Architektonisch ist das dreistöckige Mehrfamilienhaus im Waterender Weg in Oldenburg eher unspektakulär. Ein typischer zweckmäßiger Bau aus den 1970er-Jahren, rotbraun geklinkert mit zwei Wohnungen auf jeder Etage. Der Blick aufs Dach lässt jedoch bereits erahnen, dass hier eigener Strom aus Sonnenenergie produziert wird. Denn sowohl auf der Ost- als auch der Westseite sind Solarmodule installiert. Die Photovoltaikanlage mit 28,8 Kilowatt Leistung bildet nur einen Teil der neuen Energieversorgung, die hier im Henne-Haus seit Kurzem zum Tragen kommt.
Das Gebäude war seit 40 Jahren im Familienbesitz und wurde von Thomas Henne erst 2013 übernommen. Es befand sich in baulich gutem Zustand. Nur das Flachdach und die sanierungsbedürftige Heizung, die pro Jahr 200.000 Kilowattstunden Gas schluckte, bereiteten Henne Kopfzerbrechen. Denn laut Energieeinsparverordnung EnEV 2013 mussten veraltete Heizkessel erneuert und die oberste Geschossdecke bis Ende 2015 gedämmt werden, um den Mindestwärmeschutz nach DIN 4108-2 zu erfüllen. Schließlich entweichen etwa 50 Prozent der Wärme aus Gebäuden über das Dach.
Skalierbares Konzept
Doch ein reiner Heizungstausch und die Obergeschossdämmung schienen Thomas Henne zu wenig. „Die Isolierung von Flachdächern mit innenliegender Entwässerung bereitet häufig Probleme“, erklärt er. Daher habe er bewusst nach einer anderen Lösung gesucht. Fündig wurde er bei Fachplaner und Elektromeister Holger Laudeley aus Ritterhude.
Dieser hatte erst einige Monate zuvor den energetischen Umbau eines 70er-Jahre-Einfamilienhauses abgeschlossen. Dessen Energiekonzept hielt Laudeley auch für übertragbar auf ein Mehrfamilienhaus, da die dort eingesetzte Technik skalierbar ist. „Die Lösung klang für mich schlüssig. Funktioniert sie, kann ich langfristig Kosten sparen, meinen Mietern verlässliche Nebenkosten bieten und gleichzeitig etwas für die Umwelt tun“, sagt Henne.
Ziel des Umbaus war es nicht nur, die CO2-Bilanz des Gebäudes essenziell zu verbessern, sondern auch die möglichst autarke Versorgung der Bewohner mit Strom und Wärme zu erreichen. Ein Gewinn für Mieter und Vermieter gleichermaßen. Mit der Umsetzung des Sanierungskonzeptes beauftragte Thomas Henne neben Laudeley Betriebstechnik die beiden Ritterhuder Handwerksbetriebe Wille Bedachung und Klenke Elektrotechnik sowie Jürgen Ahlers Heizung und Sanitär aus Bremen.
Photovoltaikanlage aufgesattelt
Die energetisch-technische Sanierung des Gebäudes erfolgte im Sommer dieses Jahres. Zunächst erhielt der ursprüngliche Flachbau zur besseren Isolierung ein Satteldach, auf das eine Photovoltaikanlage aufgesetzt wurde. Diese deckt seither einen Großteil der Stromproduktion ab.
Die Ost-West-Ausrichtung war eine ganz bewusste Entscheidung. „Auf der Ostseite gibt es oft bereits ab sechs Uhr Sonne. Somit kann der morgendliche Verbrauch abgesichert und mit dem Aufladen der Akkus früh begonnen werden“, erklärt Holger Laudeley. „Am Abend werden hingegen die Sonnenstrahlen über die Westseite des Daches bis zuletzt ausgenutzt.“ Das neu entstandene Satteldach für Solarthermie anstatt für Photovoltaik zu nutzen, stand von Anfang an nicht zur Debatte. Aus Kostengründen. „Strom ist fünfmal so viel wert wie Wärme“, rechnet Laudeley vor. „Deshalb hätte es hier gar keinen Sinn gehabt, Solarthermie aufs Dach zu packen.“
Wärmeversorgung bleibt gesichert
Von einer Dämmung der Außenwände riet der Fachplaner ebenfalls ab. „Wichtig ist, dass das Gebäudeklima erhalten bleibt“, begründet er. „In Häusern aus den 1970er-Jahren wie diesem ist eine Dämmung von Kellerdecke und Dach völlig ausreichend. Würde man zusätzlich die Wände dämmen, wäre das Risiko von Schimmelbildung viel zu groß.“ Bei Häusern aus den 1960er-Jahren sei das ähnlich, nur dass hier häufig noch der Einbau von neuen Fenstern nötig werde, weiß Laudeley.
