Wildpoldsried ist eine eigene Welt. Zehn Kilometer nordöstlich von Kempten liegt der Ort, in dem 2.500 Menschen leben. Der erste Bürgermeister Arno Zengerle vermarktet Wildpoldsried erfolgreich als Energiedorf. Das liegt auf der Hand, immerhin erzeugt die Gemeinde mit Photovoltaik-, Windkraft- und Biogasanlagen rechnerisch rund siebenmal mehr Energie als vor Ort verbraucht wird. Unter anderem sammelten die Oberallgäuer den Deutschen Solarpreis und den European Energy Award ein, um nur zwei der vielen Ehrungen zu nennen.
Die Gemeinde bietet Exkursionen und Vorträge zu den Ökostromprojekten an. Und selbstredend hat die lokale Feuerwehrstation eine Photovoltaikanlage auf dem Dach installiert. Die Mentalität der Allgäuer in Wildpoldsried beschreibt Oliver Koch, operativer Geschäftsführer beim Batteriespeicherhersteller Sonnen, als konservativ und naturbezogen. Der Respekt vor der Natur sei groß, dennoch hätten Parteien wie die Grünen und die SPD keinen Stich hier. „Der Regierungsbezirk Bayrisch-Schwaben ist CSU-Kernland“, erklärt Koch.
Acht Generationen in sechs Jahren
Im Gewerbegebiet, Am Riedbach 1, sitzt die Firma Sonnen, die Wildpoldsried international zu weiterem Ruhm verhilft. Der Hersteller von Speichersystemen hieß früher Sonnenbatterie. In zahlreichen Rankings ist Sonnen unter den innovativsten Start-ups weltweit gelistet. In Abu Dhabi hat Sonnen als erstes deutsches Unternehmen den Preis „Zayed Future Energy“ in der Kategorie „Kleine und mittelständische Unternehmen“ gewonnen. Eine Art Oscar für Energieunternehmen, der mit 1,5 Millionen US-Dollar dotiert ist. Kronprinz Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyan verlieh Sonnen-Gründer Christoph Ostermann die Auszeichnung persönlich.
Acht Generationen seines Speichersystems hat Sonnen in nur sechs Jahren entwickelt. Die meistverkaufte Version der Sonnenbatterie heißt Eco. Sie wurde auf der Intersolar 2014 in München vorgestellt und seitdem bis hin zur aktuellen Version weiterentwickelt. Die jüngste Generation steht auch im Empfangsbereich in Wildpoldsried in verschiedenen Größen und Farben Spalier, um den Besucher zu empfangen.
Weltweit arbeiten über 300 Menschen an der Sonnen-Vision: einer Community, die sich gegenseitig mit Energie beliefert. Sonnen-Geschäftsführer (englisch COO) Oliver Koch ist bei Hannover aufgewachsen, arbeitete 14 Jahre im Ausland, bevor er für die Mission Sonnen zurück nach Deutschland ins Allgäu kam.
In die heiligen Hallen der Fertigung gelangt nicht jeder Besucher. Denn die richtige Technologie verschafft den entscheidenden Vorsprung am Markt. „0 % Fehler-Tor“ steht über dem Ausgang aus der Fertigungshalle. Die Botschaft ist eindeutig. Eine hohe Fehlerquote – oder überhaupt Fehltritte – kann sich ein Unternehmen im rasant professioneller werdenden Speichermarkt nicht mehr leisten. Techniker und Technikerinnen bauen die Komponenten für Messtechnik, DC-Anschlüsse und Wechselrichter in den Schrank ein und verkabeln sie. Ein intelligenter Energiemanager und ein Display werden in der Innenseite der Tür verschraubt. Die Sonnenbatterie ist ein Komplettsystem, in dem alle Komponenten bereits enthalten sind, damit es sich möglichst einfach installieren lässt. Für das System haftet demzufolge Sonnen und nicht der Installateur. „Die Tür selbst weist die Oberflächenbeschaffenheit eines 7er BMW auf“, erklärt Koch beim Gang durch die Fertigung.
