Wer vom Stadtring in die Morselbaan einbiegt, sieht es schon von weitem: Das riesige, gläserne Auge funkelt im Sonnenlicht und weist den Weg zum Haupteingang des neu errichteten Onze-Lieve-Vrouw-Krankenhauses (OLV). Durch eine viergeschossige Halle betreten Patienten und Besucher das Gebäude. Im Inneren erwartet sie ein Spiel aus Licht und Schatten. Denn die schräge Glasfront ist auf 480 Quadratmetern mit lichtdurchlässigen Solarmodulen bestückt.
In der belgischen Kleinstadt Aalst westlich von Brüssel sorgt die bläulich schimmernde Fassade für Aufsehen. „Unsere Besucher fragen regelmäßig, ob das Solarmodule sind“, sagt Nathalie Suij, Bauherrnvertreterin des OLV-Krankenhauses, „denn die meisten Leute kennen nur die kleinen Anlagen, die auf Privathäusern installiert sind“. Photovoltaik kann mehr, als nur Strom zu produzieren: Sie ist ein multifunktionales Bauteil. Die Module können nahezu alle Eigenschaften von Fassadenelementen übernehmen. Sie bilden beispielsweise den Raumabschluss und schützen vor Witterungseinflüssen.
Besonders interessant aber ist die Verwendung als Sonnenschutz in Glasfassaden. Glasfassaden erlauben es, helle, hohe Räume zu bauen, und sind aus der modernen Architektur nicht mehr wegzudenken. Aber neben aller Ästhetik heizt eine gläserne Südfassade den dahinter liegenden Räumen auch tüchtig ein. Ohne Verschattungselemente ist es fast unmöglich, ein angenehmes Raumklima herzustellen. Gleichzeitig bietet die intensive Sonnenstrahlung aber auch gute Bedingungen für die Produktion von Solarstrom. In die Isolierglasfassade integrierte Zellen absorbieren und reflektieren das Sonnenlicht und lassen nur einen Teil der Strahlung ins Innere – genau so viel, dass die Lichtverhältnisse angenehm sind und sich wenig Wärme entwickelt.
Die Architekten, die das Krankenhaus entworfen und umgesetzt haben, stehen stellvertretend für viele Baumeister, die photovoltaische Bauelemente für sich entdecken. „Als Ingenieure waren wir bereits an zwei interessanten Projekten beteiligt, bei denen Photovoltaik gestalterisch und funktionell eingesetzt wurde“, sagt Kenneth Groosmann von der belgischen Planungsgruppe VK. Der Vorschlag, Solarzellen zu verwenden, kam nicht, wie so oft, vom Bauherrn, sondern von Groosmann und seinen Kollegen selbst. Die Architekten entwarfen die Eingangshalle als Atrium, das sich über mehrere Etagen erstreckt. Es wird über die schrägstehende elliptische Glasfassade belichtet.
„Weil es sich um eine Südfassade handelt, brauchten wir einen effektiven Sonnenschutz“, erklärt Groosmann. „Photovoltaik stellt eine einfache und kosteneffiziente Möglichkeit dar, die Sonneneinstrahlung auf der Südseite zu reduzieren.“ Der Energiegewinn stand bei der Entscheidung also nicht im Vordergrund. Er ist in Groosmanns Augen aber ein angenehmer Nebeneffekt. Auch die Bauherren waren einverstanden, Photovoltaik als Verschattungselement zu wählen, da der Blickfang ihr ökologisches Bewusstsein prägnant sichtbar macht.
Gelungene Zusammenarbeit
Die Planung und Umsetzung des komplexen Krankenhausneubaus zogen sich über vier Jahre hin. Erste Kontakte zu dem niederländischen Unternehmen Scheuten Solar als Hersteller maßgeschneiderter Glas-Glas-Module gab es bereits 2004, erinnert sich Thijs Martens, Projektleiter von Scheuten.
Nachdem die Architekten die stromerzeugende Glasfassade ausgeschrieben hatten und Scheuten Solar 2005 den Zuschlag tatsächlich auch bekam, besichtigte das Planungsteam verschiedene Referenzprojekte mit Scheutens Optisol-Modulen. Nach einer Einführung in die technischen Möglichkeiten entwickelten sie ihren Fassadenentwurf im Detail. Die Abmessungen von Standard-Wafern bildeten dabei die Grundlage für das Raster der Glasfassade. Um ein Muster zu gestalten, das für das Auge interessant ist, haben die Planer die Abstände der Solarzellen variiert. Für den unteren Bereich der Fassade wählten sie größere Abstände, um den Besuchern den Blick auf den begrünten Vorplatz zu ermöglichen. Nach oben hin werden die Abstände mit jeder Modulreihe kleiner. Dadurch wird auch die Wärmeentwicklung im Innenraum minimiert.
