Jugendstilfassaden, Burganlagen und Altstadtensembles gelten bekanntermaßen als schützenswertes Kulturgut. Bei deren Sanierung setzt der Denkmalschutz strenge Regeln an, die das Erscheinungsbild der Baukörper schützen. Eine andere Gruppe von Gebäuden rückt nun ebenfalls in den Fokus der Denkmalschützer: die Gebäude der Nachkriegsmoderne, oft schlichte Quader mit interessanten architektonischen Details, die sich in den Proportionen und der Materialität zeigen. Wie beim Erfurter Universitätshochhaus, das Anfang der 1960er Jahre als Studentenwohnheim errichtet wurde. Studenten wohnen hier schon lange nicht mehr. Bereits seit vielen Jahren befinden sich darin die Büros der Universitätsverwaltung.
Ein Anbau macht den Weg frei
2010 stand die Sanierung des zehngeschossigen Hochhauses an – ein zeitgemäßer Energiestandard, Fenster mit Sonnenschutz, ein Konferenzraum im brachliegenden Obergeschoss, ein zweiter Fluchtweg mit behindertengerechtem Zugang waren nur einige der Wünsche der Universität. Das alles sollte geschehen, ohne die Proportionen des denkmalgeschützten Baukörpers zu verändern. Auf Wunsch der Landesregierung sollte das Gebäude außerdem eine Fassade aus Photovoltaikmodulen bekommen. Dass die hohe, dunkle Solarfassade an dem hell verputzten Baukörper angebracht werden durfte, musste die Feuerwehr erst möglich machen. Die forderte nämlich die Erweiterung des Gebäudes um ein Fluchttreppenhaus. Den Denkmalschützern blieb nichts anderes übrig, als mit einem modernen Anbau zu leben. Und der durfte dann getrost mit Photovoltaikmodulen verkleidet sein.
Unsichtbarer Umbau
Mit einigen Tricks gelang es den Planern, den Umbau am Bestandsgebäude quasi unsichtbar vorzunehmen. Um die Stärke der Dämmstoffschicht optisch zu relativieren, wurden die Fenster nach außen gerückt, so dass Fensterbänke, Laibungstiefen und Fensteraufteilung in der Fassadenansicht wieder dem Originalzustand von 1961 entsprechen. Farben und Oberflächen innen und außen ließen die Planer auf Grundlage einer Restauratorexpertise wiederherstellen. „Im Endeffekt ist das Gebäude 18 Zentimeter breiter geworden auf jeder Seite“, sagt Henrik Meisel, Architekt und Projektleiter des Bauunternehmens AIG Gotha.
Der Anbau konnte natürlich nicht ohne Veränderung des Originalzustands umgesetzt werden, denn das vorgeschriebene neue Fluchttreppenhaus macht den Baukörper unweigerlich breiter. Doch wenn sich alt und neu optisch klar voneinander abgrenzen und wenn der Originalbaukörper ablesbar bleibt, stehen die Chancen auf ein Einlenken der Denkmalschutzbehörden in der Regel gut. In Erfurt kamen Bauherrenvertreter, Planer und Denkmalschützer überein, dass der Anbau sich in seinen Proportionen an den bestehenden Baukörper anpassen, in Materialität und Farbe aber klar als moderne Ergänzung zu erkennen geben sollte. Nach mehreren Entwurfsrunden in enger Absprache mit der Denkmalbehörde einigten sich die Beteiligten: Schwarz und gläsern sollte das Fluchttreppenhaus am Südostgiebel stehen.
Hier sah die Thüringer Landesregierung die Chance, an der neu erstellten, 34 Meter hohen Südostfassade ihre Selbstverpflichtung in Sachen Photovoltaikinstallation einzulösen – öffentlichkeitswirksam und zeitnah. „Das Landesamt für Bau und Verkehr hat ein Interesse daran, Photovoltaik sichtbar zu installieren in der Stadt“, weiß Meisel aus Gesprächen mit dem Bauherrn. Am Universitätsgebäude konnte man schnell tätig werden. Mit seiner dunklen Solarfassade hebt sich der Anbau klar von dem hell verputzten Baukörper ab. Je nach Blickwinkel spiegeln sich darin der Himmel oder die umliegenden historischen Universitätsgebäude. Die Gliederung der Giebelseite mit ihren mittigen Austritten sowie die Breite des Dachabschlusses und der seitlichen Einfassung passten die Planer dem Bestand an.
