Die graue Stadt am Meer an der nordfriesischen Nordseeküste zeigt sich von ihrer besten Seite. Am 20. März, dem Eröffnungstag der New Energy in Husum, strahlt die Sonne, der Wind weht nur mild. Die regionale Messe beherbergt traditionell auch die internationale Kleinwindbranche. Auf dem sechsten „World Summit for Small Wind“ sprechen Referenten aus zwölf verschiedenen Ländern. Im Fokus stehen die Kleinwindmärkte in Polen, Italien, Großbritannien sowie Dänemark. Zudem berichten Referenten über den chinesischen und indischen Markt in Fernost. Rund 60 Leute sitzen in dem voll besetzten Seminarraum.
Auf der Messe selbst zeigt Kleinwindradbauer Lely Aircon mit Sitz im ostfriesischen Leer erneut seine im vergangenen Jahr erstmals vorgestellte 30-Kilowatt-Anlage. Bereits 20 Bestellungen hat die Firma für die große Kleinwindanlage erhalten, sagt ein Vertriebsmitarbeiter. Immerhin kostet die Anlage auf dem höchsten Mast mit 42 Metern Länge rund 150.000 Euro, hinzu kommen gut 20.000 Euro für die Installation und Inbetriebnahme. Also kein Pappenstiel, das rechnet sich nur bei einem Industriekunden mit hohem Energiebedarf. Eine dieser 30-Kilowatt-Anlagen soll bald eine alte Vestas-Windanlage mit 25 Kilowatt Leistung im Surfer- und Badedomizil St. Peter-Ording ablösen. Sie stammt noch aus der Anfangszeit der „großen“ Windkraft und wird heute einfach durch die kleine Windkraft ersetzt.
Rotor fürs Binnenland
Hersteller Easywind stellt auf der Messe ein längeres Rotorblatt für einen Binnenlandstandort aus. 3,40 Meter statt 3,10 Meter misst das neue Rotorblatt. Auch der erst entwickelte Mammutfuß ist zu sehen. Heißt: Die Anlage wird ohne Betonfundament aufgestellt. Rund einen halben Meter tief wird der Stahlfuß eingegraben und die Erde darüber festgestampft. Die Fertigung des Herstellers in Enge-Sande ist derzeit für eine Anlage pro Woche ausgelegt. Allerdings wurde die Produktion der Kunststoffteile wie Rotorblätter und Hauben nun integriert. Easywind kauft die Teile also nicht mehr bei einem Hersteller ein, sondern fertigt sie selbst. Und das ist gut. Denn der deutsche Markt wächst langsam, aber stetig.
Die Firma Wind-2-Measure aus Polen präsentiert sich ebenfalls. Sie verkauft Windmessgeräte. Deutschland ist derzeit ihr wichtigster Kernmarkt. Rund 100 Messgeräte hat die Firma im vergangenen Jahr nach Deutschland verkauft, mehr als nach England – bisher Leitmarkt der europäischen Kleinwindbranche. Allerdings wird sich bald auch auf dem polnischen Markt mehr tun.
Polen zahlt ab 2016 Vergütung
Denn das polnische Parlament hat mit einer knappen Mehrheit Anfang April 2015 ein neues Einspeisegesetz für Ökostromanlagen verabschiedet. Demnach werden insbesondere kleine Anlagen bis zehn Kilowatt Leistung gefördert, was somit auch für Kleinwindanlagen gilt. Ein neues Nachweisverfahren für Ökostrom soll diesen ab 2016 im Nachbarland günstiger machen. Kohlestrom stellt in Polen 90 Prozent im Strommix, Solarenergie spielt dagegen mit 0,2 Prozent bis dato keine Rolle. Das Ziel der Ökostrominitiative: Der Grünstromanteil soll bis 2020 auf 15,5 Prozent klettern – fraglos eine ambitionierte Vorgabe.
Zumal vor allem kleine Erzeuger gefördert werden: Anlagen bis drei Kilowatt erhalten dann für eine Kilowattstunde umgerechnet 18 Eurocent (0,75 Zoty) und ab drei und bis zehn Kilowatt zwischen zehn und 17 Cent. Erzeuger, die diese neue Förderung erhalten, könnten bis 2035 15 Jahre lang von den festen Tarifen profitieren.