Über eine Höhe von 20 Metern sind acht bis 14 Zellreihen auf einem Modul untergebracht. Damit bringt die Fassade es auf rund 46 Kilowatt installierter Spitzenleistung. Sie wird von Doppel-T-Trägern getragen. Die Befestigung der Glaselemente führten die Architekten als sogenanntes Semistructural Glazing aus. Das bedeutet, dass die Glasmodule an den Seiten mit Profilen festgeklemmt werden, während sie oben und unten mit einer unauffälligen Dichtung aneinander anschließen. So erreichte Groosmann eine senkrechte Gliederung der um 45 Grad geneigten Fassadenfläche.
Trotz der besonderen Anforderungen verzögerte die Fassade den Bau des Krankenhauses nicht. Im Gegenteil, für den Hersteller war der Projektierungszeitraum ungewöhnlich lang. Thijs Martens von Scheuten freut sich über das gelungene Ergebnis. „Wir waren sehr interessiert daran, dieses Projekt zu bekommen. Hier können wir zeigen, was wir können“, kommentiert der PV-Planer. Nicht nur bei der Technik, sondern auch bei der Montage: „Scheinbar traute niemand sich das Maßnehmen für die Module zu“, sagt Martens. „Ich dachte noch bis zum Schluss, dass wir eine Zeichnung bekommen würden.“
Stattdessen kam aus Aalst der Auftrag für das Einmessen in der fertigen Stahlkonstruktion. Acht Wochen später trafen die Module auf der Baustelle ein, wo Scheuten-Mitarbeiter sie innerhalb von zwei Wochen installierten. „Die Vorbereitung war bei diesem Projekt viel aufwändiger als die Realisierung“, fasst Projektleiter Martens zusammen. 236 Glas-Glas-Module stellte Scheuten im Gelsenkirchener Werk maßgeschneidert für das Aalster Projekt her. Den Hauptteil der Fassade bilden Standardmodule, alle Module in den Randbereichen hingegen sind Sonderanfertigungen. Die Strings verlaufen in vertikaler Richtung, so dass auch jede elektrische Einheit unterschiedlich ausfällt. Dafür setzte Martens mehrere kleine SMA-Wechselrichter ein. Lediglich die Eckmodule, belegt mit nur drei Zellen, sind nicht mit der Anlage verschaltet, sondern inaktive Dummies.
In Aalst haben Architekten und PV-Planer konstruktiv zusammengearbeitet und sich in ihren Kompetenzen ergänzt. Groosmann und seine Kollegen haben alle Möglichkeiten für die Gestaltung der Fassade genutzt, dazu gehören unterschiedliche Zellbelegungen, Sonderformate und eine gegliederte Fassadenkonstruktion. Scheuten lieferte die Hintergrundinformationen und setzte die Planung schließlich um. Die Planer der VK-Gruppe gehen davon aus, dass die Installation der Solarmodule, über die gesamte Laufzeit gerechnet, kostengünstiger ist als eine mechanische Verschattung der elliptischen Glasfläche durch Raffstores, die außen an der Fassade angebracht werden. Und mit der Energie können beispielsweise alle drei Ebenen der Parkgarage beleuchtet werden. Alles wäre perfekt gelaufen, wenn auch der Stromversorger mitgespielt hätte. Obwohl Thijs Martens die Solarstromanlage bereits im Mai 2009 an den Betreiber übergeben hatte, floss lange Zeit kein Geld zurück in die Krankenhauskassen. Michel De Samblanx, Mitarbeiter der Verwaltung des OLV-Krankenhauses hält das für das Verschulden der Netzgesellschaft. „Anfang 2009 hatten wir einen Antrag für die Netzeinspeisung gestellt“, berichtet De Samblanx. Aber es dauerte bis Dezember, bis der Zähler installiert und der eingespeiste Strom vergütet wurde.
Die Zukunft der Gebäudeintegration sieht Architekt Kenneth Groosmann positiv. Unter bestimmten Bedingungen: „Die integrierte Photovoltaik wird wachsen, wenn sich das Umweltbewusstsein weiter entwickelt und die Energiepreise steigen“, sagt der Architekt. Für das Image des Krankenhauses arbeitet die Solarfassade längst. Sie macht das ökologische Bewusstsein der Bauherrn genauso weithin sichtbar wie ihren Anspruch auf Modernität. Und noch mehr als das. An einem sterilen Orte wie einem Krankenhaus schafft das weiche Licht des Atriums eine ganz besondere Atmosphäre. „Die Eingangshalle ist zum Herzen des Neubaus geworden“, schwärmt Nathalie Suij von der Krankenhausleitung.