Wenn ein Bäcker im Mittelalter für sein Brot minderwertiges Mehl verwendete oder Laibe verkaufte, die nicht das vorgeschriebene Mindestgewicht erreichten, wurde er hart bestraft. Die Wiener zum Beispiel sperrten die schwarzen Schafe der Bäckerzunft in Käfige, die in der Donau versenkt und erst kurz vor dem Ertrinken des Delinquenten wieder herausgezogen wurden. Solche drakonischen Maßnahmen sollten sicherstellen, dass die Käufer auch tatsächlich bekamen, wofür sie bezahlt hatten. Gott sei dank sind die Instrumente, die Kunden vor Produktmängeln schützen sollen,heute deutlich ziviler. Trotzdem werden Verbraucherrechte immer noch großgeschrieben, was jetzt Modulhersteller zu spüren bekommen.
Verbraucher haben nach dem Gewährleistungsrecht die Möglichkeit, eine Nachbesserung, eine Preisminderung oder sogar den Rücktritt vom Kaufvertrag zu fordern, wenn das Produkt nicht das hält, was es verspricht. Zwei Jahre lang können sie dieses Recht üblicherweise in Anspruch nehmen.
Nach Ablauf dieser Frist stehen die Käufer vieler Produkte allerdings im Regen. In der Photovoltaik soll das anderssein, meinen die Hersteller von Solarmodulen – und geben deshalb freiwillige Produkt- und Leistungsgarantien, die die Anlagenbetreiber viele Jahre lang vor Qualitätsmängeln schützen sollen. Mit zwei Hintergedanken: Zum einen wollen sie Vertrauen bei den Kunden gewinnen, indem sie ihnen vermitteln, das Investitionsrisiko sei überschaubar. Zum anderen dienen die Garantieversprechen als Differenzierungsmerkmal im Wettbewerb. Schon seit Jahren versuchen die Hersteller, sich bei der Ausweitung der Garantiedauer gegenseitig zu übertrumpfen. Die Produktgarantie, mit der dieUnternehmen vor allem für Material- und Verarbeitungsfehler geradestehen wollen, gilt mittlerweile häufig acht bis zehn Jahre; die Leistungsgarantie, die 80 oder 90 Prozent der ursprünglichen Nennleistung auch noch nach langer Zeit zusichert, meist sogar 25 Jahre.
Kunden bleiben auf Kosten sitzen
Sind die Verbraucher damit also auf der sicheren Seite, dank Rundum-sorg- los-Paketen und Vollkasko-Schutz? Mitnichten, meint die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen: „Wir haben bei sämtlichen Herstellern, deren Garantiebedingungen wir untersucht haben, abmahnungswürdige Klauseln gefunden“, sagt Holger Schneidewindt, Rechtsanwalt und Experte für erneuerbare Energien bei dem Verband. Die Verbraucherschützer haben die Garantiebedingungen von insgesamt 30 Unternehmen unter die Lupe genommen. Zufrieden sind sie mit keinem Anbieter: „Abmahnungswürdige Klauseln sind leider branchenüblich. Das gilt gleichermaßen für die asiatischen, amerikanischen und die deutschen Hersteller“, sagt Schneidewindt.
Besonders kritisiert die Verbraucherzentrale NRW die Klauseln, die die Verteilung der Kosten rund um die Abwicklung eines Schadens festlegen. „Viele Hersteller wälzen diese Kosten komplett auf die Kunden ab. Selbst dann, wenn nachweislich ein Garantiefall vorliegt“, sagt Schneidewindt. Oft kommt die Demontage, der Transport und die Prüfung eines Panels in einem Labor die Kunden teurer, als selber ein neues Modul zu kaufen. „Das schreckt ab, so dass Kunden das Recht auf eine Garantieleistung nicht in Anspruch nehmen“, erklärt der Verbraucherschützer. Er fordert, die Lasten ausgewogen zu verteilen. Andernfalls sei es für die Kunden nicht wirtschaftlich, eine Garantie in Anspruch zu nehmen. „Man kann erwarten, dass die Hersteller in diesem Fall den Transport und die Installation der neuen Module sowie die Demontage und den Abtransport der alten Module übernehmen. Und wenn sie die Verbraucher zwingen, die Module zu einem Prüfinstitut zu geben, sollten sie auch die Kosten dafür tragen, sofern der Garantieanspruch berechtigt ist.“
Auch die Praxis vieler Hersteller, den Kunden nur den Restwert eines schadhaften Moduls zu ersetzen, sorgt bei der Verbraucherzentrale NRW für Unmut: „Das kritisieren wir sehr, denn eine solche Regelung hat mit der Leistungsgarantie nichts zu tun. Schließlich bleibt die Leistung der Anlage ja weiterhin reduziert, so dass der Betreiber über viele Jahre weniger Strom erzeugt und damit auch weniger Vergütung erzielt. Dieser Ausfall ist in der Regel erheblich größer als der bloße Restwert“, erklärt Schneidewindt. Stattdessen sollten die Hersteller den Kunden wo immer möglich Module mit gleicher Leistung und gleichem oder zumindest ähnlichem Aussehen zur Verfügung stellen. Falls solche Module nicht mehr produziert werden, könnten sie dem Kunden andere, gleichwertige Panels auf das Dach schrauben lassen, sofern dort noch Platz ist. Daneben bliebe die Möglichkeit, dem Kunden den Minderertrag, den das schadhafte Modul verursacht, zu erstatten. „Die Option Restwerterstattung hat hier dagegen nichts zu suchen“, sagt Schneidewindt.
