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Klug verschaltet — oder: aus zwei mach eins

Wer von Südwesten kommend nach Eschborn, nördlich von Frankfurt am Main, hineinfährt, sieht rot. Imposant präsentiert sich das neue Dienstleistungszentrum am Stadtrand von Eschborn in seinem dunklen Weinrot. Dabei steht die Farbgebung des neuen Eschborner Dienstleistungszentrums im Gegensatz zu seinen inneren Werten. Die sind nämlich grün. Die Architektur der verschiedenen Gebäude steht ganz im Zeichen von effizienter Energienutzung. Besonderes Highlight: die transparenten photovoltaischen Vordächer.

In drei Gebäuden, die scharfkantigen Kuben gleichen, hat die 20.000-Einwohner-Stadt den städtischen Bauhof, die Stadtwerke und die Abteilung Tiefbau der Stadtverwaltung zusammengelegt. Sie sind rundherum mit den gleichen, dunkelroten Fassadenelementen aus Faserzementplatten verkleidet. „Die unterschiedlichen Funktionen sollen bewusst nicht an den Baukörpern ablesbar sein, um das Dienstleistungszentrum als eine Einheit zu präsentieren“, sagt Andreas Wiege vom Architektenbüro Hegger, Hegger und Schleiff (HHS) aus Kassel, das den Auftrag für das Dienstleistungszentrum im November 2007 zugesprochen bekam.

Der Verwaltungstrakt und die Hausmeisterwohnung erreichen nahezu Passivhausstandard. Gut gedämmt und ausgestattet mit einer Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung verbrauchen sie minimale Energie. Auf Wunsch der Stadtverwaltung sollte der Neubau außerdem grünen Strom produzieren. Dafür sorgen ein Mikroblockheizkraftwerk und die größte städtische Photovoltaikanlage Eschborns, mit einer Gesamtleistung von 184 Kilowattpeak. Knapp zwei Drittel der Leistung sind in die beiden transparenten Hofüberdachungen integriert. Mit zusammen knapp 1.300 Quadratmeter Fläche schützen sie einen großen Stellplatz für Nutzfahrzeuge und die Außenflächen vor Hochregallager und Werkstätten vor Regen. Zusätzlich haben die Stadtwerke auf den Dachflächen aller drei Gebäude Photovoltaikmodule aufständern lassen.

Die transparenten Vordächer rücken die Photovoltaik gestalterisch in den Mittelpunkt. Und damit kommen die Besucher und die 60 Mitarbeiter des Dienstleistungszentrums in den Genuss einer gleichmäßigen Textur aus Licht und Schatten. Dafür wurden zwei der Dächer mit semitransparenten Glas-Glas-Modulen eingedeckt. Sie sind in die für industrielle Bauten typischen Sheddächer integriert. Das Dach ist in einzelne Abschnitte wie Sägezähne untergliedert. Über eine Strecke von jeweils ungefähr fünf Metern steigt das Dach an, um dann senkrecht wieder abzufallen. Die maximale Steigung von nur fünf Grad reicht aus, damit der Regen ablaufen und die Module sauber halten kann – und um sich gegenseitig das Licht zu nehmen. Auf einem Shed sind immer zwei Modulreihen übereinander angeordnet. Steht die Sonne tief, werden die Module im unteren Bereich durch die davorliegende Reihe verschattet.

Zwei Module in einem

Die Planer lösten das Problem mit einer Spezialanfertigung der Firma Solarnova aus dem Schleswig-Holsteinischen Wedel. Für die obere, unverschattete Reihe des großen Vordachs fabrizierte Solarnova Module mit einer Leistung von 326 Watt. Das Modul in der unteren Reihe besteht aus zwei elektrisch getrennten Teilen, damit die verschatteten Zellen nicht die Leistung des gesamten Moduls schmälern. Sichtbar ist diese Trennung nicht, weil die Zellen innerhalb des Moduls den gleichen Abstand haben. Beide Hälften haben eine Leistung von je 152 Watt. Was wie zwei Modulreihen aussieht, sind elektrisch betrachtet drei Reihen, die jeweils waagerecht verschaltet sind. Im Schattenfall ist jedoch nur die unterste teilweise beeinträchtigt. Bypass-Dioden in jeder zweiten Zellenreihe reduzieren die Verluste noch zusätzlich.

