Die Idee, Solarmodule in herkömmliche Dachziegel zu integrieren, ist nicht neu. Bereits 2011 gab es in diesem Nischensegment eine wenn auch überschaubare Produktpalette. Der Siegeszug am Markt scheiterte vor allem am Preis der Systeme. Die meisten Hersteller nahmen die Produkte wieder aus dem Sortiment.
Doch die Welt hat sich weitergedreht. Die Preisentwicklung nach unten für Komponenten bringt auch die Nischenprodukte wieder ins Spiel. Spätestens seit Tesla-Chef Elon Musk medienwirksam verkündete, solare Dachziegel bauen zu wollen, sind sie wieder ins Bewusstsein der Planer und Häuslebesitzer gerückt. Denn wer nicht auf eine konventionelle Dachoptik verzichten will, kann mit solchen Produkten seine ästhetischen Ansprüche verwirklichen.
Impuls kommt vom Bauherrn
Einen – wenn auch kleinen – Markt gibt es dafür, und er scheint sich gerade etwas zu beleben. Genau wie Indachlösungen finden Solardachziegel ihren Weg zum Kunden jedoch oft nur schwer.
Bauherr, Architekt und Dachdecker müssen an einem Strang ziehen. Häufig geht der Impuls vom Bauherrn aus, der keine Standardmodule in Aufdachmontage auf dem Dach haben will. Die Abgrenzung zwischen Solardachziegel und Indachsystem sorgt mitunter allerdings für Verwirrung.
Entscheidend für Solardachziegel ist, dass sie das Regenwasser an ihrer Oberfläche ableiten. Das tun die meisten Indachsysteme auch. Was Form, Größe und Montageart angeht, unterscheiden sich die Auffassungen. Wir fassen den Begriff recht eng und betrachten solare Dachziegel, die aus sich überlappenden Ton- oder Kunststoffziegeln von normaler Dachziegelgröße bestehen, auf denen Solarzellen aufgeklebt oder mechanisch befestigt sind. Im Unterschied dazu bestehen Indachlösungen aus größeren Solarmodulen, die mit individuellen Tragsystemen auf das Dach montiert werden und nicht mit herkömmlichen Ziegeln kombiniert sind.
Preislich machbar
Ein Unternehmen aus Ramstein-Miesenbach in der Nähe von Kaiserslautern geht seine ersten Schritte in dieser Nische: das junge Unternehmen Zeptre, das aus der Energiebau Ramstein entsprungen ist. Energiebau Ramstein ist ein Bauträgerunternehmen und baut Immobilien mit ausgeklügelten Energiekonzepten.
Vor drei Jahren begannen die Techniker des Unternehmens, das Konzept von Solardachziegeln zu verfolgen. Geschäftsführer Hans Kennel beschreibt das Credo seines Teams: „Unsere Kunden sollen in Gebäuden leben und arbeiten, in denen Heizung, Lüftung und Strom nicht teuer sind.“
Seit einem Jahr verbaut Zeptre das Produkt der niederländischen Firma ZEP BV. Kennel ist vom technischen Konzept überzeugt, und auch preislich liegt das Produkt für viele Kunden im Bereich des Machbaren.
Neun Watt Leistung
Die Rohziegel werden in Deutschland von den Dachziegelwerken Nelskamp gebaut. Dann treten sie ihre Reise in die Niederlande an. Dort werden die Minimodule mit den Ziegeln verbunden, und das fertige Produkt wird ausgeliefert. Die wasserdichte Verbindung zwischen Ziegel und Zellen wird durch vorgefertigte Aussparungen und das Versiegeln mit Kitt hergestellt.
Die Minimodule bestehen aus zwei Zellen. Sie sind wie Standardmodule auf der Rückseite laminiert und auf der Frontseite mit Glas bedeckt. Einen Rahmen gibt es nicht. Stattdessen ist im Ziegel eine Aussparung für die Anschlussdose vorgesehen, sodass die Kabel auf der Rückseite geführt werden können.
Ein einzelner Ziegel hat eine Leistung von neun Watt. Auf die Baustelle werden die fertigen Ziegel mit MC4-Steckern und entsprechenden Verbindungen geliefert. Die Anschlusskabel sind maximal 30 Zentimeter lang, länger müssen sie auch nicht sein. In der Regel werden 30 Ziegel in Reihe geschaltet und mit einem Optimierer von Solaredge verbunden, um Verschattungsverluste zu minimieren. Die Minimodule werden in Asien hergestellt und haben einen Wirkungsgrad von 20,22 Prozent.
