Die Anlagenzertifizierung ist immer noch ein Nadelöhr, das den Zubau von größeren Solargeneratoren verzögern kann. Sie haben Gridcert entwickelt, um diese Hürde zu beseitigen. Was ist Gridcert?
Marko Ibsch: Gridcert ist eine browserbasierte Softwareanwendung, um die Anlagenzertifizierung zu vereinfachen und zu beschleunigen. Wir sind als Dienstleister bisher in der Lage, zehn Anlagen pro Woche erfolgreich durch die Zertifizierung zu bringen. Damit sind wir schon sehr schnell. Doch mit zehn Projekten pro Woche werden wir nicht weit kommen. Schließlich gehen die Prognosen dahin, dass 7.500 Zertifikate, perspektivisch sogar 10.000 Zertifikate pro Jahr notwendig sind. Derzeit bewegen sich die Zertifizierungsstellen bei 2.000 bis 2.500 Zertifikaten pro Jahr. Wir müssen hier in die Skalierung kommen. Das wollen wir mit Gridcert lösen.
Wie funktioniert Gridcert konkret?
Über Gridcert hat der Projektierer oder der Installateur die Möglichkeit, sein Projekt direkt im Programm anzulegen. Er gibt hier schon während der Auslegung alle Planungs- und Komponentendaten ein. Dies ist ein geführter Prozess, den wir mit einer Hilfe- und Kommentarfunktion unterstützen. Wenn der Planer oder Installateur alle Daten eingegeben hat, prüfen unsere Ingenieure hinsichtlich Diskrepanzen und Normkonformität und fragen beim Kunden schon in diesem Stadium des Projekts die Angaben ab, die für eine erfolgreiche Zertifizierung noch fehlen. Im nächsten Schritt der Softwareentwicklung werden wir auch noch das Antragsverfahren beim Netzbetreiber mit abbilden.
Was bedeutet das?
Derzeit muss der Planer oder Installateur für den gesamten Prozess der Netzanmeldung der Anlage beim Netzbetreiber viele Papiere fünf oder sechs Mal anfassen. In Gridcert sind aber schon alle Daten vorhanden, sodass wir die Antragsdokumentation für den Netzanschluss gleich mit übernehmen und beim Zusammenstellen des Datensatzes unterstützen können. In Gridcert sind zudem die Adressdaten und Formulare aller Netzbetreiber hinterlegt. Das Programm füllt dann das vom jeweiligen Netzbetreiber geforderte Formular aus und schickt es als PDF mit digitaler Unterschrift direkt zum Netzbetreiber. Diese Funktion wird ab Frühjahr 2023 verfügbar sein.
Im Vorfeld der Zertifizierung fallen viele Daten an. Da bietet sich die Nutzung künstlicher Intelligenz – kurz KI – regelrecht an. Wird diese in Gridcert integriert?
Ja. Perspektivisch wird hinter jeder Eingabemaske eine KI liegen, die die Eingabe überprüft. Diese erkennt dann, wenn eine bestimmte Anlagenkonfiguration in einem bestimmten Netzgebiet geplant ist und welche Anforderungen der dortige Netzbetreiber hat. Das Programm überprüft schon während der Auslegung der Anlage, wenn der Planer die Daten in Gridcert eingibt, ob die vorgesehene Konfiguration mit den Anforderungen des jeweiligen Netzbetreibers übereinstimmt. Es kann dann dem Planer automatisch anzeigen, wenn dies nicht der Fall ist.
„Perspektivisch“ bedeutet, dass diese Funktionen noch nicht gleich am Anfang zur Verfügung stehen?
Die Funktionen selbst schon. Doch zunächst werden diese von unseren Ingenieuren betreut und umgesetzt. Derweil läuft die KI im Hintergrund mit, um die Ingenieure zu entlasten und um zu lernen. Sobald wir sicher sind, dass die KI zuverlässig funktioniert, werden wir diese Funktionalität auch im Frontend freischalten, sodass sie der Planer nutzen kann. Wenn wir mit der KI in Gridcert im Sommer nächsten Jahres weiter sind, erstellen wir auch Templates, die wir dem Kunden schon bei der Erstellung der Unterlagen an die Hand geben. Dann zieht der Planer die notwendigen Angaben nur noch in diese vorbereiteten Formulare und hat das Thema Zertifizierung mit fünf PDF erledigt.
Funktioniert das dann auch in einer Realität von vielen Netzbetreibern, die ganz unterschiedliche Anforderungen haben?
Da wir viele Projekte betreuen, kennen wir bereits viele Regeln der verschiedenen Netzbetreiber. Wir testen derzeit zusätzlich eine semantische Textanalyse, um die gesamten technischen Anschlussbedingungen – TAB – komplett zu integrieren. Dann kann der Planer spezielle Fragen zu Planung und Auslegung seiner Anlage eingeben und die KI gibt ihm einen schnellen Überblick bezüglich der dazu passenden Anforderungen in einem bestimmten Netzbereich und damit mit einem bestimmten Netzbetreiber. Als Interface zum Benutzer designen wir derzeit einen Chatbot, mit dem der Planer sprechen kann. Dieser gibt Antworten auf die spezifischen Fragen. Dann muss der Planer nicht mehr viele Seiten der Tutorials der Netzanschlussverfahren lesen, sondern bekommt eine direkte Antwort, die sehr netzbetreiberspezifisch ist und schnell weiterhilft.
