Schon seit vielen Jahren geht es bei der Installation von Solaranlagen auf Flachdächern vor allem darum, den dort produzierten Strom selbst zu nutzen. Dabei ist der Photovoltaikgenerator aber nur das Herz eines Systems, das die Energie vom Dach intelligent so verteilt, dass ein möglichst großer Teil davon im Gebäude verbraucht wird.
Dies war auch das Ziel von Thomas Herrmann. Er ist Geschäftsführer von Herrmann Kräuter in Neuss. Das Familienunternehmen produziert schon in der vierten Generation Schnittkräuter im Neusser Rheinbogen und in einem riesigen Gewächshaus im Neusser Stadtteil Grimlinghausen. In der Gewerbehalle neben diesem Gewächshaus werden die frischen Kräuter verpackt und bis zur Auslieferung gekühlt.
850 Megawattstunden Jahresbedarf
Nicht nur den Lebensmitteleinzelhandel, sondern auch Großkunden aus der Gastronomie beliefert das Neusser Unternehmen jede Woche mit immerhin 200 Tonnen frisch geschnittenen Kräutern. Dafür ist jede Menge Energie notwendig, um die Ware zu verpacken und frisch zu halten. Außerdem verbraucht die Belichtung in den Treibhäusern riesige Mengen an Strom – nicht nur in der Nacht, sondern auch am Tage. Denn für ein gutes Wachstum sollten Pflanzen im Gewächshaus möglichst ganztägig belichtet werden.
So kommen jedes Jahr 850.000 Kilowattstunden Strom zusammen. Dies entspricht dem durchschnittlichen jährlichen Strombedarf von mehr als 200 Vier-Personen-Haushalten in Deutschland. Einen Teil des benötigten Stroms lieferte bisher ein Blockheizkraftwerk (BHKW) – quasi als Abfallprodukt bei der Wärmeversorgung des Unternehmens. Den Rest des Stroms kaufte Herrmann Kräuter bisher vom Versorger – zu steigenden Preisen.
Maximale Unabhängigkeit erreicht
Um die Kostenspirale zumindest teilweise zu bremsen, entschied sich Thomas Herrmann für die Installation einer Photovoltaikanlage. „Aufgrund des hohen Stromverbrauchs war eine sehr große Solaranlage notwendig. Wir haben uns deshalb für einen Generator mit einer Leistung von 416 Kilowatt und einen Stromspeicher mit einer Kapazität von 207 Kilowattstunden entschieden“, berichtet Reinhold Kempka.
Er ist Geschäftsführer von Kempka Elektrotechnik. Die Planer des Neusser Unternehmens haben die gesamte Lösung für Herrmann Kräuter zusammen mit Kollegen des Systemanbieters IBC Solar aus dem fränkischen Bad Staffelstein ausgelegt. Der große Solargenerator auf dem Flachdach liefert jetzt immerhin 340.000 Kilowattstunden im Jahr.
Das reicht zwar nicht aus, um den gesamten Strombedarf zu decken. Doch mehr Platz für noch mehr Solarleistung war auf den Dächern nicht vorhanden, sodass Herrmann das Maximum an Unabhängigkeit erreicht hat, das vor Ort möglich ist. „Als innovatives Unternehmen wollte die Firma Herrmann Kräuter ein ganzheitliches Konzept haben, in dem möglichst wenig Energie von außen bezogen werden muss“, beschreibt Andreas Lipphardt die Aufgabe der Planer.
Verbraucher und Erzeuger steuern
Er ist bei IBC Solar für die technische Umsetzung von gewerblichen Solaranlagen verantwortlich. „Um dies zu gewährleisten, war ein Energiemanagementsystem erforderlich, das entsprechend geplant werden musste und sowohl die starken Verbraucher als auch die Photovoltaikanlage, das BHKW und sogar die Elektromobilität berücksichtigt.“ Dabei war es auch wichtig, dass möglichst wenig Lastspitzen über den Netzanschluss laufen. Vielmehr sollen sie ebenfalls durch den Solarstrom und das neue Energiesystem abgedeckt werden.
Aus diesem Grund haben sich die Planer dafür entschieden, einen großen Speicher zu integrieren – trotz der Tatsache, dass der größte Teil des Stroms ohnehin vor Ort verbraucht wird. Immerhin 207 Kilowattstunden kann Herrmann Kräuter in diesem Speicher zwischenlagern. Das ist zwar weniger als ein Zehntel des Tagesverbrauchs des Unternehmens. Doch der Speicher hat ja vor allem die Aufgabe, Lastspitzen zu kappen.
