro. Derzeit liegen die Kosten allerdings noch beim doppelten Wert. „Die Reduzierung der Kosten ergibt sich aus der Skalierung für eine entsprechend größere Anlage“, erklärt Schmack.
Seit 2012 forscht die Firma intensiv an und mit Mikroorganismen, denn die kleinen Helfer haben einige Vorteile aufzuweisen. Sie sind vor allem flexibler als Katalysatoren, die in einem chemisch-katalytischen Verfahren arbeiten. Ein schnelles Rauf- und Runterfahren der Methanproduktion in Sekunden oder wenigen Minuten wäre mit herkömmlichen Katalysatoren nicht möglich.
Stoffwechsel abgesenkt
Der Umwandlungsprozess von Wasserstoff zu Methan kann mit Mikroorganismen bei der normalen Betriebstemperatur von 50 bis 60 Grad Celsius schnell anlaufen oder abgeschaltet werden. Die Mikroben senken ihren Stoffwechsel dann bis auf ein Minimum herab. Die vergleichsweise geringen Temperaturen und Drücke machen diesen Weg der Methanisierung wirtschaftlich interessant.
Genau das braucht die PtG-Technologie, wenn sie ein Partner für die fluktuierende Stromerzeugung aus Sonne und Wind sein will. Der Stadtwerkeverbund Thüga schätzt, dass der entsprechende Speicherbedarf bereits 2020 bei rund 17 Terawattstunden und 2050 bei 50 Terawattstunden liegt.
Durch die Nutzung vorhandener Biogas- und Klärgasanlagen können die Investitionskosten für PtG-Anlagen gesenkt werden, da sowohl Transformatoren als auch die Strom- und Gasnetzanschlüsse zum Teil bereits vorhanden sind.
Methangehalt verdoppelt
Zwei weitere Vorzüge des Verfahrens: Der Reaktionsprozess braucht nur Sekunden, und das gewonnene Methan ist relativ rein. Bei herkömmlichen Verfahren wird das Kohlendioxid aus der Biogasproduktion gewaschen. Zukünftig wird dem Biogas oder Klärgas Wasserstoff hinzugesetzt, und durch die Arbeit der Mikroorganismen wird der Kohlendioxidanteil im Biogas beziehungsweise Klärgas zu Methan umgewandelt. So entsteht ein einspeisefähiges Synthesegas. Der Methangehalt wird dadurch von gut 50 auf 95 bis 100 Prozent nahezu verdoppelt.
Der Wirkungsgrad der Anlage liegt bei 52 bis 54 Prozent, weiß Schmack. „Allerdings wird die Abwärme bei dem Umwandlungsprozess genutzt, sodass der gesamte Wirkungsgrad zwischen 75 und 80 Prozent liegt.“
Wirkungsgrad gesteigert
Besonders für Kläranlagen sei das wichtig, weil mit der Abwärme aus dem Elektrolyseur der Faulturm der Kläranlage beheizt und folglich Energie gespart wird. Ein weiterer Vorteil der Technik: Da die Temperatur der Abwärme mit 65 bis 70 Grad Celsius um rund 20 Grad Celsius höher liegt als bei herkömmlichen PEM-Elektrolyseuren, kann der Gesamtwirkungsgrad der Anlage gesteigert werden.
Bei der PEM-Elektrolyse gibt es allerdings noch einiges an Forschungsarbeit zu verrichten. „Sowohl die Leistungsdichte als auch die flexible Reaktion müssen weiter erhöht werden“, sagt Schmack. Das sei wichtig, um mit den Anlagen den Regelenergiemarkt zu bedienen. Bei der Erbringung dieser Systemleistung für das Stromnetz verdienen Energiespeicher bereits Geld.
Rahmenbedingungen ändern
„Damit sich die Umwandlung von Strom in Methangas wirtschaftlich trägt, müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen“, erörtert Schmack. Es müsse Überschussstrom aus erneuerbaren Energien verwendet werden, der bestenfalls umsonst zu haben sei.
„Heute müssen wir auf den eingesetzten Strom, der ansonsten ja abgeregelt würde, auch noch die EEG-Umlage bezahlen“, erklärt Schmack und ergänzt: „Das ist nicht hinnehmbar.“
Biogas- und Klärgasanlagen können dann zukünftig flexibel Strom liefern. Bei Überschussstrom im Netz ist es sinnvoll, Bio- oder Klärgas einzusparen und im Erdgasnetz zwischenzulagern. Das gesamte System würde dadurch flexibler, wenn neben einer Biogas- oder Klärgasanlage eine PtG-Anlage stünde – ähnlich wie heute ein BHKW installiert wird.
