Der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch stieg 2019 auf fast 43 Prozent. Die Erfolge im Stromsektor werden jedoch von steigenden Emissionen von Gebäuden und im Verkehr geschmälert. Das zeigt eine aktuelle Studie der Agora Energiewende.
Die Emissionen von Treibhausgasen sanken in Deutschland im vergangenen Jahr 2019 um mehr als 50 Millionen Tonnen. Damit liegen sie etwa 35 Prozent unter dem Niveau von 1990. Für den Rückgang verantwortlich ist ausschließlich der Stromsektor, denn Braun- und Steinkohle produzierten deutlich weniger Strom.
Ökostrom hat die Nase vorn
Erneuerbare Energien deckten knapp 42,6 Prozent der Stromnachfrage und somit fast fünf Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Das zeigt die Studie „Die Energiewende im Stromsektor – Stand 2019“, die Agora Energiewende jetzt vorgelegt hat. Erstmals erzeugten Windkraft, Wasserkraft, Solarstrom und Biogasanlagen mehr Strom als Kohlemeiler und Kernkraftwerke zusammen.
Hauptursache des Rückgangs der Emissionen im Stromsystem sind gestiegene Preise für Kohlendioxid im EU-Emissionshandel. Gemeinsam mit der wachsenden Stromproduktion aus erneuerbaren Energien und sinkendem Stromverbrauch führten diese Tatsache dazu, dass konventionelle Kraftwerke ihre Stromproduktion an vielen Stunden des Jahres 2019 deutlich reduzierten. Denn sie waren nicht mehr wettbewerbsfähig.
Gaskraftwerke profitierten
Die Stromerzeugung von Steinkohlekraftwerken brach um 31 Prozent ein, von Braunkohlekraftwerken um 22 Prozent. Davon profitierten Gaskraftwerke, die weniger Kohlendioxidzertifikate für ihre Stromerzeugung benötigen. Sie erhöhten ihren Stromabsatz um elf Prozent.
Anders als im Stromsystem nahmen die Emissionen von Gebäuden und dem Verkehrssystem zu: Dort wurden mehr Erdgas, Heizöl, Benzin und Diesel als im Vorjahr verbraucht. Im Verkehr führte vor allem der steigende Anteil schwerer Fahrzeuge mit großen Verbrennungsmotoren (SUVs) zum Anstieg der Emissionen.
Windräder fehlen
Die Ursache für das Wachstum bei den Erneuerbaren Energien liegt hauptsächlich im Zubau von Photovoltaikanlagen sowie einem guten Windjahr. „Dennoch startet die Energiewende mit einer schweren Hypothek in die 2020er Jahre“, kommentiert Patrick Graichen, Direktor der Agora Energiewende. „Denn der Ausbau bei der Windenergie ist in den letzten zwei Jahren um über 80 Prozent eingebrochen und fast zum Erliegen gekommen.“
Weil im Jahr 2019 die Ausschreibungen für neue Windkraftanlagen nicht ausgeschöpft wurden, wird es in den nächsten Jahren keinen wesentlichen Zubau bei der Windenergie geben.
Graichen fordert die Bundesregierung auf, rasch die Rahmenbedingungen zu ändern, dass die Windkraft wieder vorankommt. „Sie ist das Arbeitspferd der Energiewende“, sagt Graichen. „Ohne Windkraft werden wir weder den Kohleausstieg noch die Klimaschutzziele erreichen.“
Nix passiert bei den Gebäuden und im Verkehr
Die guten Zahlen im Stromsektor werden durch fehlende Anreize im Wärme- und Verkehrssektor deutlich getrübt. „Es besteht die Gefahr, dass zwischen 2020 bis 2022 wieder ein Anstieg der Emissionen folgt“, warnt Patrick Graichen. „Wir müssen mehr erneuerbare Energien zubauen, um den Ausstieg aus der Kernenergie auszugleichen und genügend Strom für Elektroautos und Wärmepumpen zu erzeugen.“
Dies entspricht den Erwartungen der Bevölkerung: So zeigt die repräsentative Langzeituntersuchung „Politbarometer“ der Forschungsgruppe Wahlen, dass die Wählerinnen und Wähler das Thema „Klima und Energiewende“ seit Mai 2019 als wichtigstes Problem ansehen - vor Migration und Integration und Renten.
Ökostrom wird immer billiger
Zudem zeigt die Jahresauswertung, dass die Förderkosten für erneuerbaren Energien sehr bald sinken werden. Denn alte und teure Anlagen fallen nach 20 Jahren zunehmend aus der Förderung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, können aber weiterhin Strom zu günstigen Preisen anbieten.
Neue Windräder und Solaranlagen produzieren Strom inzwischen günstiger als alle anderen Kraftwerke und senken die Preise an der Strombörse. So hatte Deutschland im Jahr 2019 gemeinsam mit Luxemburg die geringsten Stromhandelspreise in Europa.
Bedarf an Netzstrom sinkt
Beigetragen zum hohen Anteil der erneuerbaren Energien hat ein deutlich gesunkener Stromverbrauch. Dieser fiel 2019 mit 569 Terawattstunden auf den geringsten Wert der vergangenen 20 Jahre und war niedriger als 2009, dem Jahr der Wirtschaftskrise.
Ursachen sind das geringere Wirtschaftswachstum, geringerer Stromverbrauch der energieintensiven Grundstoffindustrie und die zunehmende Eigenstromversorgung der Unternehmen und privaten Haushalte. Sie setzen Photovoltaik, BHKW und Stromspeicher ein, um den Ankauf von teurem Netzstrom zu minimieren.
Aussichten für 2020
Für 2020 prognostiziert Agora Energiewende, dass die Stromerzeugung aus Kernenergie weiter abnehmen wird, da das Kernkraftwerk Philippsburg 2 Ende Dezember 2019 vom Netz ging. Die Lage der Windenergie an Land wird sich indes kaum verbessern: Der Zubau dürfte wie 2019 etwa ein Gigawatt erreichen.
Bei Solarstrom wird ein Zubau von vier Gigawatt erwartet, ähnlich wie 2019. Die Windenergie auf See wird sich 2020 aufgrund der Inbetriebnahme neuer Windparks im zweiten Halbjahr 2019 und im ersten Halbjahr 2020 voraussichtlich weiter steigern.
Der Jahresrückblick steht auf der Webseite der Agora Energiewende kostenfrei zum Download bereit. Er umfasst 70 Seiten sowie zahlreiche Tabellen und Grafiken. (HS)
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