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Elektromobilität

In 150 Sekunden geladen

Bei der Energiewende im Verkehrssektor liegt der Schwerpunkt auf dem Umstieg vom Pkw mit Verbrennungsmotor auf die elektrisch angetriebene Variante. Dies ist aber nur eine Dimension der Verkehrswende. Eine weitere ist der Umstieg auf die kollektive Mobilität – sprich: den ÖPNV.

Doch auch hier ist die Elektrifizierung vor allem im Busverkehr notwendig. Die Betreiber der Busflotten stehen allerdings vor der Frage: Wo sollen sie ihre Fahrzeuge für den Linienbetrieb laden? Viele Betreiber haben zunächst die Idee verfolgt, dies über Nacht im Depot zu erledigen. Die Nachteile sind: Die Busse brauchen sehr große Speicher, was viel Geld kostet, und sie müssen zum Nachladen immer zum Depot zurück.

Kleine Batterie reicht aus

Die Verkehrsgesellschaft Gersprenztal (VGG) setzt deshalb auf das sogenannte Streckenladen, das sie im Rahmen des Pilotprojektes „Buffered Hochleistungsladen“ (BHLL) austestet. Dabei tanken die Elektrobusse unterwegs an bestimmten Haltestellen immer wieder ein kleines Häppchen Strom nach, um den nächsten Streckenabschnitt zu absolvieren. „Dadurch kommt der Elektrobus auch mit einer kleineren Batterie aus, was ihn in der Anschaffung deutlich günstiger macht“, erklärt Kirsten Jahn, Marketingleiterin von Adaptive Balancing Power.

Genügend Strom für einen Umlauf

Das Unternehmen aus dem hessischen Pfungstadt hat im 20 Kilometer weiter südlich gelegenen Bensheim zusammen mit der VGG und weiteren Partnern ein Anwendungsprojekt zum Streckenladen umgesetzt. Dazu wurde am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) vor dem Bahnhof in Bensheim einer der Haltepunkte mit einer Ladestation ausgestattet.

Dabei handelt es sich um eine Ladehaube, die unter der Überdachung der Bushaltestelle montiert ist. Wenn der Elektrobus in die Haltestelle einfährt, fährt er einen Pantografen aus, der den Bus mit dem Ladepunkt verbindet. Der Bus lädt so lange, bis die Fahrgäste aus- und eingestiegen sind. Danach kann er weiterfahren. „Der Bus steht beispielsweise 150 Sekunden an der Haltestelle und kann in dieser Zeit genügend Energie für einen Umlauf laden“, erklärt Niko Gehbauer, technischer Projektleiter bei Adaptive Balancing ­Power. „Wenn er wieder am Ausgangspunkt am ZOB in Bensheim angekommen ist, kann er wieder laden.“

Die Herausforderung ist, dass der Bus auch tatsächlich genügend Strom laden kann, der für eine zehn Kilometer lange Runde im städtischen Nahverkehr ausreicht. Das bedeutet, die Ladestation muss den Strom mit viel Leistung in den Akku des Busses schieben. Vor Ort existiert aber ein Netzanschluss mit einer Leistung von nur 80 Kilowatt. Das ist für diesen Zweck zu wenig. Denn der Bus hat eine maximale Ladeleistung von 240 Kilowatt und in dieser Größenordnung muss auch die Ladestation liefern.

Schwungmasse speichert Strom

Statt den Netzanschluss teuer und vor allem zeitaufwendig auszubauen, wurde zusätzlich zum Ladesystem ein Speicher installiert. Diesen hat Adaptive Balancing Power geliefert. Dabei handelt es sich um einen Schwungmassenspeicher namens Flywheel.

Das Herz des kinetischen Speichers ist ein Hohlzylinder, der robust aus Kohlenfasern gefertigt ist. Dieser Rotor nimmt Energie aus dem Netzanschluss auf und speichert sie Form von kinetischer Energie durch die Drehung des Zylinders. Wird elektrische Energie mit hoher Leistung zum Laden des Busses benötigt, wird der rotierende Hohlzylinder durch einen Generator abgebremst, der Strom liefert.

Der Speicher liefert die Leistung, die der Netzanschluss nicht hergibt, um den Strom schnell genug in die Batterien des Busses zu schieben.

Foto: Jochen Schaede

Der Speicher liefert die Leistung, die der Netzanschluss nicht hergibt, um den Strom schnell genug in die Batterien des Busses zu schieben.

