Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat in einer aktuellen Studie festgestellt, dass der Netzausbaubedarf zum Gelingen der Energiewende geringer ist als bisher angenommen. Der Um- und Ausbau der Stromnetze in Deutschland wird oft als „Nadelöhr“ der Energiewende bezeichnet. „Ein gewisser Umbau ist zwar für den steigenden Anteil der erneuerbaren Energien notwendig“, erklärt Christian von Hirschhausen, Forschungsdirektor beim DIW. „Methodische Mängel bei der Erstellung des Netzentwicklungsplans führen jedoch zu einer Überschätzung des Ausbaubedarfs.“ Von Hirschausen spricht aus explizit nicht vom Netzausbau, sondern vom Netzumbau. Der schreitet langsam, aber kontinuierlich voran und kostet laut DIW auf Höchstpannungsebene etwa 20 Milliarden Euro. „Im Verteilungsnetz kommt dann noch mal etwa die selbe Menge dazu, das sind relativ überschaubare Beträge“, sagt von Hirschhausen. Auf absehbare Zeit sind keine Engpässe in der Stromversorgung zu befürchten, so das zentrale Ergebnis der Studie.
Engpässe gering
Tatsächliche Engpässe betreffen nur einen geringen Teil von weniger als einem Prozent des gesamten Stromverbrauchs. „Die kommen vor allem durch die Rekonfiguration durch den Atomausstieg zustande“, erklärt von Hischhausen. Die können die Netzbetreiber aber mit regulären Eingriffen in ihre Netze jederzeit kontrollieren. Außerdem sollten die Übertragungsnetzbetreiber besser koordinieren. Damit können sie die Kosten des Engpassmanagements drastisch reduzieren.
Netzentwicklungsplan setzt an der falschen Stelle an
Das DIW kritisiert auch das Vorgehen bei der langfristigen Planung des Netzbedarfs. „Bisher werden zunächst Annahmen über die Standorte und den Einsatz fossiler Kraftwerke getroffen; erst danach werden die erforderlichen Netzkapazitäten bestimmt. Stattdessen sollten in Zukunft Netz- und Erzeugungsplanung gemeinsam betrachtet werden“, erklären die Autoren der Studie. „Auch überrascht, dass die Einspeisepunkte von zwei der in nächster Zukunft geplanten Stromautobahnen ausgerechnet an traditionellen Standorten der Kohlewirtschaft beginnen, nämlich im rheinischen beziehungsweise dem mitteldeutschen Braunkohlerevier“, ergänzt von Hirschhausen. „Es ist zu befürchten, dass dadurch Anreize entstehen, die Kohleverstromung auch künftig auf einem hohen Niveau zu halten. Dies könnte die Ziele der Energiewende untergraben.“ Statt dessen sollte man eine stärkere dezentrale Entwicklung erneuerbarer Stromerzeuger und eine größere Bedeutung von Lastmanagement und Speichern berücksichtigen. Die tatsächlich notwendigen Umbaumaßnahmen dürften sich auf diese Weise verringern lassen.
Technische Alternativen einsetzen
Zudem sollte das Netz nicht auf die letzte einzuspeisende Kilowattstunde ausgelegt werden, stellt das DIW fest. Im Falle von starker Einspeisung durch Solar- oder Windkraftanlagen sei die Abregelung von konventionellen Kraftwerken oder gewisser Erzeugungsspitzen erneuerbarer Energien effizienter als die Bereitstellung entsprechender Leitungskapazitäten. Das DIW mahnt den konsequenten und flächendeckenden Einsatz technischer Alternativen wie Hochtemperaturseile und Leiterseilmonitoring an. (Sven Ullrich)