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Die Kopfverdreher

Klaus Störtebeker kann sie direkt sehen. Das Denkmal des Piraten liegt rund 150 Meter von einem Bürogebäude in der Hamburger Hafencity, auf dessen Dach sich drei vertikale Windmühlen drehen. Denn die Statue trägt ihren Kopf noch auf den Schultern – anders als der Pirat selbst, den der Henker 1401 angeblich köpfte. In dem Gebäude zwischen Elbtorpromenade und Hongkongstraße liegt die Zentrale der Umweltschützer von Greenpeace. Die Vertikaldreher arbeiten in 24 Metern Höhe und sehen in etwa aus wie übergroße Küchenmixer. Die Rotorachse verläuft senkrecht von oben nach unten, deshalb spricht der Experte von vertikalen Anlagen.

Sie haben eine Leistung von drei mal 12,5 Kilowatt. „In der Planungsphase konnte deshalb von vier auf drei Anlagen reduziert werden“, berichtet der Vermieter des Gebäudes Achim Nagel von Immobilien Primus. „Man fragt sich, warum die nicht auf allen Hochbunkern der Stadt stehen“, frohlockt Nagel. Allerdings waren die kleinen Windräder nicht gerade billig.

Sicher gegen Sturm

Die Kosten der gesamten Anlage inklusive Schaltschrank liegen zwischen 250.000 bis 280.000 Euro. „Mit 6.000 Betriebsstunden im Jahr haben wir kalkuliert“, berichtet Jan Jürgensen, Montageleiter bei der Firma Imtech aus Hamburg. Bei 8.640 Stunden im gesamten Jahr bedeutet das eine Laufzeit von 70 Prozent oder 250 kompletten Tagen im Jahr. In zehn Jahren soll sich die Anlage laut Rechnung der Firma amortisiert haben.

Die Windmühlen kommen von der Firma Cleanvertec aus Wien. Durch eine intelligente Leistungsregelung und zwei installierte Bremssysteme sei die Anlage sturm- und unwettersicher, teilt Cleanvertec auf der Website mit. Eine Plausibilitätsprüfung der Sensorwerte verhindere zudem, dass die Anlage durch einen defekten Sensor Schaden nehmen könne.

Neben den drei Kleinwindkraftanlagen soll Solarstrom vom Dach den Strombedarf unter anderem für diverse Wärmepumpen decken. Überschüssiger Strom soll als Hausstrom für Beleuchtung, Fahrstühle und Lüftung genutzt werden. Die Photovoltaikanlage mit 68 Kilowatt Leistung auf dem Dach der Elbarkaden erzeugt auf rund 800 Quadratmetern jährlich gut 60.000 Kilowattstunden Strom. Die Kombination ergibt durchaus Sinn: Denn die Erzeugungsprofile von Kleinwind und Photovoltaik ergänzen sich gut über das Jahr betrachtet, wie das Reiner Lemoine Institut aus Berlin in einer Studie herausfand. Windanlagen liefern gerade nachts und im Winter Strom, wenn die Sonne nicht oder nur wenig scheint.

Eine extra Unterkonstruktion

Ein Teil der Anlage auf der Greenpeace-Zentrale wurde auf einer Stahlkonstruktion über der L-förmigen Dachterrasse montiert. Der andere Teil wurde direkt auf dem Dach verlegt, wobei aufgrund der Gebäudehöhe und der Windlast eine besondere Sicherung der Yingli-Module erforderlich war. Die Unterkonstruktion ist deshalb auf einem speziellen Betonfundament befestigt.

Auch die Deutsche Bahn setzt wie in Hamburg auf ein Konzept mit Kleinwind in der Stadt: Zwei vertikale Kleinwindanlagen stehen seit Mai 2014 auf dem Dach des Berliner Bahnhofs Südkreuz. Über je ein Kilowatt Leistung verfügen die Amperius-Anlagen. Mehrere Tage und Nächte haben Techniker die Unterkonstruktionen errichtet und freitragende Masten aufgestellt. Die zwei futuristischen Windmühlen auf dem Treppenhaus und in der Auffahrtsspindel zum Parkdeck prägen nun nachhaltig den Eindruck der Reisenden.

