Beeindruckende Kurven: In den Testlaboren des österreichischen Maschinenherstellers Lisec biegen sich Gläser wie Folien. Lisec ist auf Maschinen für die Glasbearbeitung spezialisiert: Härten, Kantenschleifen, Bohren und automatischer Scheibentransport. Die Biegeversuche laufen mit Gläsern zwischen 0,9 und 1,8 Millimetern Dicke.
Sie sind für Solarmodule gedacht, für die nächste Generation. Aufgrund eines patentierten Kühlverfahrens im Härteofen halten die 1,8 Millimeter dünnen Scheiben eine Biegespannung von 160 Newton pro Quadratmillimeter aus. Summiert auf den Quadratmeter kommen 500 Kilogramm zusammen. Das entspricht gut sieben Personen. Extrem wichtig ist die Qualität der Kanten. Feinste Unebenheiten – und schon macht es klirr!
Lisec propagiert das ultradünne Glas. Dafür gibt es gewichtige Gründe: Glas ist schwer, und es schluckt Licht. Je dünner das Solarglas wird, desto einfacher wird die Montage, desto mehr Licht kommt durch, desto höher könnte die Stromausbeute der Module sein. Wie man besonders dünnes und festes Glas herstellt, ist eigentlich seit Jahrzehnten bekannt. Schon 1962 hat der US-amerikanische Glashersteller Corning sein Gorilla-Glas präsentiert, zwischen einem halben und zwei Millimeter dünn, eigens entwickelt für elektronische Displays. Und heute? Rund 95 Prozent der Gläser in der Solarbranche sind 3,2 Millimeter dick.
In der Solarbranche tobt ein Glaubenskampf, ob und wie die Module abspecken könnten. Lisec beispielsweise setzt auf vorgespannte oder gehärtete Gläser. Centrosolar arbeitet mit diesem Verfahren, ebenso Solarwatt. Die beiden Unternehmen haben auf der Intersolar neue Solarmodule mit zwei Millimeter dünnen Scheiben vorgestellt, eine vorn und eine auf der Rückseite des Laminates.
Diese Gläser sind thermisch vorgespannt. Zum Härten wird das Glas kurz über die Erweichungstemperatur auf etwa 640 Grad Celsius erhitzt und anschließend mit Luftduschen abgeschreckt. Dadurch erstarrt es an der Oberfläche sehr schnell, der Kern kühlt nur langsam ab. Auf diese Weise entsteht eine Vorspannung.
Je dünner das Glas, umso intensiver muss die Luftdusche sein, um diese Effekte zu erzielen. Das erfordert viel mehr Energie. Dagegen setzt Gary Calabrese, Leiter der Solarsparte bei Corning: „Dünneres Glas kann man schneller erhitzen und abkühlen. Dafür benötigt man weniger Energie, sodass die Fertigungskosten sinken. Man braucht weniger Quarzsand, etwa ein Drittel bis die Hälfte weniger.“ Corning experimentiert mit Gläsern, die nur 0,7 bis 1,5 Millimeter stark sind.
Aber aus den Forschungslaboren bis zur Modulfertigung ist es ein weiter Weg. Denn Glas ist nicht gleich Glas. Pro Gigawatt Photovoltaikleistung werden zwischen sieben und neun Millionen Quadratmeter Glas benötigt. Da kommen im Jahr schnell mehrere Hundert Millionen Quadratmeter Strukturglas für kristalline Module zusammen. Dünnschichtmodule nutzen Floatglas, auch das sind etliche Zigmillionen Quadratmeter weltweit.
Weniger Eisen im Gussglas
Strukturglas meint Gussgläser, in deren Oberfläche lichtabsorbierende Feinstrukturen eingewalzt sind, etwa kleine Pyramiden. Floatgläser hingegen haben eine sehr glatte Oberfläche. Sie werden in langen Floatwannen auf einem Zinnbad gezogen, in einem Endlosprozess. Sie sind meist als Glas-Folie-Paneele oder als Glas-Laminate ausgeführt. Dünnschichtmodule haben in der Regel auch auf der Rückseite eine Glasplatte, sind also meist Doppelglaspaneele. Gussglas hat gegenüber dem Floatglas einen gewichtigen Vorteil: Es steckt weniger Eisen darin, das Glas ist optisch reiner. Eisen färbt das Glas grün und absorbiert einen erheblichen Teil des Lichts, bevor es zum Halbleiter durchdringen kann.
