Zahlen können einen leicht in falscher Sicherheit wiegen. Dabei muss man wissen, wie man sie zu bewerten hat. Physikstudenten bekommen deshalb bereits im ersten Semester eingetrichtert: „Kein Messwert ohne Angabe der Unsicherheit!“ In Ertragsberechnungen gehen mehr als ein Dutzend Größen ein, von denen viele nur mit einer Unsicherheit von einigen Prozent bekannt sind. Das kann unter Umständen Wirtschaftlichkeitsberechnungen obsolet machen. Die Frage ist deshalb, wie groß die Unsicherheit am Ende ist, wenn der Computer einen Ertrag für die kommenden 20 Jahre schwarz auf weiß ausgedruckt hat.
Ertragsprognosen für netzgekoppelte Photovoltaikanlagen basieren auf Ortsangaben und Anlagenbeschreibungen, benötigen verschiedene Eingangsdaten und nutzen das Wissen der Bearbeiter, das sich idealerweise mit Erfahrungen aus Anlagenbetrieb und -vermessung ergänzt. Die schließlich verwendeten Rechenmodelle liefern Ergebnisse mit einer gewissen Genauigkeit oder Sicherheit. Dass diese Genauigkeit Grenzen hat, liegt dabei nicht an den Programmierern.
Denn die wichtigste Größe bei der Prognose des Ertrags einer Photovoltaikanlage ist die Jahressumme der am Standort zu erwartenden solaren Einstrahlung. Es wird also zuerst eine möglichst genaue ortsspezifische Einstrahlungssumme benötigt, die auf langjährigen Beobachtungen basiert, das heißt über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren ermittelt wurde.
In der Praxis nutzbare Datensammlungen basieren zum Teil auf aufgezeichneten Monats- und Jahressummen zahlreicher Messstationen, zwischen deren Standorten räumlich interpoliert wird. Alle neueren Verfahren, die Einstrahlungsdaten mit gutem Ortsbezug und gleichzeitig als „langjährig gültig“ bereitstellen, kombinieren Fernerkundungsdaten von Wettersatelliten mit Bodenmesswerten. Dabei wird die räumliche Auflösung der Satellitenbilder, die auch kleinräumige Unterschiede wiedergibt, mit der höheren Genauigkeit der Bodendaten kombiniert.
Schon die Auswahl der Datenquelle hat Einfluss auf das Prognoseergebnis (siehe Grafik „Unsicherheit der Meteodaten“, Seite 88). Für einzelne der betrachteten Orte zeigen sich Unterschiede von mehr als zehn Prozent, im Durchschnitt variieren die Angaben der sechs Quellen um plus/minus drei Prozent um den jeweiligen Mittelwert. Natürlich wirken sich diese Unterschiede direkt auf das Ergebnis einer Ertragsprognose aus. Die Verwendung mehrerer Quellen kann das Risiko einer Fehleinschätzung allerdings deutlich verringern.
Unbekanntere Unsicherheiten
Die Unsicherheit der Einstrahlungssumme ist vielen Nutzern von Programmen wie PV*SOL oder PVSYST vermutlich bewusst. Andere Eigenschaften der Einstrahlungsdaten, aber auch manche Parameter der Komponentenmodelle haben jedoch einen fast vergleichbar großen Einfluss, und das ist unserer Erfahrung nach nicht immer bekannt. Um von der Jahressumme der Einstrahlung am Anlagenstandort auf einen Prognosewert für die gelieferte Energie am Einspeisezähler zu schließen, benötigt man noch zahlreiche Rechenschritte:
Mit brauchbarer Genauigkeit können alle Modelle erst arbeiten, wenn die Programme den Ertrag eines Jahres in Stundenschritten berechnen. Nur so können sie die jahreszeitliche und tageszeitliche Variation von Sonnenstand und Einstrahlung und alle damit zusammenhängenden Effekte berücksichtigen. Satellitenbasierte Datenquellen liefern meist bereits Zeitreihen in 30- oder 15-Minuten-Schritten. Bei anderen Quellen für die Strahlungsdaten, die nur Monatssummen enthalten, können mit statistischen Methoden Stundenwerte synthetisiert werden, deren Eigenschaften dem natürlichen Einstrahlungsgeschehen sehr nahe kommen – so geht zum Beispiel Meteonorm vor.
Der direkte und der diffuse Anteil der Einstrahlung auf die geneigte oder nachgeführte Fläche des Photovoltaikgenerators werden mit einem Himmelsmodell berechnet. Beide Anteile hängen vom Sonnenstand und der Modulausrichtung ab. Die Summe beider Komponenten ergibt die Globalstrahlung auf die Moduloberfläche.
