Der Schweinezyklus heißt so, weil den Bauern nachgesagt wird, dass sie nicht allzu viel von Angebot und Nachfrage verstehen. Wenn Schweine knapp sind und deshalb teuer verkauft werden können, stürzen sich viele Bauern in die Ferkelaufzucht. Einige Monate später werden all die Schweine zur gleichen Zeit schlachtreif. Es kommt zum Überangebot, der Verkaufspreis fällt ins Bodenlose. Deshalb will kaum noch ein Landwirt Schweine mästen. Also mangelt es irgendwann später erneut an Schweinefleisch, der Preis steigt, der Zyklus beginnt von vorn.
Photovoltaik hat nichts mit Schweinemast zu tun. Doch die Marktmechanismen sind die gleichen, und die Hersteller beherrschen die Zyklen von Angebot und Nachfrage ebenso wenig. Vor knapp fünf Jahren hatte der sprunghaft gestiegene Bedarf solares Silizium knapp und teuer gemacht. Das weckte Profitfantasien. So gibt es jetzt einige Neueinsteiger. Gerade Waferproduzenten wie LDK Solar und Renesola hatten unter den schwindelerregenden Marktpreisen gelitten und wollten sich für die Zukunft durch eigene Herstellung absichern.
Aber genau wie bei den Modulen gibt es mittlerweile ein massives Überangebot. „Trotzdem reagieren die Siliziumhersteller nicht“, sagt Stefan de Haan, Analyst beim Beratungs- und Marktforschungsunternehmen iSuppli Deutschland in München. „Seit Oktober, als wir die letzten offiziellen Zahlen bekamen, hat sich nicht allzu viel verändert. Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage scheint auf der Siliziumebene noch weiter auseinanderzugehen, als wir es schon damals vorausgesagt haben.“ Die Siliziumindustrie benötigt generell größere Investitionen und reagiert genauso wie etwa die klassische Chemie wesentlich träger auf Marktveränderungen. Während eine neue Modulproduktion etwa anderthalb Jahre Vorlaufzeit benötigt, sind es beim Silizium drei bis vier Jahre. „Das starke Überangebot, das wir derzeit und im nächsten Jahr auf der Modulebene schon sehen, werden wir ab 2010 ganz massiv auf der Siliziumebene haben“, prophezeit de Haan.
„Alle von denen stehen massiv unter Druck, komplett und durch die Bank“, urteilt Dirk Morbitzer, Geschäftsführer des Marktforschungsunternehmens Renewable Analytics in San Francisco. Er glaubt, dass die geplanten Produktionszahlen schon in diesem Jahr nicht mehr zu halten sind und die Hersteller ihre Produktionen drosseln müssen.
Außerdem fallen die Preise rapide. Auch das sei eine neue Tendenz bei den Siliziumherstellern, berichtet Matthias Fawer von der schweizerischen Bank Sarasin in Basel. Noch Ende des letzten Jahres hätte es danach ausgesehen, als ob die Firmen ihre hohen Margen trotz Überkapazitäten halten könnten. „Da gab es Langzeitverträge. Aber die sind nicht mehr viel wert. Dieser Kosten- und Preisdruck, der bei den Modulen durch die Überkapazitäten angefangen hat, wird weitergegeben.“ So verlangen die Abnehmer den Herstellern derzeit kräftige Preisnachlässe ab. Langfristig wird in dieser kritischen Phase nur überleben, wer kostengünstig produziert.
Siemensverfahren ist zuverlässig
Rohsilizium muss gereinigt werden, um daraus für die Photovoltaik nutzbares polykristallines oder in einem weiteren Prozess monokristallines Silizium zu gewinnen. Die größten Hersteller wie Hemlock Semiconductor und Wacker beispielsweise nutzen dazu das Siemensverfahren und liegen damit bei Kosten zwischen 30 und 35 Dollar pro Kilogramm. Das ist günstig und sichert selbst bei dem jetzigen Preisverfall noch Gewinne. Modernere Verfahren wie das UMG-Verfahren (Upgraded Metallurgical Grade) könnten diese Kosten künftig weit unterbieten, müssen dazu aber noch weiterentwickelt werden.
