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Kraftwerk auf der alten Platte

Gut 15 Meter über dem Boden weht zwar eine steife Brise. Doch der Blick vom Dach des sanierten Plattenbaus im Berliner Stadtteil Hellersdorf ist grandios. Am Horizont ist der gut zehn Kilometer entfernte Fernsehturm am Alexanderplatz gut zu sehen. Für die Mieter im sogenannten Gelben Viertel, einem Karree in der Ostberliner Plattenbausiedlung Hellersdorf, beginnt in diesem März nicht nur der Frühling, sondern auch die Energiewende in der Stromversorgung. Seit ein paar Monaten stromen Photovoltaikmodule auf den Dächern der Hochhäuser. Anfang März begann die Versorgung der Haushalte mit dem sauberen Strom.

Modellversuch in Berlin

Für Berlin ist das Projekt ein Modellversuch, die Photovoltaik auch in Großstädten zu etablieren. Bisher wechselt sich die Bundeshauptstadt mit den Stadtstaaten Hamburg und Bremen auf dem letzten Platz des Ausbaus der Photovoltaik im Ranking der Bundesländer ab. Während das benachbarte Bundesland Brandenburg in den vergangenen Jahren kräftig Photovoltaikanlagen installiert hat, beginnt an der Stadtgrenze eine andere Welt. Insgesamt bringt es die 3,5-Millionen-Metropole bisher auf eine installierte Solarstromleistung von 95 Megawatt. Brandenburg kann mit gut 2,5 Gigawatt sogar das 30-Fache aufweisen.

Die Gründe sind seit Jahren bekannt. Der durchschnittliche Berliner lebt zur Miete im Mehrfamilienhaus, zusammen mit 10 oder 20 anderen Mietparteien. Dazu kommt die unterschiedliche Besitzstruktur. Die Bandbreite reicht von der vermieteten Eigentumswohnung über das genossenschaftliche Eigentum bis hin zu international tätigen Wohnungsunternehmen. Da sind die Voraussetzungen denkbar ungünstig, einen Vermieter für die Installation von Generatoren zu gewinnen. Strom ist Sache des Mieters und des Energieversorgers. Was geht das den Vermieter an?

Hinzu kommt: „Der Handel mit Strom wird steuerrechtlich anders behandelt als die Vermietung von Wohnungen“, weiß Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mieterbundes. „Die Vermieter scheuen diesen Aufwand. Sie konzentrieren sich lieber auf ihr Kerngeschäft. Sie wollen nichts verkaufen, auch keinen Solarstrom.“

Aber immerhin wäre die Verpachtung der Dachfläche des Hauses für die Vermieter eine Möglichkeit. Das hat in Hellersdorf geklappt. Die Stadt und Land Wohnbauten-Gesellschaft als Eigentümerin der Gebäude hat die Dachflächen zur Verfügung gestellt. „Die Stadt und Land Berlin setzt als modernes Wohnungsunternehmen auf Klimaschutz und will den Mietern mit kostengünstigem und umweltfreundlichem Strom weitere Vorteile bieten, ohne dabei selbst den Energievertrieb zu übernehmen“, begründet Ingo Malter, Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft.

Mieter werden ausgegrenzt

Immerhin, der erste Schritt ist getan. Dennoch gilt nach wie vor: „Der Mieter ist derjenige, der von der Energiewende eigentlich überhaupt nicht profitiert“, urteilt Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes. Für ihn ist das Projekt im Berliner Stadtteil Hellersdorf ein echter Meilenstein. Immerhin soll die Anlage zeigen, was in der Großstadt möglich ist: Solarstrom vom Dach eines Mehrfamilienhauses direkt im Gebäude oder in der unmittelbaren Umgebung zu verbrauchen. Weg von der Einspeisevergütung und hin zum Eigenverbrauch lautet auch hier die Devise.

Was für Berlin gilt, gilt auch in den Tausenden deutschen Städten, wo die Mehrheit der Menschen in diesem Land wohnt. Das wird oft vergessen: Deutschland ist ein dicht besiedeltes Industrieland, dessen Bevölkerung vornehmlich zur Miete wohnt. Das ist beispielsweise in Großbritannien anders. Dort ist Wohneigentum auch in Metropolen wie London oder Birmingham sehr verbreitet.

Abrechnung erfolgt über Lichtblick

In Hellersdorf sind mittlerweile 50 Dächer im Gelben Viertel mit Photovoltaik bestückt. Die 7.805 Module von Yingli leisten zusammen 1,9 Megawatt. Das ist fast ein Drittel des gesamten Zubaus an Solarstromleistung, den Berlin im vergangenen Jahr zu verzeichnen hatte. Insgesamt 62 Wechselrichter von Sunways wandeln den Gleichstrom aus den Modulen in netzkonformen Wechselstrom um.