An dieser Stelle werden auch Teilverschattungen der Modulfläche berücksichtigt, oft unterschieden nach Reihenschatten, Verschattung durch nahe Objekte wie Kamine und Gebäudeteile und Verschattung durch einen hohen Horizont.
Die Reflexionsverluste bei nicht-senkrechtem Strahlungseinfall werden getrennt für den diffusen und den direkten Strahlungsanteil berechnet. Verluste durch Verschmutzung werden abgeschätzt, hier gehen zum Beispiel Angaben über die Umgebung und Niederschlagsmengen sowie die Modulneigung ein.
Gebräuchliche Programme verwenden entweder Kennlinien- oder Wirkungsgradmodelle, um den Ertrag eines im Punkt maximaler Leistung (MPP) arbeitenden Solargenerators zu bestimmen. Die Abhängigkeit des Modulwirkungsgrads von der Einstrahlung und der Zelltemperatur wird von beiden Modellklassen nachgebildet, bei der Modultemperatur wird eine einstrahlungsbedingte Temperaturerhöhung berücksichtigt.
Annahmen zu Verschaltungsverlusten basieren auf der Einzelvermessung vieler Solarmodule, aus der die Streuung der elektrischen Parameter abgeschätzt werden kann. Die in Leitungen und Klemmen auftretenden ohmschen Verluste können aus den Kabellängen und -querschnitten abgeleitet werden.
Die Wirkungsgradangaben für den eingesetzten Wechselrichter werden den Hersteller-Datenblättern entnommen. Oft ist der Wirkungsgrad allerdings nur für zu wenige Leistungswerte angegeben, eine Abhängigkeit von der Betriebstemperatur oder vom Eingangsspannungspegel kann nur selten nachgebildet werden.
Die genaue Abfolge und die Detaillierung dieser Rechenschritte hängt oft weitgehend vom verwendeten Programm und nur zum Teil vom Hintergrundwissen der Bearbeiter ab. Verschiedene Tests und Untersuchungen zeigen, dass die meisten eingesetzten Rechenmodelle gut geeignet und auch ausgereift sind. Sind zum Beispiel die Eigenschaften eines Moduls genau bekannt, sagt ein Modell dessen Ertrag für alle Betriebs bedingungen eines Jahres mit hoher Genauigkeit voraus.
Unsicherheit Diffuslicht
Jedoch treten in den Prognosen Unsicherheiten auf, deren Ursachen selten in den Modellen, sondern in deren Eingangsgrößen liegen. Die beiden wichtigsten Unsicherheiten (nach jener der Einstrahlungssumme) entstehen bei der Umrechung der Einstrahlung auf Modulebene und bei der Nachbildung des Schwachlichtverhaltens der Module. Warum ist das so?
Um die Einstrahlung auf Modulebene zu berechnen, ist das Himmelsmodell selbst noch eine Herausforderung. An einem leicht bewölkten Tag kann der Himmel sehr große Helligkeitsunterschiede aufweisen, und die Richtungen, aus denen viel Einstrahlung auf die Module fällt, ändern sich laufend. Solche Situationen und die damit verbundene unterschiedliche Nutzbarkeit der Einstrahlungsanteile kann ein Modell nicht nachbilden. Es „weiß“ nämlich nur, welcher Anteil der Einstrahlung direkt von der Sonne kommt und welcher aus dem gesamten Rest des Himmels. Die Richtung, aus der dieses Diffuslicht kommt, ist nicht bekannt. Die verschiedenen vorhandenen Modelle arbeiten je nach Klimazone und Wetterlage jeweils unterschiedlich gut. Das eine perfekte Modell zur Beschreibung des Himmels kann es kaum geben, wenn nur die zwei Eingangsgrößen Direktstrahlung und Diffuslicht zur Verfügung stehen.
Ein gutes Modell hilft auch nicht über eine weitere Abhängigkeit von den Einstrahlungsdaten hinweg – die verschiedenen Quellen geben den Anteil der diffusen (Himmels-)Einstrahlung und deren tages- und jahreszeitliche Verteilung verschieden an. Der Diffusanteil ist mitbestimmend für den Gewinn durch Modulneigung, die Grafik „Unsicherheit durch Diffuslichtanteil“ zeigt das für dieselben sechs Datenquellen. Mit einem einzigen Modell gerechnet, variiert der Zugewinn für 30 Grad Neigung um gut einen Prozentpunkt.
