1983 galt Thomas Herzog mit seinen dachintegrierten Photovoltaikmodulen noch als Exot. Auch vor zwölf Jahren noch gab es kaum Beispiele solarer Architektur, erzählt der Münchner Architekt am Rande der Tagung „Sun and Sense“. Seitdem hat sich einiges getan. Etwa 400 internationale Vertreter aus Architektur, Stadtplanung, Wissenschaft und Politik trafen sich auf der „Sun and Sense“ Mitte März in Berlin, um die Möglichkeiten solarer Planung in der Architektur zu diskutieren. Auch wenn bei der fünftägigen Konferenz solarthermische Lösungen im Vordergrund standen, stieß ein Workshop zur Photovoltaik immerhin bei etwa 100 Teilnehmern auf reges Interesse.
Bereits auf einer Solarenergie-Konferenz 1996 wurde unter Herzogs Federführung die Charta für Solarenergie in Architektur und Stadtplanung vorgestellt. Die Solararchitektur hat seitdem zumindest quantitativ einen großen Sprung nach vorne gemacht. Lag der Zubau der Photovoltaikanlagen in Deutschland im Jahr 2000 noch bei 44 Megawatt, waren es 2007 schon rund 1.100 Megawatt.
Bild des Grauens
Zu einem guten Teil geht der Zubau auf das Konto der nachträglich auf Ein- und Mehrfamilienhäuser montierten Anlagen. Deren Gestaltung wird meistens von der Standardgröße der Module sowie den Sonnen- und Schattenflächen des jeweiligen Dachs bestimmt. Ästhetische Gesichtspunkte spielen bei den privat realisierten Anlagen selten eine Rolle. „Ein Bild des Grauens“ waren sich die in Berlin versammelten Architekten einig.
Ästhetisch in das Gesamtgebäude integrierte Photovoltaik sei sogar rückläufig, sagt der Architekt Thomas Stark. An den technischen Möglichkeiten liegt es nicht. Unterschiedliche Materialien, von mono- und polykristallinem Silizium verschiedener Färbung bis hin zu Dünnschichtmodulen aus amorphem Silizium lassen mittlerweile gewisse Gestaltungsspielräume.
Mit der Solarcharta hatten die unterzeichnenden Architekten nicht nur die solare Stromerzeugung im Sinn. Sie setzten sich für eine Bauweise ein, die sich den jeweiligen klimatischen Bedingungen anpasst, die im Winter die Sonne zur Heizung nutzt und im Sommer für ausreichende Beschattung und Ventilation sorgt.
Massenprodukt Plusenergiehaus
Dafür bringt es schon viel, die typischen Reihenhäuser mit Pultdach um 180 Grad zu drehen. In der Solarsiedlung am Schlier- berg in Freiburg hat der Architekt Rolf Disch auf diese Art 58 zwei- und dreigeschossige Plusenergiehäuser hingestellt. Ihre Norddächer fallen steil ab, die Süddächer sind flach und komplett mit Photovoltaik bestückt. Im Sommer trifft die Sonne in einem relativ günstigen Winkel auf die auf dem Dach installierte Solaranlage. Das Dach verschattet gleichzeitig die Fenster, sodass sich der Innenraum weniger aufheizt. Die tiefstehende Wintersonne strahlt dagegen weit ins Innere und wärmt das Haus in der kalten Jahreszeit auf. Dick gedämmte Wände und dreifach verglaste Fenster sorgen für geringe Wärmeverluste. Für den Fall, dass die Bewohner trotzdem noch heizen müssen, sind die Häuser an ein Nahwärmenetz angeschlossen, das mit Solarthermie und Holzhackschnitzeln betrieben wird. Dank der Photovoltaikmodule auf dem Dach ist die Energiebilanz insgesamt positiv.
Der Solararchitekt Erwin Kaltenegger hat eine andere Lösung gefunden. Er verwirklichte mit der „Sun City“ im österreichischen Weiz 24 Reihenhäuser in Passivbauweise, die aus Holzfertigbauteilen, einer Fassadenverkleidung aus regionalem Tannenholz und einer vorgelagerten Photovoltaikanlage auf Ständern zusammengesetzt sind. Kaltenegger wohnt selbst in einem seiner Häuser vom Typ „Tanno meets Gemini“ und ist begeistert: „Wir haben nie das Problem gehabt, dass es innen zu finster ist.“ Nach drei Jahren Sun City in Weiz ist auch seine Energiebilanz positiv, auch wenn das Haus im Winter mehr Strom verbraucht, als es erzeugen kann.
Sowohl Kaltenegger als auch Disch haben sich einer preisgünstigen Massenproduktion von Solarhäusern angenommen. Mit Standardisierung und Reihenhausbauweise machen die Architekten einen Schritt auf die zukünftigen Eigenheimbesitzer zu.
