„Das ist hier unser Touchpanel. Damit steuern wir die Haustechnik. Zum einen wird die Nachtlüftung darüber gesteuert und auch die Vorhänge sowie die Lichtdecke. Bei der Lichtdecke handelt es sich um LED-Technik“, erklärt die blonde, junge Frau im grauen T-Shirt mit dem Logo der Uni Wuppertal. Architekturstudentin Bettina Titz führt zwölf Besucher durch das selbst entworfene und gebaute Plusenergiehaus. Das etwa 50 Quadratmeter große Wohnhaus wird allein mit Sonnenenergie betrieben und produziert sogar Überschüsse. Ein Übersetzer erklärt den Besuchern das Gebäu dekonzept auf Spanisch. Vor dem Glaskubus mit der grauen Stofffassade stehen 20 weitere Interessierte geduldig Schlange – bei über 30 Grad und ohne Schatten.
Internationale Hochschulteams
17 Hochschulteams aus Spanien, Frankreich, England, Deutschland, China und den USA präsentierten ihre Plusenergiehäuser im Zentrum Madrids. Darunter vier deutsche Teams aus Berlin, Rosenheim, Stuttgart und Wuppertal. 190.000 Besucher kamen zum Ufer des Rio Manzanares, um sich selbst ein Bild von den experimentellen Gebäudeentwürfen der Studenten zu machen. Viele Teams haben Photovoltaikmodule gestalterisch in ihr Gebäudekonzept eingebunden. Dafür haben sie die heimischen Photovoltaikhersteller herausgefordert und gezeigt, was alles möglich ist, wenn man sich von den Zwängen des Marktes befreit. Durch ihren Gestaltungswillen sowie die Prominenz des Wettbewerbs konnten die Studenten viele Neuentwicklungen anstoßen. So haben sich die interdisziplinären Teams aus den Fachbereichen Architektur, Energietechnik, Bauingenieurwesen und Innenarchitektur die Solartechnik auch ästhetisch angeeignet. Begonnen hat alles in den USA. 2002 hat das Energieministerium den Wettbewerb ins Leben gerufen. Seither wird er alle zwei Jahre in Washington D.C. durchgeführt. In Deutschland bekannt machten ihn die Siege der Universität Darmstadt 2007 und 2009. In diesem Jahr gab es erstmals ein europäisches Pendant. Die Polytechnische Universität Madrid holte den Solar Decathlon nach Europa und richtete den Wettbewerb vom 18. bis zum 27. Juni gemeinsam mit dem spanischen Wohnungsbauministerium aus.
Zehn Disziplinen
In zehn Disziplinen, von der Architektur und dem Komfort über die Nachhaltigkeit der Konstruktion bis hin zur Energieeffizienz und den Solarsystemen, traten die Hochschulteams mit ihren Prototypen gegeneinander an. Bei Außentemperaturen von über 30 Grad mussten die Studenten in Madrid beweisen, dass es in ihren Häusern auch ohne klassische Klimaanlage angenehm kühl bleibt – allein durch die eingesetzten Materialien und die Kraft der Sonne. Lehmwände, Abstrahlflächen auf den Dächern, die nachts die Temperatur des Kühlwassers senken, ein an traditionelle arabische Architektur angelehnter Windturm und eine aus 20.000 Einzelteilen zusammengesteckte Aluminiumfassade waren nur einige der Highlights auf dem Ausstellungsgelände.
Anderthalb Jahre arbeitete Bettina Titz zusammen mit 30 Kommilitonen für den Solar Decathlon. Viel Zeit und viel Geld flossen in das Projekt: Schließlich musste das Haus nicht nur geplant und in Wuppertal gebaut, sondern samt Team auch nach Madrid transportiert werden. Die Kosten in Höhe von rund einer Million Euro wurden zum größten Teil vom Bundeswirtschaftsministerium getragen. Die Studenten konnten außerdem zahlreiche Sponsoren für ihr Projekt begeistern, die Baumaterialien und Technikkomponenten zur Verfügung stellten. Anfang Juni verpackten die Wuppertaler ihr Haus auf sieben LKWs. In Madrid am Ufer des Rio Manzanares sollte es innerhalb von nur zehn Tagen wieder aufgebaut werden.
