Wer nicht täglich oder zumindest regelmäßig Solaranlagen plant, tut sich unter Umständen schwer mit einem Softwareprogramm. Umso besser, wenn es dann viele Kontext-Menüs gibt und die Hotline für Fragen erreichbar ist.
Ein Profi und Branchenkenner ist Oliver Lang, aber kein routinierter Anlagenplaner. Dennoch konnte er für einen Kunden eine ausgefallene Anlage planen. Dabei kamen ihm seine technischen Kenntnisse zugute, aber auch der bedienerfreundliche und logische Aufbau des Simulationsprogramms PV Sol.
Seit mittlerweile 20 Jahren ist Lang als Produktentwickler rund um die Photovoltaik unterwegs. Seine erste berufliche Station war das Hahn-Meitner-Institut. Dort hat er an neuartigen Dünnschicht-Solarzellen geforscht. Später spezialisierte er sich auf Elektronik für Kleinprodukte und entwickelte dafür sogar eigene Solarmodultechnologien.
Die jetzige Sonnenrepublik, deren Geschäftsführer er ist, gibt es seit anderthalb Jahren. Sie entwickelt Ladegeräte und individuelle Lösungen für Industriekunden, zum Beispiel Solarbodenplatten, Solarsonnenschirme, Solarlamellen für Jalousien. In einigen Fällen geht das auch einher mit der Integration von speziellen Modulkonzepten.
Als Ende 2016 eine konkrete Projektanfrage für eine Eigenverbrauchsanlage beim ihm eintrudelte, musste er kurz überlegen, denn sein Tagesgeschäft ist das nicht.
Die Anfrage erreichte ihn auf einem ebenso einfachen wie exotischen Weg. Nadania Idriss rief ihn an, weil ihr der Name Sonnenrepublik gefiel. Die Vereinsgründerin von Berlin Glas e. V. hatte es satt, die hohen Stromrechnungen für die Glaswerkstatt des Vereins zu zahlen. Sie wollte daran etwas ändern und ihren Strom zumindest zum Teil selbst produzieren.
Hurra – eine unverschattete Südfassade!
Das alte Fabrikgebäude aus den 60er-Jahren, das damals Teil einer Brandyfabrik war, befindet sich auf einem weitläufigen Hinterhof in Berlin-Wedding. Die Werkstatt hat zwar ein Flachdach, aber es wird von einem Turm teilweise verschattet. Eine weitere Fläche auf dem Dach ohne Verschattung ist leider sehr klein.
Aber – kaum zu glauben mitten in einem dicht bebauten Stadtgebiet von Berlin – eine Fassade des Gebäudes ist direkt nach Süden ausgerichtet, ohne Fenster und verschattungsfrei. Das hatte sogar Nadania Idriss bereits in ihre Überlegungen einbezogen. Mit der Fassade müsste was zu machen sein. Bei der ersten Besichtigung vor Ort war auch Lang überzeugt: An diesem Standort lohnt sich eine Anlage. Zugleich war klar, eine Nullachtfünfzehn-Lösung würde hier nicht passen.
Die erste Hürde für den Planer
Die Anlage wurde von Anfang an zur Versorgung der Glasbläserei konzipiert. Um Glas formen zu können, muss man es schmelzen. Und dazu ist viel Energie notwendig. Vier Öfen, die für unterschiedliche Arbeitsschritte geheizt werden, gibt es in der kleinen Werkstatt, in der Künstler arbeiten und auch Laiengruppen an die Kunst des Glasblasens herangeführt werden.
Das Glas wird vorgewärmt, geschmolzen, dann bearbeitet und schließlich werden die kunstvoll hergestellten Unikate langsam abgekühlt, ebenfalls in einem Ofen. Diese Öfen sind ständig in Betrieb und fahren mit fünf bis zehn Kilowatt Dauerleistung. Nachts wird zwar die Temperatur abgesenkt, ganz ausgeschaltet werden sie aber nie. Lediglich in der Urlaubspause im Sommer erkalten alle Öfen. Rund 120.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch kommen so zusammen.
Leider waren die verfügbaren Daten zum Verbrauchsverhalten sehr dünn, die erste Hürde für den Planer. Die Leistung der Öfen war zwar bekannt, ihr reales Betriebsverhalten aber nicht. Schätzungen mussten für die Planung reichen.
Verschattungsanalyse vor Ort
Ein Vorteil der Software an dieser Stelle für den Planer: Vorhandene Lastprofile können individuell angepasst werden. Oliver Lang kannte das Programm PV Sol zwar, hatte aber mit der neuesten Version, insbesondere der 3D-Simulation der Verschattung, noch nie gearbeitet. Er nutzt das Programm seit zehn Jahren für seine Projekte mehrmals im Jahr. Aus Zeitgründen wollte er sich nicht in den 3D-Teil einarbeiten und plante in 2D, was natürlich möglich ist, jedoch eine Vor-Ort-Analyse der Verschattungssituation erforderte. So konnten die das Flachdach verschattenden Gebäude, der Turm im Osten und die Brandyfabrik im Westen, durch die Horizontlinie abgebildet und die Ertragsminderung berücksichtigt werden. Die Brandyfabrik verschattet das Flachdach jedoch nur im Sommer, wenn die Sonne über 270 Grad hinausgeht.
