„Stündlich Sonnenuntergang“ – diesen alten Wunsch des Liedermachers Konstantin Wecker erfüllen auch drehbare Sonnenhäuser nicht. Doch immerhin erspart ihre Architektur den Bewohnern, wie der Berliner Musiker Buddy „ab in den Süden, der Sonne hinterher“ zu fahren: Dem Sonnenstand im eigenen Haus zu folgen, das geht auch in Deutschland. Die Idee ist nicht neu. Den Urtyp aller Drehsolarhäuser hat bereits 1994 der Freiburger Solararchitekt Rolf Disch entworfen und errichtet: das Heliotrop. Heute arbeiten Architekten wie Photovoltaiktüftler an neuen Varianten.
Mit dem Heliotrop, inzwischen als registriertes Markenzeichen mit einem Copyright geschützt, hat Dischs Büro dem Architekten zufolge das „erste Haus weltweit geplant und realisiert, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht. Es ist der Sonne nachführbar und generiert ein Vielfaches seines Energiekonsums.“
Den Strom liefert eine 54 Quadratmeter große Photovoltaikanlage: 60 Siemens-Module aus monokristallinem Silizium generieren 6,6 Kilowatt Spitzenleistung. Für den Architekten war es ein „Pionier- und Experimentalbau“ – eine Erfahrung, bei der er viel gelernt hat und von der er auch heute noch profitiert.
Gelernt haben auch viele andere Architekten und Planer von Dischs Entwicklung. Auch wenn – anders als bei dem Freiburger Solarfan – das Thema Plusenergiehaus dabei meist nicht im Mittelpunkt stand oder steht. Oft geht es um praktische Ziele, welche die Investoren erreichen wollen. Oder sie möchten schlicht mehr Geld einnehmen. Denn drehbare, sonnenstandsgeführte Photovoltaikanlagen stehen heutzutage alleine, in kleinen Grüppchen oder großen Parks überall in Deutschland. Problem der Investoren: Für Freiflächen-Solarstrom gab und gibt es weniger Vergütung je Kilowattstunde als für Sonnenelektrizität vom Dach.
Lösungen für dieses Dilemma entwickelten Architekten schon vor Jahren speziell für Landwirtschaftsbetriebe. Die wohl bekannteste heißt Solarus, eine Art drehbare Sonnenscheune. Entwickelt haben dieses Solarstromhaus die Firmen Eggert – Bewegliche Gebäude- und Anlagensysteme – aus dem bayerisch-schwäbischen Ort Oberstadion sowie die Solarbau Chiemgau aus Feichten an der Alz. Der Ur-Solarus baut auf einem beweglichen Drehkranz aus Stahl auf, der dennoch fest auf dem Boden verankert ist. Die drehbare Halle ist mit großen Maschinen befahrbar, und die gesamte Grundfläche lässt sich nutzen, zum Beispiel als Lagerhalle, Maschinenhalle, Futtersilo, Freilandstall, Gartenhaus, Wohnwagengarage, Holzlager oder als Mähdrescherunterstand. Schön ist dieser Ur-Solarus nicht wirklich, aber wirtschaftlich, behauptet Eggert Stahlbau: „Die nachführbare Solarhalle produziert 30 bis 35 Prozent mehr Sonnenstrom als starr ausgerichtete Kollektoren derselben Größe. Solarus ist aber auch ein Nutzgebäude – ganz im Sinne des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Deshalb profitieren seine Besitzer langfristig von der bis zu 25 Prozent höheren Vergütung, die im Vergleich zu Anlagen ohne weiteren Nutzwert für den erzeugten Strom bezahlt wird“, stand schon 2006 auf der Webseite der Bayern.
Fester Teil sichert Förderung
Doch das fanden nicht alle Baugenehmigungsbehörden und Gerichte dieser Republik. Weshalb Eggert den Solarus weiterentwickelte: Den Drehkranz setzen die Schwaben heute immer öfter auf einen Betonsockel, der sowohl rund als auch quadratisch sein kann und das feststehende Erdgeschoss eines Hauses darstellt. Vorteil für die Besitzer: Dieser bis zu 100 Quadratmeter große Raum lässt sich natürlich leichter nutzen als der Original-Solarus, bei dem das gesamte Gebäude inklusive Tür ständig der Sonne folgt.