Anschlussleistung abfedern
Gerade Gewerbebetriebe nutzen die Leistung ihres Netzanschlusses nur selten voll aus. Diese muss aber erhalten bleiben, solange die Lastspitzen auftreten, etwa beim Einschalten von Maschinen oder Anlagen. Selbst wenn eine solche Lastspitze nur ein Mal im Jahr auftritt, muss die volle Spitzenleistung über das gesamte Jahr hinweg bezahlt werden.
Energiekosten aktiv senken
Ein Stromspeicher kann dies umgehen. Denn er liefert in dem Moment die Leistung, die während einer solchen Lastspitze abgerufen wird. Damit kann der Gewerbebetrieb teure Leistung für den Netzanschluss reduzieren. Der Speicher muss dann so ins Energiemanagement eingebunden werden, dass er diese Aufgabe auch übernehmen kann. Das Energiemanagement erkennt, wenn eine Lastspitze auftritt, und gibt innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde eine Information an den Speicher, dass er starten soll. Aufgrund der hohen Regelgeschwindigkeiten, die Stromspeicher erreichen, kann er dies ebenfalls innerhalb von Sekundenbruchteilen tun, sodass am Netzanschluss die Lastspitze abgefedert wird. Auf diese Weise macht sich Herrmann Kräuter nicht nur ein Stück weit unabhängig von steigenden Strompreisen, sondern kann auch aktiv seine gesamten Energiekosten reduzieren.
Diesen und weitere Beiträge rund um die Nutzung von Gewerbedächern für die Photovoltaik lesen Sie im aktuellen Flachdach-Spezial. Dieses steht für Sie zum Download bereit.•
https://www.photovoltaik.eu/special-flachdach-2022
Ampeers Energy
Energiekonzept für klimaneutrales Gewerbegebiet
Der Softwareanbieter Ampeers Energy und das Management von nachhaltigen Immobilien Green Rock entwickeln im Südosten Bayerns ein Gewerbequartier der Zukunft. Dafür hat Ampeers Energy die Energieflüsse simuliert und mögliche Nutzungsszenarien der lokal produzierten Stromüberschüsse im Quartier ausgearbeitet.
Das Ziel: das Gewerbegebiet möglichst zu einem großen Teil mit vor Ort produziertem Ökostrom zu versorgen und gleichzeitig die Erträge aus den installierten Solaranlagen zu einem hohen Anteil im Quartier zu nutzen – auch in Form von Wasserstoff. Dazu bekommen alle Gebäude eine Solaranlage, deren Strom über ein angepasstes Energiekonzept verteilt wird.
Darin enthalten ist eine komplett strombasierte Wärmeversorgung auf Basis dezentral installierter Luftwärmepumpen. Dadurch bleiben Investitionskosten gering und amortisieren sich schneller als der Aufbau eines Quartiersnetzes. Das dezentrale Szenario hat zudem den Vorteil, dass sich die einzelnen Liegenschaften besser zeitlich versetzt vermarkten lassen.
Die Analyse zeigt, dass das Gewerbequartier in den Sommermonaten Strom im Überfluss hat. Denn die Solaranlagen erzeugen jedes Jahr mehr als sieben Gigawattstunden Strom. Der Eigenverbrauchsanteil liegt voraussichtlich im einstelligen Bereich. Dieser Anteil lässt sich durch Mieterstrommodelle versechsfachen, wenn alle Mieter im Gewerbegebiet mitmachen.
Doch bleibt dann immer noch die Hälfte des erzeugten Stroms übrig. Um diesen vor Ort zu nutzen, beziehen die Projektpartner die Produktion von Wasserstoff ein. Für Wasserstoff gibt es im Gewerbequartier mehrere Nutzungsmöglichkeiten. Zum einen eine stationäre Brennstoffzelle zur Rückverstromung im Winter und Nutzung der Abwärme, zum anderen die direkte Nutzung zur Wärmegewinnung über Wasserstoff-Dunkelstrahler oder für Mobilitätsanwendungen.
Die Simulation eines Elektrolyseurs im Gewerbegebiet durch Ampeers Energy hat ergeben, dass der Eigenverbrauch der größten Solaranlagen im Quartier dann von 38 auf 47 Prozent steigen kann. Zusätzlich ist ein saisonaler Speicher nötig, da die Solarstromerzeugung übers Jahr hinweg schwankt.