Auf den ersten Blick haben das Ende des INF-Vertrages und die Rufe nach neuen Atomkraftwerken nichts miteinander zu tun. Doch hinter den Kulissen ist eine mächtige Lobby am Werk – die sich weigert, den Wandel der Welt zu akzeptieren.
Ronald Reagan war ein zweitklassiger Schauspieler, der sein Geld in B-Movies verdiente. Michail Gorbatschow gehörte bis Ende der 1970er Jahre zur zweiten Reihe der Sowjetkader, war so etwas wie ein B-Apparatschik. Bis zum Dezember 1987 hatten beide ordentlich Karriere gemacht: Reagan war vom Schauspieler zum Gouverneur des US-Bundesstaates Kalifornien und zum Präsidenten der Vereinigten aufgestiegen. Gorbatschow war der neue Boss in Kreml, Vorsitzender des Obersten Sowjets – Reagans Gegenspieler in Moskau, zur Zeit des Kalten Krieges.
Neue Zeiten brachen an
Doch neue Zeiten brachen an: Als die beiden Staatslenker Ende 1987 in Washington den INF-Vertrag zur atomaren Abrüstung unterschrieben, war ein Meisterstück der internationalen Diplomatie geglückt. Reagan und Gorbatschow gingen in die Annalen der Geschichte ein: Beide waren über ihre Schatten und ihre Ängste gesprungen, um die Gefahr des Atomkrieges aus unserer Welt zu verbannen.
30 Jahre hatte dieser Vertrag Bestand, verschrotteten die USA und die Sowjetunion/Russland ihre Kernsprengköpfe, war die Welt ein bisschen friedlicher. Nun wurde der Vertrag gekündigt, könnte das nukleare Wettrüsten in eine neue Runde gehen. Abgesehen vom den egomanischen Regenten in Washington und Moskau hat sich an der globalen Sicherheitslage eigentlich nichts geändert. Wozu also dieser Schritt?
Die Sicherheit der Atomrendite ist bedroht
Ganz einfach: Die Sicherheitslage hat sich gewaltig geändert, und zwar vor allem für die Atomkonzerne. Vor 30 Jahren war noch nicht abzusehen, dass ihr zweites Standbein – Atomkraft zur Stromerzeugung – eines Tages auch den Bach runter gehen würde. Nun stehen sie mit dem Rücken zur Wand, denn als Brennstoff ist Uran ein Auslaufmodell – wie Torf im 19. Jahrhundert.
Dabei sah es eine Zeit lang gut aus: Infolge des INF-Vertrages und der Abrüstung überschwemmte waffenfähiges Uran die Brennstoffmärkte. Nicht der laufende Ertrag der Uranminen in Afrika, Nordamerika und Russland entschied in den 1990er und 2000er Jahren über die Börsenpreise, sondern das Überangebot an radioaktiven Sprengköpfen, die sich mit relativ geringem Aufwand zu Brennstäben verarbeiten lassen. Bomben zu Kraftwerken könnte man das nennen.
AKW schön gerechnet
Das hatte wiederum zur Folge, dass sich neue AKW mit spitzer Feder schön rechnen ließen. Laufende AKW warfen unerwartete Renditen ab, weil Uran so preiswert war. Als die Bomben verstromt waren, stiegen die Preise wieder an.
Je höher die Uranpreise, desto höher sind die erforderlichen Subventionen, um die Strompreise einigermaßen moderat zu gestalten. Und je teurer das AKW (Investition plus Betriebskosten), desto länger verzögert sich die Amortisation nach hinten, ins Nirgendwann.
Rechnet man Zwischenlager und Endlager ein, gibt es für diese Kraftwerkstechnik ohnehin keine sinnvolle betriebswirtschaftliche Amortisation. Wer will schon hunderttausend Jahre auf seine Rendite warten? Also wird der Steuerzahler gerufen, werden die ökonomischen und ökologischen Risiken auf die Gemeinschaft abgewälzt. Das hat die Atomkraft mit der Kohleverstromung gemeinsam: Die Renditen aus dem Tagesgeschäft (Stromhandel) gehen an die Aktionäre, die Renaturierung blecht der Staat, sprich: der Steuerzahler. (hs)