Das Null-Fehler-Tor vor Augen
Die Zellen für das Batteriemodul liefert der Sony-Konzern: 224 Fortelion-Zellen werden in ein Modul eingehaust, das insgesamt über zwei Kilowattstunden Kapazität verfügt und speziell mit dem Unternehmen aus Wildpoldsried entwickelt wurde. Die Speicherschränke sind während der Produktion auf Rollwagen befestigt. „Bevor die Speicher für den Versand verpackt werden, wurden die Baugruppen auf dem Prüfstand elektrisch vermessen und auf Herz und Nieren geprüft“, sagt Koch. Der Speicher werde mehrmals geladen und entladen, erst dann dürfe er das Null-Fehler-Tor passieren. Auch deswegen kann Sonnen zehn Jahre Garantie für das komplette Speichersystem geben.
Die Philosophie von Sonnen klingt einfach: Das Unternehmen kauft solide und industriell erprobte Hardwarekomponenten wie beispielsweise Wechselrichter ein, die in Masse gefertigt werden, und veredelt diese Komponenten dann mit einer eigenen Software.
Die Software ist das Herzstück des Speichersystems, hier findet die größte Wertschöpfung statt. Sie sorgt nicht nur dafür, dass sich alle Komponenten genau aufeinander abstimmen, sondern sie regelt per Energiemanager auch die Energieflüsse im Haus des Kunden, sodass der Eigenverbrauch maximal ist. Nur durch die Software ist es außerdem möglich, Tausende Kunden zur Sonnen-Community zu verbinden und einen Batteriepool für die Bereitstellung von Regelenergie anzubieten.
50 Speicher produziert Sonnen am Tag, derzeit noch in einer Schicht. „Eine Produktion von 20.000 oder sogar 30.000 Heimspeichern am Standort wäre möglich“, meint er.
Sonnen wurde gerade erst von der britischen Zeitung Financial Times unter die am schnellsten wachsenden Unternehmen in Europa aufgenommen. Die Liste bildet für die Jahre 2012 bis 2015 die 1.000 prozentual wachstumsstärksten Unternehmen in Europa ab, erfasst vom Statistikportal Statista. Demnach kommt Sonnen mit einem kumulierten Wachstum von 567 Prozent auf den 218. Rang.
Trend: weg von der Hardware
Mehr als 50 Ingenieure und Softwareentwickler arbeiten in Wildpoldsried und den USA unter Hochdruck daran, das Produkt weiterzuentwickeln. „Das Pendel im Markt schwingt seit 2016 immer mehr hin zu Dienstleistungen und damit weg von der reinen Hardware“, erklärt Koch. Die Speichertechnologie werde von immer mehr Herstellern beherrscht. „Es geht heute stärker darum, das System zu vernetzen“, betont er. Diese Zusatzfunktionen werden künftig immer stärker den Wert des Heimspeichers für den Kunden bestimmen. Deshalb arbeiten die meisten Mitarbeiter der Entwicklung an der Software.
Sonnen hat sich seit Unternehmensgründung im Jahr 2010 bereits auf Lithium-Eisenphosphat festgelegt. Die Konkurrenz stieg erst in den vergangenen zwei, drei Jahren verstärkt auf Lithiumakkus um, hauptsächlich auf die Technologien mit Lithium-Nickel-Mangan-Cobalt (NMC) oder Lithium-Nickel-Mangan-Aluminium (NCA). Heute gibt es immer weniger Anbieter von Bleispeichern. Nur in speziellen Nischen wie als Notstromlieferant in Krankenhäusern dienen die schweren und meist klobigen Geräte noch.
7.200 Speicher 2016 verkauft
Lithium gilt dagegen als schick. Auch deshalb zeigen die Produktfotos von Sonnen oft einen Speicher im Wohnzimmer an der Wand, häufig neben einer Glastür mit Blick auf die Allgäuer Alpen. Naturpanorama und Technikfinesse vereint in ländlicher Region. 200 Mitarbeiter arbeiten am Hauptstandort unter einem Schrägdach mit großer Glasfassade, auf denen verteilt immer wieder schwarze Vogelaufkleber hängen, damit keine Vögel gegen die Scheiben fliegen.