Grün schimmernde Kante
Normales Floatglas, wie es in Autoscheiben oder Fenstern zum Einsatz kommt, schimmert an der Kante grünlich. Der Eisenanteil liegt bei etwa 200 Tausendstel Promille (Parts per Million: ppm). Für Solarmodule oder Sonnenkollektoren darf das Glas einen Eisenanteil von höchstens 100 ppm haben. Nur mit hohem Aufwand kann man den Eisenanteil im Floatglas reduzieren. Das kritische Verhältnis zwischen zweiwertigem und dreiwertigem Eisen lässt sich aufgrund des reduzierenden Zinnbades und der Konstruktion der Floatwannen kaum beeinflussen. Deshalb erreicht Floatglas nicht die hohen optischen Eigenschaften von Gussglas: die hohe Transmission von 91,5 Prozent.
Ein wichtiger Hersteller von Gussglas ist die GMB Glasmanufaktur Brandenburg in Tschernitz in der Niederlausitz, die zur Interfloat-Gruppe gehört. Dort wird eisenarmes Gussglas mit weniger als 140 ppm Eisenoxid produziert. Jeden Tag können bis zu 300 Tonnen Solarglas gegossen und gewalzt werden. Das sind rund zehn Millionen Quadratmeter im Jahr. Die Glasdicken liegen zwischen zwei und sechs Millimetern. Die Strukturen der Gläser sind matt (silk), pyramidenförmig (cone) oder grob texturiert (astra).
Transmission entscheidet
Die Transmission, die Durchlässigkeit für das Sonnenlicht, ist ein entscheidendes Kriterium, wenn man über Solarglas spricht. Die Spitze bei Floatglas aus Deutschland markiert das neue Werk in Osterweddingen bei Magdeburg, wo vor drei Jahren die erste „Low-Iron“-Kampagne angefahren wurde. Dort haben Scheuten und Interpane eine Floatlinie speziell für Solarglas aus dem Boden gestampft. Scheuten ist ein mittelständischer Glashersteller aus Holland, Interpane auf die Veredelung von Gläsern spezialisiert. Im Oktober 2012 hat sich Interpane mit dem Floatglasgiganten AGC Glass Europe zusammengetan.
Das Solarfloat aus Sachsen-Anhalt beinhaltet nur noch 85 ppm Eisenoxide. Seine Lichtdurchlässigkeit erreicht 90,5 Prozent (Glasdicke: vier Millimeter) beziehungsweise 91,2 Prozent (3,2 Millimeter). „Durch den sehr geringen Eisenanteil wird das einfache Solarglas zu einem hochwertigen Bauteil“, meint Ruud Geerlings, Direktor für Basisglas bei Scheuten. „Unser Werk integriert den Zuschnitt, die Kantenbearbeitung, Bohren, Härten und die Beschichtung.“
Im Prinzip macht F-Solar in Osterweddingen mit Floatglas, was normalerweise nur Gussglas kann. Noch liegt die Lichtdurchlässigkeit der Strukturgläser mit 91,5 Prozent deutlich vorn. Die theoretische Grenze liegt für beide Gläser bei 92 Prozent. Das hat mit der unvermeidlichen Reflexion an der Grenzfläche zwischen Glas und Luft zu tun, die vier Prozent des Lichts zurückweist – an beiden Seiten des Glases. Macht acht Prozent optische Verluste durch Reflexion.
Auf der Intersolar in München meldete F-Solar, dass die Serienproduktion von zwei Millimeter dünnem, eisenoxidarmem Solarglas angelaufen sei. Die allgemeine bauaufsichtliche Zulassung wurde beantragt. Die Gläser sind teilvorgespannt und mit einer sehr robusten Antireflexschicht ausgestattet. Mit einer Biegezugfestigkeit von 120 Newton pro Quadratmillimeter übertrifft das teilvorgespannte, dünne Solarglas sogar die Anforderungen an Vier-Millimeter-Glas.
Auch zwei Millimeter beim Floatglas
Dünnere Gläser bringen einige Probleme mit sich. Um normales Glas herzustellen, braucht man 13 bis 14 Megajoule Energie pro Kilogramm. Die Schmelze des Quarzsandes und seiner Ingredienzien frisst viel Energie, weil sehr hohe Temperaturen notwendig sind, um die Mineralien aufzuschließen, etwa 1.600 Grad Celsius. Härtet man diese Gläser, steigt der Energiebedarf auf 16 bis 17 Megajoule pro Kilogramm. Eisenarmes Glas erfordert in der Herstellung rund 15 Megajoule pro Kilogramm, es muss in der Schmelze heißer sein. Mit Härten sind es bis zu 18 Megajoule. Das bedeutet: Dünnere, gehärtete Gläser sind teurer.