Die kleine Windkraft ist am „Zukunftsbahnhof Südkreuz“ Teil des Schaufensters Elektromobilität. Bei diesem Forschungsprojekt steht die Vernetzung von erneuerbaren Energien mit der Elektromobilität im Vordergrund. Die auf den Bahnhofsdächern geerntete Energie wird durch ein kleines Smart Grid verteilt oder kann in Batterien zwischengespeichert werden. Und Kleinwind liefert einen Teil des Ökostroms.

Zu viele Tüftler

Allerdings haben vertikale Anlagen einen zweifelhaften Ruf in der Branche: Rolf Weiss kennt diesen Ruf. Er hat über sechs Jahre Vertikaldreher an den Mann gebracht. Seit über einem Jahr verkauft Weiss diese Anlagen mit seiner Firma Windual nicht mehr – sondern nur noch horizontale Windanlagen. „Es sind einfach zu viele Tüftler bei den vertikalen Herstellern unterwegs“, berichtet Weiss. 80 Prozent der Arbeit eines Herstellers seien Planung, nur 20 Prozent hängen letztlich an der Umsetzung. Zudem agierten viele der Tüftler viel zu emotional. Hersteller würden beispielsweise mit Bildern von Kindern mit Pusteblumen werben. Weiss setzt heute nur noch auf zertifizierte Leistungskurven bei Anlagen, die er vertreibt. Und die biete derzeit einfach kein vertikaler Hersteller an.

Klar ist: Vertikale Anlagen müssen sich mit horizontalen Anlagen messen. Ein Nachteil der Vertikaldreher liegt im Aufbau. Weil immer ein Flügel angetrieben und gleichzeitig ein zurückdrehender Flügel vom Wind gebremst wird. Zudem profitieren horizontale Anlagen von der Entwicklungskurve der großen Megawatt-Windanlagen. „Horizontalläufer haben die Nase derzeit einfach vorn, sie sind Stand der Technik“, urteilt auch Patrick Jüttemann aus Bad Honnef. Er betreibt das Portal Klein-Windkraftanlagen.com und beschäftigt sich seit 2002 mit diesem Thema. Denn die schwächeren Wirkungsgrade und Stromerträge in Kilowattstunden von Anlagen, deren Achse vertikal dreht, blieben ein kritischer Punkt. „Das kann nur durch eine Massenfertigung und geringere Stückkosten ausgeglichen werden“, sagt Jüttemann. Eine mögliche Nische könnte es sein, die Anlage als Werbeträger zu nutzen – oder neudeutsch als Eyecatcher. „Vielen gefällt das futuristische Design“, meint er. Die Stromgestehungskosten stünden dann natürlich nicht an erster Stelle. Es wird laut Jüttemann aber dann bedenklich, wenn sich eine Anlage nicht energetisch amortisiert. „Das führt das ökologische Image ad absurdum.“

Falsche Verkaufsargumente

Im dicht besiedelten Wohngebiet gibt es zudem meist zu wenig Wind, beschreibt Jüttemann seine Erfahrungen. „Wenn schwache Windbedingungen herrschen, dann muss im Einzelfall ein Kleinwindrad prinzipiell in Frage gestellt werden“, sagt er weiter. Das Verkaufsargument von vertikalen Herstellern, ihre Anlage gerade in Gebieten mit wenig Wind einzusetzen, sei Augenwischerei, ärgert sich Jüttemann. Zudem stellen die Angaben mancher Anbieter eine Verbrauchertäuschung dar, weil viel zu hohe Erträge suggeriert werden. „Eine Berechnung der Jahreserträge mit im Mittel sieben Metern pro Sekunde auf einem Hausdach in Wohngebieten anzugeben, ist absolut unrealistisch“, weiß Jüttemann.

Eine vertikal drehende Achse auf dem Giebel eines Hausdachs zu befestigen, sei ein zumindest fragwürdiges Konzept. Auch wenn diese Anlagen erst mal besser ins Stadtbild passen. Einige Baubehörden mögen das lieber sehen. Und einige der Vertikaldreher können auch ohne Baugenehmigung errichtet werden. Dennoch weisen die vertikalen Anlagen im Schnitt ein höheres Gewicht auf.

