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Unter der robusten Haube

Christoph Hinz ist begeistert von einer kleinen japanischen Maschine. Eine feine Bürste in einem Kästchen streichelt Schrauben nach links und rechts, bis die Schrauben in Reih und Glied liegen. Fertig sortiert, bekommt ein Drehmoment-Stabschrauber immer genau eine Schraube aus einer kleinen Öffnung ausgegeben. Diese wird benötigt, um eine Hochzeit zu vollziehen. Von Hochzeiten spricht Hinz sehr oft. Er ist allerdings kein Wedding-Planer, sondern der Betriebsleiter von Solarwatt Innovation in Frechen bei Köln. Immer wenn verschiedene Baugruppen zu einem Produkt zusammengeführt werden, wird geheiratet – so einfach ist das.

Zellen erinnern an einen Teebeutel

Die Batteriemodulproduktion ist U-förmig aufgebaut. Aus Südkorea gelieferte Paletten mit Zellen von SK Innovation stehen bereit. Knapp die Hälfte der Hallenfläche wird als Umschlagplatz für die Tagesproduktion benötigt, also für die Bereitstellung der Komponenten. „SK liefert sogenannte Flach- oder Pouch-Zellen, die keinen äußeren Blechmantel haben und deshalb an einen länglichen Teebeutel erinnern“, erklärt Betriebsleiter Hinz.

Das spart Platz und Gewicht für den Transport der Zellen vom Produktionsort in Korea nach Frechen. Für die Konstruktion bedeute dies, den maximalen Bauraum im Modul zu nutzen – ohne die Sicherheit zu vernachlässigen. Das Gehäuse der Batterie ist entsprechend robust ausgelegt und übertrifft den Mindeststandard aktuell geltender Normen, Vorschriften und Richtlinien, um für die zukünftig steigenden Sicherheitsanforderungen an Batteriemodule gewappnet zu sein. Derzeit sei die Fläche in Frechen optimal ausgelastet. 55 Module könnten am Tag gefertigt werden. Ein Teil der produzierten Module gehe in die Auslieferung und ein Teil ins Lager. In Dresden werden die Module dann in der My-Reserve-Schale eingehaust. Für den neuen Speicher Matrix ist allerdings keine weitere Hülle nötig. Derzeit liefert Solarwatt innerhalb von 24 Stunden auf die Baustelle – schneller geht es nicht.

Bis zu 20.000 Module jährlich

Hinz lebt für die Sache. Seit August 2016 hat er zusammen mit der Firma Branscheid, einem Spezialisten für Industrieautomation, die neue Produktionsanlage für den neuen Matrix-Speicher von Solarwatt entwickelt und aufgebaut. Die Matrix besteht aus zwei Komponenten: dem Steuermodul My Reserve Command und dem Batteriemodul My Reserve Pack. Der neue Gewerbespeicher ist dadurch beliebig skalierbar. Seit dem 2. Mai läuft auch die Produktion für die Command-Einheit. So war es auf den Tag genau vor neun Monaten mit Solarwatt-Investor Stefan Quandt abgesprochen. 12.000 Batteriemodule werden in Frechen pro Jahr gefertigt, 20.000 sind möglich. Theoretisch wäre es möglich, 40.000 Module zu bauen, wenn auch die Stell- und Lagerfläche ausreichen würde. Verkaufen will das Unternehmen in diesem Jahr 10.000 Module und 5.000 Command-Einheiten.

„Die Zellen werden nicht mit der bloßen Hand angefasst“, mahnt Hinz. Schon ein Fingernagel könne die vakuumdichte Hülle beschädigen. Die Zelle reagiere dann mit Sauerstoff und werde keine lange Lebensdauer erreichen oder müsse aufgrund dieses Schadens vorher aussortiert werden. In einer Presse wird das versilberte Transferblech an die Zelle geheftet. Die Materialien werden dabei nicht durchstoßen, sondern nur zusammengefügt. Zwölf Zellen werden in einem Batteriemodul verbaut. Sie werden dabei in eine Platinenkarte eingesteckt, ohne Kabel, ohne Verschweißen.

Schwimmende Lagerung der Zellen

Obendrauf werden Zelldämpfer aus Gummi geklebt, die gleichzeitig die Zellen unter der Metallhaube fixieren. Durch die schwimmende Lagerung der Zellen sind diese sicher untergebracht und geschützt vor äußeren Einwirkungen wie etwa harten Stößen. Das Einstecken ermöglicht es später, mit relativ wenig Aufwand eine während der Produktion oder der Vortests auffällige oder nach der Lebenszeit von mehreren Jahren defekte Zelle zu tauschen.