Hemlock ist mengenmäßig Weltmarktführer bei der Herstellung von polykristallinem Silizium und will weiter expandieren. „Sie haben erst jetzt wieder angekündigt, drei Milliarden Dollar zu investieren“, weiß iSuppli-Analyst de Haan. Etwa ein Drittel seines Siliziums kann Hemlock in der Elektronik-Branche absetzen. Das schafft zusätzliche Sicherheit. Morbitzer von Renewable Analytics ist trotzdem ein wenig skeptisch und zweifelt, ob der Markt es hergibt und die enorm erweiterten Produktionskapazitäten auch wirklich genutzt werden können. Hemlock habe jedoch die Reserven, das Nachfragetief, mit dem bis 2012 zu rechnen ist, gut zu überstehen und somit langfristig zu planen.
Wacker kann ebenfalls auf langjährige Erfahrung und umfangreiches Know-how beim Siemensverfahren zurückgreifen. Daneben erprobt der Hersteller auch das neue, zukunftsträchtige FBR-Verfahren (Fluidized Bed Reactor) zur Reinigung von Silizium. Wacker kann auf eine solide und breite Kundenbasis aufbauen. Die langfristig laufenden Verträge bringen etwa 80 Prozent des Umsatzes und basieren auf Preisen, die für die Abnehmer trotz der derzeit niedrigen Spotpreise immer noch günstig sind. „Aber wir erwarten schon, dass in den nächsten zwölf Monaten doch noch einiges nachverhandelt wird und die Gewinne bei Wacker dann nicht mehr so sprudeln“, sagt de Haan. Letztes Jahr hat Wacker etwa ein Zehntel der Produktion auf dem Spotmarkt verkauft. „Also sagen wir mal tausend Tonnen, um vorsichtig zu sein“, rechnet Morbitzer vor. „Sie haben 30 Euro gezahlt in der Produktion und ungefähr 150 bis 250 Euro am Spotmarkt erhalten.“ Mit zehn Prozent des Umsatzes ließen sich so etwa 50 Prozent der Gewinne erwirtschaften. Dieser Zusatzgewinn fällt jetzt nahezu komplett weg. Es wird jedoch nicht an die Substanz gehen, da sind sich die Analysten und Marktforscher einig. Wacker expandiert zwar etwas zurückhaltender als Hemlock. Die Analysten von iSuppli befürchten mittelfristig jedoch keinen Abstieg im Ranking. Stefan de Haan sagt: „Auch in vier, fünf Jahren sehen wir sie immer noch als klare Nummer zwei.“
DC Chemical ist erst im vergangenen Jahr in die Siliziumproduktion eingestiegen. Damit expandiert der Hersteller zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. „Suntech, ein sehr großer Kunde von DC Chemical, nimmt derzeit nichts mehr bei denen ab“, weiß Morbitzer. DC Chemical will durch Größe Kosten drücken, andererseits fehlen die langjährigen Erfahrungen dazu, mit denen etwa Hemlock und Wacker punkten können.
REC ist ein integrierter Konzern und verwertet sein Silizium zum großen Teil selbst. REC Silicon setzt auf das FBR-Verfahren und hatte da mit Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen – offensichtlich muss das neue Verfahren noch weiterentwickelt werden. „Da gibt es einfach Verzögerungen“, sagt Fawer. „Und REC ist entsprechend an der Börse abgestraft worden.“ MEMC hatte in den letzten Jahren viel Silizium am Spotmarkt verkauft und sich bei langfristigen Lieferverträgen zurückgehalten. Deshalb spüren sie den jetzigen Preisverfall besonders stark.