Das gesamte System ist in 14 Teilanlagen mit einer jeweiligen Leistung zwischen 61 und 186 Kilowatt unterteilt. „Rechtlich durfte die Anlage nicht als Ganzes ans Netz gehen“, erklärt Manuel Lengger vom Anlagenbetreiber PVB Solar. Er sitzt im bayerischen Rosenheim. „Das hängt mit den Flurnummern und Grundstücksgrenzen im Grundbuch zusammen.“

Von den 3.000 Wohnungen im Viertel werden seit Anfang März dieses Jahres etwa 1.000 mit Solarstrom vom Dach beliefert. Die Projektpartner wollen noch nachrüsten, um möglichst alle Mieter mit dem Solarstrom beliefern zu können. Für die jetzt belieferten Mieter hat die PVB zusammen mit dem Hamburger Energieversorger Lichtblick das Modell des „Zuhause Stroms“ entwickelt. Damit der Mieter nicht zwei Rechnungen bekommt und zwei Verträge abschließen muss, übernimmt Lichtblick die gesamte Abrechnung.

Gemischte Kalkulation

Die Hamburger liefern auch den restlichen Strom und nehmen die Überschüsse aus den Anlagen ab. Für den Strompreis haben sie eine Mischkalkulation aufgestellt. Darin enthalten sind 30 bis 40 Prozent Solarstrom und 60 bis 70 Prozent Strom aus dem Netz. Die Mieter profitieren von einem Tarif. Der Arbeitspreis liegt um etwa zwei Cent pro Kilowattstunde niedriger als der normale Stromtarif von Lichtblick.

Hier wird aber auch das eigentliche Problem klar. Denn ohne Energieversorger wie Lichtblick im Rücken wird es schwierig. „Schließlich kann der Vermieter den Mieter nicht zwingen, den Solarstrom vom Dach abzunehmen“, sagt Reiner Wild vom Berliner Mieterverein. Er fordert schon lange, die Eigenverbrauchsregelung auf den Verbrauch durch die Mieter im Gebäude auszuweiten. Eine Forderung, die der Deutsche Mieterbund zusammen mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband und dem Bundesverband der Deutschen Wohnungs- und Immobilienunternehmen als Anspruch an die Politik formuliert hat. „Denn letztlich kann der Vermieter nur seinen Solarstrom vom Dach verkaufen, wenn er konkurrenzfähig gegenüber dem Strom aus dem Netz ist“, erläutert Ulrich Ropertz. „Der Vermieter muss wie ein normaler Stromanbieter auftreten.“

Das funktioniert aber nur, wenn der Solarstrom für den Mieter die gleichen Vergünstigungen bekommt wie der Solarstrom, den ein Hauseigentümer selbst verbraucht. Das Argument dafür ist, dass der Strom zwar rein rechnerisch das Haus verlässt, wenn er nicht vom Mieter abgenommen wird, rein physikalisch das Netz aber nicht belastet, weil der Mieter ihn tatsächlich auch verbraucht. Immerhin nutzt Lichtblick das Grünstromprivileg und kann damit den Solarstrom mit einer um zwei Cent pro Kilowattstunde verringerten EEG-Umlage anbieten. Außerdem fallen keine weiteren Abgaben wie Netzentgelte, Konzessionsabgabe, KWK-Umlage und Stromsteuer an.

Mit der Wirtschaftlichkeit von Solaranlagen für Mieter schlägt sich auch die Heidelberger Energiegenossenschaft herum. Sie hat in Nußloch bei Heidelberg Solaranlagen auf sieben Mehrfamilienhäusern errichtet. „Angefangen haben wir damit im April 2013“, erinnert sich Andreas Gißler, Vorstand der Energiegenossenschaft.

Energiegenossen schreiten zur Tat

Seit Juli 2013 versorgt die Genossenschaft mit dem Solarstrom (Gesamtleistung: 445 Kilowatt) alle 116 Mieteinheiten mit Strom. Die Genossenschaft rechnet damit, dass 3.000 Quadratmeter Modulfläche etwa 370 Megawattstunden pro Jahr liefern. Um diesen Ertrag dem Lastprofil der Mieter zumindest ansatzweise anzugleichen, stehen die Module in Ost-West-Ausrichtung auf den Dächern. Mehr ging nicht. Die Heidelberger haben davon abgesehen, auch die Leistung der Generatoren dem Lastprofil anzupassen.