Anlagenhöhe entscheidet

Durch Innovationen müssen die für Vertikalläufer typischen technischen Nachteile verringert werden. Problematisch sind beispielsweise die hohen Schwingungsresonanzen. Deshalb lassen sich nur kurze Masten einsetzen. Die Höhe der Anlage ist aber durchaus entscheidend. Und weil der Mast nicht besonders lang sein darf, ist es umso wichtiger, dass das Gebäude an sich schon einige Höhenmeter aufweist. Wie es bei Greenpeace oder der Deutschen Bahn der Fall ist.

Das Image von vielen vertikalen Anlagen ist dennoch durchwachsen. Viele erreichen nicht die angekündigten Kilowattstunden. Auf der Messe New Energy in Husum zerlegen sich immer mal wieder Anlagen dieser Bautypen, wie Besucher berichten.

Zudem haben Pleiten von Firmen mit Zertifikaten für ihre Anlagen wie Envergate aus der Schweiz und Quiet Revolution aus London gezeigt, dass Vertikaldreher oft noch nicht marktreif sind.

Quiet Revolution galt dabei als Hoffnungsträger in der Branche: Im September 2008 investierte RWE Innogy 7,5 Millionen Euro Risikokapital in eine Minderheitsbeteiligung. Das Hauptprodukt bildete eine vertikale Windturbine mit sechs Kilowatt Leistung.

Leise Revolution

„Kleine Windenergieanlagen, die auf Dächern installiert werden, können einen wichtigen Beitrag leisten“, sagte Fritz Vahrenholt. Damals war der ehemalige Hamburger Umweltsenator noch Vorsitzender der Geschäftsführung bei RWE Innogy. Später machte er sich mit dem Buch „Die kalte Sonne“ auch als Skeptiker des Klimawandels einen Namen. „Vor allem auch dort, wo die Photovoltaik aufgrund fehlender Sonneneinstrahlung nicht effizient zum Einsatz kommt“, erklärt Vahrenholt, solle die Technik installiert werden. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Unternehmen rund 30 Windmühlen gebaut und montiert. Die fünf Meter hohen und rund drei Meter breiten, spindelförmigen Windturbinen sind vertikal ausgerichtet und erzeugen Strom, indem sie sich um die eigene Achse drehen.

Das Modell QR5 war dabei die erste vertikale Windanlage, die auf Basis internationaler Standards zertifiziert wurde. Ende 2011 stellte das Start-up noch die Mikrowindturbine QR5 auf der Nordseeinsel Helgoland auf. Die kostete damals immerhin 35.000 Euro. Rund 7.500 Kilowattstunden sollte sie im Starkwind der Hochseeinsel pro Jahr liefern. Vor gut einem Jahr, Ende September 2013, stieg die Risikosparte des Energiekonzerns RWE wieder aus und verkaufte die Anteile an einen privaten Investor.

Kaum Anlagen installiert

Im Mai dieses Jahres war es aus mit der leisen Revolution; die Firma meldete Insolvenz an. Der US-Experte für Kleinwind Paul Gipe erklärte den Hype um die Firma wie folgt: „Quiet Revolution ist vielleicht das weltweit erfolgreichste Unternehmen gewesen, das seine Windturbinen als Teil eines architektonischen Designs inszeniert hat.“

Derzeit sind vertikale Anlagen noch eine Nische in einem ohnehin kleinen Markt. Im Jahr 2012 wurden im Leitmarkt Großbritannien über 3.700 Kleinwindanlagen installiert. Nur 32 darunter waren vertikale Anlagen.