Obwohl es auch bei den fünf größten Herstellern einige aktuelle Schwierigkeiten gibt, sind sie deutlich besser positioniert als die Newcomer wie etwa der chinesische Produzent GCL Silicon Technology. Den Neueinsteigern mit ihren ambitionierten Expansionsplänen fehlt die Erfahrung, um wirklich günstig zu produzieren. Wenn sie für 50 bis 60 Dollar pro Tonne herstellen, bleibt kaum ein Gewinn. Entscheidend wird für sie sein, ob sie es in den nächsten zwei, drei Jahren schaffen, ihre Kosten so weit zu senken, dass sie mit den etablierten Herstellern konkurrieren können.
„Big Five“ hatten Markt im Griff
Wenn die Produktion von Silizium die Nachfrage nicht decken kann, bekommt die gesamte Branche Probleme. Das hat der Mangel an Solarsilizium in den letzten Jahren deutlich gezeigt. Eine paar Hersteller hatten die Produktion im wesentlichen in der Hand und konnten die Preise bestimmen. Das wird sich jetzt zwar ändern. Aber der Siliziummarkt behält seine Schlüsselfunktion.
Die Produktion von Wafern beeinflusst die Branche nicht so stark. Solche Kapazitäten können schneller aufgebaut werden, wenn es einen Engpass gibt. Die Zellhersteller ordern ihre Ausgangsmaterialien sowohl bei den Waferproduzenten als auch direkt bei den Siliziumherstellern, um die Wafer dann selbst zu produzieren. MEMC Electronic Materials verkauft zum Beispiel sowohl Silizium als auch Wafer. Das sollte bei den Rankingergebnissen beachtet werden. Eine Handvoll Waferproduzenten hat in der Vergangenheit dennoch das Marktgeschehen bestimmt und sehr gute Gewinne erzielt. „The Big Five“, das sind LDK, MEMC, REC, Renesola und Solarworld. „Die expandieren auch alle weiter“, sagt Stefan de Haan von iSuppli. „Sie profitieren ganz klar von ihren Skaleneffekten, haben sehr günstige Kostenstrukturen und konzentrieren sich momentan durch die Bank darauf, etwas weniger in die Kapazitätsausweitung zu investieren und stattdessen die Kosten weiter zu senken – ihre Antwort auf den Nachfrageeinbruch.“
Der größte Waferproduzent LDK Solar wollte seine Kapazität ursprünglich in den nächsten Jahren auf 3.200 Megawatt ausbauen. Diese Pläne sind mittlerweile auf Eis gelegt.
„LDK hat ein gewisses Problem mit der Verschuldung und steht finanziell nicht so positiv da“, formuliert Fawer diplomatisch. „Sie sind einfach enorm schnell gewachsen, das ist der Grund.“ Die Nummer zwei, MEMC, verkauft zwar viele Wafer, lässt aber auch extern produzieren. REC Wafer und Solarworld stellen auch für den Eigenbedarf her, haben aber die Waferfertigung in der Vergangenheit forciert, weil dieser Geschäftsbereich so lukrativ war. Momentan sind die Steigerungsraten bei ihnen etwas gedämpft. Das kann sich aber schnell ändern, wenn die Modulproduktion wieder anzieht.
Die zweite Gruppe sind die integrierten Hersteller wie Yingli Green Energy und Trina Solar. Wie sich ihr Wafergeschäft entwickelt, hängt vor allem von ihrem Modulverkauf ab. Sie müssen den Modulvertrieb weiter ausbauen, vielleicht sogar selbst installieren. „Die Waferproduktion ist lediglich ein kleines Rädchen darin, um Kosten zu sparen“, erklärt de Haan.
Es gibt unter den Top Ten neben den Großen auch noch eine Gruppe kleinerer, aber hochspezialisierter Waferhersteller, Pillar, Sumco und PV Crystalox Solar beispielsweise. „Das sind alles Firmen, die einfach geringere Marktanteile haben und absolut nicht so groß sind“, erläutert de Haan. „Sie werden wahrscheinlich deutlich mehr Probleme bekommen als die Großen. Wir könnten uns sogar vorstellen, dass mittelfristig, also in vier, fünf Jahren, dieses Segment spezialisierter Photovoltaik-Waferhersteller völlig verschwunden sein wird.“