33 Cent gibts in Dänemark
Ein nach wie vor wichtiger Absatzmarkt für Kleinwindanlagen ist Dänemark. Nach etwas Hin und Her reparierten die Skandinavier ihre Einspeisevergütung. Der Tarif für Anlagen bis zehn Kilowatt Leistung liegt bei 33 Cent pro Kilowattstunde. Immerhin noch 20 Cent erhalten Anlagen bis 25 Kilowatt. Eine durchaus attraktive Vergütung im Vergleich zu anderen Ländern.
Deutschland hatte nie vergleichbare Einspeisetarife und Fördersysteme für Kleinwindkraftanlagen wie die USA und Großbritannien. Hierzulande gibt es neun Cent pro Kilowattstunde, analog zur großen Windkraft. Deshalb entwickelt sich der Markt nur langsam, aber dafür kontinuierlich: Deutschland zählte Ende 2013 rund 14.500 installierte Kleinwindanlagen mit einer Leistung von rund 22 Megawatt.
Nach Stefan Gsänger, Generalsekretär des globalen Windenergieverbands WWEA, haben vor allem bürokratische Hürden beim Bau ein stärkeres Wachstum verhindert. Gsänger weiß, wo künftig die Musik spielt: „Ein Markt mit Zukunft liegt in netzfernen Systemen.“ Und damit sind gerade auch Märkte außerhalb Deutschlands gemeint. Länder, die ein weniger stabiles und zuverlässiges Stromnetz haben – oder hohe Strompreise.
900.000 Kleinwindräder
Der WWEA legte beim Branchengipfel den neuen Kleinwindreport vor. Der Verband zählt weltweit insgesamt 900.000 Windturbinen. Die Anlagen haben eine Leistung von unter 100 Kilowatt, so definiert der Verband die Grenze zur Großwindkraft. Die Zahl der installierten Anlagen erhöhte sich um rund acht Prozent zum Vorjahr, die installierte Leistung stieg sogar um 15 Prozent. Demnach lag die gesamte Kapazität Ende 2013 bei rund 740 Megawatt. Das entspricht immerhin der Leistung eines mittleren Kohle- oder Atommeilers.
Dabei haben die meisten Anlagen horizontale Rotorachsen. Vertikaldreher sind nach wie vor ein Nischenprodukt. Der Nachteil der Vertikaldreher liegt im Aufbau: weil immer ein Flügel angetrieben und gleichzeitig ein zurückdrehender Flügel vom Wind gebremst wird. Ihr Wirkungsgrad ist somit stets geringer als bei einer Anlage mit horizontaler Achse. Das heißt allerdings nicht, dass es künftig keine geeigneten Anwendungen für Vertikaldreher geben kann. Ähnlich wie bei der Dünnschichtphotovoltaik sind sinnvolle Einsatzmöglichkeiten denkbar, trotz geringerer Wirkungsgrade. Es ist allerdings festzuhalten, dass viele Hersteller von vertikalen Anlagen in den vergangenen Jahren auch wieder vom Markt verschwanden.
Die größten Märkte für kleine Windgeneratoren sind China, die USA und Großbritannien. Die drei Länder vereinen 97 Prozent aller installierten Kleinwindanlagen weltweit auf sich. Das Reich der Mitte ist dabei der mit Abstand größte Markt. Der WWEA geht für das Jahr 2013 von rund 55.000 neuen Kleinwindrädern aus. Rund 72 Prozent aller Anlagen stehen dort – also drei von vier Anlagen, die weltweit errichtet wurden.
Ab auf die Insel
Die Produktionskapazität für kleine Windanlagen ist in China mit 180.000 Stück pro Jahr am größten. Die Märkte in den USA und Großbritannien sind klar geschrumpft. Den stärksten Einbruch gab es im Vereinigten Königreich. Der Grund liegt auf der Hand: Der Einspeisetarif wurde weiter abgesenkt.
Dennoch ist Großbritannien ein Kernland. „Viele neue Hersteller drängen in den Markt“, erzählt Brett Pingree. Der US-Amerikaner ist Vertriebsleiter bei der kanadischen Firma Endurance Wind Power. Er selbst verkauft seit 14 Jahren Kleinwindanlagen. „Ein hartes Geschäft“, wie er betont. Gerade erst sei der italienische Hersteller ESP auf der Insel eingestiegen, Endurance selbst besitzt dort eine von zwei Fertigungen, die andere steht in Kanada.