Unsicherheit Modulparameter
Was die Nachbildung des Schwachlichtverhaltens angeht, ist das Modell nicht das Problem. Die Abhängigkeit des Modulwirkungsgrads vom Einstrahlungsniveau lässt sich nahezu perfekt nachbilden – wenn man sie denn kennt. Selbst ein einfaches Modell benötigt dazu drei Parameter. Stark vereinfacht stehen die drei Werte für den Zell-Wirkungsgrad und zwei interne Verlustmecha nismen, den seriellen und den parallelen Widerstand der einzelnen Solarzellen. Zum Glück benennen normkonforme Datenblätter auch die Wirkungsgrade für die drei notwendigen Arbeitspunkte. Der Wert bei einer Einstrahlung von 1.000 Watt pro Quadratmeter bei 25 Grad Zelltemperatur ist durch die Standardtestbedingungen festgelegt. Der Wert bei einer Einstrahlung von 800 Watt pro Quadratmeter bei etwa 45 Grad steht im Datenblatt unter dem englischen Ausdruck Nominal Operating Cell Temperature (NOCT). Der Wert für eine Einstrahlung von 200 Watt pro Quadratmeter bei 25 Grad macht eine Aussage zum Schwachlichtverhalten. Mit etwas Mathematik lassen sich die drei Modellparameter aus den drei Angaben ermitteln, das Problem ist dabei die Genauigkeit.
Oft wird der Wert bei 200 Watt pro Quadratmeter gar nicht oder nur ungenau angegeben. Was eine Änderung von zwei Prozent bewirkt, zeigt die Grafik: Allein die eingeschränkte Genauigkeit der Herstellerangaben kann die Modellergebnisse merklich beeinflussen. Der berechnete Jahresertrag ändert sich damit, je nach Anlage und Standort, um 0,5 bis zwei Prozent. Dieser Fehler lässt sich nur weitgehend reduzieren, wenn man die Leistungsabhängigkeit eines Moduls an mehr Punkten bestimmt (siehe Grafik „Schwachlichtverhalten gemessen“). Das ist allerdings ein sehr hoher Aufwand. Es fällt also nicht leicht, ein Modul korrekt zu simulieren, selbst wenn man seine Modelle kennt und die drei Modellparameter neuer Module selbst ermitteln kann. Bei den Modulparametern, die für eine Vielzahl von Modulen mit den gängigen Programmen mitgeliefert werden, stellt sich noch mehr die Frage der Verlässlichkeit. Wo kommen die Angaben her, wer hat die Parameter bestimmt, und wie werden die Ergebnisse überprüft?
Die hier beschriebenen wichtigsten Unsicherheiten sind weitgehend unabhängig von den verwendeten Rechenprogrammen und Simulationsverfahren. Nutzer von PV*SOL, PVSYST und vergleichbaren Programmen sind – auch wenn sie es vielleicht nicht ahnen – ebenso betroffen wie die Arbeitsgruppe des Autors, die mit eigenen Programmen und großem Hintergrundwissen aus der Vermessung von Modulen und Anlagen arbeitet. Wirklich helfen können nur Erfahrung und der stetige Vergleich mit realen Ergebnissen aus dem Betrieb von Photovoltaikanlagen. In Deutschland kann die Gesamt-Unsicherheit (einschließlich jener der Einstrahlungssumme) für Anlagen mit bekannter und gut verstandener Technik auf Werte um die fünf Prozent gedrückt werden. Bei neuartigen Komponenten, wozu auch noch fast alle Dünnschichtmodule zählen, ist die Unsicherheit stets größer, ebenso in Ländern, bei denen die Einstrahlungsdaten nicht durch ein umfangreiches Netz von Stationsmesswerten abgeglichen sind.
Jetzt könnte man auf die Idee kommen, von den Ertragsprognosen die fünf Prozent Unsicherheit einfach abzuziehen. Doch selbst damit kommt man nicht weiter. Die Unsicherheit beschreibt eine Standardabweichung. Das bedeutet, die Prognose ist der Mittelwert, und zieht man davon fünf Prozent ab, liegen statistisch – nimmt man eine sogenannte Normalverteilung an – immer noch knapp 16 Prozent aller tatsächlichen Ergebnisse darunter. Insofern bleibt auch dem Installateur nur, Erfahrungen mit den von ihm bereits gebauten Anlagen zu sammeln und daraus zu lernen, bei welchen Komponenten er in welcher Region eine gute Übereinstimmung der Berechnung mit den Ergebnissen hat.