Lang entschied, die größere, aber verschattete Fläche nicht maximal zu belegen, sondern nur die unverschatteten beziehungsweise leicht verschatteten Flächen. An der Fassade und auf der kleinen Dachfläche plante er dann mit der maximal möglichen Modulzahl. So entstand eine auf drei Flächen verteilte Anlage mit insgesamt 36 Kilowatt Leistung. 19,5 Kilowatt davon hängen an der Fassade, 16,5 Kilowatt sind auf die beiden Dachflächen verteilt. Geplant und verbaut wurden kristalline Module von First Solar mit 300 Watt Leistung, die ein besonders gutes Schwachlichtverhalten haben und aus 60 bifazialen Zellen bestehen. Die Rückseite ist allerdings weißes Backsheet, kein Glas.
Unsymmetrische Steuerung
Auf dem Flachdach wurden die Module sehr flach montiert, mit nur 16 Grad Neigung. So wird die gegenseitige Verschattung der Module minimiert und die nutzbaren Flächen können maximal belegt werden. Die Fassadenmodule belegen ab einer Höhe von acht Metern die ganze Fläche der Südfassade.
Aufgrund der Verteilung der einzelnen Modulfelder sind auch die Strings verschieden groß und die zwei MPP-Tracker der beiden Dachflächen werden unsymmetrisch angesteuert. Auch die Fassade ist in zwei Strings auf zwei MPP-Tracker geschaltet. Die beiden SMA-Tripower-Wechselrichter hängen nun in der Küche der Werkstatt, ein offener Raum zwischen den beiden großen Hallen. Bei optimaler Sonneneinstrahlung simulierte Lang rund 30 Kilowatt Volllastleistung. Dieser im Verhältnis zur Gesamtleistung der Anlage geringere Wert ist der Fassadeninstallation geschuldet.
Zusatzerträge durch Bodenalbedo
Der Eigenverbrauch für dieses Szenario betrug 70 Prozent, wobei wie schon erwähnt das genaue Verbrauchsprofil nicht bekannt war. Jetzt nach rund einem Jahr offizieller Betriebszeit liegen die ersten Auswertungen vor. Rund 19 Prozent weniger Netzstrom bezieht Nadania Idriss nun. Der produzierte Solarstrom wird zu rund 72 Prozent in der Werkstatt selbst genutzt. Ursprünglich war Lang davon ausgegangen, sogar 22 bis 23 Prozent des Netzbezuges vermeiden zu können. Dieser Wert wird jedoch nicht erreicht, weil der nächtliche Energiebedarf der Öfen höher ist als in der Modellrechnung.
Was die Erträge der Anlage verbessert: Die Fläche vor der Südfassade ist weitgehend frei und besteht aus einem überwiegend hellen Untergrund, sodass Zusatzerträge durch Bodenalbedo generiert werden. Im Monitoring schnitten die Wintermonate erstaunlich gut ab, auch die Erträge aus der Fassade waren hoch.
Installiert wurde die Anlage von der Berliner Firma Solarwerkstatt. Ein besonderes Detail dabei: An der Fassade wurden an den seitlichen Rändern zwischen Hauswand und Modulen kleine Gitter angebracht, um das Einnisten von Kleintieren zu verhindern.
Alte Fabrikanlagen haben ihre Tücken
In der Rückschau denkt Oliver Lang vor allem an das Kopfzerbrechen, das ihm das unklare Lastprofil beschert hat. Wenn der Kunde selbst seinen Betrieb und sein Verbrauchsverhalten nicht so genau kennt, kann der Eigenverbrauch nicht präzise simuliert werden. Bei Kleinunternehmen sei das leider häufig der Fall, resümiert Lang. Auch haben alte Fabrikanlagen ihre Tücken.
Im konkreten Fall wurden viele Umbauten und Modernisierungen nicht dokumentiert. Zum Bespiel wussten Planer und Kundin nicht, wo sich die Zähler befinden. Die umliegenden Gebäude waren früher ein Fabrikareal mit einem Hauptzähler. Später zogen in die einzelnen Gebäude verschiedene Firmen ein und ließen sich Einzelzähler einbauen. Ein Blitzschutz für das Gebäude wurde nicht ausgeführt, weil direkt daneben der Schornstein steht. Die Kabelführung im Gebäude steht dann noch auf einem ganz eigenen Blatt.
Mit der aktuellen Version von PV Sol können Planer nun noch einfacher geometrische Daten in die Planung übernehmen. Auch mit Daten aus Drohnenflügen kann PV Sol ein 3D-Modell mit allen erforderlichen Maßen erstellen. Liegt ein 3D-Modell bereits vor, kann es über eine Schnittstelle eingelesen werden.
Viel Neuland für die Glasbläserin
Glas ist einer der ältesten bekannten Werkstoffe. Bereits im alten Ägypten wurden Quarzsand, Soda, Kalk und andere Stoffe vermischt und erhitzt: mit viel Energie.
Die Hausherrin der Glasbläserei und Betreiberin der Anlage Nadania Idriss hat aus dieser Not eine Tugend gemacht. Sie ist stolz auf ihre Solaranlage. Sie arbeitet sich jetzt Schritt für Schritt in ihre neue Rolle als Solaranlagenbetreiberin ein.
Die damit einhergehenden Meldepflichten, die Verantwortung für die Anlage und ihren Betrieb – all das sind Dinge, die sie so nicht in Gänze bei der Investitionsentscheidung überblicken konnte. Doch Glasbläsern geht selten die Puste aus.