Lange Suche nach Modulen
Dass die Gebäudeintegration immer noch ein Nischensegment auf dem Photovoltaikmarkt bildet, bekam auch Henrik Meisel bei diesem Projekt zu spüren. „Es war gar nicht einfach, ein geeignetes und voll integrierbares Photovoltaiksystem als vorgehängte Fassade für die Hochhauswand zu finden“, sagt Meisel. „Wir haben bei mehreren Modulherstellern angefragt, aber wenn es um die bauaufsichtliche Zulassung und die Besonderheiten beim Brandschutz ging, kannten sie sich nicht mehr aus.“ Schließlich wurde Meisel beim Fassadenhersteller Sto Verotec fündig. Das eingesetzte solare Fassadensystem ist das Ergebnis einer Kooperation des Fassadenherstellers mit dem Dünnschichtmodulproduzenten Würth Solar. Die rahmenlosen Module von Würth sind auf den Trägerplatten des Systems Sto Ventec flächig verklebt. Die Maße der Fassadenelemente richten sich nach der Modulgröße von 120 auf 60 Zentimeter. Wie bei anderen Fassadenaufbauten hängt der Monteur die Elemente jeweils in zwei horizontal verlaufende Schienen der Unterkonstruktion ein, die dann seitlich hinter der Trägerplatte mit zwei Schrauben gegen Verschieben gesichert werden. Will der Monteur später ein Modul austauschen, löst er die Elemente einer Reihe in umgekehrter Reihenfolge wieder heraus.
Das Besondere am System ist, dass die Befestigungen außen nicht sichtbar sind. Die Montage ging rasend schnell, berichtet Meisel. „Innerhalb von einem Tag hatten die Fassadenbauer die gesamte Fläche fixiert.“ Für die unteren sechs Modulreihen und die schmalen Randbereiche hat Sto Verotec Dummys hergestellt – Glaselemente, die auf der Rückseiten bedruckt sind, so dass sie wie echte Module aussehen.
Brandsperren zum Schutz
Besonderes Augenmerk legten die Planer auf den Brandschutz. Vorgeschrieben für hinterlüftete Fassaden sind horizontale Stahlbleche, die in jeder zweiten Etage eingebaut werden. Zusätzlich zu diesen sogenannten Brandsperren, die einen Überschlag der Flammen an der Fassade verhindern, hat Henrik Meisel vertikale Bleche neben der jeweils letzten Modulreihe einbauen lassen. Dadurch ist das Gebäude über die gesamte Höhe von der Anlage getrennt, eine mögliche seitliche Brandausbreitung auf das Gebäude wird verhindert.
Zustimmung der Bauaufsicht
Mit den 352 CIS-Modulen und einer Leistung von 28,16 Kilowatt Peak ist die Anlage bislang die größte mit photovoltaischen Sto-Verotec-Elementen. In Erfurt wurde das Fassadensystem erstmals an einem Hochhaus eingesetzt. Dafür war eine bauaufsichtliche Zustimmung im Einzelfall notwendig – das übliche Verfahren für ein Produkt im Bauwesen, das neu eingeführt wird. Das Gute daran: Die Anforderungen werden objektbezogen gestellt. Doch Andreas Bühler von Sto Verotec arbeitet gleichzeitig auch an der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung, damit das solare Fassadensystem bald als Bauelement wie jede andere vorgehängte Fassade an Gebäuden verwendet werden darf. „Wir sind hier Pioniere, soweit ich weiß“, sagt Bühler. Denn an der Schnittstelle zwischen der Photovoltaik- und der Baubranche hapert es bis heute. Bühler hofft, bis Ende 2012 für Sto Ventec Photovoltaic grünes Licht vom Deutschen Institut für Bautechnik zu erhalten. Praktische Projekterfahrung beschleunigt das Verfahren. Die konnte der Fassadenhersteller anhand des Erfurter Projekts dokumentieren.
Mittel aus Konjunkturpaket II
Dass die große Solarfassade tatsächlich realisiert wird, war während der Planungsphase noch gar nicht gesichert. Nur mit Mitteln aus dem Konjunkturpaket II konnte die Landesregierung die Sanierung des Universitätsgebäudes stemmen. Wie so oft stand die Photovoltaikinstallation ganz am Ende der Prioritätenliste. Da senkrecht montierte Module nur etwa 75 Prozent der möglichen Solarstromerträge produzieren, ließ sich die Anlage nicht allein über die Einspeisevergütung finanzieren. Voraussetzung war, dass das Budget für den Treppenhaus-Neubau nicht überschritten wird – nur dann durfte die Solarfassade gebaut werden. „Wir haben alle Maßnahmen ausgeschrieben und erst zuallerletzt die Fassade“, sagt Henrik Meisel von AIG Gotha. „Dadurch, dass der Rohbau des Anbaus günstiger und andere Leistungen wie die Bauwerksabdichtung entfallen konnten, wurde der Bau der gesamten Photovoltaikfassade ermöglicht.“ Umso mehr freut sich Meisel, dass die Solaranlage im vergangenen Jahr den prognostizierten Ertrag von 17.000 Kilowattstunden um ganze 5.000 Kilowattstunden übertraf. „Die sonnigen Tage im Herbst und Winter 2011 kamen der senkrechten Installation zugute.“