Denn die Unsicherheiten sind groß. Zwar geht Gißler davon aus, dass die Bewohner den Solarstrom abnehmen. Zwingen kann er sie aber nicht. Deshalb dient das EEG mit der Einspeisevergütung als Sicherheit. „Wir haben die Dächer mit so viel Leistung wie möglich belegt. Denn auf diese Weise haben wir ein Worst-Case-Szenario, mit dem wir rechnen und kalkulieren“, erklärt Gißler. „Unter diesen Bedingungen muss die Anlage immer noch wirtschaftlich sein.“ Das bedeutet, dass die Heidelberger damit rechnen müssen, dass sie mindestens zehn Prozent des Stroms verkauft bekommen und den Rest einspeisen, um dafür die EEG-Vergütung zu bekommen. „Deshalb muss die Anlage so ausgelegt sein, dass sie in den nächsten 20 Jahren keine Miesen produziert“, erklärt Gißler. „Alles, was darüber hinausgeht, ist natürlich gut für die Wirtschaftlichkeit der Anlage, zum Beispiel wenn im schlechtesten Fall die zehn Prozent an der Börse verkauft werden oder die Mieter etwas abnehmen.“

Wie in Berlin, ist auch das System in Heidelberg in 14 Einzelanlagen aufgeteilt. „Jedes Haus hat zwei Aufgänge, und jeder Aufgang hat seinen eigenen Netzanschluss und damit auch seine eigene Anlage“, beschreibt Gißler von der Heidelberger Energiegenossenschaft die Installation. „An jedem Netzanschluss sitzt ein Zweiwegezähler. Er misst, wie viel Strom aus dem Gebäude heraus- und ins Gebäude hineinfließt. Hinter diesem Zähler sind der Ertragszähler der Photovoltaikanlage und die Kundenzähler installiert.“ Über dieses System können die Heidelberger ihre Bilanz ziehen und jedem Kunden den verbrauchten Solarstrom in Rechnung stellen. „Wir gehen davon aus, dass 60 Prozent des Stroms physikalisch im Gebäude bleibt“, sagt Gißler. Das bedeutet: Auch Mieter, die keine Kunden der Energiegenossenschaft sind, verbrauchen eigentlich Solarstrom vom Dach.

Bisher 15 Verträge mit den Mietern

Bisher haben die Heidelberger 15 Verträge abgeschlossen. Wie viele Mieter noch dazukommen, bleibt abzuwarten. „Aus Erfahrungen mit BHKW-Projekten anderer Anbieter wissen wir, dass man normalerweise mit 10 bis 30 Prozent der Mieter anfängt“, erklärt Andreas Gißler. „Nach ein paar Jahren steigt der Anteil dann auf 70 bis 80 Prozent.“ Immerhin haben die Heidelberger mit Naturstrom einen starken Partner im Boot. Auch in diesem Fall würde es ohne Stromversorger nicht gehen. „Wir zahlen für unseren Strom die volle EEG-Umlage“, rechnet Gißler vor. „Wir erzeugen unseren Solarstrom für 14,6 Cent pro Kilowattstunde. Wenn wir jetzt noch die EEG-Umlage von 6,24 Cent pro Kilowattstunde draufrechnen, sind wir schon bei über 20 Cent. Dazu kommen andere Abgaben und die Mehrwertsteuer, die auch auf die EEG-Umlage anfällt. Insgesamt kommen wir auf über 25 Cent pro Kilowattstunde.“

Damit liegt der Preis für den Solarstrom eigentlich über dem Preis, den Naturstrom aus dem Netz liefern kann. Da die Heidelberger Energiegenossenschaft eine Mischkalkulation vornimmt, funktioniert das System. Sie rechnet 30 Prozent Solarstrom und 70 Prozent Strom aus dem Netz ein. Insgesamt zahlt der Stromkunde 25,4 Cent für jede verbrauchte Kilowattstunde. Dieser Preis wäre niedriger, wenn der Solarstrom für die Mieter tatsächlich die gleichen Vergünstigungen bekäme wie für Eigenverbrauch im Einfamilienhaus. Schließlich sind die Bedingungen in einem Mehrfamilienhaus nicht anders. Dann könnten die Anlagenbetreiber ihre Planung besser auf das Verbrauchsverhalten im Gebäude ausrichten und müssten nicht mehr das EEG als Absicherung nutzen.