Mit dieser Auffassung ist er nicht allein. Die Rechtsanwältin Christina Bönning aus Kerpen bei Köln, die mit ihrer Kanzlei schon mehrfachAnlagenbesitzer bei der Durchsetzung von Garantieansprüchen unterstützt hat, stößt sich vor allem daran, dass meist allein der Hersteller entscheidet, wie ein Schaden ersetzt wird. „In der Praxis bedeutet das dann entweder die Restwerterstattung oder die Lieferung eines neuen Moduls“, erklärt Bönning.
Gegen Willkür
Während ersteres finanziell unattraktiv ist, bereite die zweite Option oft praktische Probleme, etwa wenn das neue Modul nicht auf das Montagegestell passe. „Die verbraucherfreundlichste Lösung wäre die Erstattung des langfristigen Ertragsausfalls. Das steht im Regelfall aber überhaupt nicht zur Diskussion“, berichtet Bönning aus der Praxis.
Ebenso behalten sich manche Hersteller bei der Entscheidung, ob überhaupt ein Garantiefall vorliegt, eigenes Ermessen vor. „Das eröffnet der Willkür Tür und Tor, da hat der Verbraucher keine Chance“, moniert Schneidewindt. Natürlich müsse der Verbraucher im Zweifel beweisen, dass ein Garantiefall eingetreten sei. „Aber das heißt nicht, dass es ein subjektives Vetorecht für den Hersteller gibt. Wenn der Beweis erbracht ist, dann muss er die Rechtmäßigkeit des Anspruchs anerkennen. Außer natürlich,wenn ein zulässiger Ausschlussgrund vorliegt, etwa eine nicht fachgerechte Installation, die für den Fehler oder die Minderleistung verantwortlich ist“, sagt der Verbraucherschützer.
Lehnt es der Hersteller ab, den Garantieanspruch anzuerkennen, bleibt den Kunden nur der Klageweg. Bönning rät allerdings, vor diesem Schritt das Kleingedruckte in den Garantiebedinungen genau zu lesen. „Nicht jeder Produktfehler führt zur Produktgarantie, und nicht jede Leistungsreduktion fällt tatsächlich unter die Garantie“, sagt die Anwältin. Und selbst wenn die Kunden auf der rechtlich sicheren Seite sind – wirtschaftlich gesehen lohne der Aufwand eines solchen Verfahrens häufig nicht, so Bönning.
Verbraucherzentrale mahnt ab
Um die Hersteller zu kundenfreundlicheren Garantiebedingungen zu bewegen, hat die Verbraucherzentrale NRW jetzt zu juristischen Mitteln gegriffen: Der Verband hat fünf Schwergewichte der Branche – Solarworld, Bosch Solar, Mitsubishi, Yingli und Trina Solar – per Abmahnung aufgefordert, in den Geschäftsbedingungen neuer Verträge auf umstrittene Klauseln zu verzichten und sich bei alten Verträgen nicht mehr auf die geahndeten Bestimmungen zu berufen. Die Hersteller sollen dazu eine Unterlassungserklärung abgeben. Tun sie das nicht, droht eine Klage.
Dieser Druck zeigt Wirkung: Solarworld und Bosch Solar haben laut Verbraucherzentrale NRW vollständige Unterlassungserklärungen abgegeben, die auch die besonders kritisierte Frage der Kostenverteilung umfasst. Kunden dieser beiden Unternehmen werden also künftig nicht mehr auf ihren Ausgaben sitzen bleiben, sofern ein Garantiefallvorliegt. „Den Passus ‚Die Kosten für Demontage, Prüfung, Entsorgung, Transport, Montage und Neuinstallation der Module oder einzelner Bestandteile dieser Module im Rahmen der freiwilligen Garantieleistung trägt der Endkunde’ haben wir ersatzlos gestrichen“, sagt Bosch-Solar-Sprecherin Heide Traemann. Zudem biete das Unternehmen jetzt auch an, im Garantiefall neben dem Austausch oder der Reparatur des Moduls alternativ auch den entgangenen Ertrag zu ersetzen. Die Klauseln gelten ab Juli 2011. „Die neuen Bedingungen wenden wir aber selbstverständlich auch bei Bosch-Modulen an, die wir vor Juli 2011 ausgeliefert haben“, erklärt Traemann.
