Lange lag das Gelände in Groß Dölln bei Templin brach. Bis vor einem Vierteljahrhundert starteten und landeten die Düsenjäger der sowjetischen Armee auf dem Flugplatz 80 Kilometer nördlich von Berlin. Jetzt stromt hier ein Solarkraftwerk mit einer Leistung von 128 Megawatt. Die über 1,5 Millionen Dünnschichtmodule der derzeit größten Photovoltaikanlage Deutschlands speist seit dem 21. April dieses Jahres sauberen Solarstrom ins Netz ein. Innerhalb von nur vier Monaten haben die Mitarbeiter des Systemanbieters Belectric aus dem bayerischen Kolitzheim das Solarkraftwerk erbaut.
Ein solches Filetstück der Solarbranche kann nicht jeder realisieren. Die Insolvenz des Konkurrenten Solarhybrid im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass selbst große Systementwickler ins Straucheln kommen können. Die Sauerländer haben sich mit einer üppigen Projektpipeline eingedeckt. Am Ende reichten die liquiden Mittel aber nicht mehr aus, auch nur ein Projekt davon zu realisieren. „In einer Branche, in der es immer um Aufbau und Wachstum ging, gerät die Liquidität schnell in den Hintergrund“, sagt Philipp Seherr-Thoß, Leiter der operativen Geschäfte bei Milk the Sun. „In der jetzigen Phase, in der weniger Aufträge vergeben werden und die Margen nicht mehr so hoch sind, legen die Unternehmen mehr Wert auf das Liquiditätsmanagement.“
Beim Berliner Onlinehändler von Photovoltaikanlagen und Projektrechten melden sich immer mehr große Systemanbieter und Projektentwickler. Sie bieten dort ihre Anlagen und Projektrechte, die sie nicht mehr realisieren können, zum Verkauf an, weil das Geld fehlt oder um sich das Geld zu verschaffen, mit dem sie die nächsten Projekte vorfinanzieren können. „Die Projektentwickler kommen zu uns, weil die Auftraggeber später bezahlen als vorgesehen“, weiß Seherr-Thoß „Sie entscheiden sich deshalb, Projekte zu verkaufen. Denn aufgrund der Tatsache, dass die Margen geringer geworden sind, generiert ein verkauftes Projekt nicht mehr so viel Geld, dass man damit ein zweites Projekt vorfinanzieren kann.“
Den Überblick behalten
Diese niedrigen Margen zwingen vor allem die Anbieter von großen Systemen dazu, ständig einen detaillierten Überblick über ihre Projektkasse zu behalten, besonders wenn die Finanzdecke dünn ist. „Insgesamt geht es darum, den Zahlungsmittelbestand und die Ausgaben so zu managen, dass immer genügend liquide Mittel vorhanden sind“, sagt Seherr-Thoß. „Die Projektentwickler und Systemanbieter müssen ihre bisher eher kurzfristige Betrachtung der eigenen Liquidität ausweiten auf eine mindestens quartalsweise Betrachtung, um nicht vor einem Zahlungstermin ohne Geld dazustehen.“ Denn die Systemanbieter und Projektierer müssen den gesamten Bau einer Solarstromanlage vorfinanzieren. Das heißt: Es fallen nicht nur Rechnungen für die Komponenten und Montagesysteme an. Auch die Arbeiter und Subunternehmer wollen bezahlt werden.