Orco GSG Berlin/MP-Tec

Preiswerter Solarstrom für Gewerbemieter

Solarstrom für seine Mieter will der Berliner Vermieter von Gewerbe- und Wohnräumen Orco GSG anbieten. Dabei hat das Unternehmen nicht nur die Mieter von Wohnraum im Blick, sondern vor allem die gewerblichen Mieter. Inzwischen sind schon einige Photovoltaikanlagen installiert. Die bisher größte der über die ganze Stadt verteilten Einzelanlagen steht auf dem Dach eines Gewerbehofes in der Reuchlingstraße in Berlin-Moabit. Die Module von Solon leisten insgesamt 238 Kilowatt. Am Ende sollen insgesamt 26.200 Module mit einer Gesamtleistung von 6,4 Megawatt die gut 1.200 Gewerbemieter der Orco GSG in der ganzen Stadt mit günstigem Solarstrom versorgen. Mit der Belieferung der Mieter will das Unternehmen bis zum Ende dieses Jahres beginnen. Innerhalb der nächsten zwei Jahre sollen alle Gewerbebetriebe, die Räume in den Gebäuden der Orco GSG gemietet haben, den Solarstrom abnehmen können. Gebaut wurden die Anlagen von MP-Tec aus Eberswalde.

Die Orco GSG hat den Schritt gewagt, den andere Vermieter bisher noch mehrheitlich scheuen. Denn jetzt wird sie von einem reinen Gewerbevermieter zusätzlich auch zum Energielieferanten, was einiges an administrativem Aufwand bedeutet. Zu welchem Preis der Strom angeboten wird, steht bisher noch nicht fest. Ein entscheidender Preisvorteil ergibt sich aber schon einmal aus der Vermeidung der Netzgebühren für den Photovoltaikstrom, da alle Systeme als sogenannte Kundenanlagen errichtet werden und damit bei der Belieferung der Mieter mit Solarstrom das öffentliche Netz umgehen. Insgesamt geht das Unternehmen davon aus, dass 30 Prozent des Solarstroms in den Gebäuden selbst verbraucht wird. Die restlichen 70 Prozent werden ins öffentliche Netz eingespeist. „Wir haben den Vorteil, dass der Lastgang der Gewerbe, die wir beliefern, gut mit dem Ertragsprofil der Anlagen übereinstimmt“, sagt Oliver Schlink, Geschäftsführer der Orco GSG. „Dadurch speisen wir einen großen Teil des Stroms nicht ins öffentliche Netz ein.“

https://www.gsg.de/

Forderung der Verbände

Mieter nicht ausgrenzen!

Der Verbraucherzentrale Bundesverband, der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) und der Deutsche Mieterbund (DMB) sind eigentlich keine Organisationen mit gemeinsamen Interessen. Die Solarenergie kann aber selbst das ändern. Denn die drei Verbände fordern die Politik auf, im Rahmen der EEG-Novelle den von Mietern direkt verbrauchten Solarstrom mit dem Eigenverbrauch in Einfamilienhäusern gleichzustellen. Denn anders als Hauseigentümer können Mieter bislang am wenigsten an der Energiewende mitwirken. Sie haben nicht die Möglichkeit, mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach den erzeugten Strom selbst zu verbrauchen, sich regelmäßige Einnahmen zu sichern und damit Geld zu sparen.

Da aber 35 Prozent der Mieterhaushalte ein monatliches Haushaltsnettoeinkommen von weniger als 1.300 Euro haben, sehen die Verbände die Möglichkeit für Mieter, preiswerten Solarstrom zu nutzen, als zentrale Aufgabe für die EEG-Novelle. „Wenn es gelingt, die Stromerzeugung im Mietwohnungsbereich, das heißt auf Gebäude- und Quartiersebene, zu erleichtern und dadurch günstiger Strom anzubieten, kann man einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Belastung der Mieter mit Energiekosten zu vermindern“, sagt Lukas Siebenkotten, Bundesdirektor des DMB. „Bisher profitieren selbstnutzende Hauseigentümer am meisten von der Energiewende“, ergänzt Axel Gedaschko, Präsident des GdW. „Der Eigenverbrauch von Strom aus einer Photovoltaikanlage auf dem eigenen Hausdach ist von der EEG-Umlage befreit. Mieter dagegen müssen die EEG-Umlage immer zahlen, auch wenn die Energie in dem Haus oder Quartier erzeugt wird, in dem sie wohnen. Wir fordern daher, dass der in Gebäuden und Quartieren erzeugte und direkt durch Mieter verbrauchte Strom dem Eigenverbrauch gleichgestellt wird.“

https://mieterbund.de/