Leistung gut verteilt

Die Energiemenge, die der Speicher zwischenlagert, hängt von der Umdrehungszahl des Zylinders ab. In Bensheim hat Adaptive Balancing Power einen Speicher mit einer Kapazität von zehn Kilowattstunden installiert. Das ist ausreichend. Denn der Elektrobus kann innerhalb der vorgegebenen 150 Sekunden mit der anliegenden Leistung aus Speicher und Netzanschluss von zusammen 240 Kilowatt etwa zehn Kilowattstunden aufnehmen.

Dabei kommen etwas weniger als 80 Kilowatt Leistung aus dem Netzanschluss – schließlich muss damit auch noch der sonstige Strombedarf gedeckt werden – und 180 Kilowatt aus dem Speicher. Ist der Bus auf der Strecke, lädt sich der Speicher mit der vorhandenen Netzanschlussleistung wieder auf.

Adaptive Balancing Power legt die Systeme entsprechend den Gegebenheiten vor Ort aus. Ist der Netzanschluss weniger leistungsstark, kann die Speicherleistung erhöht werden. Insgesamt ist dies mit einer Speichereinheit bis zu einer Leistung von 240 Kilowatt möglich. Bei Leistungsanforderungen, die darüber hinausgehen, können mehrere der Speichermodule parallel verschaltet werden.

Die Installation des Speichers war nicht ganz einfach. Denn in dem dicht bebauten Gebiet rund um den ZOB ist direkt nebenan eine Tiefgarage und diese darf auch im Havariefall nicht beschädigt werden. Der Zylinder im Speicher dreht mit immerhin bis zu 18.000 Umdrehungen. Im laufenden Betrieb wird es durch die kontaktlose Lagerung des Zylinders auf Magnetlagern in einem Hochvakuum nicht zu Schwingungen kommen.

Fest im Boden verankert

Doch wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, wird das Drehmoment nach außen übertragen. Damit in solchen Fällen nichts schwingt und der Speicher sich nicht um sich selbst dreht, musste an diesem Standort ein massives Fundament gebaut werden, auf dem das System fest montiert ist. Es besteht aus dem eigentlichen Speicher, einer Steuereinheit und einer Netzeinheit. Daneben steht ein Messwandlerschrank.

Die Messtechnik hat Isabellenhütte Heusler entwickelt und integriert. Das Unternehmen aus Dillenburg entwickelt im Bereich Präzisionsmesstechnik Lösungen für die Messung von Strom und Spannung unter anderem in Ladesystemen. Die Kommunikation zwischen Ladehaube, Speicher und Bus hat Curocon realisiert. Das Unternehmen aus dem hessischen Zwingenberg hat sich auf solche Lösungen spezialisiert.

Mehr Koordination notwendig

Das Projekt in Bensheim zeigt, dass das Streckenladen von Elektrobussen im Linienverkehr des ÖPNV gut funktioniert. Zurzeit lädt hier nur ein Bus. Alle anderen Fahrzeuge der VGG sind noch mit Diesel unterwegs. Doch das könnte sich ändern. Dann ist aber auch mehr Koordination notwendig.

Wie diese Umstellung praktisch umgesetzt werden kann, haben die Wissenschaftler des Reiner Lemoine Instituts (RLI) ausgerechnet. Sie begleiten das gesamte Projekt zum speichergestützten Hochleistungsladen, in dessen Rahmen die Anlage in Bensheim installiert wurde, vonseiten der Wissenschaft. Bei einer vollständigen Umstellung der Busse der VGG auf batterieelektrischen Antrieb ist aus betrieblicher Sicht eine Umstellung auf geeignete Elektrofahrzeuge mit Strecken- und Depotladung sinnvoll. Beim Einsatz von speichergestütztem Streckenladen lassen sich rund 30 Prozent Investitionskosten einsparen, verglichen mit dem sonst notwendigen Netzausbau.