Hersteller bewegen sich
Solarworld hatte nach eigenen Angaben ohnehin schon länger an einer Überarbeitung seiner Garantiezertifikate gearbeitet; die Abmahnung dürfte diesen Prozess beschleunigt haben. Frank Henn, Vorstand Vertrieb der Solarworld AG, verweist darauf, dass sein Unternehmen Garantiefälle traditionell kulant und über die vereinbarten Garantiebedingungen hinaus behandelt. „Um dies auch formal nachzuvollziehen, haben wir nun unsere Garantiezertifikate angepasst“, sagt Henn. Dazu gehöre auch, dass Solarworld die Transportkosten übernehme und die Demontage wie auch die Montage neuer Module pauschal vergüte, erklärt der Vertriebschef.
Mitsubishi hat gleich nach der Abmahnung eine Teil-Unterlassungserklärung unterschrieben. „Diese umfasst allerdings nicht die für die Verbraucher wesentliche Kosten-Klausel“, erläutert Schneidewindt. Ende Juni veröffentlichte Mitsubishi eine Pressemitteilung, nach der das Unternehmen im Garantiefall die Kosten von neuen Modulen trage und an einer „kundenfreundlichen Lösung“ arbeite, sich an den Demontage- und Montagekosten zu beteiligen.
Ebenso Ende Juni hat Trina eine Unterlassungserklärung abgegeben, die die Verbraucherzentrale zurzeit prüft. Außerdem gelten seit dem 20. Juni neue Garantiebedingungen, die nach Angaben von Trina die Kritik der Verbraucherzentrale berücksichtige.
Yingli hat bisher keine Erklärung unterschrieben, aber angekündigt, Änderungen an den Garantiebedingungen vorzunehmen, so die Verbraucherschützer. Bei Yingli wird daran bereits seit einiger Zeit gearbeitet: „Wir waren sowieso dabei, unsere Garantiedokumente global zu konsolidieren und standardisieren“, sagt Darren Thompson, Marketing Director Europe bei Yingli Green Energy Europe. Da Yingli börsennotiert ist, müssten solche Änderungen allerdings sorgfältig geprüft werden, und das brauche Zeit. Wie die neuen Klauseln aussehen werden und ob sie die Kostenübernahme enthalten – dazu wollte sich Thompson nicht äußern.
Die Verbraucherzentrale bereitet derweil eine Klage gegen die abgemahnten Produzenten vor, die noch nicht alle Forderungen erfüllt haben. Offen ist noch, ob auch die verbleibenden 25 Hersteller, deren Garantiebedingungen der Verband ebenfalls kritisiert, ohne bislang eine Abmahnung ausgesprochen zu haben, mit der Aufforderung zu einer Unterlassungserklärung rechnen müssen. „Wir behalten uns das vor“, sagt Schneidewindt. Doch auch wenn es nicht dazu kommt: Durch die neuen, kundenfreundlicheren Garantiezusagen der Hersteller, die bereits auf die Abmahnungen reagiert haben, stehen die anderen Anbieter ohnehin unter Druck, hier nachzubessern – andernfalls drohen Wettbewerbsnachteile.
Monierte Klausel | Zahl der beanstandeten Garantieerklärungen |
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Die Kunden müssen die Kosten für Demontage, Transport und unter Umständen auch Prüfung der Module selbst tragen – auch wenn ein berechtigter Garantiefall vorliegt. | 20 |
Die Hersteller entscheiden nach alleinigem Ermessen, wie ein Schaden kompensiert wird. | 15 |
Die Hersteller entscheiden nach alleinigem Ermessen, ob ein Garantiefall berechtigt ist. | 10 |
Die Hersteller missachten das Transparenzgebot, weil die Klauseln unverständlich und die Begrifflichkeiten nicht klar sind. | 15 |
Die Verbraucherzentrale NRW hat die Garantiebedingungen von 30 Herstellern untersucht. Bei allen hat sie Klauseln gefunden, die in ihren Augen abmahnungswürdig sind. Besonders kritisieren die Verbraucherschützer die Abwälzung der Kosten, die im Zuge eines Garantiefalls entstehen, die Praxis der Restwerterstattung, die Entscheidung über das Vorliegen eines Garantiefalls nach eigenem Ermessen sowie unverständliche Formulierungen zu Fristbeginn und -dauer. Die Tabelle zeigt, dass es sich durchweg nicht um Einzelfälle handelt und weit mehr als die jetzt abgemahnten Hersteller betroffen sind. |