Triumph der Vielfalt
„Für uns war es das Größte, als wir das Haus das erste Mal fertig gesehen haben, das war einfach ein unglaubliches Gefühl“, sagt Titz stolz. In 18-Stunden-Schichten hatten die Teams Tag und Nacht gearbeitet und hatten dabei einige Hürden zu überwinden. Den Rosenheimern kam ein LKW auf dem Weg nach Spanien abhanden, den Stuttgartern zertrümmerte beim Transport eine Technikdecke. Völlig überraschend setzten während der Bauarbeiten auch noch heftige Regenfälle den Baugrund unter Wasser. Jetzt war Improvisation gefragt. Für ein französisches Haus musste kurzerhand eine Drainage gelegt werden. Den Wuppertalern sind die Frischwassertanks im Schlamm abgesunken und wurden mühsam wieder auf ein Niveau gebracht. Sehr zum Neid der finnischen Nachbarn konnte das Team aus Barcelona bei der Photovoltaikmontage viel Zeit aufholen: „Wir haben gestaunt, als unsere Nachbarn ihre flexiblen Module einfach ausgerollt und festgeschraubt haben, während wir hier zu zweit ein Modul nach dem anderen ganz vorsichtig aufs Dach heben mussten“, sagt eine finnische Studentin mit einem Blick auf die organische Struktur aus Holz. Für das gewölbte Dach ihres bewohnbaren Holztieres brauchten die Barcelonesen formbare Module, die mehr Leistung bringen als die am Markt erhältlichen flexiblen Dünnschichtmodule. Deshalb haben sie kurzerhand 122 Sunpowerzellen zu flexiblen Matten laminieren lassen – von einer ortsansässigen Firma, die vorher noch nie mit Photovoltaik gearbeitet hatte.
Kreative Gestaltung
Es war ein Triumph der Vielfalt. Geschwungene Gebäudeformen standen neben schlichten Kuben, Holzverkleidungen neben strukturierten Metall- und Acrylfassaden. Die Nachwuchsingenieure zeigten eindrucksvoll, dass energieeffiziente Architektur anspruchsvoll gestaltet sein kann – auf ganz unterschiedliche Weise. Die Vielfalt zeigte sich auch bei den Photovoltaikanwendungen. Fast jedes Haus hatte eine Besonderheit, wie auch das des finnischen Teams aus Helsinki. Eine eigens entwickelte prismatische Oberfläche verleiht den Modulen nicht nur einen höheren Wirkungsgrad, sondern auch einen angenehmen, hellgrauen Farbton. Durch die strukturierte Glasoberfläche erreichen sie einen Wirkungsgrad von 17 Prozent und eine Energie-Paybacktime von nur 2,2 Jahren bei spanischer Sonneneinstrahlung. Unter finnischer Sonne spielt die Anlage in 3,2 Jahren die Energie wieder ein, die für die Herstellung eingesetzt wurde. Die finnischen Studenten trieben den Nachhaltigkeitsgedanken auf die Spitze, indem sie sogar bei der Montage der rahmenlosen Module auf Aluminium verzichteten und diese mit Holzklötzchen auf Holzlatten befestigten.
Die Frage war bei allen Projekten, wie sich die Technik der Gestaltung fügt. „Es war immer eines unserer Hauptanliegen beim architektonischen Konzept, dass man die Integration von Technik und Architektur schafft“, sagt Bettina Titz von der Uni Wuppertal, „und zeigt, dass man auch mit dieser ganzen Technik, die im Gebäude verbaut ist, eine gute Gestaltung schaffen kann.“ Die Wuppertaler gestalteten eine photovoltaische Wand, indem sie vorhandene Techniken neu kombinierten. So ließen sie sich kleine, quadratische Photovoltaikmodule mit nur je neun Zellen bauen. Um mit zwei unterschiedlichen Farbtönen spielen zu können, kombinierten sie Module mit dunklen monokristallinen und helleren polykristallinen Zellen. Die Röhrenkollektoren der thermischen Solaranlage in der zweiten Solarwand, die die rückseitige Terrasse abschließt, sollen Bezug nehmen auf den Faltenwurf des metallischen Fassadenstoffes. Je nach Sonnenstand fährt der aluminiumbeschichtete Vorhang auf oder zu und schützt so den Innenraum davor, sich zu stark aufzuheizen.
Mit der Außentemperatur stieg auch die Spannung am Rio Manzanares von Tag zu Tag. Jeden Abend versammelten sich die Studenten der 17 Teams zum Show-down. Denn jeden Tag fanden Jury-Begehungen der Häuser statt und die Gewinner in einer der zehn Teildisziplinen wurden verkündet. 14 Mal durften dabei die vier deutschen Teams aus Berlin, Stuttgart, Rosenheim und Wuppertal aufs Treppchen steigen. Man feierte sich gegenseitig in den Disziplinen Architektur, Kommunikation, Markttauglichkeit, Innovation, Konstruktion und Nachhaltigkeit und fieberte gemeinsam dem Endergebnis entgegen.