„Menschen aus Fleisch und Blut sind dabei in der Fertigung immer wieder wichtig, weil nur sie Fehler erkennen und bewerten können“, betont Hinz. Roboter oder vollautomatisierte Maschinen müssten dafür aufwendig programmiert werden. Da die Zeiten zwischen Produktentwicklung und Verkauf immer kürzer werden, muss die Produktionsanlage heute mehr denn je ebenso schnell an das neue Produkt angepasst und einsatzbereit ausgerichtet werden. „Mit Menschen kann darauf flexibler und ökonomischer reagiert werden als mit komplexer Automation“, erklärt Hinz.

Seit 2009 ist er sozusagen ein E-Wolf. Im April 2016 übernahm Solarwatt die Firma komplett. Heute heißt der Standort Solarwatt Innovation. Zwölf der 24 Mitarbeiter am Standort sind Entwickler. Die Herkunft will niemand verstecken. Schon am Eingang sind mehrere Fahrzeugmodelle von E-Wolf und ein E-Roller ausgestellt. Sie gehören zur Identität von Solarwatt, alle tragen das E-Wolf-Logo. An der Wand hängen auch MyReserve-Speicher – mit und ohne Korpus.

Die Metallhaube ist mit rund acht Kilogramm relativ schwer. „Sie erinnert etwas an Industriedesign im robusten Retrolook“, sagt Hinz. Er redet schnell, gestikuliert dazu mit den Armen, wirkt wie unter Strom. Man merkt schnell, dass in seiner Entwicklung Herzblut steckt. „Im fertigen Modul sind nur 14 Schrauben verbaut“, schwärmt er.

Zellausfallrate im Promillebereich

Bevor die Haube aufgestülpt wird, macht der Techniker bei jedem Batteriemodul an diesem Arbeitsplatz einen elektrischen Vortest für die Bauteile des Moduls im Zusammenspiel miteinander. Bei einem Fehler in den Zellen oder an der Platine spart sich der Techniker die Demontage. Am Ende erfolgt dann nochmals eine vollständige Prüfung. Die Ausfallrate liegt laut Hinz im Promillebereich.

Der My Reserve Matrix ist eine Weiterentwicklung des Heimspeichers My Reserve. Bis zu fünf Packs können an eine Steuereinheit angeschlossen werden. Der neue Matrix-Speicher basiert auf einem sogenannten Cluster-Chain-Konzept. „In diesem Jahr ist die Anzahl noch auf zwei Cluster limitiert“, sagt Andreas Gutsch und ergänzt: „Danach wird es möglich sein, diverse Blöcke aus einer Steuer- und fünf Moduleinheiten zusammenzuschließen.“

Gutsch ist im Umland von Köln aufgewachsen, und das hört man noch: Statt „plaudern“ sagt er „babbeln“. Dabei ist der promovierte Chemieingenieur schon viel rumgekommen: Er studierte am KIT in Karlsruhe und später in den USA. Dann kehrte er nach Deutschland zurück, um unter anderem für Li-Tec Battery in Kamenz bei Dresden eine Batteriezellenfertigung aufzubauen, bevor er ans KIT zurückkehrte, wo er die Abteilung Competence E leitete. Vor gut anderthalb Jahren nahm er ein Angebot von Solarwatt an und kehrte ins Rheinland zurück. Er sagt, er möge einfach die Start-up-Atmosphäre in Frechen.

Nun ist Andreas Gutsch Geschäftsführer bei Solarwatt Innovation. Die zwei Command-Einheiten des neuen Matrix-Speichers verhielten sich wie „Master and Slave“, erklärt er. Eine Steuereinheit übernimmt das Kommando. Die Kommunikation zwischen den Geräten wird dann aufgeteilt. „Ein Speicher übernimmt beispielsweise 60 Prozent, der andere dann entsprechend 40 Prozent der Leistung, je nach Innenwiderstand der Zellen“, sagt der Batterieexperte. Alle Zellen sollten so relativ gleichmäßig altern. Mit der Überwachung von Ladezustand, Zelltemperatur und Innerwiderstand wird eine gleichmäßige Alterung sichergestellt.

