Der Rückbau des havarierten Reaktors in Fukushima wird Japan noch Jahrzehnte beschäftigen. Nun hat der Betreiber des Kraftwerks angekündigt, rund eine Million Tonnen radioaktiv verseuchter Abwässer ins Meer zu leiten.
Denn jeden Tag fallen etwa hundert Kubikmeter an, aus der Notkühlung des Unglücksmeilers. Ein Dutzend Jahre nach der Katastrophe reichen die Tanks in Fukushima nicht mehr aus, um das kontaminierte Wasser zu lagern.
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Nachbarn und Fischer schlagen Alarm
Fischer und Nachbargemeinden schlagen Alarm, die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien wiegelt ab. Das Wasser sei durch Filter weitgehend von radioaktiven Nukliden befreit. Lediglich der Wert für Tritium liege über den erlaubten Grenzwerten.
Betreiber Tepco und IAEO wiegeln ab
Dass Betreiber Tepco und die IAEO abwiegeln, ist überhaupt nicht neu. Tepco hat unmittelbar nach dem verheerenden Tsunami und der schweren Explosion im März 2011 die Situation als unkritisch bezeichnet.
Nur langsam kam das Ausmaß der Schäden ans Licht. Und die IAEO ist bislang stets den Ereignissen hinterher gelaufen, ob in Three Mile Island (USA, 1979), in Tschernobyl (Sowjetukraine, 1986) oder Fukushima (Japan, 2011).
Seltsame Töne aus der Klausur
Auch CDU/CSU und FDP scheinen den Ereignissen hinterher zu hinken. CDU-Chef Friedrich Merz tönt auf der Klausurtagung seiner Partei, dass man zwar den Atomausstieg nicht in Frage stelle. Aber man wolle die Erforschung von „Kernenergie 2.0“ vorantreiben.
Aus der Chefetage der FDP wurde beim Dreikönigstreffen verlautbart, dass man den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft einer „Expertengruppe“ übertragen solle. Sie solle entscheiden, ob Deutschland wirklich aus der Verstromung von Uranbrennstäben aussteigt.
Die Sache ist längst entschieden
Wohlgemerkt: Es geht um die Abschaltung der letzten drei Reaktoren in Deutschland, die bereits entschieden ist. Ausnahmsweise dürfen sie bis ins Frühjahr weiterlaufen, um französische Versorgungslücken zu decken.
Denn die Hälfte der französischen Atommeiler wurde abgeschaltet, weil sie Schrotthaufen sind. Die andere Hälfte ist gleichfalls Schrott, darf oder muss aber weiterlaufen. Weil der Elysee-Palast den Volksaufstand fürchtet, wenn man den Franzosen reinen Wein einschenkt. Wenn sich die Mär vom billigen Atomstrom als Milliardengrab für die Staatsfinanzen offenbart.
Der doppelzüngige Herr Merz
Die merkwürdige Ansage von Friedrich Merz zeigt, dass er weder die ökonomische Dimension des Atomausstiegs versteht, noch die soziale. Einerseits führt er den Ausstieg im Mund, zugleich ruft er nach der Erforschung neuer Atomtechnik.
Früher, also vor vielen Jahrzehnten, galt die CDU als Partei der Wirtschaft, als kompetent in ökonomischen Fragen. Friedrich Merz beweist, wie weit sich die Union davon entfernt hat. Es macht überhaupt keinen Sinn, neue Atomtechnik zu erforschen, wenn der Ausstieg beschlossen ist.
Es macht auch keinen Sinn, weiterhin an Motoren zu forschen, die Benzin oder Diesel verbrennen. Wenn feststeht, dass die Erzeugung von Kohlendioxid beendet wird, braucht dafür niemand mehr ein Budget. Mit der Atomkraft ist es genauso.
Atomforschung verschlingt den Löwenanteil
Noch macht die Atomforschung im Energieprogramm der Europäischen Union den Löwenanteil aus. Zur Kernspaltung laufen die Forschungen weiter. Auch der unsägliche Fusionsreaktor Iter wird weiter gebaut und erprobt.
Gelegentlich geistert das Thema durch die Medien, als Untote der Nuklearphysik. Unlängst jubelten amerikanische Forscher, dass bei der laserinduzierten Kernfusion ein Durchbruch geschafft sei. Das war weder neu, noch hat es die Aussichten auf wirtschaftlich funktionierende Fusionskraftwerke verbessert. Einmal mehr wurde die Lüge verbreitet, dass solche Reaktoren keine Radioaktivität erzeugen, und so weiter.
Plumper Stimmenfang der Union
Die Fusionsforscher und Fritze Merz eint: Sie wollen mit dem Reizthema Energie punkten. Die einen brauchen (noch) größere Maschinen, Laboratorien und Forschungsbudgets. Die Union geht damit auf Stimmenfang.
Das ist so durchsichtig wie peinlich. Denn es offenbart, dass der CDU und CSU – und der FDP – wirtschaftliche und soziale Kompetenzen abhanden gekommen sind. Denn dass Deutschland aus der Atomkraft aussteigt, hat zuallererst wirtschaftliche Gründe, hat erhebliche soziale Konsequenzen. Daran ändern auch die steigenden Energiepreise durch den Krieg in der Ukraine nichts.
Rückbau verdoppelt die Kosten
Das Problem sind der Rückbau der kerntechnischen Anlagen und die Endlagerung des Atommülls, siehe Fukushima. Eine Million Tonnen radioaktive Abwässer ins Meer zu verklappen, ist für Tepco der einzige und billigste Weg, das strahlende Zeug loszuwerden.
