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Jede Fläche ist geeignet

Bei der Energiewende in den Städten geht es vor allem um die Nutzung der vielen vorhandenen Flächen, die die Gebäude bieten. Der Vorteil: Gegenüber dem Solarpark auf der Freifläche sind die Verbraucher gleich vorhanden. Der Strom muss nicht über lange Leitungen transportiert werden. Gleichzeitig haben die Investoren in die Anlage in der Regel dankbare Abnehmer. So weit, so grau die Theorie.

Die Praxis sieht anders aus. Oft bleiben geeignete Flächen einfach brach liegen. Ein Projekt in Marburg zeigt, was alles möglich ist. Dort wird gerade das radiologische Zentrum der nordhessischen Universitätsstadt saniert – inklusive Fassade. Einen Entwurf haben die Solararchitekten des Planungsbüros A.P.L. – Architekten Plaehn und Lüdemann aus Hannover schon ­ausgearbeitet.

Er sieht neben einer kompletten Ausführung der südwestlich und südöstlich orientierten Gebäudeseiten als Solarfassade auch die Neugestaltung des Eingangsbereichs vor. Dieser wird nach außen abgerundet. Die eigens angefertigten monokristallinen Module hat Sunovation aus dem unterfränkischen Elsfeld bereits angeliefert. Auch der abgerundete Eingangsbereich wird mit gebogenen Spezialmodulen ausgeführt. Damit erreicht die Leistung der Fassade immerhin 50 Kilowatt Leistung.

Stromversorgung aus der Fassade

Die Kosten für die Solarfassade werden über eine Lösung refinanziert, die es auch als Mieterstromansatz in Zukunft den Eigentümern von Immobilien einfacher machen dürfte, bisher noch ungewöhnliche Flächen wie Fassaden für die Photovoltaik zu nutzen. Denn die Stadtwerke Marburg schließen mit dem radiologischen Zentrum einen langfristigen Liefervertrag für den Strom aus der Fassade. Die Praxis deckt damit den Strombedarf ihres üppigen Geräteparks mit vor Ort produzierter Sonnenenergie, das Gebäude wird auf ästhetische Weise zu einem Beispiel zukunftsweisender Architektur und der in der Fassade produzierte Strom findet einen Abnehmer.

Zusätzlich können sich über die Sonneninitiative Bürger durch den Kauf einzelner Module an dem Projekt beteiligen. Es ist das erste Projekt dieser Art zur Vermarktung von Strom aus einer Solarfassade an einen Gewerbemieter. Doch auch andere für die Photovoltaik nutzbare Flächen in Städten bleiben bisher noch ungenutzt. Der Zubau von Mieterstromprojekten dümpelt vor sich hin. „Derzeit sind die Mieterstromprojekte mehrheitlich nicht wirtschaftlich“, sagt Alexander Schitkowsky, technischer Leiter bei den Berliner Stadtwerken und in dieser Funktion verantwortlich für den Anlagenbau und Anlagenbetrieb. „Doch manchmal finden wir Rahmenbedingungen in Gebäuden vor, unter denen ein solches Projekt machbar ist.“

Messtechnik treibt die Kosten

Ein wesentlicher Faktor dabei sind die Investitionskosten. Diese sind höher als bei einer reinen Einspeiseanlage, wo nur ein Erzeugungszähler notwendig ist. In den Mieterstromprojekten arbeiten die Berliner hingegen mit zusätzlichen Summenzählern – für jeden einzelnen Hausanschluss ein Gerät. Diese messen am Hausanschluss sämtliche Strommengen, die aus dem Gebäude ins Netz fließen und die aus dem Netz ins Gebäude fließen. Im Haus selbst wird mit den normalen Stromzählern gemessen und so für jeden Teilnehmer am Mieterstromprojekt anteilig der Solarstrom vom Dach und der Strom aus dem Netz abgerechnet.

Die zusätzlichen Summenzähler treiben die Kosten in die Höhe. Schitkowsky beziffert die Mehrkosten auf fünf bis zehn Prozent zusätzlich zu den Investitionskosten für die Anlage inklusive Verkabelung und Leistungselektronik – je nach Projektgröße und Projektkonstellation. „Wir haben in Pankow ein Mieterstromprojekt umgesetzt mit einer Solaranlage mit einer Leistung von 100 Kilowatt“, sagt der technische Leiter der Stadtwerke. „Das ist ein Gebäude mit acht Aufgängen und vier Hausanschlüssen. Dort mussten vier Summenzähler gesetzt werden.“ Eine vollständige Umstellung auf intelligente Messeinrichtungen ist für die Berliner Stadtwerke nicht möglich, da sie in Berlin nicht Messtellenbetreiber sind.