Mit insgesamt 304 Watt haben die Module für den unteren Bereich eine Zellenreihe weniger als das obere Modul mit 326 Watt. Das hat zwei Gründe: Die unterste Zellreihe steht immer im Schatten des davorliegenden Sheds und kann daher weggelassen werden.

Ausgefeilte Kabelführung

Für die Verkabelung war es wichtig, dass jede elektrische Einheit aus einer ungeraden Zahl von Zellreihen besteht. So kann das Kabel auf der einen Seite hineingehen und auf der anderen Seite herauskommen. Für kurze Kabelwege ist das entscheidend.

Die Montage der integrierten Module verlangte eine detailgenaue Vorplanung. Das größere der beiden Vordächer wird von schlanken Stützen getragen, während das kleinere aus dem Gebäude des Hochregallagers herausragt. Bevor die Stahlteile der Unterkonstruktion im Werk verzinkt werden konnten, musste Norbert Schwab von Grammer Solar im Oberpfälzischen Amberg angeben, welchen Weg die Kabel nehmen werden, die die Module miteinander verbinden sollen. „Jede Querung eines Stahlträgers mussten wir im Vorfeld definieren, mit genauem Querschnitt und Platzierung“, sagt der erfahrene Fassadenplaner. „Für den Kunden ist das gut, weil die Materialien so optimal geschützt sind.“ Auf die Stahlträger setzten seine Kollegen dann Verglasungsprofile aus Aluminium für die Modulbefestigung. Die senkrechten Flächen der Sheds verschlossen sie mit hellen Aluminiumpaneelen. Innerhalb der Stahlkonstruktion sollten die Kabel möglichst so verlegt werden, dass sie von unten nicht einsehbar sind. Deshalb wählte Schwab kurze Kabel mit kleinem Querschnitt. Die zweigeteilten Module haben dadurch vier Anschlussdosen bekommen. „Wenn ich eine hochwertige Gebäudehülle haben möchte, gehe ich Kompromisse ein. Bei der architektonischen Integration bearbeite ich immer konkurrierende Interessen“, weiß Schwab aus Erfahrung.

Die Architekten hatten ihre Planung den besonderen Anforderungen der Solartechnik anzupassen. „Wir mussten schauen, dass es keine Verschattung der Photovoltaikmodule durch andere Bauteile auf dem Dach gibt.“ Daher platzierten sie beispielsweise die Blitzschutzelemente und andere Aufbauten mit besonderem Bedacht.

Inspiration für Eschborn

Mit dem Anschauungsobjekt Dienstleistungszentrum möchte die Stadt Eschborn erste Erfahrungen sammeln in Sachen Energieeffizienz am Bau. Wie effizient läuft das Mini-Blockheizkraftwerk? Wie viel Strom produzieren die Solarstromanlagen wirklich? Wie arbeitet es sich sommers wie winters in Büroräumen mit kontrollierter Lüftung?

„Wir wollen das Gebäude in der Nutzung beobachten und ein Monitoring einrichten, um die Nachhaltigkeit für dieses und zukünftige Projekte bewerten zu können“, sagt Sabine Staudigel, Projektleiterin der Stadt Eschborn.

Trotz der Lage des Service-Zentrums am Stadtrand ist die Resonanz von Bürgern und Mitarbeitern ausgesprochen positiv. „Die Atmosphäre im Hof und im Gebäude ist sehr gut, die Leute spüren das auch“, sagt Staudigel. Ein Projekt mit Vorbildfunktion: Die Eschborner Stadtwerke sind nun auf die Photovoltaik aufmerksam geworden und investieren auch an anderen öffentlichen Gebäuden in Solarstrom. „In dieser Stimmung sind viele neue Aufdachanlagen realisiert worden“, glaubt die Eschborner Projektleiterin. Auch bei der hessischen Architektenkammer ist das Dienstleistungszentrum nicht unbemerkt geblieben. Sie hat die roten Kuben in das Programm des „Tages der Architektur“ aufgenommen, der Ende Juni bundesweit veranstaltet wird.

Anja Riedel

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