Jeder Quadratzentimeter nutzbar
Der Leistungsvergleich zu normalen Modulen hinkt ein bisschen. Realistisch gesehen, ist die Leistung pro Fläche geringer, denn nicht der ganze Ziegel ist vom Modul bedeckt. Insofern bringen die kleinen Kraftpakete weniger Leistung pro Quadratmeter Fläche.
„Doch dieser vermeintliche Nachteil wird mehr als kompensiert. Denn auf dem Dach ist mit diesen kleinen Einheiten praktisch jeder Quadratzentimeter nutzbar“, argumentiert Kennel. Und diese Argumente überzeugen auch die Kunden. Es müssen keine Aussparungen für Dachfenster, Kamine oder Lüftungsausgänge gebaut werden wie bei herkömmlichen Dächern. Insofern ist die Leistung pro Dachfläche dann doch wieder in etwa die gleiche wie bei einer herkömmlichen Anlage.
Die Planung für ein Dach mit Zeptre-Solardachziegeln erfolgt mit einer eigenen Software, in die die Gebäude- und Dachmaße eingegeben werden. Das Monitoring erfolgt über das Portal von Solaredge. Ein weiterer Vorteil für den Dachdecker: Das Zubehör zu Nelskamp-Ziegeln findet er im lokalen Baustoffhandel, lediglich die Ziegel müssen extra bestellt werden.
Beliebt für Erker und Türmchen
Kennel und seine Kollegen beweisen das richtige Händchen bei der Kundenakquise. „Wir sind selbst immer wieder erstaunt, dass sehr viele Leute gar nicht wissen, dass es solche Produkte gibt“, erzählt Kennel. Das größte Interesse kommt von Denkmalschutzbehörden und Architekten, die besondere Objekte realisieren.
Besonders wenn Erker, Türmchen oder abgesetzte Dächer gebaut werden und grundsätzlich das Interesse an Photovoltaik vorhanden ist, fällt es leicht, die Kunden zu überzeugen. Rastermaße müssen nicht eingehalten werden. „Das macht die Architekten glücklich“, so drückt es Hans Kennel aus.
Es gibt außerdem viele Kunden, die ein Haus mit ganz individuellen Designvorstellungen bauen und dennoch an Solartechnik interessiert sind, oft sogar an einem hohen Autarkiegrad. Solche Kunden wollen dann auch in puncto Solartechnik etwas ganz Besonderes. Zudem wird von den Kunden sehr geschätzt, dass die Ziegel sowohl in roter als auch in schwarzer Optik verfügbar sind.
Chance zur Differenzierung
Dachdecker können sich mit dieser Lösung ganz klar differenzieren. Im heiß umkämpften Markt mit hartem Preisdruck können sie mit diesem Produkt mehr Wertschöpfung generieren. Das bedeutet auch zusätzlichen Umsatz.
Demnächst werden Zeptre-Dächer im Saarland und in Rheinland Pfalz gebaut. In den Niederlanden sind bereits mehr als 100 Objekte mit Solarziegeln von ZEP BV bedacht. Erste Interessenten für das Konzept gibt es auch in Dänemark und England.
Solarteg
Rote Zellen für typische Dächer
Das italienische Unternehmen Solarteg verbindet traditionelle Dachziegel mit Solarzellen. Neben dem bereits erhältlichen Photovoltaikziegel GTFV 100 hat die Firma eine komplette Produktlinie von solaren Dachdeckungselementen entwickelt. Dies ermöglicht eine harmonische Anpassung an die typischen Dächer in den verschiedenen regionalen Umgebungen mit Schiefer- oder Bitumenabdeckungen.
Das Photovoltaikelement GTFV 100 besteht aus roten Zellen, eingefasst in cottofarbene Rahmen, und ähnelt einem Dachziegel. Die elektrische Verbindung der Ziegel erfolgt durch eine patentierte Lösung ohne Kabel – das erleichtert und beschleunigt die Montage auf dem Dach. Die Ziegel werden ineinandergesteckt und mit dichter Überlappung verlegt.
Die Struktur und das Material verleihen dem GTFV 100 laut Hersteller eine erhöhte mechanische Widerstandsfähigkeit. Das Dachelement sei begehbar und widerstandsfähig gegen Schnee und zufällig aufkommende Lasten. Zudem deformiert sich der Ziegel dem Hersteller zufolge nicht bei Temperaturschwankungen wie zum Beispiel bei Frost und der darauf folgenden Eisschmelze. Solarteg gibt auf die Ziegel eine Garantie von 25 Jahren.