Nur für das Dach gilt weiter, was schon anfangs geschrieben stand: „Die Konstruktion ist stabil auf ihrem Laufring verankert und funktioniert auch bei Wind und Wetter zuverlässig. Kommt starker Wind auf, lässt sich die Anlage davon in die Richtung des geringsten Luftwiderstandes drehen. So wird verhindert, dass sie ausgehoben wird. Eine spezielle Vorrichtung an den acht Auflagepunkten sorgt außerdem dafür, dass auch Schnee und Eis Solarus nichts anhaben können.“
Diese Argumente überzeugten auch Elektromeister Thomas Lunz aus dem mittelfränkischen Bad Windsheim. Der werkelt schon seit 1994 mit Photovoltaik; zuletzt verbaute er jährlich gut ein Megawatt an Solarmodulen. Nun hat er mit vier Solarus-Gebäuden, die seit Ende Juni 2010 Solarstrom produzieren, einen neuen Weg beschritten. Auch diese Solardächer hat Eggert Stahlbau geliefert. Doch das zehn mal zehn Meter große Erdgeschoss hat ein mittelfränkischer Architekt gezeichnet; die Statik kommt ebenso aus der Region. Denn während das normale Solarus-Dach mit einer Photovoltaikleistung von etwa 30 Kilowatt zu belegen ist, hat jedes der Lunz-Häuser etwa 44 Kilowatt obendrauf.
Die Betongeschosse der vier Gebäude werden als Lager gut genutzt; die Hallen in einem Gewerbegebiet gehören Lunz und drei weiteren örtlichen Kleinbetrieben. Die Photovoltaik-Drehdächer sollen, so die Hoffnung der Betreiber, übers Jahr etwa 30 Prozent mehr Solarstrom liefern als nicht sonnenstandsgeführte Dachanlagen.
Drehbares Holz
Grundsätzlich heißt es für Anwender von Nachführsystemen: Bei der Planung muss auf eine Anpassung an die Umgebung geachtet werden. Denn hoch aufragende, auffällige Solaranlagen werden von Landschaftsschützern vielerorts bereits ähnlich wie Windkraftwerke als Umweltverschandelung gebrandmarkt. Diese Gefahr besteht bei ISOLPP nicht, dem Intersolaren Pflanzenölpresswerk in Warmisried im Allgäu. Maßgeblich mitentworfen hat das Gebäude Manfred Guggenmos, wie Thomas Lunz ein Elektromeister. Auch Guggenmos hat sich der Nutzung regenerativer Energien verschrieben: Eine von ihm gemeinsam mit seinem Schwager entwickelte effektive Netzeinspeisung von Wasserkraftstrom, erprobt auf einem alten Bauernhofgelände, wurde im Jahr 2007 beim Bayerischen Energiepreis anerkennend ausgezeichnet.
Auch ISOLPP steht auf diesem Gutshof bei Warmisried. Das Holzhaus in Niedrigenergie-Bauweise ist Guggenmos‘ Aushängeschild. Der Bau mit rund 30 Kilowatt Solarmodulen auf dem Pultdach dreht sich um die eigene Achse. Manfred Guggenmos beschreibt das Gebäude schlicht als „fünfstöckige, sich drehende Halle mit 400 Quadratmeter Nutzfläche. Büroräume, Lager- und Werkstattflächen, Labor, Schulungsräume.“ Doch tatsächlich ist das Innenleben interessanter: Eine Ölmühle zur Pflanzenölproduktion mit Speichern und einer ganz innovativen Presse ist neben Labor- und Lagerräumen darin untergebracht. Dazu ein Pflanzenöl-Blockheizkraftwerk, an dem Handwerker Guggenmos in Kooperation mit einer Uni Wärmeexperimente durchführt. Anders als Solarus hat ISOLPP eine Mittelachse, die sich nicht mitdreht: Dort sind die Versorgungsleitungen und die Treppe angeordnet. Und es wurde nicht nur als Lager gebaut, sondern um darin zu arbeiten.
Wohnen und Arbeiten
Arbeiten in ihren Solarkraftwerken –
das tun auch Georg Stiens von der gleichnamigen Solarfirma aus Kaufungen sowie Thomas Menz vom Solarunternehmen Neotron in Eichenzell-Lütter. Auch Menz hat vor etwa fünf Jahren ein drehbares Solarhaus entwickelt, das er seither als Firmensitz nutzt; für Stiens hat er ein zweites Exemplar geplant und gebaut. Seinen Neo-Tracker bietet Neotron in zwei Varianten an: „Als repräsentatives, individuelles Büro- und Wohngebäude sowie als standardisiertes Wirtschaftsgebäude“, erläutert Thomas Menz. In beiden Fällen sitzt ein drehbares Solardach auf einem runden, feststehenden Erdgeschoss.
Im Neo-Tracker wie im ISOLPP könnte man fast schon wieder an Rolf Dischs Heliotrop denken, an den Urtyp aller Drehsolarhäuser. Von seinem runden Gebäude mit dem Sonnensegel obendrauf schwärmt der Freiburger Solararchitekt übrigens heute noch in sonnigen Worten: „Heliotrope Pflanzen haben Blüten oder Blätter, die sich mit dem Lauf der Sonne drehen. Genau das kann auch das Heliotrop.“