Um in dem Sechsfamilienhaus eine zeitgemäße Wärmeversorgung zu realisieren, wurde die alte, ohnehin sanierungsbedürftige Gasheizung ausgebaut. Stattdessen stehen nun zwei Mikro-BHKW vom Typ Evita 25s von Remeha aus Emsdetten im Keller.
Die beiden Heizgeräte mit Stirlingmotor sind kaskadiert und produzieren Strom und Wärme im Verhältnis eins zu fünf. „Wenn ein KWK-Gerät ausfallen sollte oder gewartet werden muss, bleibt die Wärmeversorgung gesichert“, erklärt Heizungsmonteur Jürgen Ahlers die Vorzüge dieser Vernetzung. Daneben gibt es zwei Spitzenlastkessel auf Brennwertbasis, um die zusätzliche Wärmeversorgung in den Wintermonaten abzusichern.
Energiefarm speichert den Strom
Bei Wärmebedarf im Haus springen deshalb zunächst die beiden Stirlingmotoren an. Um deren Überhitzung zu vermeiden, wird die produzierte Wärme in einem Pufferspeicher zwischengelagert, bevor sie im Mietshaus verbraucht wird. Erst wenn diese gepufferte Wärme aus dem Speicher nicht mehr ausreicht, übernehmen die Spitzenlastkessel die zusätzliche Produktion.
Im Sommer genügt hingegen die Brauchwasser-Wärmepumpe von Brötje zur Warmwasserbereitung. Die Wärmepumpe verfügt über einen Warmwasserspeicher mit 300 Litern Fassungsvermögen und befindet sich ebenso wie die Mikro-BHKW im Heizungsraum des Hauses von Thomas Henne. Sie wird entweder direkt mit dem Photovoltaikstrom vom Dach oder mit zwischengespeichertem Strom betrieben.
Das eigentliche Herzstück der neuen Energieversorgung im Henne-Haus bilden zwei Hauskraftwerke vom Typ S10-E12 des Osnabrücker Stromspeicherherstellers E3/DC. Sie optimieren die Stromversorgung und übernehmen als Smart-Home-Zentrale gleichzeitig das intelligente Energiemanagement im Gebäude. An die Hybridgeräte können sowohl Wechselstromerzeuger wie das Mikro-BHKW als auch Gleichstromerzeuger wie die Photovoltaikanlage angeschlossen werden.
Speicherkaskade im Keller
Die Hauskraftwerke besitzen eine Kapazität von jeweils 15 Kilowattstunden und speichern den selbst erzeugten Strom in Lithium-Ionen-Akkus von Panasonic und Sanyo. Auch sie werden parallel geschaltet und bilden eine sogenannte Energiefarm. Dabei ist nur ein Anschluss ans öffentliche Stromnetz notwendig.
Das mit dem Netz verbundene Gerät wird Master oder Farmmanager genannt. Dieser erhält sämtliche Informationen aus dem Energienetz, misst die Energieflüsse im Haus und speichert alle Daten – von der Stromerzeugung über den Ladestand der Batterien bis hin zum Verbrauch.
Mit dem zweiten Speicher, dem S10-Slave, kommuniziert er über das Internet und gibt Befehle, wenn Strom gespeichert oder ausgespeist werden soll. „Mit der Kaskadierungsschaltung der Stromspeicher können wir die Ausspeiseleistung auf sechs Kilowatt verdoppeln“, erklärt Elektroinstallateur Holger Laudeley den Nutzen und die Effektivität der Energiefarm. „Dadurch ist es möglich, dass sich die Mietparteien den selbst erzeugten Strom auch dann nach Bedarf aufteilen, wenn die Photovoltaikanlage in der Nacht oder im Winter keinen Strom produziert.“ Für absolute Lastspitzen sowie die Einspeisung überschüssigen Stroms bleibt ein Anschluss an das öffentliche Netz bestehen.
Die Lithium-Ionen-Akkus der Hauskraftwerke speichern den Strom aus der Photovoltaik- und der KWK-Anlage, bis er in den sechs Wohnungen oder den Gemeinschaftsflächen gebraucht wird. Sind die Akkus voll, werden entstehende Stromüberschüsse automatisch ins Netz eingespeist. Dafür erhält Thomas Henne eine Einspeisevergütung von 12,7 Cent pro Kilowattstunde für den Photovoltaikstrom. Für den KWK-Strom würde er lediglich 5,7 Cent als KWK-Bonus erhalten. Daher ist es sinnvoll, den Strom entweder direkt zu verbrauchen oder im Hauskraftwerk zwischenzuspeichern. Strom aus dem öffentlichen Netz muss der Hauseigentümer nur selten in kleinen Mengen beziehen: im Fall, dass alle Akku-Reserven mal aufgebraucht sind.
Gasverbrauch halbiert
Durch seine Energieumstellung hat sich für Thomas Henne viel verändert. Er ist jetzt nicht mehr nur Hauseigentümer und Vermieter, sondern zusätzlich Energieversorger geworden. Als Strom- und Wärmeproduzent gewährt er seinen Mietern Nutzungsrechte gegen Entgelt. Zu diesem Zweck hat er eine GbR gegründet.