Zusätzlich sind die Lieferanten nicht mehr so großzügig mit den Zahlungszielen. „Es gab eine Phase, in der man ziemlich langfristige Zahlungsziele vereinbaren konnte, so dass die Komponenten erst dann bezahlt werden mussten, wenn das Projekt fertig war“, weiß Philipp Seherr-Thoß. „Das hatte mit dem Preisverfall zu tun. Aber diese Zeiten sind längst vorbei. Jetzt muss man wirklich die Projekte aus den liquiden Mitteln selbst finanzieren.“
Große Anlage mit hohem Risiko
Je größer die Anlage wird, desto größer ist auch das Risiko, dass während des Baus etwas schief geht mit dem Zahlungsmittelfluss. „Wir sehen einen deutlich höheren Aufwand beim Liquiditätsmanagement“, sagt Karl Kuhlmann, Vorstandsvorsitzender von S.A.G. Solarstrom in Freiburg. „Größere Projekte – also etwa ab einer Größenordnung von einem Megawatt – sind ohne eine genaue Liquiditätsplanung, die sowohl den Bau als auch den Zeitraum bis zur Endfinanzierung mit berücksichtigt, gar nicht mehr denkbar“, erklärt er. „Hier erwarten unsere Investoren, dass das Liquiditätsmanagement über uns erfolgt.“ Dabei minimieren kleinere Projekte um die fünf Megawatt Leistung das Einzelrisiko. Solche Anlagen erhöhen aber die Komplexität der gesamten Projektabwicklung. Schließlich ist es weniger aufwendig, ein Kraftwerk mit einer Leistung von 20 Megawatt zu realisieren, statt vier mit einer Leistung von jeweils fünf Megawatt. Große Projekte oberhalb der 20 Megawatt Leistung lassen sich in der Regel zwar schneller realisieren. Jedoch ist das Risiko, das der Systemanbieter damit eingeht, viel größer als bei einer kleineren Anlage.
Der Freiburger Systemanbieter erwirtschaftet fast drei Viertel seines Umsatzes mit der Projektierung und dem Bau von Anlagen. Im vergangenen Jahr war er laut IMS Research mit 117 Megawatt neu installierter Leistung weltweit die Nummer 15 der Systemanbieter. Auch dieses Jahr läuft gut für die Freiburger. Allein in Großbritannien hat S.A.G. Solarstrom im ersten Quartal drei Großanlagen mit einer Gesamtleistung von 44 Megawatt fertiggestellt. In dieser Zeit floss aber nur Geld für eine Anlage mit 4,5 Megawatt in die Kassen von S.A.G. Solarstrom.
Das mit einer Leistung von 33 Megawatt größte dieser drei Kraftwerke steht auf dem Gelände eines ehemaligen Militärflugplatzes in Wymeswold, im mittelenglischen Industrierevier zwischen Birmingham und Sheffield. Es ist bisher noch nicht verkauft. Immerhin hat jetzt die Deutsche Bank der Projektgesellschaft Wymeswold Solar Farm, für die die Freiburger das Kraftwerk realisiert haben, einen Kredit zur Zwischenfinanzierung gewährt.
Das ist inzwischen die Regel. „Wir haben eher selten den Fall, dass die Investoren ein Projekt mit hundert Prozent Eigenkapital erwerben, sondern sie greifen gerne sowohl auf eine Zwischenfinanzierung zur Baubegleitung als auch auf eine langfristige Finanzierung zurück, die zuvor von uns strukturiert wurde“, sagt Kuhlmann. „Dieser Prozess der Zwischen- und Langfristfinanzierung hat sich deutlich verlängert und ist mit größerem Aufwand verbunden.“ Geld für das Kraftwerk in Wymeswold hat S.A.G. Solarstrom bisher noch nicht gesehen. Diese Situation ist mitverantwortlich für den negativen Cash-Flow im ersten Quartal in Höhe von gut elf Millionen Euro. Das ändert sich aber in dem Moment, wenn das Kraftwerk einen Abnehmer gefunden hat.