Im Jahr 2016 erzielte Sonnen nach vorläufigem Ergebnis einen Umsatz von 42 Millionen Euro. Sie verkauften 7.200 Lithiumspeicher. In den vergangenen Jahren hat sich die Firma in jedem Jahr verdoppelt. Wachstumskurs ist angesagt. Auch für das neue Jahr sieht Koch einen verdoppelten Umsatz voraus. Bei sinkenden Speicherpreisen würde das bedeuten, dass die Firma mindestens 15.000 Speicher absetzt. Im Januar 2017 lagen die Bestellungen jedenfalls drei Mal höher als im Vorjahr, frohlockt er.
40 Prozent Preisnachlass
Der Leitmarkt Deutschland wächst stetig, wenn auch nicht explosionsartig. Das zeigen aktuelle Zahlen des Branchenverbands BSW-Solar: Rund 52.000 Solarstromspeicher waren Ende 2016 in Deutschland installiert. Damit sind im vergangenen Jahr gut 20.000 neue Heimspeicher hinzugekommen. Die im BSW-Solar organisierten Speicheranbieter rechnen mit einem weiteren Anziehen der Nachfrage. Innerhalb der nächsten zwei Jahre dürfte sich die Zahl der installierten Stromspeicher auf 100.000 verdoppeln, so ihre Prognose.
Allein in den letzten drei Jahren sind die Preise für Heimspeicher um 40 Prozent gesunken. Schon jetzt wird zu fast jeder zweiten neu installierten Photovoltaikanlage im Eigenheimbereich ein Batteriespeicher gleich mitgekauft, um größere Mengen des günstigen Solarstroms selbst zu verbrauchen. Denn die Speicherpreise sinken immer weiter – gerade bei Lithiumspeichern. Der Kunde will am Ende bezahlbaren Strom und sich nicht mit technischen Details beschäftigen, weiß auch Sonnen-Manager Koch.
Kostenloser Strom für Mieter
Design, Technik und Komfort gehören zusammen. Der Mann, der diese Vision für Sonnen verkaufen soll, ist der Vertriebschef Phillip Schröder, wohnhaft in Berlin. Von einem Hinterhof in Kreuzberg aus leitet der ehemalige Deutschlandchef von Tesla Motors das Vertriebszentrum. In Sachen PR konnte er jahrelang von Tesla-Chef Elon Musk lernen. Für Präsentationen von neuen Sonnenbatterie-Modellen oder wie zuletzt einer Sonnen-Community, die auch Mieter und Wohnungsbesitzer in der Großstadt ansprechen will, wird dann eine Lokation wie das E-Werk in Berlin-Mitte angemietet. Wohnungsbesitzer können damit erstmals mit einer Sonnenbatterie am Regelenergiemarkt teilnehmen und erhalten im Gegenzug kostenlosen Strom.
Sonnen verfolgt eine klare Strategie. Sukzessive wird das Geschäftsmodell ausgebaut. Am Ende plant das Unternehmen, ein Paket von Servicedienstleistungen rund um den Speicher anzubieten und so einen klassischen Energieversorger zu ersetzen. Die Kunden erhalten durch diese Dienstleistungen eine neue Einnahmequelle, die über den Eigenverbrauch hinausgeht und den Speicher wirtschaftlicher macht. Das wäre eine Verwandlung von einem reinen Batteriehersteller hin zu einem modernen Energieversorger. Denn auch Schröder ist längst klar, dass die rein physischen Batteriegeräte in einigen Jahren nur noch Commodities sein werden. Also Produkte, die sich eigentlich nur noch durch den Preis unterscheiden.
76 Millionen neues Kapital
Mit frischem Geld will Sonnen die Community und das Geschäftsmodell einer Strom-Flatrate weiterentwickeln. Im Oktober 2016 wurden bei einer Finanzierungsrunde 76 Millionen Euro eingeworben. Alle bisherigen Investoren des Unternehmens gingen mit: E-Capital, MVP, Set Ventures und Inven Capital sowie GE Ventures. Neu dazu kamen Envision Energy, ein Konzern, der neben Windturbinen auch eine Software für das Management von Smart Grids entwickelt, und der Investor Thomas Pütter, ein früherer Geschäftsführer von Allianz Capital Partners. Risikokapital steht also bereit.