16 Haltestellen mit Speicher ausrüsten

Diese effizientere und günstigere Option wurde auf Basis von Simulationen gewählt, die zeigen, dass mit der aktuellen Bustechnologie das übliche Konzept des Depotladens nur bei etwa 70 Prozent der Strecken möglich ist. Auf das Streckenladen kann also nicht verzichtet werden. „Für bis zu 16 von insgesamt 21 Haltestellen ist eine Zwischenladung an einer Schnellladestation mit Schwungradpufferspeicher möglich“, erklärt Julian Brendel, der für das RLI das Projekt leitet. „Dort wird dann nur ein Niederspannungsanschluss anstelle eines Mittelspannungsanschlusses benötigt.“

Dann muss auch kein Transformator installiert werden. Das spart viel Platz und vereinfacht die Planung. „Für diesen Fall reduzieren sich die Investitionskosten um knapp zwei Millionen Euro“, weiß Julian Brendel. Doch schon jetzt ist die VGG mit dem Speicher am Busplatz am Bahnhof in Bensheim gut aufgestellt. „Die Daten des Reiner Lemoine Instituts zeigen, dass mit einer Speicherladestation die komplette Elektrifizierung von drei Buslinien möglich ist“, sagt Niko Gehbauer.

Dann ist der Speicher zwar für den nächsten Bus eventuell nicht ganz aufgeladen. Die Strommenge, die zum Teil auch aus dem Netzanschluss kommt, reicht aber aus, um den Bus so weit zu laden, dass er nach einem Umlauf mit einem ausreichenden Ladestand wieder an der Station ankommt.

Zudem kommt der Bus vor der ersten Fahrt ohnehin vollgeladen aus dem Depot. Er muss im laufenden Linienbetrieb immer nur die Strommenge nachladen, die für einen Umlauf ausreicht. Faktisch lädt er aber immer mehr als benötigt.

Denn der niederländische Bushersteller VDL, der den Citea LLE-99 Electric nach Bensheim geliefert hat, gibt das Speichervolumen seines Fahrzeugs mit 180 Kilowattstunden an. Der Verbrauch liegt bei etwa 0,8 Kilowattstunden pro Kilometer.

Der Bus braucht für den Umlauf von zehn Kilometern tatsächlich nur acht Kilowattstunden. Mit den zehn nachgetankten Kilowattstunden ist er so auch bei kaltem Wetter auf der sicheren Seite.

Der Pantograf ist direkt auf dem Bus montiert. Zum Laden fährt er unter die Ladehaube, die an der Überdachung angebracht ist.

Foto: Jochen Schaede

Der Pantograf ist direkt auf dem Bus montiert. Zum Laden fährt er unter die Ladehaube, die an der Überdachung angebracht ist.

Sicherheitspuffer eingespeichert

Sollte das Volumen des Pufferspeichers am ZOB irgendwann nicht mehr ausreichen, wäre auch eine Nachrüstung möglich. Adaptive Balancing Power hat inzwischen einen Speicher mit 20 Kilowattstunden Kapazität entwickelt, der dann kaskadierend dazugeschaltet werden kann.

Das erreicht der Hersteller maßgeblich mit einer höheren Drehzahl und einem größeren Radius der Schwungmasse. „Die Kapazität steigt bei der Erhöhung der Drehzahl und des Radius quadratisch an“, weiß Niko Gehbauer.

Derzeit ist der installierte Speicher mehr als ausreichend. Auf die Projektpartner kommen beim Umstieg des Busverkehrs auf elektrischen Antrieb jedoch weitere Themen zu. „Der Linienverkehr ist auf eine knappe und passende Taktung ausgelegt und nicht auf Ladepausen“, beschreibt Niko Gehbauer das Problem. „Das heißt, wenn der Bus zu spät kommt, ist die Pause möglicherweise zu kurz für einen Ladevorgang oder ein anderer Bus blockiert die Parkbucht und somit die Ladestation.“

Aufgaben für den Linienverkehr

Deshalb ist es wichtig, dass die Verfügbarkeit des Fahrzeugs für die Schnellladevorgänge gewährleistet ist. „Dann kommt der Bus abends immer mit einer ausreichenden Restkapazität im Depot wieder an, egal ob solche Hindernisse im Tagesverlauf aufgetreten sind“, sagt Gehbauer.

Im weiteren laufenden Praxisbetrieb in Bensheim werden die Eigenschaften der Anlage weiter analysiert. So wollen die Projektpartner herausfinden, wie viele Busse an einem solch zentralen Halt tatsächlich mit einer Anlage versorgt werden können.

So sieht es im Inneren des Schwungradspeichers aus. Die Schwungmasse rotiert auf Magnetlagern im Vakuum.

Foto: Adaptive Balacing Power

So sieht es im Inneren des Schwungradspeichers aus. Die Schwungmasse rotiert auf Magnetlagern im Vakuum.