Lichtblick für die nächsten Projekte

Zudem sehen andere mieterstromerfahrene Anbieter wie Naturstrom mit der Nutzung von Smart Metern, wie sie in einer vom Bundeswirtschaftsministerium zusammen mit dem EEG 2021 vorgelegten Novelle der Stromnetzzugangsverordung vorgesehen ist, einen zusätzlichen Hemmschuh für Mieterstromprojekte. Denn damit drohe der verpflichtende Einbau von Smart Metern auch in Haushalten in einer Mieterstromimmobilie, die keinen Solarstrom vom Dach beziehen.

Die nächste EEG-Novelle beinhaltet aber auch gute Neuigkeiten für Mieterstromanbieter. So sollen zumindest einige Hürden abgebaut werden (siehe Kasten auf Seite 44). „Dann werden wir einen leicht wachsenden Zubau erleben, wenn auch noch keinen so breiten Rollout von Mieterstromanlagen, wie er sinnvoll und auch technisch möglich wäre“, ist sich ­Alexander Schitkowsky sicher. „Denn dann können Projekte umgesetzt werden, die derzeit wirtschaftlich auf der Kippe stehen. Aber es gibt immer noch viele Gebäude, in denen höhere Investitionskosten notwendig sind, um ein Mieterstromprojekt umzusetzen. Diese sind dann immer noch nicht möglich. Da muss ein anderer Mechanismus her.“

Er schlägt deshalb vor, die freie Anbieterwahl der Stromkunden zugunsten von Mieterstromprojekten aufzuweichen. Er weiß, dass das rechtlich nicht einfach umzusetzen wäre. Aber die Idee, konkrete Kriterien festzulegen, was ein Mieterstromprojekt ist, und dann – ähnlich wie es bei der Wärmeversorgung gemacht wird – die Bewohner automatisch in ein solches einzubeziehen, würde zumindest mehr Investitionssicherheit bedeuten. „Denn physikalisch wird der Solarstrom ohnehin zuerst im Haus verbraucht und nur der Überschuss eingespeist“, sagt Schitkowski. „Natürlich muss das hinsichtlich des Verbraucher- und Mieterschutzes rechtlich abgesichert sein.“

Doch als Ansatz wäre es zumindest diskussionswürdig. Eine weitere Alternative wäre, dass der Anlagenbetreiber für den kompletten Strom, der nachweislich physikalisch im Gebäude verbraucht wird, mit dem Mieterstrombonus bedacht wird. Dann ist die Wirtschaftlichkeit des Mieterstromprojekts nicht mehr von der Zahl der Bewohner abhängig, die den Solarstrom kaufen, sondern nur noch vom Stromverbrauch im Gebäude.

Denn die Beteiligung der Mieter ist derzeit von entscheidender Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg eines solchen Projekts. Dafür stehen die Chancen zumindest in vielen Quartieren gut, wie eine Umfrage von ­Solarimo ergeben hat. Im Auftrag des Berliner Mieterstromanbieters haben die Analysten von Innofact nach der Bereitschaft von Mietern gefragt, Solarstrom vom Dach des Mietshauses zu beziehen. Das Ergebnis: 78 Prozent der befragten Mieter würden dies tun. Nur fünf Prozent lehnen es ab.

Nach Erfahrungen der Anbieter wird die Beteiligungsbereitschaft größer, wenn lokale Akteure daran beteiligt sind. Unter anderem deshalb setzt Naturstrom bei Mieterstromprojekten immer öfter auf eine solche Kooperation. „Die Zusammenarbeit mit Bürgerenergiegesellschaften ist für uns besonders stimmig“, sagt Tim Meyer, für dezentrale Versorgungslösungen zuständiger Vorstand bei Naturstrom. „In solchen Projekten kommt der Mieterstrom für die Menschen vor Ort nicht nur vom eigenen Dach, sondern über die Genossenschaft können sich Mieter auch an der Solaranlage beteiligen. Das macht das Mieterstromangebot noch attraktiver und erhöht die Teilhabe an der Energiewende weiter.“

Schwarze Zahlen trotz hohen Aufwands

Doch auch für die Gebäudeeigentümer ist das Paket aus Mieterstrom und Bürgerenergie besonders interessant. „Die meisten Immobiliengesellschaften dürfen oder wollen heute keine eigenen Photovoltaikanlagen betreiben“, erklärt Meyer. „Für viele ist die lokale Energiegenossenschaft der ideale Partner für die Nutzung der eigenen Dächer für die Solarstromerzeugung und zur Schaffung einer Beteiligungsmöglichkeit der Mieter.“

Zudem setzen Energiegenossenschaften auch Projekte um, mit denen nur eine schmale Rendite zu erwirtschaften ist. Die Vorteile des genossenschaftlichen Ansatzes nutzt auch Greenpeace Energy bei der Realisierung von Mieterstromprojekten. „Als nicht in erster Linie profitorientierte Energiegenossenschaft sehen wir von Greenpeace Energy bei Projekten wie diesen auch nicht die Rentabilität im Vordergrund, sondern das Voranbringen der Energiewende in den Städten – indem wir zeigen, dass Mieterstrom auch in Bestandsbauten machbar ist“, betont Ulf Rietmann, Mieterstrom­experte des Hamburger Ökostromversorgers, mit Blick auf das jüngste Projekt in der Hansestadt.