Das spart Zeit, aber erst einmal keine Kosten. Wie rechnet sich für den Installateur die Nutzung von Gridcert?
Über die Zeitersparnis, die er hat, wenn er den gesamten Zertifizierungsprozess digital und vor allem fachlich begleitet erledigen kann. Die Anlage kommt sechsmal schneller ans Netz und kann schon Strom einspeisen und dadurch Geld einspielen. Die Kosten unterscheiden sich nicht nennenswert von den Kosten, die ohnehin bei den Zertifizierungsstellen anfallen. Die gesamte Beratungsleistung ist dann aber mit enthalten, sodass die Installateure am Ende mehr für ihr Geld bekommen. Wenn immer mehr Arbeitsschritte digitalisiert werden, müssen wir dann die Sonderberatung nicht mehr extra einpreisen. Zum einen, weil sie über die KI selbstständig läuft. Zum anderen, weil wir bei den normalen Arbeitsschritten durch Software so stark entlastet werden, dass wir die frei werdende Zeit für die Kundenberatung nutzen können.
Rechnen Sie pro Projekt oder den Zeitaufwand ab?
Wir werden zwei Modelle anbieten. So wird es ein Preismodell für erfahrene Planer von großen EPC geben, für die wir ein sehr kosteneffizientes Verfahren anbieten können. Da geht es nur darum, die Anlage schnell und günstig ans Netz zu kriegen, ohne großen Beratungsaufwand. Wir werden aber noch ein Modell haben, bei dem wir beratend unterstützen und bei der Datenzusammenstellung helfen. Dies richtet sich dann mehr an die kleinen und mittelgroßen Installateure.
Das Nadelöhr ist aber auch aufseiten der Zertifizierungsstellen. Welchen Vorteil haben diese von der Digitalisierung?
Tatsächlich sind Zertifizierungsstellen derzeit angesichts des aktuellen Zubaus überlastet. Ein Grund dafür ist die mangelnde Datenqualität. Denn wenn die Zertifizierer unzureichende Unterlagen bekommen, müssen sie die fehlenden oder widersprüchlichen Informationen zunächst finden und dann mit dem Anlagenplaner klären. Das kostet Zeit. Diese Unterlagenprüfung übernehmen wir und konnten schon vorher ohne unsere KI-Software den Aufwand der Zertifizierer um den Faktor sechs senken. Mit Gridcert wird es noch schneller gehen, bei gleichbleibend hoher Qualität der für die Zertifizierungsstellen bereitgestellten Daten.
Müssen die Planer und Installateure dann noch mit den Zertifizierungsstellen kommunizieren?
Nein, der gesamte Prozess läuft ausschließlich über uns. Wir sind aber nicht direkt als Zertifizierungsstelle akkreditiert. Das hat den Vorteil, dass wir die Planer und Installationsbetriebe gezielter unterstützen können, um schneller durch den Zertifizierungsprozess zu kommen. Die Planer müssen sich um nichts kümmern. Wir übernehmen die gesamte Kommunikation – auch mit den Zertifizierungsstellen. Der Planer bekommt von uns am Ende alle notwendigen Dokumente wie das Anlagenzertifikat, die Inbetriebsetzungserklärung und die Konformitätserklärung für die endgültige Betriebserlaubnis.
Welche Anlagen sind überhaupt von der Notwendigkeit der Zertifizierung betroffen?
Das Nachweisverfahren betrifft vor allem Anlagen in der Mittelspannung. Das heißt, Anlagen größer als 135 Kilowatt installierter Leistung. Dabei gibt es noch eine Abstufung. Zwischen 135 und 950 Kilowatt Wechselrichterleistung ist das vereinfachte Anlagenzertifikat Typ B erforderlich. Über 950 Kilowatt befindet man sich im Rahmen des Standardanlagenzertifikats Typ A, das für den Anschluss von großen Dach- und Freiflächenanlagen ans Netz notwendig wird.
Das heißt, auch kleinere Installationsbetriebe können betroffen sein?
Gerade im Bereich des Anlagenzertifikats Typ B sind häufig auch Installateure betroffen, die aus dem Niederspannungsbereich kommen, aber jetzt auch Anlagen auf größeren Gewerbehallen bauen. Dann sind sie mit den Anforderungen der Zertifizierung konfrontiert, die nicht trivial sind. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Solarteure bewusst unter der Grenze von 135 Kilowatt bleiben, um nicht in die Zertifizierung zu kommen. Für die Energiewende ist das nicht zielführend und diese Lücke werden wir mit Gridcert jetzt füllen.
Das Gespräch führte Sven Ullrich.