„Die KfW-Förderung spielt beim Verkauf von Speichern immer weniger eine Rolle“, berichtet der operative Manager Koch. Das Aussetzen des staatlichen Zuschusses habe sich kaum in Zahlen bemerkbar gemacht. Er glaubt an ein solides Wachstum für den deutschen Markt, wobei das Volumen insgesamt aber nicht dramatisch wachsen werde. Sonnen will aber seinen Konkurrenten einige Marktanteile abnehmen.
Gewerbespeicher stärker gefragt
Ein neues Geschäftsfeld, das nun entsteht, sind Gewerbespeicher. Sonnen hatte sich schon aus diesem Markt verabschiedet, ist aber 2016 wieder neu eingestiegen. „Das hat gut geklappt“, resümiert Koch und ergänzt: „Hier hätte es eher einen Engpass in der Produktion gegeben, um die Anfragen abzuarbeiten.“
International ziehen immer mehr Märkte nach. Das Geschäft in Australien ist in der zweiten Jahreshälfte 2016 gut angelaufen. Neben den USA liegt ein weiterer starker Markt direkt vor der Haustür, hinter den Allgäuer Alpen sozusagen. Die italienische Flagge prangt auf einer Palette mit mehreren Speichern. Und die geografische Lage des Unternehmens ist in diesem Fall strategisch gut. Die Kunden von Sonnen haben oft Photovoltaikanlagen, aber durchaus auch Kleinwindanlagen, BHKW oder eben auch keinen Generator – je nachdem, ob der internationale Kunde einen Zugang zum Strommarkt hat und es auch deutliche Preisschwankungen gibt, die ein Arbitragegeschäft ermöglichen.
Ohne Solaranlage ist auch der Mieter in seinem Loft in Berlin-Mitte. Diesen Markt zu erschließen, ist wieder Pionierarbeit – wie geschaffen für ein Unternehmen aus Wildpoldsried.
Tennet
Heimspeicher über Blockchain einbinden
In einem innovativen Pilotprojekt nutzt Übertragungsnetzbetreiber Tennet einen Pool von Heimspeichern, den der Batteriehersteller Sonnen bereitstellt. Getestet werden soll, inwieweit sich damit bei Engpässen im Stromnetz Notmaßnahmen wie die Abregelung von Windparks reduzieren lassen. Dazu werden die Heimspeicher von Sonnen E-Services über eine Blockchain-Technologie miteinander vernetzt. Das Lademanagement der Batteriespeicher passt sich dabei der jeweiligen Situation im Netzgebiet von Tennet an. Ziel des Projekts sei es, eine bessere Integration von erneuerbaren Energien ins Stromversorgungssystem zu ermöglichen.
Die Blockchain-Lösung wurde von IBM entwickelt. Sie basiert auf dem The Linux Foundation Hyperledger Fabric Framework, einer Open-Source-Lösung. Dadurch soll zukünftig die Beteiligung von Anbietern dezentral verteilter Flexibilitäten an Dienstleistungen für den Übertragungsnetzbetreiber deutlich vereinfacht werden. Die Blockchain ermöglicht demnach eine schlanke Abwicklung, die die Anforderungen des Netzbetreibers an Sicherheit und Genauigkeit erfüllt.
In der Community von Sonnen sind heute bereits rund 5.000 Mitglieder vernetzt. „Die Zukunft der Energieversorgung wird jedoch aus Millionen von kleinen, dezentralen Stromquellen, Prosumern und Verbrauchern bestehen“, weiß Philipp Schröder, Vertriebs- und Marketingchef bei Sonnen. Die Blockchain-Technologie sei ein Schlüssel dazu, den massenhaften und gleichzeitigen Austausch all dieser Akteure untereinander überhaupt erst möglich zu machen. „Damit ist sie das noch fehlende Bindeglied zu einer dezentralen und komplett kohlendioxidfreien Energiezukunft.“