Nur wenigen ist bekannt, wie teuer der Rückbau von Atomanlagen ist. Die Sanierung des Uranbergbaus in Sachsen und Thüringen hat in den vergangenen drei Jahrzehnten rund neun Milliarden Euro verschlungen. Umgerechnet auf die Tonne Uran, die aus dem Erzgebirge geholt wurde, verdoppeln sich die Kosten.
Bis 2050 könnte eine weitere Milliarde anfallen, weil die sanierten Flächen und Bergwerke dauerhaft unter Kontrolle gehalten werden müssen. Der strahlende Müll verschwindet nicht aus der Welt, wenn man einen Deckel drüber betoniert. Er strahlt weiter und weiter, ohne Unterlass.
Endlagerung macht es noch teurer
Was für den Bergbau gilt, gilt auch für Kraftwerke. Soll heißen: Um den Rückbau zu finanzieren, müssten die Betreiber für jede Kilowattstunde Atomstrom den Kundenpreis als Rücklage bilden. Sofort fällt ins Auge, dass auf diese Weise überhaupt kein Gewinn zu machen ist.
Dabei ist die Endlagerung des Atommülls noch gar nicht eingepreist. Lediglich für den Rückbau der bestehenden Anlagen und Lager für abgebrannte Brennstäbe oder radioaktiv kontaminierten Schutt oder Schrott gibt es belastbare Erfahrungswerte.
In Sachsen und Thüringen wurden die radioaktiven Halden in alte Gruben verfüllt, strahlender Schrott in aufgelassene Schächte gekippt: Deckel drauf und aus der Traum! Doch wohin mit den Brennstäben? Mit den strahlenden Materialien aus dem Reaktor? Tepco bleibt die Antwort schuldig, was mit den strahlenden Rückständen aus den Filtern geschieht.
Ein regelrechter Cocktail
Einmal aus dem Berg geholt, strahlen die Nuklide so lange, wie es die Halbwertszeit bestimmt. Das Isotop Uran-235 braucht 700 Millionen Jahre, U-238 gar viereinhalb Milliarden Jahre, bis die Hälfte der strahlenden Masse zerfallen ist.
Plutonium, das aus Uran-238 gewonnen wird, hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren. Daneben fallen Strontium, Zäsium, Jod oder radioaktives Kalium an. Die Atomkraft hinterlässt einen regelrechten Cocktail, der sich nicht einfach beerdigen lässt. Erst recht nicht wegreden.
Folgekosten fressen alle Gewinne auf
Es wird deutlich: Die Folgekosten fressen mehr als die Gewinne auf, die jemals mit Atomstrom erzielt wurden. Ist eine feine Sache, denn die Gewinne flossen in die Taschen der Energiekonzerne und ihrer Aktionäre.
Auf den Folgekosten bleibt die Gesellschaft sitzen. Das berappen die Steuerzahler. In Frankreich würde es tatsächlich zum Aufstand kommen, wenn einigermaßen realistische Summen bekannt würden, die zum Rückbau von 56 Atomkraftwerken benötigt werden.
Je mehr Atomreaktoren, desto näher die Pleite
Man kann durchaus sagen: Je mehr Atomreaktoren ein Land betreibt, desto näher gerät es an die Staatspleite. Und es wird verwundbarer, das hat die russische Invasion in der Ukraine gezeigt.
Deshalb steigt Deutschland aus der Atomkraft aus, das ist des Pudels Kern. Nur der Umstieg auf erneuerbare Quellen wie Sonne und Wind stellt dauerhaft erschwingliche Energiepreise in Aussicht, macht die Wirtschaft unabhängig von fossilen oder nuklearen Importen.
An alten Zöpfen hängen
Union und FDP zeigen, dass sie sich schwer tun, die alten Zöpfe abzuschneiden. Dass Deutschland mit dem Ausstieg im internationalen Vergleich keinen Sonderweg geht, belegen jüngste Zahlen der IAEO.
Ende 2022 liefen weltweit noch 422 Atomreaktoren. Ende 2002 waren es 444 gewesen. Im Vergleich zu 2006 stagniert ihre Stromproduktion bei rund 2.650 Terawattstunden. 2022 gingen etliche Schrottreaktoren in Frankreich temporär vom Netz, also dürfte die Stromerzeugung weiter sinken.
Nur sechs neue AKW in 2022 - weltweit
Im vergangenen Jahr wurden weltweit sechs AKW in Betrieb genommen, fünf offiziell abgeschaltet. Fünfzehn stillgelegte Meiler in Japan wurden klammheimlich aus der Statistik bereinigt. Der Bau von sieben neuen AKW wurde begonnen. Allein 1970 wurden weltweit 37 neue Atommeiler in Angriff genommen.
Die Atomtechnik ist in die Jahre gekommen, das steht fest. Offensichtlich ist es wirtschaftlich kaum möglich, eine zweite Generation von Reaktoren zu bauen und im Strommarkt zu etablieren.
Die Kosten für Rückbau und Endlagerung, sowie die Preiskonkurrenz der erneuerbaren Energien beenden dieses schmutzige Geschäft. Nicht einmal die Reparatur von bestehenden Anlagen lohnt sich - siehe Frankreich. Dort ruft EDF nach staatlichen Subventionen, die der Elysee-Palast schlichtweg nicht aufbieten kann.
Die Ritter von der traurigen Gestalt
Wer ist Friedrich Merz? Der Ritter von der traurigen Gestalt, der auf seinem Klepper Rosinante gegen Windmühlen anrennt. Wie Markus Söder von der CSU.
Und Christian Lindner ist der treue Schildknappe Sancho Pansa. Im bekannten Roman erkennt Don Quichotte am Ende seinen Irrtum und stirbt. Ideen von Gestern ist das gleiche Schicksal beschieden.
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