Es bleibt abzuwarten, welche Lösungen Start-ups und Forschungseinrichtungen in den nächsten Jahren erarbeiten. Jüttemann hofft, dass künftig mal ein Technologiekonzern in die Entwicklung von Kleinwindanlagen einsteigen wird. „Das könnte spannend werden.“

Kleinwindkraftanlagen

Neues Tool berechnet Wirtschaftlichkeit

Mit einem neuen Excel-Tool werden die Jahresstromerträge von insgesamt 15 am Markt angebotenen Kleinwindkraftanlagen berechnet. Die Amortisation einzelner Windturbinen und die Stromgestehungskosten können ebenfalls ermittelt werden. In der Regel gilt, dass Kleinwindanlagen vorwiegend für den Eigenverbrauch vor Ort Strom produzieren. Auch dies berücksichtigt das Excel-Tool. Ertragsberechnungen zu Kleinwindrädern sind im Vergleich mit Photovoltaikanlagen kompliziert. Beispielsweise können Kleinwindanlagen gleicher Leistung sehr unterschiedliche Jahreserträge aufweisen. Auch kann das Windaufkommen von Jahr zu Jahr stärker schwanken, als sich die jährlichen Sonnenstunden unterscheiden.

Folgende Fragen will der Excel-Rechner beantworten: Wie hoch ist der jährliche Energieertrag einer Kleinwindkraftanlage? Wie ändert sich die Jahresstromproduktion, wenn das Windrad höher aufgestellt wird? Wann ist die Anlage abbezahlt und was kann konkret durch den Eigenverbrauch gespart werden? Ziels des Tools ist es, verschiedene Windräder zu vergleichen. Individuelle steuerliche Betrachtungen wurden deshalb nicht berücksichtigt. Zu dem neuen Tool steht ein kleines Handbuch als PDF-Datei bereit. Der Einführungspreis liegt bei 17,99 Euro.

http://www.klein-windkraftanlagen.com/excel

Bundesverband Kleinwindanlagen

Neues EEG und Meldepflicht für kleine Windkraftanlagen

Mit dem Start des neuen EEG Anfang August 2014 müssen auch alle Kleinwindanlagen der Bundesnetzagentur gemeldet werden. Leider gebe es kein Online-Anmeldeportal wie für Photovoltaikanlagen, bedauert der Bundesverband Kleinwindanlagen. Somit muss ein Formular ausgefüllt und unterschrieben an die Bundesnetzagentur geschickt werden. Die anonymisierten Daten erscheinen in einem öffentlichen Anlagenregister. Weitere wichtige Änderungen durch das neue EEG:

  • Eigenverbrauch: Selbst verbrauchter Windstrom wird mit 1,87 Cent pro Kilowattstunde belastet. Die Gebühr steigt jährlich, ab 2017 beträgt sie 2,5 Cent. Es gibt allerdings Ausnahmen für kleine Windkraftanlagen unter zehn Kilowatt Leistung oder unterhalb von zehn Megawattstunden im Jahr.
  • Einspeisetarif: Anlagen unter 100 Kilowatt Leistung können einen fixen Einspeisetarif in Anspruch nehmen. Für Windräder unter 50 Kilowatt beträgt der Einspeisetarif 8,9 Cent pro Kilowattstunde und gilt über 20 Jahre. Der Tarif wird einmal im Quartal angepasst.

https://bundesverband-kleinwindanlagen.de/

Themendossier

Mehr Praxis: Kleinwindkraft

Für unsere Abonnenten bieten wir im Internet unter dem Menüpunkt Dossiers und Themen die gesammelte Fülle unserer Fachartikel und Meldungen an. Dort finden Sie auch exklusive und kostenfreie Downloads unserer Partner. Die Zugangsdaten stehen auf dem Adressaufkleber auf Ihrem persönlichen Exemplar der photovoltaik.

HTW Berlin

Windkraft in Städten

Kleine Windenergieanlagen können sich lohnen, wenn auch nur unter bestimmten Randbedingungen. Das ist das Fazit einer Forschergruppe um Professor Jochen Twele von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW Berlin). Die Wissenschaftler untersuchten mehrere Jahre das urbane Windenergiepotenzial an insgesamt fünf Kleinwindkraftanlagen auf Dächern im Berliner Stadtgebiet.

Sie kamen zu dem Schluss, dass die an den Gebäuden herrschenden turbulenten Winde großen Einfluss auf Ertrag und Stabilität einer Kleinwindanlage haben. Der Leitfaden mit Handlungsempfehlungen für urbane Kleinwindkraftanlagen steht online zum Download bereit. Er soll Anwendern und auch Genehmigungsbehörden helfen.

http://www.kleinwind.htw-berlin.de

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