Totgesagte leben am längsten. Oder sie stehen wieder auf. Der Wandel der Solarmärkte zum Eigenverbrauch und die sinkenden Preise erlauben völlig neue Geschäftsmodelle. Zudem spielen die Transportkosten der schweren Solarmodule eine wachsende Rolle.
Und: Die Abhängigkeit von globalen Lieferketten hat sich in der Coronapandemie besonders gezeigt. Der Schweizer Maschinenbauer Meyer Burger – bisher vor allem als namhafter Ausrüster von Solarfabriken seiner Kunden bekannt – geht nun völlig neue Wege. Er wird zum Hersteller von Solarzellen und Solarmodulen.
Chinesen igeln sich ein
Ein weiterer Grund: Zunehmend igeln sich die Chinesen ein, legen europäischen Lieferanten von Maschinen immer mehr Steine in den Weg. Andererseits soll Europa massenhaft chinesische Module kaufen. Das passt nicht zusammen.
Heterojunction und Smartwire
So steht die Photovoltaik vor einer Re-Regionalisierung ihrer Wertschöpfungskette. Alle Modulhersteller in Europa bauen seit 2019 ihre Werke aus. Meyer Burger – als Neueinsteiger im Modulgeschäft – wagte dabei den größten Sprung – technologisch und vonseiten der Investition. Die Investition der Schweizer in die deutschen Werke hat große Kapazitäten im Blick – und den schnellen Ausbau auf Gigawattgröße.
In Thalheim bei Bitterfeld eröffnete das Unternehmen im Mai ein neues Werk für Hochleistungssolarzellen. Sie kombinieren die Technologie der Heterojunction-Zellschichtung mit der Smartwire-Verkabelung. Diese Zellen erreichen deutlich höhere Leistungen pro Flächeneinheit als Standardzellen aus monokristallinem Silizium. Die Fertigung startete mit einer jährlichen Kapazität von 400 Megawatt. Der Ausbau auf fünf Gigawatt wird bis 2026 angestrebt.
Die Eröffnung des neuen Werks fand wegen der Pandemie digital statt. Vor Ort begrüßte CEO Gunter Erfurt den Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, Wirtschaftsminister Armin Willingmann und Armin Schenk, den Oberbürgermeister von Bitterfeld-Wolfen. Zudem hatte Paul R. Seger, Botschafter der Schweiz in Berlin, ein Grußwort geschickt.
Solar Valley wiederbelebt
Mit der Eröffnung der neuen Zellfabrik belebt Meyer Burger das frühere Solar Valley in der Region Bitterfeld neu. Einst stand hier mit Q Cells und anderen Unternehmen die Wiege der deutschen Solarindustrie. Mit den harten Einschnitten bei der Einspeisevergütung nach 2012 brach diese Industrie zusammen. Manche sprachen von der „zweiten Deindustrialisierung des Ostens“ nach der Wiedervereinigung. In Sachsen und Thüringen musste Solarworld in die Insolvenz, auch in Frankfurt (Oder) brachen die Hersteller ein.
Möglichst nachhaltige Lieferketten
Meyer Burger setzt neben der gut ausgebauten Infrastruktur auf erstklassig ausgebildetes und erfahrenes Personal in der Region um die ehemalige Chemiestadt Bitterfeld. Mit der ersten Ausbaustufe von 400 Megawatt hat das Unternehmen etwa 350 hochwertige Arbeitsplätze geschaffen.
Die Schweizer bauen ihre Lieferketten möglichst lokal auf: Wichtigster Rohstoff ist Polysilizium, es stammt aus Europa. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme bestätigte Anfang dieses Jahres, dass die Solarzellenproduktion in Bitterfeld-Wolfen gegenüber herkömmlicher Fertigung erhebliche Vorteile für die Umwelt aufweist. Durch das Smartwire-Verfahren fallen bei der Wafertrennung deutlich weniger Verluste an als beim traditionellen Sägen.
Diese Innovationen honorierte das Bundesland Sachsen-Anhalt mit einer Zusage für eine Umweltschutzbeihilfe in Höhe von bis zu 15 Millionen Euro sowie einem Investitionszuschuss von bis zu 7,5 Millionen Euro.
Fabrik fährt bis zum Sommer hoch
Die in den Forschungslaboren von Meyer Burger in Neuchâtel und Thun in der Schweiz entwickelten und in Hohenstein-Ernstthal (Sachsen) gebauten Maschinen wurden in Betrieb genommen und hochgefahren. Im automatisierten Vollbetrieb laufen täglich bis zu 200.000 Solarzellen vom Band. In Thalheim steht derzeit eine Gesamtfläche von 27.000 Quadratmetern zur Verfügung. Diese ist ausreichend für den angestrebten schnellen Ausbau auf 1,4 Gigawatt Solarzellenkapazität.