Zudem entstehen beim Vorspannen feine Welligkeiten, das Glas ist danach nicht mehr absolut plan. „Will man vorgespannte Gläser für Dünnschichtmodule verwenden, müssen sie absolut eben sein“, sagt Tobias Plessing. Als die Glaslinie in Osterweddingen anlief, führte er die Geschäfte. Seit März ist er Professor an der Hochschule im oberfränkischen Hof. „Andernfalls gibt es Probleme bei der großflächigen Abscheidung der hauchdünnen Halbleiterschichten. In unserem Härteofen erreichen wir eine weitaus bessere Homogenität der Temperaturen.“
Mehr Licht durch Antireflexschichten
Der Ofen ist 40 Meter lang, darin sind mehrere Hundert Düsen eingebaut, um heiße Luft über die Scheiben zu blasen. Die eigentliche Kühlzone ist nur einen Meter lang. In Osterweddingen sind der Härteofen und die mechanische Bearbeitung unmittelbar hinter die Floatlinie gesetzt. Dadurch wandert das Glas nicht durch zu viele Hände, das Risiko von Glasbruch sinkt.
Die Antireflexschicht wird in einer Vakuumkammer aufgebracht. Die Energietransmission der Gläser gibt F-Solar mit 94 Prozent an. Schon 2001 hatte Centrosolar als erster Modulhersteller seine Paneele mit Antireflexschichten veredelt. Die Gläser werden einseitig oder beidseitig mit porösem Siliziumdioxid beschichtet, nasschemisch im Tauchbad. Die einseitige Antireflexschicht ist nur 120 Nanometer dick, sie lässt sich auf glattes und strukturiertes Glas aufbringen. Man braucht eine gewisse Porösität und Schichtdicke, mindestens ein Viertel der Wellenlänge, um die gewünschten Effekte zu erzielen. Centrosolar hatte eine eigene Tochter für die Fertigung von Solargläsern.
Im Zuge der Neuausrichtung wurde Centrosolar Glas im Mai an Ducatt in Belgien verkauft. Das Unternehmen ist weiterhin als Glaslieferant für Centrosolar tätig.
Zurück zur Antireflexschicht: Sie ist etwa 100 Nanometer dick. Einen Vorteil hat Floatglas gegenüber Gussgläsern: Es enthält weniger Glasfehler und weist an den Kanten eine höhere Festigkeit auf. Deshalb erreicht 3,2 Millimeter dickes Floatglas eine vergleichbare Festigkeit wie Vier-Millimeter-Gussglas. Und weil die Dicke der Floatgläser homogener ist, eignen sie sich auch besser zum Vorspannen, Härten und für die Antireflexbeschichtung.
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Centrosolar
Deutlich längere Garantie
Solarmodule mit Glasscheibe auf Vorder- und Rückseite haben eine fast unbegrenzte Lebensdauer. Das ist das Ergebnis eines Langzeittests in der Klimakammer, in dem Centrosolar Glas-Folien-Module mit Modulen im Glasverbund verglichen hat. Bei herkömmlichen Modulen ließ die Leistungsfähigkeit nach spätestens 30 Jahren nach, da die Folie zerstört war. Glas-Glas-Module hingegen blieben simulierte 40 Jahre unversehrt. Sie hielten extremen Temperaturen, starker Luftfeuchtigkeit und Nässe unbeschadet stand. Centrosolar will nun in weiteren Tests prüfen, wann sich Umwelteinflüsse bei Glas- Glas-Modulen bemerkbar machen.
Aufgrund der Testergebnisse gibt Centrosolar auf Glas-Glas-Module der Baureihe S-Class Vision eine 30-jährige Garantie auf 87 Prozent der Nennleistung. Die Produktgarantie ist mit 20 Jahren doppelt so lang wie bei vergleichbaren Glas-Folien-Modulen. Bezogen auf die längere Lebensdauer liefern Glas-Glas-Module 25 Prozent mehr Ertrag als Standardmodule. Die Module sind bis 6.600 Pascal belastbar.
Centrosolar hat die S-Class-Vision-Serie nach dem Auftakt auf der Intersolar ausgeweitet und bietet mittlerweile vier Module im Glasverbund an. Bei den neuen Modulen kommt die Glastechnologie der zweiten Generation zum Einsatz. Die Glasscheiben auf Vorder- und Rückseite sind nur zwei Millimeter dünn. Damit sind die Module leichter als bisherige Glas-Glas-Module. Je nach Ausführung sind die S-Class-Vision-Module mit schwarzem oder silbernem Rahmen sowie transparentem oder schwarzem Rückseitenglas ausgestattet. Die Leistung liegt zwischen 235 und 265 Watt. Es gibt Module zur Installation im Dach oder auf der Eindeckung. Die Montage kann hochkant oder quer erfolgen.