Viel Geld vorstrecken
Das ist ein Problem, mit dem inzwischen jeder Systemanbieter zurechtkommen muss. Je größer die Projektpipeline ist, desto umfangreicher sind auch die Mittel, die der Anbieter vorstrecken muss. Conergy kann nicht über Auftragsmangel klagen. Doch die Vorfinanzierung der Projekte reißt ein großes Loch in die Kasse des Anbieters. Das ist normal und nicht das große Problem, wenn eine dicke Kapitaldecke über dem Unternehmen liegt. Um die Projektkasse wieder zu füllen, haben die Hamburger Mitte Mai eine Wandelanleihe in Höhe von 4,58 Millionen Euro an zwei strategische Investoren ausgegeben. „Wir haben uns für das Geschäftsjahr 2013 zum Ziel gesetzt, unsere Volumina und den Umsatz erheblich zu steigern“, erklärt Conergy CEO Philip Comberg. „Dies wollen wir vor allem über den relativ kapitalintensiven Großkraftwerksbau erreichen. Mit der zusätzlichen Liquidität aus der Wandelanleihe haben wir nun einen etwas größeren Spielraum, unsere gut gefüllte Projektpipeline noch effektiver umzusetzen.“
Für den Branchenprimus First Solar ging das erste Quartal besser aus, was den Finanzfluss betrifft. Der Systemanbieter aus Tempe, Arizona, konnte den Zufluss von 66,5 Millionen Dollar (50 Millionen Euro) an liquiden Mitteln verbuchen. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres war der Cash-Flow von First Solar negativ. In der Bilanz stand ein Mittelabfluss von 16,1 Millionen Dollar (12,1 Millionen Euro). „Die Entwicklung von Solarstromprojekten verlangt erhebliche Vorleistungen vor der Unterzeichnung eines Vertrags zur Planung, zur Beschaffung sowie zum Bau (EPC-Vertrag) und dem Beginn des Baus, die sich negativ auf unser Geschäft und Ertragslage der Gesellschaft auswirken könnten“, erklären die Amerikaner in ihrem Abschlussbericht des Jahres 2012. „Die Entwicklungszyklen unserer Solarstromprojekte, also die Zeit zwischen der Grundstückssuche und dem kommerziellen Betrieb eines Photovoltaikkraftwerks, kann erheblich variieren und viele Monate oder Jahre dauern.“
Das bedeutet, dass auch mögliche Investitionen anfallen können, die nicht zurückerstattet werden. „Es kann natürlich auch passieren, dass ein Projekt in der Bauphase nicht mehr zu realisieren ist, wobei das so gut wie nie vorkommt“, weiß Manfred Hochleitner, Finanzdirektor beim Systemanbieter Phoenix Solar im bayerischen Sulzemoos. „Wir sichern dieses Risiko zum einen über Garantien und zum anderen über Meilensteinzahlungen ab.“ In der gesamten Bauphase werde Meilensteine definiert. Der Investor bezahlt dann nach Baufortschritt, was sich wiederum als Liquidität beim Systemanbieter und Projektierer niederschlägt.
Mehrere Käufer im selben Boot
Der Solarpark in Wymeswold, den S.A.G. Solarstrom gebaut hat, wird in einem Stück angeboten. Immerhin verhandeln die Projektpartner mit potenziellen Investoren, die den Solarpark kaufen wollen. Die Freiburger haben Erfahrungen mit langwierigen Verkaufsverhandlungen. Das Geld für den von ihnen errichteten Solarpark „Serenissima“ in Norditalien haben sie erst ein halbes Jahr nach dessen Fertigstellung gesehen.
Das bisher größte von S.A.G. Solarstrom realisierte Projekt mit einer Leistung von 48 Megawatt ging am 1. September 2011 ans Netz. Bis Ende Dezember zogen sich die Verkaufsverhandlungen hin. Aus dem Bieterwettbewerb ging BNP Paribas Clean Energy Partners als Sieger hervor. Der Investor hat den Kaufpreis von 50 Millionen Euro am 30. März 2012 überwiesen. Das ist inzwischen normal für die Branche.
In einer solchen Situation ist es immens wichtig, dass man mit mehreren potenziellen Käufern verhandelt. „Denn die Investoren versuchen immer wieder die Tatsache auszunutzen, dass die Branche nicht mehr so sehr in Geld schwimmt wie vor einigen Jahren“, sagt Seherr-Thoß. „Durch die Liquiditätslage der Anbieter kann der Investor mit einer Verzögerung der Verhandlungen um einen Monat auf den Verkäufer Druck ausüben, dass dieser zu Preiszugeständnissen bereit ist, nur um schnell an Liquidität zu kommen.“
In eine solche Situation kommt der Systemanbieter gar nicht erst, wenn er von vornherein gut abschätzt, welche Projekte er in der Pipeline hat und wie voll seine Kasse ist. Außerdem sollte er den Verkauf im Vorfeld so planen und rechtzeitig die Verhandlungen beginnen. Dann kann er dem Druck des Notverkaufs entgehen und seine ursprüngliche Finanzplanung geht wieder auf.