Den Markt aufwecken
Die feste Vergütung über 20 Jahre in England schafft Planungssicherheit für Käufer und Hersteller. „Das ist hilfreich, um den Markt zu entwickeln“, sagt Pingree. Derzeit zahlt der britische Staat eine Einspeisevergütung von 20,7 Cent pro Kilowattstunde. Das gilt allgemein für Anlagen mit weniger als 100 Kilowatt Leistung. Wie bei der EEG-Einspeisevergütung in Deutschland wird der Tarif aber regelmäßig abgesenkt. „Letztendlich sollen sich die Anlagen auch ohne garantierte Vergütung lohnen“, erklärt Pingree das Ziel. Auch Deutschland habe deshalb gute Voraussetzungen, einen Kleinwindmarkt zu entwickeln, führt der Manager aus: Der Strompreis für Haushalte sei relativ hoch und es gebe genug Wind, gerade an der Küste. Auch wenn bislang die politische Unterstützung fehle.
Das Gesetz lautet nach Pingree: „Sobald die Netzparität von Stromerzeugungskosten und dem Tarif des Versorgers erreicht ist, erwacht jeder Markt zum Leben.“
Alphacon
Pleite mit Vertikalflüglern
Die Insolvenz des Kleinwindanlagenbauers Alphacon ist eine harte Lektion für Käufer, die vergebens auf Erstattung ihres Geldes warten. Kein Einzelfall im Kleinwindmarkt. Technisch fragwürdige Modelle werden als innovative Hauswindkraftwerke angepriesen. Alphacon stellte bereits im Dezember 2014 einen Insolvenzantrag. Die Firma aus dem sächsischen Falkenstein baut eine sogenannte Mantelturbine.
Das Kennzeichen der kleinen Windanlage mit horizontaler Achse ist ein den Rotor umfassender Mantel oder Ring. Die Alphacon-Anlagen wurden in einer Doppelausführung mit zwei Rotoren nebeneinander installiert. „Weltweit gab es diverse Anstrengungen, Mantelturbinen in den Markt einzuführen, alle Versuche sind bislang gescheitert“, erklärt Experte Patrick Jüttemann. Er betreibt das Portal Klein-windkraftanlagen.com. Jütemann wertet das als Zeichen, dass dieser Konstruktionstyp technisch fragwürdig ist. Als Verkaufsargument verwenden Hersteller unter anderem, dass durch den Mantel Vögel geschützt würden und die Anlage leiser sei. Ferner werden positive aerodynamische Effekte suggeriert, da der Wind kanalisiert werde.
Anfang März berichtete die Regionalpresse, dass Käufer aufgrund mangelhafter Leistung der Kleinwindräder das Geld zurückforderten. „Auf einem Flyer zum Alphacon-Kleinwindrad findet man typische Marketinghülsen, die fachlich nicht haltbar sind“, sagt Jüttemann. Beispielsweise werde angegeben, dass die „Energiekosten sofort deutlich verringert“ werden. Das würde dann zutreffen, wenn die Kosten des eigenen Windstroms geringer als der Strompreis des Verbrauchers sind.
„Hier werden private Hausbesitzer auf eine falsche Fährte gelockt“, sagt der Kleinwindexperte. Eine Verringerung der Energiekosten oder Rendite mittels einer Kleinwindenergieanlage werde für Gewerbebetriebe mit hohem Stromverbrauch und einer entsprechend hohen Anlagenleistung ab fünf Kilowatt möglich, sofern es sich um eine windstarke Lage handelt. Unter günstigen Standortbedingungen könne ein Einfamilienhaus durchaus sinnvoll eine Kleinwindkraftanlage zur Stromversorgung integrieren, aber die Energiekosten können definitiv nicht deutlich verringert werden, weiß Jüttemann.
Im Prospekt wird zudem eine „wesentlich höhere Energieausbeute als vergleichbare Windkraftanlagen bedingt durch die Düsenform“ angeführt, erzählt Jüttemann. Aber Angaben in Form einer Leistungskurve und Daten vergleichbarer Windkraftanlagen fehlen. Die wirklich wichtigen Informationen werden im Flyer nicht genannt, kritisiert er. Wie viel Strom produziert die Anlage bei für Wohngebietsstandorten realistischen Windbedingungen? Schließlich wurde die Anlage an Besitzer von Einfamilienhäusern verkauft.
Gegenüber bestimmten Vertriebspraktiken sollte der Verbraucher ein gesundes Misstrauen haben, sagt Jüttemann. „Skepsis ist bei Superlativen, Marketinghülsen und pauschalen Versprechungen angebracht.“ Bei Kleinwindprojekten sei der wichtigste Erfolgsfaktor eine windstarke Lage.