Großes Potenzial im Bestand
Allzu groß ist das Neubaupotenzial in Deutschland allerdings nicht. Wenn wertvolle Dachflächen genutzt werden sollen, muss vor allem der Bestand umgerüstet werden. So genannte Indachanlagen, die die Dachdeckung ersetzen, sind zwar bereits von mehreren Firmen auf dem Markt. Doch oft hapert es an der Gestaltung. Die Firma Systaic bietet dafür eine Lösung an, die bereits mehrere Preise gewonnen hat. Allerdings ist es am besten, wenn eine komplette Dachsanierung ins Haus steht, um das Systaic-Energiedach einzubauen. Es erfüllt alle Funktionen eines konventionellen Dachs und integriert darin die Photovoltaik-Module. Das besondere: Systaic ergänzt auch Fertig- elemente wie Dachfirst, Dachfenster und Belüftung im einheitlichen Design.
Mehr als nur ein einheitlicher Gesamteindruck lässt sich durch Glaselemente mit integrierter Photovoltaik erzeugen. Die Solarzellen können beispielsweise im Siebdruck auf Glas gedruckt werden, durch den Abstand der einzelnen Photovoltaikzellen wird eine unterschiedliche Lichtdurchlässigkeit erreicht. Die Photovoltaikgläser dienen gleichzeitig dem Wetter- und Sonnenschutz, der Schalldämmung und der ästhetischen Gestaltung. Sie können sowohl in Glasdächer als auch in Fassaden oder vorgelagerte Gebäudehüllen eingebaut werden. Gerade in Fassaden von Büro- und Industriegebäuden bieten sie sich auch als großflächige Gestaltungselemente an. Die um fünf Cent erhöhte Einspeisevergütung für Photovoltaikfassaden machen solche Lösungen zwar attraktiver. Renditegründe sollten aber nicht allein ausschlaggebend sein, meint Dieter Moor, Vertriebsleiter der österreichischen Firma ertex-solar: „Durch fehlende Standardisierung ist der Preis höher.“
Auch die Installation von Fassadenelementen aus Glas gestaltet sich oft schwieriger als die Montage eines Photovoltaikdachs. „Man braucht spezielles Hebewerkzeug aus dem Glasbau, aber Glasbauer können wiederum mit der Verkabelung nichts anfangen“, so Moor. Eine Zusammenarbeit der Gewerke sei daher notwendig.
Bunte Fassaden
Auf dem Weg zu einer individuellen Gebäudegestaltung könnten Farbstoffsolarzellen bald neue Möglichkeiten eröffnen. Sie werden ebenfalls in Glas integriert, ihr Grundstoff ist aber nicht Silizium sondern Titandioxid-Nanopartikel in Verbund mit Farbstoffen und einem Elektrolyt. Die australische Firma Dyesol verspricht Erträge auch noch bei schlechten Lichtverhältnissen sowie eine Produktion, die weniger Energie aufwändig ist als die herkömmlicher Solarzellen. In Australien hat die Firma die ockerfarbenen Solargläser derzeit in zwei Pilotgebäuden eingebaut und testet damit die Lebenserwartung der Zellen. Auch das Fraunhofer ISE erprobt, wie die Farbstoffsolarmodule haltbar gemacht werden können. Entscheidend hierfür ist eine hermetische Versiegelung. Außerdem haben die Forscher die Farbe durch verschiedene Filter variieren können. Der auf Solartechnik spezialisierte Architekt Ingo Hagemann rechnet in etwa zwei Jahren mit einem marktreifen Produkt.
Teure Einzelanfertigungen
Pionierarbeit leistet auch die junge SolarNext. Sie entwickelt textile Baustoffe mit integrierter, flexibler Photovoltaik. Membranen aus Fluorpolymeren finden derzeit beispielsweise bei Stadion- überdachungen oder als zweite Gebäudehaut Anwendung. Die Membranen sind leichter als Glashüllen und so langlebig, dass sich auch die Integration von Photovoltaik lohnen würde. Die SolarNext laminiert amorphes Silizium auf PET-Folie auf den Membranstoff. Auf dem Firmengelände steht ein so ausgestattetes pneumatisches Kissen, zurzeit arbeitet die Firma an einem Zeltpavillon in München. Über den Preis will der Firmenvorstand Jan Cremers wie die meisten Firmenvertreter auf der „Sun and Sense“ nicht unbedingt reden. „Für kleine Projekte ist es sicher unwirtschaftlich. Es kommt aber darauf an, wie viele gleichartige Module gebaut werden.“ So ist eine Verwendung von Solarmembranen in Zukunft auch in größeren Solarsiedlungen denkbar.
Die individuelle Gestaltung mit Photovoltaik-Elementen und eine gelungene Gebäudeintegration kommt selten ohne teure Spezialanfertigungen aus. Nach Ansicht vieler Architekten auf der „Sun and Sense“ rechnen viele Bauherren aber falsch. „80 Prozent der Kosten für ein konventionelles Gebäude sind Folgekosten“, sagt Erwin Kaltenegger. Wer durch einen energieoptimierten Bau bis zu 15 Prozent dieser Kosten spare, habe daher erheblich mehr Geld für Planung und Bau zur Verfügung.