Seine Mieter wurden über die Hausverwaltung frühzeitig über seine Pläne informiert. „Alle waren mit dem Umbau einverstanden“, erinnert sich Henne. Das ist nicht verwunderlich, denn Strom- und Gaskosten sind für die Mieter jetzt niedriger als früher. Eine Preisgarantie verspricht ihnen mindestens zehn Jahre konstante Kosten.
Die Nebenkostenabrechnung im Mietshaus erfolgt seit dem Umbau über intelligente Stromzähler von Discovergy. Zwölf unterschiedliche Smart Meter erfassen sämtliche Daten. Sie erlauben eine differenzierte Abrechnung von überschüssigem Solar- und KWK-Strom nach EEG im Falle der Photovoltaik und nach dem KWK-Gesetz im Falle des Stroms aus dem BHKW.
Die übrigen Stromzähler dienen zur Erfassung der Wohnungsdaten sowie des Allgemeinstroms und der an das Haus angedockten Wallbox. Sie dient dem Laden von Elektroautos. Denn Thomas Henne will mit dem Kauf eines Elektromobils die autarke Energieversorgung im Haus perfekt machen.
Das Fahrzeug könnte gemeinschaftlich von den Mietern genutzt werden, so seine Vision. Für ihn wäre dies eine weitere Möglichkeit, den überschüssigen Sonnen- und KWK-Strom auch selbst zu nutzen und nicht mit Verlust ins Netz einspeisen zu müssen.
KWK-Strom selbst nutzen
Für die Bewohner bedeuten die neuen Stromzähler größtmögliche Transparenz. „Im Portal von Discovergy sehen die Mieter jeweils den Verbrauch ihrer Wohnung“, sagt Vermieter Thomas Henne. „Allein dadurch können wir von einem deutlich sparsameren Umgang mit Strom ausgehen“, prognostiziert er.
Neben den Stromzählern will der Hausbesitzer auch Wärmemengenzähler installieren lassen. „Die Gasabrechnung erfolgt im Moment noch auf Basis der Wohnungsgröße“, erklärt er. Diese liegt bei den sechs Wohnungen zwischen 52 und 69 Quadratmetern.
Installateur Holger Laudeley rechnet durch die neue Heizung, die verbesserte Dämmung sowie die ersten Erfahrungswerte in der dunkleren Jahreszeit im November damit, dass der vorherige Gasbedarf von insgesamt 200.000 Kilowattstunden um die Hälfte reduziert werden kann. „Allein dadurch spart die Gemeinschaft in 20 Jahren mindestens 112.000 Euro“, prognostiziert er zuversichtlich.
Hohe Quote der Autarkie erreicht
Thomas Henne hat in den energetischen Umbau insgesamt 200.000 Euro investiert. Zur Amortisation der Kosten tragen mehrere Faktoren bei. Die Einspeisevergütung für den Solar- und den KWK-Strom und die KWK-Förderung der Heizgeräte in Höhe von 2.700 Euro machen dabei nur den geringsten Teil aus. Wesentlich größer ist da schon der Anteil des stark verminderten Strom- und Gasbezugs aus dem öffentlichen Netz, verbunden mit dem Verkauf der Energie an seine Mieter.
Dass das energetische Konzept in Oldenburg auch in der kalten Jahreszeit aufzugehen scheint, belegen die aktuellen Zahlen. In den Herbstmonaten hat das Gebäude von Thomas Henne ähnlich hohe Autarkiequoten in der Stromversorgung wie im Sommer erreicht. Selbst im November lagen sie bei durchschnittlich 98 Prozent.
Fest steht schon jetzt, dass Thomas Henne mit seinem Hausumbau einen Meilenstein gesetzt hat. Noch ist energetische Selbstversorgung im Mietshaus ein Novum.
Unabhängigkeit für jeden erschwinglich
Aber durch die fortschreitende Entwicklung im Bereich von Energie- und Speichertechnologien wird Autarkie vielleicht bald für jedermann erschwinglich. Das Potenzial jedenfalls ist gewaltig, denn in Deutschland gibt es zwei Millionen Mehrfamilienhäuser, in denen Privatpersonen wie Thomas Henne Wohnungen vermieten.
Laut der Deutschen Energieagentur (Dena) sind zwei Drittel dieser Gebäude energetisch sanierungsbedürftig. Zusätzlich nehmen die Vorschriften zur Modernisierung seitens der Bundesregierung zu. Auf diese Weise steigt der Druck auf die Vermieter, die Modernisierung ihrer Gebäude endlich anzugehen.
Die Autorin
Petra Richter
ist Leiterin Marketing beim Osnabrücker Technologieunternehmen E3/DC GmbH, einem führenden Entwickler und Hersteller intelligenter und langlebiger Stromspeichersysteme sowie Ladesysteme für Elektrofahrzeuge.