Strukturen der Module nutzen
Christian Bongartz freute sich über das Engagement der Studenten. Als Juror für die Einzeldisziplin Solar Systems hob der Partner von Wagner und Co. in Madrid das Berliner Projekt besonders hervor. Das Rastermaß der quadratischen, schwarzen Solon-Module nahmen die Studenten zum Ausgangspunkt für die Fassadengestaltung. Das Raster zieht sich durch die gesamte Holzfassade und findet sich auch in den Abstrahlflächen auf dem Norddach wieder. „Eine interessante Architektur mit vernünftiger Dachneigung und ästhetisch integrierten Modulen“, sagt Bongartz dazu. „Toll war auch, dass die Berliner Studenten auch eigene Ideen für die technische Ausführung entwickelt haben.“ Das war keines wegs selbstverständlich, denn einige andere Teams ließen sich ihre Anlagen von externen Ingenieurbüros auslegen. Einzig die knappe Hinterlüftung und die schwarzen Fassaden, die das Gebäude unnötig aufheizen, könnten verbessert werden. „Mein Eindruck ist, dass die Sponsoren sich richtig reingehängt haben in das Projekt“, so das Fazit von Bogartz. Er geht davon aus, dass einige Prototypen bis zur Markttauglichkeit weiterentwickelt werden.
Das glaubt auch Michel Orlhac, Geschäftsführer von Schneider Electric. Als Hauptsponsor der Veranstaltung stellte sein Unternehmen den Anschluss an das städtische Stromnetz für die 17 Plusenergiehäuser bereit. Zwischen zwei Hochschulteams und Schneider Electric gab es bereits in der Planungsphase eine enge Kooperation. „Unsere Ingenieure waren begeistert, mit den Studenten zusammenzuarbeiten. Sie konnten selbst die Lösung entwickeln, je nachdem was ihr Haus brauchte.“ Besonders lobte Orlhac das Fablab-Haus des Katalonischen Architektur-Instituts aus Barcelona. Die Oberfläche zur elektronischen Steuerung der Haustechnik und Datenabfrage könnten oft nur Technikfreaks durchschauen und bedienen, meint Orlhac. Die Zukunft liege aber in einer einfachen, alltagstauglichen Steuerung. Die Katalanen haben ein besonders bedienerfreundliches Design für ihr Touch-Panel entwickelt. „Klar, groß, einfach“, fasst Orlhac zusammen. „Besser als das, was wir entwickelt haben. Das ist eine echte Innovation, das werden wir für unsere Produkte übernehmen.“
Unklare Entscheidung
Am Sonntagabend erreichte die Spannung ihren Höhepunkt: mit der Verleihung der Preise in den Kategorien Solar Systems und Energiebilanz. Und endlich wurden auch die Gewinner des Solar Decathlon Europe ausgerufen.
Der erste Platz ging an die Studenten von Virginia Tech aus den USA. Der Pavillon mit Klappdach kann die Solarmodule in beliebigem Winkel aufstellen. Unter ästhetischen Gesichtspunkten überzeugt eher die gelochte Metallfassade als die Standardmodule auf dem Dach. Einen Wermutstropfen enthält dieser Sieg allerdings: Dasselbe Gebäude war bereits im letzten Jahr in Washington angetreten – und landete beim dortigen Solar Decathlon lediglich auf Platz 13. Damit hatten die Amerikaner exakt ein Jahr zusätzlich Zeit, ihre technische Ausrüstung zu optimieren.
Dicht auf die Virginia Tech folgte das Team aus Rosenheim. Bronze in der Gesamtwertung ging an die Stuttgarter Studenten. Sie wurden auch für ihre Solarsysteme geehrt. Mit gold- und bronzefarbenen Sunways-Zellen haben sie zweifarbige Glas-Glas-Module gestaltet, die sich über die Gebäudekante auf das Dach hinüberziehen und so die Dachfläche als fünfte Fassade in die Gestaltung mit einbinden. Der österreichische Modulhersteller Ertex baute die raumhohen Glas-Elemente für das süddeutsche Team. Mit einem Wirkungsgrad von knapp 14 Prozent sind die Module nicht nur ästhetisch überzeugend, sondern auch ernst zu nehmende Stromproduzenten. Auf dem Dach liegen zwischen thermischen Röhrenkollektoren zusätzlich Module von Sunpower.
Wuppertal und Berlin landeten auf den Plätzen sechs und zehn der Gesamtwertung. Berlin erhielt den begehrten ersten Preis für die Kategorie Solar Systems. Das bayrische Team von der Fachhochschule Rosenheim punktete mit der besten Energiebilanz. Rosenheim und die Bergische Universität Wuppertal sicherten sich zusätzlich einen Sonderpreis für ihr Beleuchtungskonzept.
„Der sechste Platz ist ja nicht ganz schlecht. Allerdings sind wir hierhergefahren, um unter den ersten fünf zu landen“, sagt Martin Hochrein von der Uni Wuppertal nach der Siegerehrung. „Aber ich freue mich, dass die deutschen Kollegen von den anderen Teams auf den vorZum Gewinner des Solar Decathlon Europe wurde das US-amerikanische Team der Virginia Tech mit seinem Lumenhaus gekürt. Im Gegensatz zu vielen Energiehäusern ist es besonders lichtdurchlässig.
deren Plätzen gelandet sind – sprich: dritter Platz und zweiter Platz. Und das ist aller Ehren wert.“