Bei Überschussstrom nutzt die PtG-Anlage den Strom, um durch Elektrolyse Wasserstoff zu erzeugen und mit diesem das Bio- oder Klärgas auf Erdgasqualität aufzubereiten und ins Gasnetz einzuspeisen.
Hier zeigt sich auch die zunehmende Verzahnung von Strom- und Gassektor. Dafür müssten einige zusätzliche Investitionen getätigt werden, weiß Schmack. „Auf der anderen Seite entfällt der Prozess der Gasaufbereitung durch unser Verfahren.“
Förderung aus Bayern
Das bayerische Wirtschaftsministerium förderte das Projekt Mikrobielle Methanisierung mit rund 500.000 Euro. Das Gros der Entwicklungskosten trug Viessmann selbst. Zu den genauen Kosten macht das Unternehmen keine Angaben. Ebenso wenig veröffentlicht das Familienunternehmen Ergebnisse für einzelne Sparten.
In einem flexiblen Strommarkt kommt nach Meinung des Fachverbandes Biogas dem flexiblen Energieträger Biogas eine ganz besondere Rolle zu, denn Biogas ist speicherbar und kann jederzeit die Lücke schließen, die sich bei der fluktuierenden Energie aus Sonne und Wind ganz natürlich ergibt.
1,2 Gigawatt flexible Leistung
Schon heute sind rund 2.200 der etwa 8.000 Biogasanlagen für den flexiblen Anlagenbetrieb bei der Bundesnetzagentur gemeldet. Damit stehen aus Biogas 1,2 Gigawatt flexible elektrische Kraftwerksleistung bereit.
Insgesamt erzeugen alle Biogasanlagen 27,6 Terawattstunden elektrische Energie. Das entspricht rund fünf Prozent des deutschen Jahresverbrauchs.
„Die Methanisierung ist allerdings der letzte Schritt in einer Kette“, erklärt Schmack und ergänzt: „Vorher steht die direkte Nutzung von Wasserstoff und auch Power to Heat auf dem Plan.“ Das Erdgasnetz sei ein „schier endlos großer Speicher“, mehr als 200 Terawattstunden Gas könne er aufnehmen.
Überall dort, wo Wasserstoff direkt eingesetzt werden kann, sollte das auch passieren. Beispielsweise für Brennstoffzellenautos.
Wasserstoff kann allerdings nur begrenzt ins Erdgasnetz eingespeist werden. Die gesetzliche Vorgabe legt die Einspeisegrenze je nach Standort meist bei weniger als fünf Prozent fest.
Anfragen aus aller Welt
Das Thema Power to Gas ist aber nicht nur in Deutschland en vogue. Auch in Skandinavien und im US-Bundesstaat Kalifornien wächst ein interessanter Markt. Anfragen für konkrete Projektentwicklungen liegen bereits bei Ulrich Schmack auf dem Tisch.
OTTI-Fachforum
Biologische Methanisierung
Das Fachforum Biologische Methanisierung tagt am 11. November 2015 in Regensburg. Fachlicher Leiter des Forums ist „Mister Power to Gas“ persönlich. Denn Professor Michael Sterner von der Technischen Hochschule Regensburg entwickelte die Technologie vor mehr als fünf Jahren entscheidend mit und stellte sie damals dem Audi-Konzern vor. Neben wissenschaftlichen Grundlagen stehen Pilotprojekte auf dem Programm. Darunter auch die Anlage in Schwandorf von Microbenergy. Veranstalter ist das Ostbayerische Technologie-Transfer-Institut (OTTI).
Viessmann
Übernahme von Schmack Biogas
Bereits 2010 übernahm der Heiztechnikhersteller Viessmann das Unternehmen Schmack Biogas inklusive aller Tochtergesellschaften. Ulrich Schmack gründete die Firma Schmack in Schwandorf in der Oberpfalz 1995.
Das Unternehmen verkauft Biogasanlagen. Die Palette umfasst Kompaktanlagen mit einer Leistung von 50 Kilowatt bis hin zu 20 Megawatt. Das 1917 gegründete Familienunternehmen beschäftigt 11.500 Mitarbeiter. Der Gruppenumsatz betrug 2,1 Millionen Euro im Jahr 2013. 55 Prozent wurden im Ausland verdient.