Autarq
Beton oder Ton
Das Prenzlauer Unternehmen Autarq fertigt Solardachziegel aus Betonsteinen oder Tonziegeln. Sie werden mit monokristallinen Solarzellen belegt. Die elektrische Leistung eines Ziegels beträgt je nach Größe acht bis zwölf Watt. Stecker und Kabel werden unter dem Ziegel geführt und sind somit vor UV-Einstrahlung und anderen Witterungseinflüssen geschützt. Das Gewicht entspricht in etwa dem der Originalziegel, sodass auch für die nachträgliche Belegung eines Daches die Statik in der Regel ausreicht. Auch eine Teilbelegung oder eine spätere Erweiterung ist möglich.
Forschungsprojekt Construct PV
Kosten senken über die gesamte Wertschöpfungskette
Im EU-Projekt Construct PV unter wissenschaftlicher Leitung des Fraunhofer ISE arbeiteten in den vergangenen Jahren Architekten, Modul- und Wechselrichterhersteller und Generalunternehmer der Baubranche zusammen, um Module zur Bauwerksintegration zu entwickeln. Sie betrachteten die Wertschöpfungskette für eine BIPV-Anlage, um die Anschaffungs- und Herstellkosten zu senken. Das dabei verfolgte Konzept des Mosaikmoduls geht von existierenden Fertigungsprozessen bei Modulen mit Rückseitenkontaktierung aus.
Wie das Mosaik entsteht
Die Komponenten eines Moduls werden in kleinteiliger Form in verschiedener Ausführung zusammengesetzt. Es gibt Standardzellen und Bereiche, die ohne Zellen transparent gestaltet sind. Hinzu kommen Flächen, in denen stromleitende Elemente sichtbar sind. Auch durch die Variation der Rückseitenfolien entstehen unterschiedliche Ansichten. All diese Kombinationen ergeben eine Mosaikoptik, die Architekten große ästhetische Gestaltungsfreiheit ermöglicht. Vorhandene architektonische Gestaltungselemente wie Schrägen oder Diagonalen können beispielsweise fortgeführt oder gebrochen werden. Die Mosaikmodule in nahezu beliebigen Formen und Größen müssen den Kostenvergleich mit anderen BIPV-Modulen nicht scheuen. Da die Herstellung mit erprobten Prozessen erfolgt, ist eine industrielle Fertigung der Mosaikmodule leicht möglich. Auch für Dachanlagen wurden im Forschungsprojekt neue Konzepte erprobt. So wurde mit dem italienischen Hersteller Tegola eine dachintegrierte Demonstrationsanlage auf einem Gebäude der Nationalen Technischen Universität in Athen installiert. Dort erfolgte die Integration auf bitumenbasiertem Untergrund.
Viele verschiedene Maße
Das neueste Projekt im Forschungsverbund ist die Z3-Fassade an einem fünfgeschossigen Bürogebäude des Stuttgarter Generalunternehmers Ed. Züblin. Die fassadenintegrierte Photovoltaikanlage sollte sich auch architektonisch in das Gesamtbild einfügen. Dafür haben die Architekten des Projektpartners UN-Studio ein spezielles Design für die Module entwickelt, das die vertikale Strukturierung der Fassade durch die Holzlisenen aufgreift. Dieses Design ist auf die vordere Scheibe der Glas-Glas-Module mittels Siebdruck aufgebracht. Da die Module die vorhandenen Glasbrüstungen, bestehend aus einer einzigen ESG-Scheibe, ersetzen, wurde ein innovatives Modulkonzept für die Gebäudeintegration mit einer seitlich überstehenden Frontscheibe (Stufenglas) entwickelt, das eine unabhängige Verklebung der Front- und der Rückscheibe auf der Unterkonstruktion ermöglicht.
Eine der größten Hürden für Fassadenintegration benennt Karoline Fath. Sie ist Ingenieurin bei der Ed. Züblin AG und Koordinatorin des Forschungsprojektes: „Photovoltaikmodule sind standardmäßig nur in bestimmten Größen erhältlich. Im Fassadenbau kommt jedoch eine Vielzahl unterschiedlicher Abmessungen zum Einsatz, deren manuelle Herstellung teuer ist. Voraussetzung für einen stärkeren Einsatz der Photovoltaik ist, dass die Architekten sie von Projektbeginn an einplanen, sodass die Zahl der Abmessungstypen reduziert werden kann.“