Mehr Leistung mit jedem Modul

Jedes Modul hat 800 Watt Leistung, die gesamte Leistung des Gewerbespeichers steigt mit jedem Modul weiter an. Die Kapazität liegt bei 2,2 Kilowattstunden pro Modul. Es geht um die absolute Skalierbarkeit. Der Clou: Durch die Serienschaltung wird die Leistung erhöht, während die Ströme gleich bleiben.

Das ist eine Besonderheit von Solarwatt. Das Unternehmen setzt dabei auf standardisierte Komponenten, durch die 16 Ampere fließen können. Ein Modul verfügt über 50 Volt, also ergeben sich daraus 800 Watt Leistung. Eine Einheit mit fünf Packs liefert ergo vier Kilowatt Leistung, fünf Cluster-Einheiten 20 Kilowatt mit 55 Kilowattstunden Kapazität.

Das Matrix-Konzept kopiert dabei sozusagen die Photovoltaikarchitektur: Die Module sind in Serie in einem String geschaltet und wenn das nicht reicht, kommt ein neuer String hinzu. „Ein-und Ausspeichern kostet mit dem neuen Speicher nur noch 20 Cent pro Kilowattstunde“, kalkuliert Gutsch.

Der Speicher kann auch später noch mit Modulen erweitert werden. „Vorausgesetzt, die Zellen sind von der Chemie her identisch“, weiß der Chemieingenieur. Zudem dürfen die Zellen in den letzten drei Jahren kein Lastprofil gesehen haben, bei dem sie total gestresst wurden.

Kein Update über das Internet

Möglich wird das nachträgliche Aufrüsten, weil Solarwatt den Innenwiderstand der Zellen fortwährend kontrolliert. Gutsch spricht neudeutsch vom „State of Health“ (SOH) der Batterien. Neue Zellen dürften demnach mit Zellen, die einen SOH von mindestens 90 Prozent aufweisen, gemischt werden. Bei einem niedrigeren Wert sei das nicht mehr sinnvoll. Solarwatt besitzt ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Das Unternehmen ist der einzige Hersteller, der keine Software-Updates über das Internet ermöglicht. Es muss immer ein Mensch in der Nähe des Speichers sein, einen Installateur braucht es aber nicht dafür. Das Update kann vom Tablet des Kunden über eine neu integrierte Bluetooth-Schnittstelle aufgespielt werden.

Der Speicher ist nach Ansicht von Gutsch nur ohne direkte Internetverbindung sicher gegen Hacker geschützt. Beim alten My-Reserve-Gerät musste sich der Kunde noch mit einem Kabel verbinden, die neue Schnittstelle spart nun zusätzlich Zeit. „Langfristig werden die Kunden sehen, dass es kein Nachteil, sondern einen Vorteil darstellt, dass die Speicher nicht mit dem Internet verbunden sind“, ist sich Gutsch sicher.

Vier Mitarbeiter in Frechen arbeiten an der Software, die beispielsweise auch für die App benötigt wird. So kann die Leistung jedes Speichers vom Smartphone aus beobachtet werden, denn ein Display am Gerät hat der neue Speicher nicht mehr. Dennoch will man bei Solarwatt für alle Entwicklungen gerüstet sein. Technisch ist der Speicher Smart-Grid-ready. Aber noch sieht das Dresdener Unternehmen keinen zusätzlichen Nutzen für den Kunden in einer solchen Lösung und bietet eine Cloud deshalb vorerst nicht an. Zudem seien die rechtlichen Rahmenbedingungen derzeit nicht eindeutig geklärt.

250.000 Zeilen Quellcode

„Dennoch macht die Software heute bereits mindestens 50 Prozent der Performance des Geräts aus“, betont Gutsch. Sie bestimmt die Regelgeschwindigkeit für das Gerät, die wichtig ist, um den Eigenverbrauchswert zu erhöhen. Und die Software gebe vor, bei welchen Betriebsbedingungen welche Last zugelassen werde. „Komplexe Algorithmen bestimmen den Innenwiderstand in Echtzeit“, erläutert er.

Die Summe aller Rechner, die in einem Speicher eingebaut seien, übersteige die Rechenleistung eines Laptops bei Weitem, sagt Gutsch und fügt hinzu: „250.000 Zeilen Quellcode stecken in jedem Gerät.“

www.solarwatt.de

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