In Thalheim wird Meyer Burger neben der Zellproduktion wichtige Unternehmensbereiche unterbringen, darunter Vertrieb und Marketing. Die Solarzellen werden im sächsischen Freiberg zu Solarmodulen verarbeitet. Das dortiges Modulwerk wurde Ende Mai 2021 eröffnet, im Juli werden die ersten Module ausgeliefert.
Auch die Werkseröffnung in Sachsen erfolgte virtuell. Das Werk wurde in den letzten acht Monaten auf Smartwire-Fertigungslinien umgerüstet und ist die modernste und umweltfreundlichste Anlage ihrer Art. Zur Eröffnung kamen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Umweltminister Wolfram Günther. Nach dem Umbau des ehemaligen Werkes von Solarworld im Gewerbegebiet Saxonia erreicht die Produktion eine jährliche Kapazität von 400 Megawatt oder rund 3.000 Modulen pro Tag.
Altes, neues Werk von Solarworld
Die Solarmodule liefern bis zu 20 Prozent höhere Erträge als Standardmodule und sind komplett bleifrei. Mehr als 200 neue, hochqualifizierte Arbeitsplätze sind entstanden.
Der Ausbau auf ein Gigawatt in Freiberg wird schnellstmöglich angestrebt, womit weitere Arbeitsplätze entstehen. „Ich bin außerordentlich stolz, dass wir alle heute Teil dieses großartigen Neuanfangs sein können“, sagte Gunter Erfurt, der schon bei Solarworld zu den führenden Köpfen in Freiberg zählte. Nun steht er wieder in der Verantwortung für ein Schwergewicht der europäischen Solartechnik. „Wir erleben hier und jetzt den Beginn eines neuen Zeitalters der Solarindustrie.“
Die neuen Solarmodule erreichen mit 120 Halbzellen zwischen 380 und 400 Watt. Es gibt sie in drei Ausführungen: weiß, schwarz und als Glas-Glas-Version.•
https://www.meyerburger.com/de
Bosch
Mikrochips für E-Autos
Bosch hat in Dresden ein modernes Werk für Halbleiterchips aufgebaut. Anfang Juni wurde es offiziell in Betrieb genommen. Doch schon seit dem Frühjahr liefen testweise die Siliziumwafer durch die vollautomatische Fertigung. In der komplett digitalisierten und vernetzten Fabrik werden vor allem Mikrochips für Autos gebaut. „Aus Dresden kommen schon bald Chips für die Mobilität der Zukunft und mehr Sicherheit im Straßenverkehr“, sagt Harald Kröger, Geschäftsführer der Robert Bosch GmbH.
Das Unternehmen betreibt bereits ein Halbleiterwerk in Reutlingen bei Stuttgart. Mit der neuen Waferfabrik in Dresden erweitert Bosch seine Fertigungskapazitäten für die immer größeren Anwendungsfelder von Halbleitern. Rund eine Milliarde Euro steckt Bosch in die Chipfabrik in Dresden, mit 200 Millionen Euro gefördert durch das Bundeswirtschaftsministerium.
Bosch setzt mit seinem Neubau in Dresden auf die Technologie mit 300 Millimeter Durchmesser. Auf einen einzelnen Wafer passen somit rund 31.000 einzelne Chips. Im Vergleich zur etablierten Fertigung mit kleineren 150- und 200-Millimeter-Wafern erzielt das Unternehmen somit höhere Skaleneffekte und stärkt seine Wettbewerbsfähigkeit in der Halbleiterproduktion. Die Vollautomatisierung der Fertigung sowie der Datenaustausch in Echtzeit zwischen den Maschinen macht die Chipproduktion in Dresden zudem besonders effizient. „Unsere neue Halbleiterfabrik setzt Maßstäbe bei Automatisierung, Digitalisierung und Vernetzung“, sagt Kröger.
Den Bau seiner Halbleiterfabrik auf dem rund 100.000 Quadratmeter großen Grundstück – etwa so groß wie 14 Fußballfelder – hatte Bosch im Juni 2018 begonnen. Ende 2019 war die Außenhülle des Werks mit einer Gesamtnutzfläche von fast 72.000 Quadratmetern fertiggestellt. Der Innenausbau begann und erste Maschinen zogen in den Reinraum.
Ein erster automatisierter Kurzdurchlauf der Fertigungstechnik erfolgte im November 2020. Im Endausbau sollen in Dresden bis zu 700 Mitarbeiter arbeiten.