Dort hat Greenpeace Energy eine Mieterstromanlage auf einem Bestandsgebäude gebaut. Dazu musste der Dachstuhl vor der Installation des Generators verstärkt werden, weil er die zusätzliche Last nicht getragen hätte. Das hat zu den ohnehin schon hohen Zusatzkosten zusätzliche Investitionsmittel verschlungen. Doch trotz des hohen Aufwands schreibt das Projekt schwarze Zahlen, wie Ulf Rietmann betont.

Im Überblick

Diese Firmen werden im Artikel erwähnt:

Berliner Stadtwerke www.berlinerstadtwerke.de

Naturstrom www.naturstrom.de

Greenpeace Energy www.greenpeace-energy.dek

Das Projekt der Berliner Stadtwerke in Pankow im Nordosten der Hauptstadt wurde zusammen mit der Gesobau, einem langjährigen Mieterstrompartner, errichtet.

Foto: Berliner Stadtwerke

Das Projekt der Berliner Stadtwerke in Pankow im Nordosten der Hauptstadt wurde zusammen mit der Gesobau, einem langjährigen Mieterstrompartner, errichtet.

EEG 2021

Einige Hürden bleiben stehen – bis zur nächsten Novelle

Seit einem Jahr wartet die Energie- und Immobilienwirtschaft auf eine Neuregelung von Mieterstromprojekten durch das Bundeswirtschaftsministerium. Die EEG-Novelle, wie sie derzeit vorliegt, hält einige Verbesserungen bereit. So wird der Mieterstromzuschlag nicht mehr an die Einspeisevergütung gekoppelt. Vielmehr soll der Betreiber von Mieterstrom­anlagen einen festen Zuschlag zwischen 1,42 und 2,66 Cent für jede Kilowattstunde bekommen, die ein Teilnehmer an einem Mieterstromprojekt verbraucht – abhängig von der Anlagengröße.

Lieferkettenmodell wird möglich

Auch das sogenannte Lieferkettenmodell soll möglich werden. Das bedeutet, dass der Mieterstromzuschlag auch bezahlt wird, wenn zunächst ein Energieversorger den Solarstrom abnimmt und diesen dann zusammen mit der Reststromlieferung an die Mieter verkauft. „Der aktuell vorliegende Entwurf schafft hier mehr Klarheit, stellt dieses Lieferkettenmodell auf eine sichere rechtliche Grundlage – und könnte so tatsächlich zu mehr Investitionen bei Mieterstromprojekten führen“, lobt Ulf Rietmann, beim Ökoenergieversorger Greenpeace Energy der Experte für Mieterstrom.

Quartierskonzepte erlauben

Er benennt aber weitere Hürden, die noch stehen bleiben. „Um Energiekonzepte in Quartieren auch zukünftig zu fördern, sollte die Obergrenze für Anlagen, bei deren Betrieb ein Anrecht auf den Mieterstromzuschlag besteht, von 100 auf 750 Kilowatt heraufgesetzt werden“, fordert er. Zudem kritisiert er die immer noch bestehenden Regelungen zur Anlagenzusammenfassung. Denn bisher werden nur Solaranlagen verschiedener Anlagenbetreiber nicht zusammengefasst, wenn sie nicht am gleichen Anschlusspunkt betrieben werden. „Wir schlagen hier die Anlagenzusammenfassung auch für solche Anlagen vor, die vom gleichen Betreiber betrieben werden“, sagt Rietmann.

Sonnensteuer für Mieterstrom abschaffen

Dies sieht auch Naturstrom als Hürde für den Mieterstrom an. Der Düsseldorfer Ökostromversorger fordert zudem eine wirkliche Gleichstellung von kollektivem Eigenverbrauch mit dem individuellen. Er verweist auf die Erneuerbaren-Richtlinie der EU, die genau das vorsieht. Das wäre machbar, indem die geltende Personenidentität zwischen Anlagenbetreiber und Stromverbraucher aufgehoben und so der Mieterstrom von der EEG-Umlage befreit wird. Dabei muss, wie in der EU-Richtlinie vorgesehen, die Befreiung für alle Anlagen mit einer Leistung von bis zu 30 Kilowatt gelten, unabhängig von der vor Ort verbrauchten Strommenge.

Das ist der einfachste Weg, den auch ein Rechtsgutachten der Berliner Kanzlei von Bredow, Valentin, Herz im Auftrag der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin vorschlägt. Ein zweiter Weg ist, im EEG klarzustellen, dass die Direktlieferung von Solarstrom dann von der EEG-Umlage befreit bleibt, wenn er von Mietern im gleichen Gebäude verbraucht wird.

Foto: Christine Lutz/Greenpeace Energy

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